Warm ums Herz reicht nicht, gerne den Ofen anmachen

Die alte Eiche am kleinen Teich

von Jan-Heie Erchinger (Kommentare: 10)

Für so einen vermeintlich weitverbreiteten Boykott ist das Thema aber ganz schön präsent bei uns.© Quelle: PIxabay / suju-foto / makamuki0 / StockSnap, Montage Alexander Wallasch

Kolumnist Jan-Heie Erchinger groovt sich in die kalte Jahreszeit. Er will den Kamin anmachen und Stimmungen aufnehmen. Darf man das heute noch ohne schlechtes Gewissen den Ukrainern gegenüber? Haben wir Kriegsweihnachten oder nicht?

Ich finde es gemütlich, den Kaminofen anzuhaben. Idealerweise hat man Game of Thrones noch nicht ganz zu Ende geschaut. Vielleicht kuschelt man sich ein und liest in einem historischen Roman. Jede Region hat da ihre Helden.

Eben fuhr ich mit dem Fahrrad eine kleine Fitness- und Abwehr-in-Wallung-bring-Runde um unser Dorf. Der niedersächsische Himmel gibt alles. Herb und schön und norddeutsch. Das Schöne und Echte macht glücklich. Die alte Eiche am kleinen Teich, die letztes Jahr beim Sturm zur Hälfte abbrach, soll ernsthaft schon ca. 800 Jahre alt sein.

Stark.

Gerne berühre ich einen alten Baum, spüre die Jahre, die Kraft, den Durchhaltewillen, die Standfestigkeit. Das macht etwas mit mir. Dann aber zurück vor den Kamin und Fernsehen einschalten:

Die deutsche Nationalmannschaft, genauer Torwart Manuel, wollte eigentlich eine bestimmte Kapitänsbinde tragen, die FIFA drohte mit einer gelben Karte. Manuel trug diese Binde dann lieber doch nicht. Eher weniger stark. Imponiert hat mir die iranische Nationalmannschaft. Die Spieler haben geschlossen ihre Hymne nicht gesungen. Im Iran ist Kritik an den Machthabern gefährlich. Ich habe großen Respekt vor den persischen Jungs. Ihre Klettersport-Kollegin hatte jüngst sogar das Kopftuch bei einem Wettkampf weggelassen.

Das Spiel ist aus: Jetzt haben unsere Jungs doch echt gegen die Powerplay durchziehenden Japaner verloren. Ich mag den Japaner. Ich habe überhaupt einen riesigen Respekt vor diesen asiatischen Ihren-Körper-im-Griff-Habenden. Martial-Arts-Filme aus Fernost, Kampfsportkultur und diese wirtschaftliche Kraft nötigen mir von jeher große Bewunderung ab.

Ihr seid stark, Japaner, Glückwunsch.

Unsere Nationalmannschaft fand ich als im Fußball-überschaubar-Durchblickender bis kurz vor dem Gegentor eigentlich ganz gut, aber ich bin kein Fußballlehrer, ich lehre Musik. Immerhin vermochten sie sich geschlossen beim Foto mal kurz den Mund zuhalten. Ein kleines Statement, das man wohlwollend zur Kenntnis nehmen darf. Jetzt wird es allerdings spannend, jetzt muss die deutsche Mannschaft alles geben, sonst geht’s sehr schnell heimwärts.

Der Kamin ist ausgegangen. Ich muss nachlegen. Brennholz ist so teuer geworden. Und leider musste ich jetzt Holz kaufen, welches noch kaminofengerecht bearbeitet werden muss. Als Pianist habe ich mich um solche Tätigkeiten bisher immer etwas gedrückt. Kettensägen und Holzspalter sind nicht so meins. Da bin ich eher nicht stark. Mal sehen, ob ich doch mal schweres Gerät besorge. Ein Holzspalter kostet zum „Black Friday" circa 400 Euro. Immer noch viel Geld.

Auch Argentinien verlor – 1:2 gegen Saudi-Arabien. Aber Deutschland hat solidarisch gegen Japan nachgezogen. Warum sollte nur der Argentinier Angst ums Weiterkommen haben? So ist das Leben, es gibt immer mal Überraschungen und ich möchte flexibel bleiben.

Das Leben ist Veränderung, sagt man. Ach ja? Ich will aber gar nicht so viel verändern oder verändert haben. Bin ich deswegen stark oder schwach oder vielleicht so mittel?

Ich höre und lese viele, die die Fußball-WM ablehnen und sich zu einem Boykott entschieden haben. Für so einen vermeintlich weitverbreiteten WM-Boykott ist das Thema aber ganz schön präsent bei uns. Ich vermute, dass einige heimlich gucken. Genauso, wie sie heimlich auch immer wieder über 110 km/h fahren oder heimlich ihre Heizung doch auf 5 drehen, oder heimlich ein halbes Glas Nutella aufschleckern – und zwar ohne Brot –, um das Glas Nutella dann sogleich wieder in ihrem Bastelkeller zu verstecken. Die Kinder, die mit Nutella und Pokemon-Karten-Verbot groß werden, dürfen das Sündigen der Eltern natürlich auf keinen Fall mitbekommen.

Aufrichtigkeit ist etwas anderes. Zweierlei Maß-Messer, eine unfreundliche Unterstellung von mir oder doch Eindruck meiner täglichen Beobachtungen? Eher letzteres. Ich möchte tolerant und entspannt und souverän sein und auch wirken. Leider bin öfter etwas wütend und sehr unentspannt. Schwach? Vielleicht. Ich stehe zu meiner Schwäche. Ich stehe zu meinem Interesse an einem gut geheizten Raum. Ich stehe zu meinem gerne mal benutzten schönen Verbrenner aus Bayern.

Hoffentlich kriegen wir mit unserer Gesellschaft noch die Kurve. Hin zu einer wirklich offenen Gesprächs-Kultur. Weg von immer gleichen Bezichtigungen und Moralkeulen.

Wenn ich täglich wahrnehme, wie in unseren „ Leit-Medien" auf kritische Einlassungen zu Massen-Migration, Corona-Maßnahmen, Klimakrisen-Panikmache, Ukraine-Waffen-Lieferungs-Politik oder auch Regenbogen-Flaggen-Inflation reagiert wird, wird mir schon mulmig.

Schwach von mir? Ich lese diese stereotypen Rechtsbezichtigungen auch in vielen Kommentaren bei Diskussionen. Klar, auch aus dem weiter rechten Lager nimmt man zuweilen Übertriebenes, Fieses, ja auch Böses wahr.

Aber zurück nach extrem links: Heute hörte ich eine Dame der Amadeu Antonio Stiftung im NDR-Radio. Es ging um die Gefahr des Rechtsextremismus. Anlass war eine Erinnerung an den Brandanschlag von Mölln vor dreißig Jahren.

Es fallen Begriffe wie „ struktureller Rassismus". Für Innenministerin Nancy Faeser ist der Rechtsextremismus die größte Gefahr in Deutschland, höre ich wieder einmal. Ich bin strikt gegen Rassismus, ich bin strikt gegen Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, ich bin strikt gegen Diskriminierung und pauschale negative Verallgemeinerung. Aber ich konnte mein gesellschaftliches Umfeld bei der pessimistischen Schilderung dieser vermeintlich ultimativ Sachverständigen so nicht wirklich wiederfinden. Und ich habe einige Kritische in meinem Umfeld.

Klar gibt es einzelne Spinner und Übertreiber. Aber dieses düstere Bild von einem Deutschland, was hier unter anderem von der Chefin der genannten Stiftung skizziert wird, kann ich sowohl in meinem persönlichen Freundes- und Bekannten- als auch im Internetbekannten-Kreis wirklich nicht nachvollziehen. Sicher gibt es das. Aber wirklich so massiv verbreitet? Und immer wieder fällt das Wort „Rechtspopulismus“, bald wie ein heiliges düsteres Mantra.

Die Welt wird schwarz gemalt. Gespickt mit mir ideologisch vorkommenden Vokabeln. Stark ist meiner Meinung nach, wer es heute schafft in unserer Gesellschaft frei und mutig zu kommunizieren. Stark ist, wer die Kommunikation und auch den Austausch mit Andersdenkenden sucht.

Stark ist, wer Andersdenkende nicht verteufelt. Ich schaffe das nicht immer.

(Quelle: privat)

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