Die Fernstenliebe ist vielen Politiker wichtiger, als sich um das Ahrtal zu kümmern

Vielen Deutschen ist der natürliche Widerstandswille abhandengekommen oder aberzogen worden

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 12)

Warum zieht keiner eine Gelbweste an und haut auf den Tisch? Warum nimmt man das Nichtfunktionieren einfach klaglos hin? Warum findet man sich mit der schleichenden Dysfunktionalität des Staates ab?© Quelle: privat

Die Faust in der Tasche: Als am vorvergangenen Wochenende in Nordrhein-Westfalen die Schulferien begannen, brach auf den Flughäfen in Düsseldorf und Köln das Chaos aus. In Köln bildete sich auf dem Flughafen eine Schlange von fast zwei Kilometern vor der Sicherheitskontrolle. Die in Düsseldorf erscheinende Rheinische Post schrieb, dass die Wartezeit auf dem Flughafen zeitweise bei fünf Stunden lag.

Die Polizei vermeldete erleichtert, dass die Passagiere sich trotzdem ruhig verhielten. Natürlich waren das Spitzenwerte, und sie stellen nicht den Normalfall dar. Die Normalwerte sind nach meiner Erfahrung inzwischen längst keine Normalwerte mehr, zum Beispiel wenn man früh morgens von Berlin irgendwo hinfliegen will, kann man leicht eine halbe Stunde in der Sicherheitskontrolle stehen.

Jeder weiß, dass es manchmal unvermeidbar ist, zu warten. Plötzlich bildet sich ein Nadelöhr oder es gibt aus nicht erklärbaren Gründen einen Menschenandrang, und dann muss man Geduld zeigen. Die Flughafenabfertigung ist allerdings mit das planbarste Verfahren, das man sich vorstellen kann. Flughafenbetreiber, Fluggesellschaften und Flugsicherheitskontrolle wissen Wochen vor dem Flug schon, wie viele Flüge in einem bestimmten Zeitraum abgehen werden und wie viele Buchungen erfolgten.

Es mag sein, dass es in den Tagen zuvor noch ein paar Zubuchungen oder Stornierungen gibt, aber es dürfte kaum eine Branche geben, die mit einer derartigen Planungssicherheit arbeiten kann. Jeder Betreiber eines Biergartens arbeitet mit größeren Unsicherheiten, was die Kundennachfrage angeht, als die Flughäfen.

Vor allem haben die Fluggesellschaften schon mit der Buchung, also lange vor dem Abflug, das Geld für die Luftsicherheitskontrolle abkassiert und könnten die notwendigen Kontrollkräfte sogar im Voraus bezahlen, wenn sie wollten.

Wenn ich diese Schlangen sehe, schaue ich mir immer die Menschen an. Wie reagieren sie? Und ich bin erstaunt, dass sie eigentlich gar nicht reagieren. Sie laufen in einer Schlange mit, wo sie vielleicht erst nach einer halben Stunde merken, dass sie sich falsch angestellt hatten und gehen traurig oder zornig wieder zum richtigen Ausgangspunkt zurück.

Sie machen Witze über die Unfähigkeit der Flughafenmitarbeiter, sie lästern und nörgeln, aber sie sind ruhig. Dabei wissen sie ziemlich genau, dass sie eigentlich betrogen werden.

Sie zahlen Flugsicherheitsgebühren, sie zahlen für die Abfertigung am Boden, sie zahlen ihre Steuern, mit denen eine funktionierende Infrastruktur unterhalten werden soll, sie sind früh aufgestanden und zum Flughafen gekommen, der Flughafen wusste genau, dass sie kommen werden, aber trotzdem werden sie auf dem Flughafen wie Vieh behandelt.

Und im Zweifel verpassen sie auch ihren Flug. Aber niemand wehrt sich. Viele werden die Faust in der Tasche ballen, aber kaum jemand wird aggressiv. Man könne ohnehin nichts machen, sagen manche. Derjenige, der aggressiv wird, ist der Spielverderber. Wieso eigentlich? Schließlich zahlte man nicht zu knapp, Luftsicherheitsgebühren und Steuern, und es funktioniert nicht. Warum findet man sich damit ab?

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Warum zieht keiner eine Gelbweste an und haut auf den Tisch? Warum nimmt man das Nichtfunktionieren von vielem, was früher normal war, einfach klaglos hin?

Warum findet man sich mit der schleichenden Dysfunktionalität des Staates ab? Brücken und Autobahnen, die eher gesperrt als repariert werden, Züge, die notorisch überfüllt und unpünktlich fahren, Bürgerämter, bei denen man Wochen oder sogar Monate auf einen Termin warten muss.

Ein Hochwasser, vor dem nicht rechtzeitig gewarnt wird, wo es keine Vorsorge gab, der Staat unfähig war, die Hochwasserschäden zu beseitigen, und wo auch ein Jahr später die Opfer einfach im Stich gelassen werden.

Politiker mit infantilen Allmachtsphantasien, das Weltklima ändern zu können, die aber noch nicht einmal ein simples Hochwasser in den Griff bekommen. Die Fernstenliebe ist vielen Politiker wichtiger, als sich zum Beispiel um das Ahrtal zu kümmern.

Neuerdings machen sich Politiker einen ganz schlanken Fuß, in dem sie nichts tun – außer warnen. Der Wirtschaftsminister warnt vor dem Energiemangel, der Bundeskanzler warnt vor der Megainflation, andere warnen vor Straftaten in Freibädern. Was für eine Dreistigkeit, dachte ich mir! Eigentlich sind das die Leute, die dafür bezahlt werden und dafür sorgen müssen, dass wir keinen Energiemangel haben, keine Inflation und keine Straftaten in Freibädern.

Wieso nehmen wir es einfach hin, dass sie ihren Job nicht machen und stattdessen sich darauf beschränken, uns vor den Gefahren zu warnen, die sie verhindern sollten oder die sogar selbst verursacht haben? Wofür zahlen wir eigentlich die Megasteuern auf alles und jedes, wenn die Politik die Grundvoraussetzungen unseres Lebens nicht mehr gewährleisten will?

Es ist für mich so, wie wenn Sie in ein Sterne-Restaurant gehen und ein sündhaft teures Menü bestellen, auf das Sie zwei Stunden warten müssen, es dann auf schmutzigem Geschirr serviert wird und der Oberkellner Scholz Sie angrinst und sagt: Guten Appetit, aber ich warne vor unseren Salmonellen, die zu Gesundheitsproblemen führen können.

Dieser Niedergang des Landes ist für jeden offensichtlich. Es gibt maßgebende Kräfte, die sich nicht mehr an Verträge oder an politische Spielregeln halten. Ihnen ist es einfach egal, weil es folgenlos bleibt. Trotzdem halten viele den Mund, spielen weiter mit und tun so, als ob sich auch die anderen an die Spielregeln halten. Warum eigentlich?

Wenn Menschen nicht begreifen, dass Regelübertretungen und schuldhaftes Versagen Folgen haben, dann werden sie sich nicht ändern und die Regeln in Zukunft erst recht nicht beachten. Das gilt für Fluggesellschaften, für Unternehmen genauso wie für unsere Politiker.

Massenmedien unterstützen leider diese Fehlentwicklungen, wenn sie Versagen nicht mehr als Versagen anprangern, sondern sich wie die Artillerie der Herrschenden gegen jede Kritik verhalten.

Sehr lange haben wir uns viel bieten lassen, haben zugesehen und gehofft, dass „jemand sich schon darum kümmern wird“. Es ist vielleicht eine deutsche Neigung zu glauben, dass es einen Herrn Jemand gibt, der als eine Art Hausmeister uns das unangenehme Geschäft, sich mit der Politik lautstark und vernehmlich auseinanderzusetzen, abnimmt.

Aber es gibt den Herrn Jemand nicht. Vielen Deutschen ist der natürliche Widerstandswille abhandengekommen oder aberzogen worden. Man wird nicht laut und haut nicht auf den Tisch. Das ist toxische Männlichkeit.

Aber manchmal ist es notwendig, und man sollte gelernt haben, weder die linke noch die rechte Wange Politikern hinzuhalten. Und ich glaube, dass es auch den meisten Frauen lieber wäre, jemanden, der sich wehren kann, an ihrer Seite zu haben.

Es ist immer besser, die Faust aus der Tasche zu nehmen und auf den Tisch zu legen, auch wenn es etwas laut wird. Es ist gut für die eigene Psyche und für die der Demokratie.

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