Eine vollkommen emotionslose Gegenüberstellung

Der Luftraum wurde geschlossen: Wird Venezuela Trumps Ukraine?

von Gregor Leip

Vergleichen ohne gleichzusetzen© Quelle: www.state.gov, www.whitehouse.gov, Montage: Wallasch

Die Spannungen zwischen den USA und Venezuela haben sich in den letzten Wochen noch einmal deutlich verschärft, insbesondere durch Vorwürfe von Trump gegen das Regime Maduro, das die USA mit Drogenkartellen in Verbindung bringt. Medienberichten zu Folge eskalierte die Situation in den letzten 24 Stunden.

Von Gregor Leip

Die USA haben ein großes Militärmanöver in der Karibik mit Schiffen und Truppen durchgeführt, en venezolanischen Luftraum als „gesperrt“ deklariert und Schläge gegen mutmaßliche Drogenschiffe ausgeführt, die dutzende Tote gefordert haben sollen. Maduro hat daraufhin zivile und militärische Verteidigungsmaßnahmen aktiviert und die USA einer Angriffsplanung beschuldigt.

Trotz eines kürzlichen Telefonats zwischen Trump und Maduro, in dem ein sofortiger Rücktritt Maduros gefordert wurde, bleibt die Lage extrem angespannt samt Evakuierungspläne europäischer Länder.

Was macht Trump in Venezuela? Darf man diesen Konflikt mit dem zwischen Russland und der Ukraine vergleichen? Vergleichen darf man zunächst fast alles, nur nicht gleichsetzen.

Welcher Maßstab muss in beiden Konflikten angewandt werden?

(Die Beurteilung des russischen Vorgehens bewusst entlang der gängigen Lesart, um den Vergleich zu ermöglichen!)

1. Völkerrechtliche Rechtfertigung (UN-Charta: Selbstverteidigung Art.51 oder UN-Sicherheitsratsmandat).
2. Kriegsziel (Territoriale Eroberung, Regierungswechsel, Schutz, andere Interessen).
3. Verhältnismäßigkeit & Unterscheidung (Angriffe auf Kombattanten vs. Zivilisten; Kollateralschäden).
4. Besatzung / Annexion / Kontrolle (Dauer, Verwaltung, Siedlerpolitik).
5. Einsatz hybrider Mittel / Proxy-Taktiken (Sanktionen, Unterstützung von Milizen, Desinformation).
6. Motivlage & Interessen (Geopolitik, Ressourcen, Einfluss).
7. Internationale Reaktionen & Legitimität (Koalitionen, Sanktionen, Rechtsprechung).
8. Rechenschaft & Verantwortlichkeit (Internationale Strafverfolgung, politische Kosten).


1) Völkerrechtliche Rechtfertigung

Russland → Ukraine (2022):
• Keine UN-Sicherheitsratsgenehmigung (Sicherheitsratsveto möglich, wurde nicht erteilt).
• Russland brachte u.a. Schutz russischsprachiger Bevölkerung und „Entnazifizierung“ als Rechtfertigungen vor; diese Rechtfertigungen wurden international nicht als gültige Selbstverteidigungs-Gründe anerkannt.
• Völkerrechtlich gilt der Einmarsch weitgehend als Aggression.

USA → Venezuela (hypothetisch):
• Ein militärischer Angriff ohne UN-Mandat oder eindeutige, unmittelbar belegte Notwehrlage würde völkerrechtlich ebenfalls als Aggression gelten.
• Selbstverteidigungsargumente wären sehr schwer zu begründen (keine bekannte direkte militärische Bedrohung durch Venezuela gegen die USA).
• Ergebnis: gleiches völkerrechtliches Fazit — ohne Mandat/Notwehr wäre es Aggression.

2) Kriegsziel

Russland → Ukraine:
• Offensichtlich territorial-politische Ziele: Kontrolle über Gebiete, Einflussnahme auf Regierungspolitik; in Teilen Annexion (z. B. Krim 2014) und teils erklärtes Ziel, Regierung zu schwächen.

USA → Venezuela (hyp.):
• Mögliche Ziele wären wohl Regierungswechsel, Sicherung strategischer und ökonomischer Interessen (z. B. Öl) oder Druckausübung.
• Auch hier: wenn Ziel Regierungswechsel oder Kontrolle ist, entspricht das in Ziel und Charakter weitgehend dem russischen Vorgehen.

3) Verhältnismäßigkeit & Unterscheidung (Zivilbevölkerung)

Russland → Ukraine:
• Berichte über hohe zivile Opferzahlen, Angriffe auf zivile Infrastruktur, Zerstörung von Städten. Ob Kriegsverbrechen vorliegen, ist Gegenstand juristischer Untersuchungen.
• Bewertung: gravierende zivile Folgen, die international verurteilt werden.

USA → Venezuela (hyp.):
• Sollte die USA ähnliche Taktiken (z. B. großflächige Bombardements, gezielte Angriffe auf zivile Infrastruktur) anwenden, wäre die moralische und rechtliche Bewertung identisch — hohe zivilere Folgen verletzen dieselben Normen.
• Fazit: dieselben Maßstäbe für Verhältnismäßigkeit und Schutz von Zivilisten würden gelten.

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4) Besatzung / Annexion / Kontrolle

Russland → Ukraine:
• Teilweise Annexionen (Krim), militärische Kontrolle über Teile des Staatsgebiets; Versuche, administrative Strukturen zu etablieren.

USA → Venezuela (hyp.):
• Falls USA Gebiete besetzten, eine Übergangsverwaltung einrichteten oder eine Marionettenregierung einsetzten, wäre das völkerrechtlich und politisch mit russischem Vorgehen vergleichbar.
• Beide Fälle würden dieselben Probleme von Souveränitätsverletzung und Legitimitätsverlust erzeugen.

5) Hybride Mittel / Proxies / Desinformation

Russland → Ukraine:
• Einsatz hybrider Mittel vor und während der Invasion: Cyberangriffe, Informationsoperationen, Unterstützung nichtstaatlicher Akteure.

USA → Venezuela (hyp.):
• USA könnten ebenfalls auf Sanktionen, Unterstützung oppositioneller Gruppen, Geheimdienstoperationen oder Informationskampagnen setzen.
• Solange Mittel die Souveränität verletzen oder Gewalt auslösen, sind sie nach dem gleichen Maßstab zu bewerten.

6) Motivlage & Interessen

Russland → Ukraine:
• Offensichtliche geopolitische Motive: Einflusszone, strategische Puffer, innenpolitische Legitimationsnutzung.

USA → Venezuela (hyp.):
• Mögliche Motive: geopolitischer Einfluss in der westlichen Hemisphäre, Zugang zu Ressourcen, innenpolitische Ziele.
• Bewertung: nationale Interessen rechtfertigen keinen völkerrechtswidrigen Einsatz; moralisch-politisch sind Motive bei beiden Akteuren vergleichbar problematisch, wenn sie zu Aggression führen.

7) Internationale Reaktionen & Legitimität

Russland → Ukraine:
• Breite internationale Verurteilung, Sanktionen, diplomatische Isolierung (westliche Staaten); einige Staaten unterstützten Russland oder blieben neutral.

USA → Venezuela (hyp.):
• Ein US-Angriff würde vermutlich ebenfalls starke Verurteilung und Sanktionen nach sich ziehen; allerdings könnten sich Allianzen anders formen (z. B. Staaten, die traditionell US-Verbündete sind).
• Politisch: in beiden Fällen wäre internationale Legitimität beschädigt; Unterschiede würden nur in den konkreten Koalitionen und Machtverhältnissen bestehen — nicht im Prinzip.

8) Rechenschaft & Verantwortlichkeit

Russland → Ukraine:
• Forderungen nach strafrechtlicher Verantwortlichkeit (ICJ, mögliche ICC-Ermittlungen über Kriegsverbrechen); politische Kosten sind hoch.

USA → Venezuela (hyp.):
• Ebenso würden internationale Strafverfolgung und politische Kosten folgen. Praktisch können geopolitische Machtverhältnisse Einfluss auf Durchsetzung haben (z. B. Vetos, Bündnisse), aber das ändert nicht die normative Bewertung: beides bleibt völkerrechtswidrig, wenn kein Mandat/Notwehr vorliegt.

Völkerrechtlich wäre ein militärischer Angriff der USA auf Venezuela ohne UN-Mandat oder klare, dokumentierte Notwehr genauso völkerrechtswidrig wie Russlands Einmarsch in die Ukraine.

Dieselben Maßstäbe zur Bewertung (Zielsetzung, Schutz der Zivilbevölkerung, Besatzungspraxis, Motivation, Rechenschaft) müssen auf beide Fälle identisch angewandt werden.

Unterschiede würden in den Details liegen (Art der Operation, konkrete Taktiken, internationale Allianzen, geopolitische Folgen), nicht in rechtlicher oder ethischer Grundbewertung.

Wenn Staaten oder Beobachter dasselbe Verhalten unterschiedlich bewerten (z. B. russische Aggression strikt verurteilen, aber US-Aktion entschuldigen), dann ist das ein Doppelstandard — und berechtigte Kritik daran ist notwendig.

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