CDU plant Streichung der Zahnarztleistungen aus der GKV

Der deutsche Sozialstaat verliert seine Zähne

von Bertolt Willison (Kommentare: 6)

Bitte lächeln! Dein Gebiss ist Privatsache© Quelle: ChatGPT Image

Innerhalb der Union formiert sich eine Bewegung, die zentrale Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung streichen und in die private Verantwortung verschieben will.

Zahnbehandlungen, Zahnersatz und Kieferorthopädie könnten so aus dem solidarischen System verschwinden und in ein Zwei-Klassen-Modell überführt werden. Der Wirtschaftsrat der CDU treibt diesen Kurs mit Nachdruck voran. In seiner jüngsten „10-Punkte-Agenda“ heißt es, Leistungen, die „gut privat absicherbar oder selbst tragbar“ seien, sollten nicht länger über das Umlageverfahren der GKV finanziert werden. Einsparpotenziale von bis zu 18 Milliarden Euro jährlich werden in Aussicht gestellt.

Doch wer wäre tatsächlich betroffen? Beamte jedenfalls nicht. Sie sind überwiegend privat krankenversichert und erhalten über die sogenannte Beihilfe ihres Dienstherrn Zuschüsse zu Krankheitskosten. Für sie gelten die geplanten Streichungen nicht, da sie gar nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden sind. Die Konsequenzen träfen fast ausschließlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner sowie Kinder in der GKV – während Staatsdiener von denselben Sparmaßnahmen ausgenommen blieben. Diese Asymmetrie verschärft die soziale Schieflage und verstärkt das Gefühl, dass die Lasten nicht gerecht verteilt sind.

Hinter den Vorschlägen steckt mehr als haushaltspolitische Mathematik. Der Wirtschaftsrat fordert einen „Kurswechsel hin zu mehr Eigenverantwortung“ und sieht das Umlageverfahren der Sozialversicherung als aufgebläht an. Offiziell betonen Unionsvertreter, Kürzungen im Leistungskatalog stünden derzeit nicht auf der Agenda. Doch in Interviews und Hintergrundgesprächen schimmert eine gewisse Offenheit durch. Der gesundheitspolitische Sprecher Tino Sorge erklärte etwa, man müsse prüfen, wie Ressourcen effizienter eingesetzt werden könnten. Parallel warnt die CDU-Führung vor drohenden Beitragssprüngen und ruft nach „rasch wirksamen Sparmaßnahmen“. Solche Aussagen lassen erkennen, dass die Leitplanken für mögliche Einschnitte bereits gesetzt werden.

Die Folgen wären gravierend. Wird Zahnersatz oder Kieferorthopädie zur Privatsache, wächst die Kluft im Zugang zur Versorgung. Gutverdienende (und Beamte) könnten sich hochwertige Behandlungen problemlos leisten, während Familien mit kleinem Einkommen gezwungen wären, minderwertige Lösungen zu akzeptieren oder notwendige Eingriffe zu verschieben. Gerade Kinder aus prekären Verhältnissen wären betroffen, wenn kieferorthopädische Maßnahmen wegfielen und damit auch Chancen auf gesunde Entwicklung. Zahngesundheit ist kein Luxus: Sie ist eng mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Entzündungsprozessen verknüpft. Vernachlässigte Behandlungen führen häufig zu teuren Folgekosten, die das Gesundheitssystem langfristig stärker belasten, als vermeintliche Einsparungen rechtfertigen könnten.

Der eigentliche Kern des Konflikts liegt in der Frage, ob Gesundheit ein solidarisch garantiertes Grundgut bleibt oder zunehmend als Konsumgut gehandelt wird. Die Sprache der Eigenverantwortung verschiebt das Fundament des Sozialstaats. Wer nicht zahlen kann, bleibt zurück. Versicherer hätten mit Zusatzpolicen zwar neue Geschäftsfelder, doch ein erheblicher Teil der Bevölkerung bliebe ausgeschlossen. Damit würde ein Markt geöffnet, der Ungleichheit verstärkt, statt Sicherheit zu bieten.

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Auch politisch birgt der Vorstoß Sprengkraft. Wenn Grundpfeiler der GKV zur Disposition stehen, erodiert das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Sozialstaats. Bürgerinnen und Bürger fragen sich, was morgen noch übernommen wird und wer darüber entscheidet. Die Debatte verschiebt sich damit von einer technischen Diskussion über Beitragssätze zu einer Grundsatzfrage über Gerechtigkeit und Teilhabe. Der Wirtschaftsrat liefert dabei das ideologische Gerüst: weniger Solidarität, mehr Markt, weniger Gemeinschaft, mehr individuelle Absicherung.

Die strategische Stoßrichtung ist erkennbar. Unter dem Label der Konsolidierung wird ein politischer Spielraum eröffnet, der traditionelle Leistungsversprechen aufweicht. Parallel wird gefordert, sogenannte versicherungsfremde Leistungen – etwa die Mitversicherung von Kindern oder Zuschüsse für Arbeitslose – künftig steuerfinanziert zu gestalten, um das System der Sozialversicherung schlanker zu machen. Was wie eine technische Korrektur klingt, ist in Wahrheit ein massiver Umbau: eine schleichende Privatisierung, die das Risiko Krankheit vom Kollektiv auf den Einzelnen verlagert.

Die Öffentlichkeit sollte diese Pläne sehr ernst nehmen. Sie sind kein bloßer Debattenbeitrag, sondern Ausdruck einer politischen Stoßrichtung, die auf eine Reduktion solidarischer Prinzipien hinausläuft. Natürlich steht das Gesundheitssystem unter Druck, nicht zuletzt durch demografische Entwicklungen und steigende Kosten. Doch die Antwort darauf darf nicht sein, die Schwächsten zusätzlich zu belasten und elementare Leistungen in den Markt zu kippen.

Wer Gesundheit zur Frage der Zahlungsfähigkeit jedes Einzelnen macht, gefährdet nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die Nachhaltigkeit des gesamten Systems.

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