Es ist mir einfach zu viel, es ist over the top

Der Fluch der Sprachpolizei: Ich möchte kein Hundertprozentiger sein

von Jan-Heie Erchinger (Kommentare: 3)

Es geht nicht nur um den real-existierenden Gender-Sprachfanatismus: Fast täglich werden gefühlt neue Sprachregelungen konstruiert, die eine „Haltung“ deutlich machen sollen.© Quelle: Pixabay / sergiovisor_ph

Klar kann man sich begeistern; aber eine Grundskepsis gegenüber Zeitgeist-Kampagnen tut leider absolut Not.

Viele von uns kennen sicher die netten Omas, die auf Familienfeiern heftige Geschichten aus alten Zeiten erzählen. Dabei hört man öfter mal die Einordnung „Hunderprozentiger“ oder auch „Hundertfuffzigprozentiger“.

Das waren immer jene, die ideologisch ganz weit vorne lagen und in Outfit und Sprache ihre Zeit abbildeten. Und das waren oft auch die, bei denen man sich sagte „Vorsicht“, die oder der ist total auf Linie…

Es ist völlig ok, sich mal für etwas zu begeistern. Es ist sogar erst einmal nichts schlecht daran, für eine Sache oder Einstellung zu brennen oder sich zu engagieren. Trotzdem gebe ich zu, dass ich eine heftige Allergie beispielsweise gegenüber vermeintlich „korrekten“ Sprachregelungen entwickelt habe.

Ich hörte jüngst im Radio ein Interview mit einem Schülerrat-Vertreter. Er schaffte es ernsthaft, in jedem Satz „Schülerinnen und Schüler“ zu sagen. Und da tut sich dann was bei mir im Hals-Bereich, ich kann da gar nichts dagegen machen – es entsteht ein Würgereiz.

Und klar kann ich nachvollziehen, dass es hier um eine sprachlich gerechtere Abbildung von Frauen geht. Eigentlich hätte ich auch nichts dagegen. Eigentlich.

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Aber es geht hier wie so oft um Verhältnismäßigkeit. Es geht darum, nicht immer so extrem zu übertreiben. Genau das wird aber penetrant gemacht, wenn beispielsweise von Minister_Innen oder „Ausgrabenden“ geschrieben oder gesprochen wird.

Es ist mir einfach zu viel, es ist over the top!

Dabei habe ich als Nutzer von Slang-, Modewörtern oder Interessiertem an Jugendsprache nichts gegen eine Entwicklung von Sprache. Aber diese top-down von von irgendwelchen Professorinnen angeordneten Gender-Sprachweisen sind mir zu viel, sie sind übergriffig motiviert und anordnend angeschoben.

Studenten, äh Studierende müssen das machen. Es ist nicht eben freiwillig, es hat sich nicht von selbst entwickelt! Ich bin und war nie frei davon, auch mal bei einem Trend begeistert mitzugehen.

Es geht aber nicht nur um den real-existierenden Gender-Sprach-Fanatismus, der wie eine Sau durch´s Dorf getrieben wird. Gefühlt Fast täglich werden neue Sprachregelungen konstruiert, die eine „Haltung“ deutlich machen sollen. Es nervt mich höllisch!

Das Neueste war für mich die Formulierungs-Stilblüte beim G7-Treffen:
Sie lassen jetzt verlautbaren, dass sich die „7 führenden demokratischen Industriestaaten bzw. deren Chef_Innen in Elmau getroffen hätten… Jetzt reicht´s aber langsam!
Haben die jetzt ernsthaft einen Deutsche-Demokratische-Republik-Sprechanfall?

Sie sind so hemmungslos geworden im Nutzen dieser immerwährenden Sprach-Kampagne. Es kommt ihnen sogar modern und volksbildend vor.

„Geflüchtete“ statt „Flüchtlinge“. Warum geht beispielsweise es hier?

Meine Oma Kutzner ist mit ihren drei Töchtern aus Glogau in Schlesien geflohen. Sie haben nach dem Krieg und Opas Gefangenschaft gemeinsam in Osterode am Harz wieder angefangen. Warum sollten das keine Flüchtlinge mehr sein, sondern seit ein paar Jahren zwingend Geflüchtete?

Und wenn man dann beobachtet, wer diese Sprachregelungen sofort, hemmungslos und inflationär benutzt, landet man wo? Ja genau, bei einer jungen und aufstrebenden und vor allem sendungsbewussten und haltungsfest eingestellten Person, gerne bei gewissen Parteien, oft auch direkt im Öffentlich-Rechtlichen.

Aus Tradition und einer gewissen polit-masochistischen Veranlagung heraus, höre ich mir sehr oft NDR-Info im Radio an. Das ist ja auch unser aller öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Oder nein, „unser aller“ scheint er nicht mehr zu sein.

Ich habe es früher geliebt… „Nachtclub“ und auch „Zwischen Hamburg und Haiti …
Es gibt immer noch tolle Sendungen, z.B. „Urban Pop“ mit dem starken Peter Urban über große Popstars usw.

Ich feiere auch immer noch sehr die Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der ohne Werbeblocks einfach arbeiten und neutral und fair abliefern und berichten könnte. Leider im Konjunktiv.

Die metern gerade in ihren vermeintlich modernen „Podcasts“ so tendenziös oft und unobjektiv grüne Weltsicht, die liefern so anti-neutral ab, dass es mich fertig macht. Und das alles natürlich immer öfter absolut durchgegendert.

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Bei ´Gendern´ muss ich immer an die zurückgetretene Ministerin von den Grünen denken, die kurz nach der Ahrtal-Katastrophe noch bei einem Pressetext sinngemäß ansagte: Erst gendern – dann Freigabe.

Das offenbart doch diese gesamte Entwicklung.

Mit der Benutzung dieser Haltungssprachregelungen und damit auch der Aufforderung an uns, so wir denn auch korrekt-modern unterwegs sein wollen, genauso zu sprechen, ist es quasi über die Realsatire hinaus explodiert.

Diese Genderei ist eine erschreckende Verdeutlichung der „neuen Zeit“, der „allgemeinen Transformation“, ja der Etablierung einer „Zeitenwende“ geworden.

Und da bin ich wieder bei den spannenden Erzählungen der Omas & Opas und Tanten und Kumpels auf den Familienfeiern und überhaupt. Durchblickende Omas und Mütter, Opas und Väter, die mit Abstand, Herz und Reife über früher erzählen.

Ihre Berichte unterstreichen oft, dass es da und dort die „Hunderprozentigen“ gibt und gab.
Und mit denen ist einfach nicht gut Kirschen essen! Wird es nie sein. Hüte Dich vor denen. Sie sind gefährlich.

Ich will nie und nimmer ein „Hunderprozentiger“ sein! Ich will, dass wir fair und verhältnismäßig denken, handeln und streiten. Ich möchte mir kein X für ein U vormachen lassen. Und wer mal entspannt etwas gendert, mit dem habe ich kein Problem. Aber wenn ich nur noch diese Sprache in einem Text wahrnehme, dann schalte ich auf Durchzug.

(Quelle: privat)

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