Depeche Mode in Düsseldorf

Die Songs von Depeche Mode waren für mich die optimale Begleitung durch die triste DDR-Jugend

von Corinne Henker (Kommentare: 7)

Heute erscheint die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation ähnlich deprimierend wie in den 1980ern in der DDR. Also traf Depeche Mode wieder genau meinen Nerv.© Quelle: privat

Zur Einleitung: Ich möchte hier keine fundierte Konzertkritik abgeben, denn ich bin völlig unmusikalisch. Ich spiele kein Instrument, kann weder singen noch tanzen.

Ich zähle mich noch nicht einmal zu den Hardcore-Fans und besitze nur vier Depeche-Mode-Alben („Construction Time Again“, „Some Great Reward“, „Violator“ und „Memento Mori“). Ich äußere also nur meine ganz persönlichen Eindrücke und Erinnerungen.

Depeche Mode prägte meine Jugend in den 1980ern wie keine andere Band. Die Neue Deutsche Welle war unterhaltsam, aber die andauernde Begeisterung für Nena, Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Die Ärzte oder Die Toten Hosen konnte ich nie so richtig nachvollziehen.

Michael Jackson, Whitney Houston und die meisten anderen amerikanischen Künstler dieser Zeit fand ich eher langweilig. Britische Bands wie Ultravox, OMD, Human League, The Cure, Eurythmics usw. entsprachen meinem Geschmack deutlich mehr. Queen möchte ich an dieser Stelle ausklammern, denn die spielten mit ihrer zeitlosen Genialität und Originalität in einer ganz anderen Liga.

Die Singles von Depeche Mode aus den Alben „Speak & Spell“ und „A Broken Frame“ gehörten bereits zu Beginn der 1980er zu meinen musikalischen Favoriten.

In der DDR war es extrem schwierig, an die Original-Alben heranzukommen. Also gehörte es in meinem Freundeskreis zur festen Zeitplanung, sich sonntags (?) die Hitparade auf NDR 2 anzuhören und den Kassettenrekorder stets aufnahmebereit zu halten. Was haben wir geflucht, wenn der Moderator wieder mal in unsere Lieblingssongs hineingequatscht hatte!

So richtig begann meine Begeisterung für Depeche Mode allerdings erst mit dem Album „Construction Time Again“ (1983). Ich konnte sogar die nette Westverwandtschaft überreden, dieses bei einem Besuch mitzubringen. Mein persönlicher Favorit war „Pipeline“: Die Zusammenstellung unterschiedlichster Geräusche, unterlegt mit der klangvollen Stimme von Dave Gahan, zu einem fast 6 Minuten langem Musikstück war etwas ganz Neues und Originelles. Selbst der Text begeisterte meine jugendliche Naivität, heute finde ich ihn doch etwas öde.

Der Ausstieg von Alan Wilder war sicher ein Verlust für die Band, aber es änderte nichts an meiner Schwärmerei. Depeche Mode war für mich eine Art Gesamtkunstwerk: Ein optisch attraktiver Sänger mit prägnanter, angenehmer Stimme, Martin Gore als der kreative Kopf mit originellem Kleidungsstil und der richtigen Stimme für ruhige Balladen und Andrew Fletcher als eine Art ruhender Pol im Hintergrund.

Als Teenager hatte ich keinen allzu hohen Anspruch an die Qualität der Texte, außerdem war mein DDR-Schul-Englisch recht mangelhaft. Dennoch verstand ich den Unterschied zwischen den langweiligen Liebesschnulzen à la Whitney Houston und den vergleichsweise anspruchsvolleren Texten von „Everything Counts“, „People Are People“ oder „Blasphemous Rumours“ und wusste es zu schätzen.

Kurz gesagt: Die Songs von Depeche Mode war für mich die optimale Begleitung durch die triste DDR-Jugend. Die depressive Grundstimmung von Sound und Texten spiegelte genau meine Emotionen wider: eine scheinbar ausweglose No-Future-Gemütslage -  einerseits durch den grauen, von anderen vorbestimmten DDR-Alltag, andererseits durch die apokalyptischen Narrative von Waldsterben und Ozon-Loch, die aus „dem Westen“ zu uns herüberschwappten.

Immer, wenn ich Depeche Mode in voller Lautstärke hören konnte, half es mir, meinen persönlichen Frust abzubauen und meine psychische Gesundheit zu stabilisieren. Leider waren meine Eltern weniger begeistert davon.

Auch nach meiner Republikflucht im Mai 1989 blieb meine Begeisterung für Depeche Mode erhalten. Ich erinnere mich noch, wie ich die CD „Violator“ im Auto voll aufdrehte, um meine Aggressionen nach einem extrem langweiligen Psychiatrie-Kurs abzukühlen. Zumindest für mich ist Depeche Mode die bessere Therapie!

Andererseits hatte ich nun endlich die Chance, mein Leben selbst zu bestimmen. Es gab unendlich viele Möglichkeiten in Beruf und Freizeit. Ich nutzte diese, so gut ich konnte, sodass Depeche Mode nun mehr als Hintergrundmusik lief. Ich schaffte es noch nicht einmal, ein Konzert zu besuchen, was allerdings auch an meiner allgemeinen Abneigung gegenüber Menschenmassen lag.

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Die letzten Alben „Sounds of the Universe“, „Delta Machine“ und „Spirit“ liefen mehr oder weniger an mir vorbei: Ich war mit Familie, Beruf und Freizeitaktivitäten ausreichend ausgelastet. Dann kam im Mai 2022 die Nachricht vom Tod von Andrew Fletcher und ich war geschockt. Ich begann, die alten Songs wieder häufiger zu hören, und stürzte mich auf das neue Album „Memento Mori“ im März 2023.

Heute erscheint die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation ähnlich deprimierend wie in den 1980ern in der DDR. Also traf Depeche Mode wieder genau meinen Nerv, und ich fühlte mich auf eine gewisse Weise in meine Jugend zurückversetzt.

Die Texte lassen einen größeren Interpretationsspielraum als bei vielen anderen Bands - und mein Englisch ist inzwischen auch auf einem akzeptablen Niveau. So konnte ich gleich den ersten Titel „My Cosmos Is Mine“ als libertäre Hymne betrachten - wie für mich geschrieben! Auch die anderen Titel begeisterten mich größtenteils, nur bei „Caroline’s Monkey“ fehlt mir doch die Fantasie, um den Sinn zu erfassen.

Schon bald war klar, dass ich nun doch endlich ein Depeche-Mode-Konzert besuchen musste. Es kostete mich etwas Überzeugungsarbeit bei meinem Mann (er steht mehr auf Helene Fischer), aber mit VIP-Tickets für das zweite Konzert in Düsseldorf schaffte ich es. So konnte ich auch meiner Panik vor dem Gedränge der Menschenmassen entgehen, und es gelang uns, in der Tiefgarage einen kurzen Blick auf Martin Gore zu erhaschen. Er ist auch ganz schön alt geworden!

Nach gewissen Problemen, das Parkhaus und den VIP-Eingang zu finden, erfreuten wir uns vor dem Konzert zunächst an leckerem Essen und Getränken. Die Vorband „Young Fathers“ war für mich auch eine positive Überraschung, leider spielten sie nur eine halbe Stunde.

Gegen 20.45 Uhr betraten dann endlich Dave Gahan, Martin Gore, Peter Gordeno und Christian Eigner die Bühne. Erster Song war „My Cosmos Is Mine“ - ein wahr gewordener Traum! Der Rest des Abends war eine gelungene Mischung aus neuen Titeln des „Memento Mori“-Albums und altbekannten Hits. Der Sound stimmte, die Stimmen von Dave Gahan und Martin Gore begeisterten wie in alten Zeiten.

Die Bühnenshow kann nicht mit Madonna oder Helene Fischer mithalten, sondern ist eher klassisch mit Lichteffekten und einem sehr beweglichen Dave Gahan. In Anbetracht des fortgeschrittenen Alters blieb er allerdings vollständig bekleidet. Auch Martin Gore trug ein interessantes Outfit, allerdings weniger ausgefallen als sein Gaultier-Männerrock in früheren Zeiten.

Im Publikum gab es viele Fans in unserer Altersgruppe, aber selbst in der VIP-Loge fand man zahlreiche junge Leute im passenden schwarzen Fan-Outfit. Die Stimmung war fantastisch, auch uns alte Leute hielt es nicht lange auf den Sitzplätzen.

Auf den Stehplätzen leuchteten insbesondere bei den langsameren Titeln die Handy-Lampen. Bei „World In My Eyes“ zur Erinnerung an Andrew Fletcher kamen selbst mir Halb-Autisten fast die Tränen.

Mit „Enjoy The Silence“ endete das offizielle Programm, der Gesang wurde hier zu großen Teilen vom Publikum übernommen. Nach kurzer Pause folgten dann noch vier Zugaben, mit „Personal Jesus“ war dann gegen 23 Uhr (viel zu früh!) endgültig Schluss.

Für mich war es definitiv der beste Abend des Jahres (obwohl es bereits einige andere Highlights gab). Bei der nächsten Tour werde ich sicher wieder dabei sein - falls es diese geben wird. Das einzige, was ich wirklich vermisst habe, war „People Are People“. Dieser Titel hätte meiner Meinung nach gerade in der aktuellen politischen Situation optimal gepasst:

„I can′t understand
What makes a man
Hate another man
Help me understand“

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