Wer hat die Pipelines zerstört?

Ein Spieltheoretiker auf der Suche nach der Wahrheit

von Bertolt Willison (Kommentare: 2)

„Dann möchte ich auf eine Gruppe eingehen, die im Augenblick komischerweise in der Diskussion überhaupt nicht genannt wird – nämlich eine Opposition innerhalb Russlands.“© Quelle: Youtube / Prof. Dr. Christian Rieck

In seinem neuesten Video „Nordstream Pipeline-Anschlag: Wer war es? (Spieltheorie)“ stellt Christian Rieck die gängigen Verdächtigungen, wer für die Zerstörung der Pipelines verantwortlich sein könnte, auf den Prüfstand der Spieltheorie.

Christian Rieck ist Professor für Finance und Wirtschaftstheorie an der Frankfurt University of Applied Sciences. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind laut Homepage der Hochschule Markttheorie, Behavioral Finance (Verhaltensorientierte Finanztheorie) und Spieltheorie. Auf seinem Youtube-Kanal untersucht er mit spieltheoretischem Werkzeug aktuelle Ereignisse und Fragen, die uns bewegen. 295.000 Abonnenten sprechen dafür, dass der Mann mit der akkuraten Langhaarfrisur hiermit einen Nerv trifft.

Seine Erkenntnisse präsentiert Rieck ohne ideologisch gefärbte Schuldzuweisungen. Präzise seziert er in seinem neuen Video einzelne Schachzüge der politischen Kontrahenten in dieser inzwischen weltkriegsähnlichen Krise. Die Frage nach seinen persönlichen Haltungen, welches Verhältnis dieser logisch denkende, analytische Mensch zu seiner Mutter hat oder wie er zu Putin steht, stellt sich hier überhaupt nicht. Ein klares Qualitätsmerkmal.

Laut Definition des Gabler Wirtschaftslexikons ist die Spieltheorie „eine mathematische Methode, die das rationale Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen ableitet, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer abhängt“.

Der Frankfurter Wissenschaftler stellt in seinem Video klar, dass „Spiele“ in diesem Zusammenhang nicht bedeutet, „dass es Spaß macht, sondern Spiele heißt, dass wir hier es mit einer strategischen Interaktion zu tun haben“. Es ist „genau die gleiche Interaktion, die wir auch von Gesellschaftsspielen her kennen, von strategischen Gesellschaftsspielen wie Schach beispielsweise, und deshalb sprechen wir immer von Spielern und solchen Sachen. Das hat nichts mit spielerisch zu tun und wenn wir hier von Kriegen sprechen, in der Spieltheorie angewandt wird, dann heißt das nicht, dass es irgendwie lustige Spielchen wären.“

Dem, was Professor Rieck in seinem Youtube-Video erarbeitet, soll hier nicht vorgegriffen werden. Eine Zusammenfassung würde den Gedanken Riecks nicht gerecht werden. Doch ein paar herausgegriffene Thesen sollen Sie ermutigen, sich seinen knapp 40-minütigen Vortrag anzuschauen.

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Zunächst fragt sich Christian Rieck, ob wir uns überhaupt sicher sein können, dass die Pipelines Nord Stream 1 und 2 absichtlich gesprengt wurden. War es vielleicht ein Unfall, eine Selbstzerstörung aufgrund eines Fehlalarms oder einer Fehlbedienung? Nicht wahrscheinlich, doch man sollte es „keinesfalls als denkunmöglich abstempeln“.

Rieck ist trotzdem davon überzeugt, dass Anschläge zu der Zerstörung der Pipelines geführt haben.

In der Spieltheorie geht man, wenn es eben nicht um Zufälle geht, sondern um Absichten, davon aus, dass die Täter vernunftbegabte Gegenspieler haben, ganz wie beim Schach, schwarz und weiß. Ein Spielzug, in diesem Fall der Anschlag, soll „die Zugmöglichkeiten des anderen auf eine bestimmte Weise lenken“. Die nächsten Züge des geschädigten Gegners wurden ganz sicher vor den Sprengungen durchgespielt. Aktion und Reaktion.

Welche Signale wurden an die Geschädigten gesendet? Innerhalb der Spieltheorie eine wichtige Frage, denn Spielzüge sind Botschaften, Warnungen, Demonstrationen der Stärke, und, wenn überhaupt, nur auf den ersten Blick selbstzerstörerisch (eher Bauernopfer). Aber auch die Frage nach der Selbstbindung ist wichtig. Die Stimmung im eigenen Land stabilisieren, enger zusammenrücken.

Weit weniger als die spielstrategischen Argumentationen spielen für Christian Rieck die von ihm sogenannten Indizien eine Rolle. Sie sind aus seiner Sicht nur Momentaufnahmen, können in die ein oder andere Richtung interpretiert werden, sind eventuell sogar aus dem Zusammenhang gerissen, wie zum Beispiel die Berichte von über der späteren Explosionsstelle kreisenden Hubschraubern oder die Warnung des CIA vor Anschlägen auf die Pipeline. Und auch die bekannten Andeutungen von Joe Biden anlässlich des Besuches von Bundeskanzler Scholz in Washington im Februar dieses Jahres sind eben nur ein Indiz und kein Beweis für irgendetwas. Wobei man die Aussagen eines Präsidenten, der regelmäßig senile Schwäche demonstriert, ohnehin nicht zu sehr auf die Goldwaage legen sollte.

Und am Ende natürlich die Frage aller Fragen: Wer hat profitiert von den Anschlägen, „Cui bono“? Da fallen dem Professor in Kombination mit den spieltheoretischen Aspekten einige Akteure ein. Die üblichen Verdächtigen wie Russland, USA, Ukraine und die Umweltterroristen, wie er sie nennt. Aber auch ganz spannend – die russische Opposition. Denn „es kann sehr gut sein, dass eben Russland keineswegs ein einheitlicher Spieler ist und dass es da einmal den einen Spieler gibt, Putin mit den Leuten, die seine Interessen verfolgen, und seine Gegenspieler innerhalb Russlands.“ Andere mögliche Täter erwähnt Rieck auch: China, die baltischen Staaten, sogar Deutschland, die dann aber keine Rolle in der Tabelle spielen, die er zum Schluss präsentiert. Was irgendwie schade ist und auch nicht wirklich begründet wird von Rieck.

Diese „spieltheoretische“ Matrix fasst Argumente für und gegen die womögliche Beteiligung an den Pipeline-Attentaten zusammen, soll mit ihrem Scoringsystem ein Plausibiltätsranking herstellen und die Frage beantworten, wer wahrscheinlich verantwortlich ist für die Anschläge auf die Pipelines.

Einschränkend, er hat wohl selbst größten Respekt vor der Sprengkraft, stellt Christian Rieck seinem Ergebnis einen Disclaimer voraus: „ … Das heißt natürlich nicht, dass derjenige am Ende rauskommt …, sondern das heißt einfach nur, nach heutigem Kenntnisstand ist es eben hochgradig plausibel, dass der ein oder der andere … hier entsprechend auftaucht.“

In seiner Matrix präsentiert Professor Rieck seinen Zuschauern dann die hauptverdächtigen Akteure Russland, USA, Ukraine, Terroristen und russische Oppositionelle in einer fünfteiligen Skala (++, +, 0, - und --) und beantwortet dann folgende drei Fragen:

1. Wem nützt es?
2. Wie hoch ist das Risiko für den Verdächtigen?
3. Stehen dem Verdächtigen genügend Fähigkeiten zur Verfügung?

Nach Addierung der erzielten Punkte (macht es sich der Wissenschaftler mit dieser Methode nicht vielleicht etwas zu einfach?) verkündet Rieck einen überraschenden „Sieger“: Es ist die russische Opposition, „weil die viel zu gewinnen haben, die technischen Möglichkeiten haben und ganz wenig zu verlieren haben“.

Die Erinnerung an vorher Gesagtes darf an dieser Stelle nicht fehlen: „Also das heißt, das sind diejenigen, die hier am ehesten diejenigen sind, die dafür in Frage kommen … Man muss bei solchen Sachen immer vorsichtig sein, also wir wissen nicht was passiert ist.“

Das Schlussfazit von Christian Rieck:

„Wenn wir mal zusammenfassen, was wir an spieltheoretischen Überlegungen haben, dann haben wir jetzt eine relativ gute Vorstellung davon, was unplausibel ist, nämlich das russische Regime, Putin-Regime, war selber sehr unplausibel, und was sehr plausibel ist, nämlich, das waren möglicherweise Putin-Gegner, die auf die Art und Weise es dann durchgezogen haben, mit dem gesamten Spektrum zwischendrin, dass Sie natürlich sagen, nee, die anderen üblichen Verdächtigen sind natürlich ebenfalls auch noch in dem Bereich mit dabei."

Das komplette Video „Nordstream Pipeline-Anschlag: Wer war es? (Spieltheorie)“ von Prof. Dr. Christian Rieck

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