Der Präsident nennt Kirk einen „Märtyrer für die amerikanische Freiheit“

Abschied von Charlie Kirk wird zur Heiligsprechung

von Gregor Leip (Kommentare: 17)

Trump, die Witwe und Gott© Quelle: Youtube/Charlie_Kirk, Screenshot

Die Trennung von Kirche und Staat ist kein bloßer historischer Zufall, sondern eine bewusste Errungenschaft der Aufklärung, die auf Erfahrungen mit religiöser Tyrannei basiert.

Markiert der schreckliche Mord an Charlie Kirk wirklich eine Zeitenwende? Es war ein politisches Attentat an einem tiefreligiösen Mann. Jetzt wird Kirk posthum zum religiösen Märtyrer erklärt und seine „Heiligsprechung“ in der öffentlichen Wahrnehmung gefeiert.

Aber was passiert da eigentlich in den USA mit Sogwirkung bis in christlich-fundamentale Kreise auch in Deutschland? Wie sieht es in dem Kontext mit der Trennung von Kirche und Staat aus? Sie ist als große Errungenschaft ein Grundpfeiler moderner Demokratien, der vor religiöser Dominanz schützt und individuelle Freiheiten gewährleistet.

Sofort werden Stimmen laut: Aber wenn wir nichts tun, überrollt uns der Islam. Ist das ein Argument für eine Re-Christianisierung des Abendlandes samt Aufhebung der Trennung von Kirche und Staat? Das ist alles Theorie! Denn wie werden aus Sofa-Erregten Gotteskrieger gegen den Islamismus?

Kirk wird mittlerweile über die USA hinaus von bestimmten Kreisen als „christlicher Märtyrer“ dargestellt. Wie kritisch muss das betrachtet werden?

Erkennbar wird hier vor allem die kollektive Amnesie vieler Menschen bezüglich der Wurzeln europäischer Werte in der Antike sowie der dunklen Kapitel in der Geschichte des Christentums.

Europa darf niemals vergessen: Die Trennung von Kirche und Staat ist kein bloßer historischer Zufall, sondern eine bewusste Errungenschaft der Aufklärung, die auf Erfahrungen mit religiöser Tyrannei basiert. Sie schützt vor religiöser Diskriminierung, gewährleistet individuelle Freiheit und fordert staatliche Neutralität. Ohne diese Trennung droht eine offizielle Etablierung einer Religion, die Minderheiten unterdrückt und Pluralismus untergräbt.

In den USA, wo der Begriff durch Thomas Jefferson geprägt wurde, dient sie als „Wall of Separation“, der religiöse Einflüsse aus staatlichen Angelegenheiten heraushält. Dies fördert nicht nur religiöse Freiheit, sondern verhindert auch, dass der Staat in Glaubensfragen eingreift oder umgekehrt Religionen politische Macht ausüben.

Historisch gesehen hat die Vermischung von Kirche und Staat immer wieder zu Katastrophen geführt: Von den Religionskriegen in Europa bis hin zu modernen Theokratien wie im Iran, wo religiöse Dogmen Gesetze diktieren und Freiheiten einschränken.

Diese Warnschilder müssen unübersehbar bleiben!

In demokratischen Gesellschaften ermöglicht die Trennung, dass Bürger ihre Überzeugungen frei ausüben können, ohne dass eine Mehrheitsreligion den Staat kapert. Übrigens: Sie schützt auch die Kirche selbst vor Korruption durch politische Macht, wie es in der Geschichte oft geschah. Ohne diese Barriere würde der Staat zu einem Werkzeug religiöser Agenden werden, was zu Intoleranz und Konflikten führt.

Die Ermordung von Charlie Kirk am 10. September 2025 hat zu einer Welle der Verehrung geführt. Allerdings soll Charlie Kirk selbst an mehreren Stellen Kirche und Staat ganz bewusst getrennt haben. Trump selbst nannte Kirk jetzt einen „Märtyrer für die amerikanische Freiheit“.

In den sozialen Medien wird die Ermordung von Kirk als eine Art Erweckungserlebnis hin zu einer „Rettung der westlichen Zivilisation“ gefeiert – Politik verschmilzt in der weltweiten kollektiven Trauer mit einer Art religiöser Heiligkeit.

Der politische Akteur wird zur religiösen Ikone erhoben. Schon Trump nutzte diese typisch amerikanische Lesart zur Erhöhung seiner Person. Aber auch in den USA sind Kirche und Staat aus gutem Grund getrennt. Christliche Narrative werden für politische Mobilisierung genutzt.

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Kirks Gedenkfeier, besucht von Hunderttausenden und mit Auftritten von Trump und Musk, wurde zu einem Spektakel, das Trauer mit politischer Propaganda vermengte. Den katholischen Journalisten Matthias Matussek erinnerte es sogar an Feiern der SED in den 1970er Jahren. Später schrieb Matussek allerdings auch:

„Trump auf KirkMemorial: “Wir brauchen die Religion zurück, wir brauchen Gott in unserm Land”. Wir auch.“

Andere X-Nutzer sehen schon eine „christliche Erweckung“ auf der Rechten. Vergessen wird dabei, dass wahre Demokratie auf Säkularität basiert, nicht auf martyriumsbasierten Kulten.

Europas Werte – Demokratie, Rationalität, Menschenrechte – haben ihre Wurzeln nicht primär im Christentum, sondern in der griechisch-römischen Antike. Viele vergessen dies, weil das Christentum über Jahrhunderte die Narrative dominierte und antike Errungenschaften christianisierte.

Die Antike lieferte Grundlagen wie die athenische Demokratie, die Philosophie von Sokrates, Platon und Aristoteles sowie römische Rechtsprinzipien, die Europa prägten. Diese Werte – Rationalismus, Debatte, Bürgerrechte – wurden durch die Renaissance und Aufklärung wiederbelebt, die sich explizit auf die Antike bezogen. Die herausragenden Künstler dieser Zeit waren es nicht wegen, sondern trotz der Kirche.

Der Grund für das Vergessen liegt in der kirchlichen Geschichtsschreibung: Das Mittelalter stellte die Antike als „heidnisch“ dar, während das Christentum als "Zivilisator" gepriesen wurde. Heutige Narrative, beeinflusst von Nationalismus und Religion, betonen christliche Wurzeln, um der Identität Europas das christliche Brandzeichen zu geben. Doch ohne antike Fundamente gäbe es keine europäische Identität: Von der Rhetorik bis zur Wissenschaft fußt alles auf griechisch-römischer Tradition. Dieses Vergessen dient oft politischen Zwecken, wie bei der Betonung „jüdisch-christlicher Werte“, die antike Beiträge marginalisiert.

Die Geschichte des Christentums ist von Gewalt geprägt. Von Kreuzzügen über Inquisition bis zu Kolonialismus: Das Christentum war oft Täter. Die Inquisition verfolgte „Ketzer“ mit Folter und Hinrichtungen. Im 16. Jahrhundert tötete die Römische Inquisition Tausende; Hexenverfolgungen kosteten Zehntausende das Leben. Und was sagen Christen heute dazu? Das wäre die Geburtsstunde des Rechts gewesen. Das ist ekelhafter Zynismus – weil es einen durchaus wahren Kern wie einen Teppich über Flüsse aus Blut ausbreitet.

Dieses Vergessen resultiert aus kirchlicher Propaganda und moderner Apologetik, die Gewalt als „Ausnahmen“ bagatellisiert. In Schulen und Medien wird das Christentum als „Friedensreligion“ dargestellt, während antike Gewalt betont wird – etwa mit Verweis auf Sklaven im alten Rom. Die Sklaverei der tief religiösen Südstaaten wird hier einfach unterschlagen.

Die Trennung von Kirche und Staat ist essenziell, um Freiheit und Pluralismus zu schützen – eine Lektion aus der Antike, die Europa geprägt hat. Die „Heiligsprechung“ von Charlie Kirk unterstreicht die Risiken: Sie vermischt Politik mit Religion und könnte zu neuer Polarisierung führen. Charlie Kirk hätte sich mutmaßlich sogar dagegen gewehrt.

Indem wir die antiken Wurzeln europäischer Werte und die dunkle Geschichte des Christentums vergessen, öffnen wir die Tür für Missbrauch. Eine säkulare Gesellschaft, die auf Rationalität und Toleranz basiert, ist der Weg voran – nicht Martyriums-Kulte oder religiöse Dominanz. Nur so können wir die Fehler der Vergangenheit vermeiden und Zukunft gestalten. Die islamistische Bedrohung Europas darf nicht mit einer Neo-Christianisierung beantwortet werden. Gilead ist nicht der Weg in die Freiheit.

Charlie Kirk war ein charismatischer Mann, der Millionen bewegte. Er hat die Menschen zu Nachdenken über ihre Werte gebracht und er hat die offene Diskussion geliebt. Er wäre mutmaßlich gerade selbst furchtbar erschrocken, was in seinem Namen passiert. Oder christlicher ausgedrückt: Kirk wusste um das goldene Kalb.

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