Wir Deutschen leben in einem Land mit spezieller Geschichte

Die EU war eine gute Idee – Warum droht sie zu scheitern?

von Jan-Heie Erchinger (Kommentare: 5)

Wollen wir auch ein politisch diverses Europa. Oder gilt Eure Toleranz nur für politisch Habecklinge in dieser Welt?© Quelle: Pixabay / Kaffee

Ich finde und fand die EU immer ganz ok; der Staaten-Bund EU ist ein wichtiges Projekt. Aber wenn Frau Barley, heute Vizepräsidentin des Europaparlaments, morgens gefühlt gleich nach Sonnenaufgang als Gast im Morgenmagazin loslegt, schwindet schnell meine Begeisterung.

Nach zwei Weltkriegen im letzten Jahrhundert erscheint es vernünftig, etwas friedenspolitisch Sinnvolles, ja ein gutes Gemeinsam-Projekt anzuschieben.

Ich freue mich, dass ich in den Flieger nach Gran Canaria nur den Personalausweis mitnehmen muss. In der achten Klasse fuhr ich 1982 im Rahmen eines Schüleraustauschs nach Nimes, ich hatte Französisch als zweite Fremdsprache gewählt.

Zufälligerweise war ich Austauschschüler des Sohnes des damaligen kommunistischen Bürgermeisters von Nimes, einer wunderschönen südfranzösischen Stadt mit römischem Amphitheater und einem Lacoste-artigem Krokodil im Stadtwappen. Noch heute herze ich die Marathon-Laufposts meines sportskanonigen Freundes Laurent bei Facebook und Instagram.

Meine beiden Opas waren Soldaten. Gerhard Kutzner, der Vater meiner Mutter, verlor seine Heimat. Als Schlesier traf er nach der Gefangenschaft in Osterode am Harz wieder auf seine Familie, sie mussten alle von vorne anfangen.

Heie Erchinger, der Vater meines Vaters, war Soldat in Frankreich und Norwegen und kam zurück nach Wernigerode im Ostharz. Er machte mit seiner Familie aber lieber rüber in den Westen. Als Pastor bekam er einen Job in Ostfriesland (Petkum) – der Glückliche!

Viele können es entlang ihrer Familiengeschichte deklinieren, wir Deutsche leben in einem Land mit spezieller Geschichte. Wer will das ernsthaft bestreiten oder kleinteilig relativieren?

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Die Aussöhnung, das Verständnis füreinander, auch das Vertrauen auf Entwicklung durch echte Volksbildung und das Lernen aus der Geschichte sind absolut wichtig für viele von uns Europäern.

In dem Zusammenhang muss ich auch an den Polizisten Daniel Nivel denken, der von deutschen Hooligans bei der WM 1998 schwerst verletzt wurde. In meinem Umfeld waren alle vollkommen verstört und peinlich berührt, dass so etwas passiert war.

Die Zeichen des Mitfühlens mit dem Franzosen, die echte Trauer über sein hartes Schicksal hat mich damals sehr beeindruckt und bewegt mich immer noch, wenn ich daran denke.

Ich bin überzeugt, dass Deutsche und Franzosen heute nicht nur durch die EU, sondern auch durch das Teilen gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Kultur fest zusammen stehen.

Helmut Kohl und Francois Mitterand standen Hand in Hand in Verdun. Für mich war das echt, kein Fake, kein Getue, wahre Völkerfreundschaft. Warum ich das erzähle? Weil ich mit diesem Bewusstsein EU-Bürger und Deutscher bin.

Aber dieses EU-Projekt darf nicht sinnfrei übertrieben werden, alles muss verhältnismäßig bleiben. Bitte keine ideologischen Ausraster mehr – nie wieder!

Bin ich heute Fan von Viktor Orban? Nein. Aber ich weigere mich konsequent, diesen Viktor Orban als etwas tief Böses abzuspeichern, nur weil das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen dies von morgens bis abends betont.

Bin ich für alles, was die polnische Prawo i Sprawiedliwość (PIS) vertritt und forciert? Nein. Aber ich weigere mich einfach, die negative Erzählung über diese Partei kritiklos anzuerkennen, hinzunehmen, dass diese Leute per se als Feinde der Demokratie verurteilt werden.

Vielleicht machen sie auch Fehler. Vielleicht sind sie zu konservativ. Vielleicht sind ihnen Heinrich Bedfort-Strohm oder Katrin Göring-Eckhardt kein Begriff – na und? Für mich kein Grund, ihnen täglich respektlos und geradezu erzieherisch, ausgerechnet aus deutschen Leitmedien heraus, entgegenzubellen.

Wollen wir auch ein politisch diverses Europa – oder gilt Eure Toleranz nur für politisch Habeckhafte in dieser Welt? Für mich ist und bleibt es nachvollziehbar und legitim, wenn Menschen in ihren europäischen Nationalstaaten nicht alle Macht an Brüssel abgeben wollen. Im Übrigen gebieten das vielfach sogar die Verfassungen der Staaten.

Für mich ist verständlich, dass Menschen Angst haben, zu heftig von Bürokratie-Büffeln mit 10.000 Euro Monatsgage bezüglich Gurkenzucht oder Sexualkunde in der Grundschule verbindliche Direktiven um die Ohren gehauen zu bekommen.

Ich finde den Brexit immer noch traurig. Es war doch so knapp. Und ich bin bis heute überzeugt, dass Leute wie Boris Johnsson neben aufgeblasenen Horrorzahlen zu vermeintlichem Draufzahlen der Briten innerhalb der Union leider auch einige übergriffige und empathielose Ansagen europäischer Polit-Akteure als Argumente nutzen konnten, um die Briten mehrheitlich zum Brexit zu bewegen.

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Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass die Brexit-Abstimmung im Januar 2016 auch "gewonnen" wurde, weil einige Briten erschüttert und quasi konkret gewarnt waren von der moralistischen deutschen Migrationspolitik und einer so dominanten Vermittlung durch Angela Merkel oder Frau Göring-Eckardt.

Die Grünen waren noch gar nicht im Bund an der Macht, aber Göring-Eckardts Selbstdarstellung blieb in der Welt sicher nicht folgenlos (meine Unterstellung: Sie hat zum traurigen Brexit beigetragen; vielleicht ohne es wirklich zu wollen – noch schlimmer …).

Leute wie Seehofer konnten das zu dem damaligen Zeitpunkt offenkundig nicht auffangen; später wollten sie es nicht mehr. Sie wurden müde. Und die Briten waren dann raus. Mist!

Ich habe mit Frau Barley angefangen und ich höre mit Frau Barley auf. Es ist mir eigentlich heute fast egal, was sie sagt. Sie bringt so eine EU-Beamtinnen-Hybris rüber, sie macht einige im Ausland sehr misstrauisch, sie ängstigt die Menschen geradezu.

Ich mag falsch liegen, aber ich behaupte: Angela Merkel, Katarina Barley und auch der Luxemburger Jean Asselborn schadeten bzw. schaden noch mit ihren Ansagen fast wöchentlich der EU. Und den Brexit scheinen sie nicht wirklich zur Kenntnis zu nehmen.

Ja, ich bin pro EU. Aber einer EU der Nationalstaaten mit weiterhin garantierter Macht in den Hauptstädten Europas.

Quelle: privat

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