Von RA Dirk Schmitz MA
Seit Frühjahr 2025 steht Daniela Klette (66) vor dem Landgericht Verden. Mit einem völlig irren Kostenaufwand schlägt die Justiz auf. Alleine für 3,6 Millionen Euro wurde eine Reithalle zum Gerichtssaal umgebaut. Die Anklage wiegt zwar schwer – aber eher „normal“ im aktuellen Deutschland. Versuchter Mord, schwerer Raub, unerlaubter Waffenbesitz in mehreren Fällen. Gegenstand sind Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkte zwischen 1999 und 2016, die sie zusammen mit Ernst-Volker Staub (69, flüchtig) und Burkhard Garweg (55, flüchtig) begangen haben soll.
Doch die eigentliche Symbolik liegt woanders: Erstmals wird der Öffentlichkeit vor Augen geführt, wie aus einer einstigen RAF-Aktivistin, Teil der gefürchteten „dritten Generation“, eine alternde Frau wurde, die jahrzehntelang unauffällig in Berlin-Kreuzberg lebte – zwischen Katzenfutter und Kalaschnikow, zwischen Nachbarschaftsplauderei und Tatplänen für Raubüberfälle.
Die Selbstpensionierung der RAF erfolgte symbolisch und selbstgewählt am „Führergeburtstag“, dem 20. April 1998. Mehrere Nachrichtenagenturen (u. a. Reuters, dpa) erhielten ein Schreiben der RAF, in der diese erklärte, sich „selbst aufgelöst“ zu haben. Kein Bedauern, aber auch kein neuer Kampfauftrag. Eher eine nüchterne Feststellung, dass die politische und gesellschaftliche Lage den „bewaffneten Kampf“ überflüssig gemacht habe:
„Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte. Wir, das sind alle, die bis zuletzt in der RAF organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Ab jetzt sind wir … ehemalige Militante der RAF. Wir stehen zu unserer Geschichte. Die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit … Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein. Das Ende dieses Projekts zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. … Wir haben die Konfrontation gegen die Macht gewollt. Wir sind Subjekt gewesen … sie heute in die Geschichte zu entlassen. … Die RAF … ist nichts als ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Befreiung.“
Aber drei „RAF-Pensionäre“ machten auf eigene Rechnung weiter. Es geht also um normale Kriminalität. Selbst die Ankläger sprechen nicht von „Terroristen“.
Die Anklage beinhaltet mehr als 13 Überfälle in zwei Jahrzehnten. Im Zentrum stehen DNA-Spuren an Fluchtfahrzeugen, Masken und Handschuhen, dazu Waffen- und Tatmaterialfunde in Klettes Wohnung 2024. Wachleute berichten von Bedrohungssituationen, einem Schusswaffeneinsatz in Stuhr 2015, bei dem ein Wachmann leicht verletzt wurde.
+Der Prozessstand im September 2025: In den ersten Sitzungen verlas die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift mit mehrere hundert Seiten, erste Zeugenaussagen erfolgten zu Überfällen in Niedersachsen. Aktuell liegt der Schwerpunkt auf dem gescheiterten Wolfsburger Überfall 2016. Dort wurde keine Beute erzielt, aber eine Dienstwaffe erbeutet – und DNA-Spuren gesichert, die Klette und ihre Komplizen eindeutig belasten. Klette selbst schweigt zu den Vorwürfen. Nach Auskunft des Gerichts wird auch keine Aussage erwartet. Das Urteil wird für Ende 2025 oder Anfang 2026 erwartet.
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Die Tatserie im Detail: Stuhr (2015): Überfall auf Geldtransporter, Schüsse mit Kalaschnikow. Ergebnis: Beute null, ein Wachmann leicht verletzt – die einzige nachweisbare körperliche Verletzung der gesamten Serie. Wolfsburg (2016): Geldtransporter umstellt, Dienstwaffe erbeutet, keine Beute. Wichtigster Ermittlungserfolg: DNA-Treffer.
Hildesheim und Cremlingen (2016): Weitere Überfälle, teils mit Beute in Millionenhöhe. Gewaltanwendung blieb bei Bedrohungen. Weitere Taten 1999–2016: immer nach ähnlichem Muster – maskiert, bewaffnet, oft mit militärischer Präzision begonnen, dann improvisiert und teils kläglich gescheitert.
Bilanz: kein einziger Toter, nur ein leicht verletzter Wachmann. Das mag im Angesicht der eingesetzten Waffen beinahe „positiv“ wirken – jedenfalls ein deutlicher Unterschied zur tödlichen Gewalt der RAF-Zeit.
Spuren, die blieben - ein DNA-Lehrstück - waren die Achillesferse der Bande. Während heutige Täter Fahrzeuge routinemäßig abfackeln, um Spuren zu tilgen, ließen Klette, Staub und Garweg ihre Fluchtwagen schlicht stehen. Ermittler fanden dort Hautpartikel, Haare, Speichelreste – Spuren, die in modernen Laboren längst einem eindeutigen Fingerabdruck gleichkommen. Der Vergleich zu den 1980ern zeigt, wie sehr sich die Technik verändert hat: Damals reichte eine Sturmhaube als Schutz vor Identifizierung. Heute reicht ein Hautschüppchen am Sicherheitsgurt, um Jahrzehnte im Untergrund zunichtezumachen. Man wird eben älter – auch im Verbrechen.
Daniela Klette führte ein Privatleben im Schatten. Man weiß, dass sie als freundliche, ruhige Nachbarin galt. Sie lebte in Berlin-Kreuzberg, besaß Katzen, bewegte sich unauffällig im Kiez. Mal im Café; freundliche ältere Dame. Wer sie kannte, hätte sie wohl kaum mit Waffen, Panzerfaustgranate und Tatplänen in Verbindung gebracht, die die Polizei 2024 in ihrer Wohnung fand. Ein Leben, in seiner Banalität tragisch: jahrzehntelanges Versteckspiel, ohne gesellschaftliche Rolle, ohne Familie im offenen Leben – und am Ende doch von der Polizei gestellt.
Rechnet man nach, wird das Bild fast grotesk: Eine niedrige „Altmiete“ in Kreuzberg liegt bei ca. 600 Euro im Monat, Lebenshaltung (Essen, Kleidung, Katzenfutter, BVG) geschätzt rund 800 Euro, zusammen 1.400 Euro im Monat, also 16.800 Euro im Jahr; auf 20 Jahre ca. 336.000 Euro.
Dem steht eine mutmaßliche Beute von mindestens 1,6 Millionen Euro gegenüber. Durch drei geteilt also 533.000 Euro. Eigentlich genug, um ein stilles Leben mit Katzen rudimentär zu finanzieren.
Aber offenbar gibt es Inventurdifferenzen: Bei Durchsuchungen in ihrer Wohnung fanden Polizisten nach eigenen Angaben unter anderem eine Attrappe einer Handgranate, Waffen, Handfesseln, Sturmhauben, ein Kilogramm Gold, mehr als 240.000 Euro Bargeld, digitale Medien sowie Fotos.Der Anspruch der RAF war revolutionär: Kampf gegen Staat, Kapital und „imperialistische Unterdrückung“. Was blieb, war der Raub für die eigene Tasche. Vom politischen Pathos zum pragmatischen Überleben im Untergrund – vom „Robin Hood der Linken“ zum „Rentner-Räuber mit Kriegsarsenal“.
Der Prozess gegen Daniela Klette zeigt zweierlei: Politische Gewalt wird mit der Zeit banal, schrumpft zur schnöden Kriminalität. Wer den Untergrund als „Lebensentwurf“ wählt, landet nicht im Heldenepos, sondern im Gerichtssaal – alt, einsam und mit einer Bilanz gescheiterter Überfälle.
Vielleicht sollten auch heutige Aktivisten im linksradikalen Milieu – ob in Antifa-Strukturen oder anderswo – aufmerksam hinschauen. Die Karriere von der jugendlichen Militanz zur „Altersarmut im Untergrund“ ist eine Mahnung. Man wird selten zum Volkshelden.
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Kommentar von Schwar Zi
Das politsche Erbe, der politische Arm, der RAF lebt bis heute.