Die soziale Aufgabe der „Boomer“-Rentner ist durch die Generation ihrer Nachkriegseltern längst gestellt.
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hat mit seiner kühnen Forderung eines verpflichtenden sozialen Jahres für Rentner für künstlichen Wirbel gesorgt, einen Shitstorm kassiert und den Medien ordentlich etwas zu beißen gegeben.
Jetzt konnte Fratzscher die Klimaaktivistin Luisa Neubauer für sein Anliegen gewinnen. Sie fand das Zwangsjahr für Rentner eine wahnsinnig gute Idee: Junge und ältere Menschen hätten oftmals kaum noch Kontakt zueinander. Bei Älteren gebe es ein Gefühl der Vereinsamung, das Gefühl, nicht mehr wirksam zu sein:
„Vor allem dachte ich aber, vielleicht kommen wir mal wieder ins Gespräch und erleben, dass wir füreinander da sein können.“
Die Eltern der „Boomer“-Generation, die im demographischen Wandel aufgrund medizinischer Versorgung und höherem Lebensstandard erstaunlich lange leben, werden im Diskurs oft übersehen oder als abgeschlossen betrachtet, obwohl sie noch am Leben sind. Fratzscher ignoriert diesen Aspekt in seiner Gleichung, während Neubauer die Boomer fälschlicherweise als die älteste Generation darstellt: Bei Älteren gebe es ein Gefühl der „Vereinsamung, das Gefühl, nicht mehr wirksam zu sein.“
Hier hat die Aktivistin indirekt den wachsenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung angesprochen. Wir haben es aktuell aber immer noch mit zwei Generationen Rentnern zu tun: den Boomer-Rentnern und ihren greisen Eltern.
Die demographische Struktur verschiebt sich immer mehr, und die Gruppe der hochbetagten Menschen (ab 85 Jahren) wächst ebenfalls stark. Trotz Corona will nicht jeder wegsterben, wenn die Alterspyramide ruft. Zähe Kämpfer sind das – kriegsgestählt schon als Kinder.
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Der Autor dieses Artikels ist im sechzigsten Lebensjahr und seit Kurzem erwerbsgemindert verrentet. Seine „Alten“ leben noch in ihrem eigenen Wohnumfeld: die Mutter im 90. Lebensjahr und ihre Schwester im 98. Lebensjahr. Beide wohnen seit über einem halben Jahrhundert in ihren Vorort-Eigentumswohnungen. Und beide wollen so lange wie möglich zu Hause wohnen bleiben. Alte Bäume verpflanzt man nicht, sie gehen dann schnell ein.
Das sollte auch zunächst im Interesse einer Entlastung der am Rande der Funktionalität arbeitenden Altenheime sein. Auch das System der Pflegestufen ermöglicht hier ein lebenswertes Wohnen: Den Alten wird geholfen, etwa bei der Beseitigung von Stolperfallen, der Installation von Haltegriffen und dem Einsatz von technischen Hilfsmitteln zur Fortbewegung in den eigenen vier Wänden oder zum Penny um die Ecke, wenn das noch geht.
Dieses Altersmodell fußt auf Eigenverantwortung „so lange wie möglich“ in Kombination mit ambulanter Pflege und ergänzenden Dienstleistungen wie einem Hausnotruf.
Am wichtigsten aber ist die Unterstützung und Betreuung durch die Kinder, die nun auch verrentete Boomer-Generation. Das von Fratzscher geforderte verpflichtende soziale Jahr für Neurentner der „Boomer-Generation“ löst berechtigte Empörung bei den Betroffenen aus – Rentner, die jetzt vielfach von ihren noch älteren Eltern gefordert werden, die gerade mit ihren All-inklusive-AIDA-Fahrten abgeschlossen haben und jetzt ihrerseits die AIDA-Fahrten der Kinder verunmöglichen. Und jetzt noch ein Pflichtjahr in der Etappe an der Front?
Fratzscher und Neubauer vergessen eines: Diese „jungen“ Rentner leisten gerade vielfach etwas für die Gesellschaft, demgegenüber ein Pflichtjahr mit Streuselkuchen und Muckefuck zur Mittagspause eine echte Erleichterung wäre – stattdessen muss die 95-Jährige gewaschen und der 90-Jährige mit Schonkost bekocht und in den Schlaf gesungen werden.
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Kommentar von Ostdeutsche
Also, wer es nötig hat, Luisa Neubauer als Verstärkung zu holen ... Gibt es eigentlich ein Podium, auf dem diese unerträgliche besserwisserische naseweise Millionärin noch nicht herumgetanzt ist?
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Kommentar von T S
Dankle daß hier die Betreuung hochbetagter Angehöriger endlich auch mal thematisiert wird. Über Kinder und junge Familien wird ständig berichtet und diese Gruppe umfangreich gepampert. Aber die Kinder die, selbst oft schon im fortgeschrittenen Alter, ihre Eltern pflegen werden sträflich vernachlässigt, negiert und ignoriert.
Dabei sind das überwiegend Mitmenschen die schon genug für ihr eigenes Auskommen als auch die Gesellschaft geleistet haben, während absehbar ist daß aus den Reihen der gehuldigten Jüngeren viele diesem Anspruch nicht gerecht werden - oder es gar nicht wollen, was man angesichts der heutigen Zustände durchaus verstehen kann.