Hat Israel die Büchse der Pandora geöffnet?

Dirk Schmitz: Israels Präventivschlag aktiviert iranisches Selbstverteidigungsrecht

von RA Dirk Schmitz (Kommentare: 11)

Die Gegenreaktionen© Quelle: YouTube/ Tagesschau, Screenshot

RA Dirk Schmitz widerspricht RA Joachim Steinhöfel: „Wer das Gewaltverbot bricht, aktiviert dieses Recht der Gegenseite – mit allen dunklen Konsequenzen. Und wer in Europa predigt, die Ukraine dürfe tief im russischen Feindesland zuschlagen, muss dieselbe Logik gegen das kleine Israel ertragen.“

Israel hat mit seinem nächtlichen Schlag gegen Teheran den Armeechef getötet, Atomanlagen zerlegt – laut Joachim Steinhöfel ein „Dienst an der freien Welt“. Brillante Selbstverteidigung?

Schmitz: Brillante Selbstverteidigung? Das sind Propagandasprechblasen. Art. 2 Abs. 4 UN-Charta verbietet jede Gewaltanwendung gegen die territoriale Integrität eines Staates. Art. 51 greift nur, wenn bereits ein bewaffneter Angriff stattfindet. Ein Forschungsreaktor plus Zentrifugen sind kein einfliegender Sprengkopf. Israel konnte weder einen laufenden noch einen unmittelbar bevorstehenden Angriff behaupten, tut es auch nicht. Das war präventive Enthauptung – ein völkerrechtlich klassischer Aggressionsakt.

Sie ignorieren, dass die Mullahs seit 1979 „Tod Israel“ brüllen. Reicht das nicht als Dauerbedrohung?

Hass-Parolen sind abscheulich, aber sie ersetzen keinen rechtlich notwendigen Artillerieschlag. Der Internationale Gerichtshof im Falle Nicaragua versus USA, 1986, stellte klar: „Verbal threats versus armed attack.“ Wer auf Geschrei mit Bomben reagiert, schreddert das Gewaltverbot und verwandelt kollektive Sicherheit in Kneipenprügelei.

Heißt das, Terrorgruppen würden jetzt wie Freibeuter mit Kaperbrief operieren dürfen?

Exakt das ist die perverse Folge. Im 17. Jahrhundert stellten Monarchen „Kaperbriefe“ aus, damit private Seeräuber feindliche Schiffe plündern konnten – völkerrechtlich gedeckt. Überträgt man diese Logik ins 21. Jahrhundert, könnte Teheran jeden Proxy – von Hisbollah bis zu Einzeltätern – als „bewaffnete Organe des Staates“ deklarieren. Die würden dann formal unter das iranische Selbstverteidigungsrecht fallen. Ergebnis: Freibeuter 2.0. Wer Israels Präventivschlag legitimiert, öffnet damit auch die Schatzkiste für staatlich lizenzierte Terroranschläge. Das ist eine Einladung zur globalen Piraterie – bloß diesmal mit Drohnen und Sprenggürteln statt Segelschiffen und Enterhaken.

Aber Iran schrammt doch an der Schwelle zur Bombe. Darf man wirklich warten, bis Tel Aviv atomisiert ist?

Das ist die alte Präventivkrieg-Fata Morgana. Nur der UN-Sicherheitsrat darf nach Kapitel VII handeln. Einzelstaaten dürfen nicht Cowboy spielen. Der „Caroline“-Grundsatz, übrigens seit 1837, lässt Antizipation nur zu, wenn die Gefahr eine unmittelbare, überragende Notwendigkeit zur Selbstverteidigung, die keine Wahl der Mittel und keine Zeit zu weiterer Überlegung lässt. Die ergriffenen Maßnahmen dürfen nicht abwegig oder exzessiv sein. Israel hat noch Jahre zur Deliberation – also gab es Wahlmöglichkeiten. Dieser Angriff bleibt illegal. Hinzu kommt die Frage: Schützt der Premier in Israel sein Land oder sein Amt.

Sie plädieren also ernsthaft dafür, dass Iran nun losschlagen darf?

Nicht ich plädiere dafür – das Völkerrecht öffnet Iran nach Art. 51 nun objektiv das umfassende Selbstverteidigungsrecht. Super Ergebnis. Wer das Gewaltverbot bricht, aktiviert dieses Recht der Gegenseite – mit allen dunklen Konsequenzen. Und wer in Europa predigt, die Ukraine dürfe tief im russischen Feindesland zuschlagen, muss dieselbe Logik gegen das kleine Israel ertragen.

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Das klingt wie eine moralische Bankrotterklärung gegenüber Israel.

Die Shoa bleibt der Abgrund der Menschheit und rechtfertigt jeden Zentimeter Schutzraum für Juden. Aber sie ist keine All-Access-Flatrate für präventive Bombardements fremder Staaten. Missbraucht man die Erinnerung, beschädigt man sie.

Joachim Steinhöfel nennt den Schlag einen „Dienst an der freien Welt“. Teilen Sie gar nichts davon?

Im Gegenteil – das Signal lautet: „Bau Dir schnell eine Bombe, sonst wirst Du zerlegt.“ Ergebnis: Noch mehr Pakistans und Nordkoreas, bloß ohne Sicherheitsratssitz. Ein globales Proliferations-Booster-Pack, kein Dienst an der Freiheit.

Und Deutschland? Ist es, wie Joachim Steinhöfel sagt, „irrelevant“?

Leider ja. Berlin twittert „Staatsräson“, verramscht aber das Gewaltverbot, hält Waffen zurück und übt sich im moralischen Zeigefinger-Yoga. Von Baerbock bis Merz regiert eine Polit-Klasse, die rhetorisch gern zündelt, praktisch aber nur Pyro-Nebeltöpfe wirft. Ergebnis: außenpolitische Clown-Show, die auch im Nahen Osten niemand ernst nimmt. In so einem Setting wäre Schweigen Gold – jede Brandrede aus Berlin klingt wie „Hold my Bierkrug“ und macht den nächsten Konflikt für uns teurer.

Ist Israels Schlag nicht wenigstens historisch gerechtfertigt?

Historisch? Absolut. Juden wurden nicht nur in Europa vernichtet, sondern auch als Minderheit im Nahen Osten jahrzehntelang entrechtet, vertrieben, massakriert. Israel entstand aus der Asche der Shoa – aus einem Europa, das in Gaskammern systematisch sechs Millionen Menschen verbrannte – und aus Pogromen von Aden bis Bagdad. Seit 1948 ist das Land im Dauerbelagerungszustand: fünf große Kriege, ungezählte Intifadas, Raketenbeschuss im Wochentakt, Nachbarn, die die Landkarte ohne Israel drucken.

Deshalb ist meine menschliche Sympathie hundertprozentig bei Israel. Für mich – deutscher Patriot hin oder her – steht hier David im Dauer-Kampf gegen eine ganze Sippschaft von Goliaths. Der biblische Goliath fiel nach einem Stein; der moderne Goliath steht mit Brüdern, Cousins und Schwagern wieder auf – Hisbollah im Libanon, Hamas im Gazastreifen, die Revolutionsgarden in Teheran. Jeder neue Gegner schleudert härtere Steine. Dass Israel trotz allem existiert, sich verteidigt, blüht, ist ein Wunder und verdient Bewunderung.

Und genau deshalb wünsche ich mir für mein Deutschland weniger Verlogenheit und ein bisschen mehr israelische Haltung. Statt ständig moralisierend die Welt zu belehren, sollten wir unser Militär flottmachen, Antisemitismus knallhart bekämpfen und klare Kante ziehen. Aber – und hier kommt der Jurist in mir – rechtlich bleibt dieser Präventivschlag unhaltbar. Darum lautet mein persönliches Dilemma: Herz bei Israel, Mund halten bei völkerrechtlichen Einwänden. Meine Gefühle adeln keine Bomben.
Juristisch bleibt ein Präventivschlag ohne akuten Angriff klarer Rechtsverstoß. Darum bleibt nur eine zweigleisige Haltung: menschliche Sympathie und Bewunderung für Israels Mut und Tatkraft – gerade im Vergleich zu unserer „Muschi-Armee“ – aber politisches Schweigen als einzige Verteidigungslinie, die ich mir als Jurist leisten kann. Deshalb lehne ich Steinhöfels „Hurra“ ab.

Danke für die schnelle Stellungnahme.

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