Toddn Kandzioras Wochenrückblick 42/2021

Ein Tag im Leben des Toddn Kandziora

von Toddn Kandziora

Kolumnist Toddn Kandziora: Kann es eine bessere Stimmung im Land geben als jene, in der wir leben, um endlich den großen russischen Klassikern zu verstehen?© Quelle: Toddn Kandziora, aufgenommen mit einem alten Nokia

In zwei Tagen wird die große Papiertonne vor dem Haus wieder geleert. Dies geschieht alle zwei Wochen in unserem Landkreis. Und alle zwei Wochen sortiere ich Tage zuvor einen Stapel mit Büchern aus, derer ich überdrüssig geworden bin. Bücher die, ich sag, wie es ist, wegkönnen. Bücher, die für mich Wert, Sinn oder an Bedeutung verloren haben.

Obwohl ich seit mehr als einem Jahr alle zwei Wochen dies zum Teil schmerzvolle Ritual der privat-kulturellen Säuberung zelebriere, werden es nicht wirklich weniger Bücher im Haus. Kommen doch wöchentlich wieder neue hinzu.

Zur Zwischenlagerung habe ich inzwischen den großen Kellerraum mit Bücherkisten voll gestapelt. In diesen Kisten sind hunderte selbst angeschafter aber auch viele geerbte Bücher voll links- bis rechtslastiger Politik. Bücher über Soziologie, Philosophie und Kulturgeschichte. Volle Kisten aus ehemaligen DDR-Tagen mit sowjetrussischer Literatur und Munitionskisten voll von kommunistischer Agitation und Propaganda.

Ich denke ich habe jede in das deutsche übersetzte Seite Solschenizyn in eine dieser Kisten verbannt. Unvorstellbar, was ein Mensch allein sich von der Seele zu schreiben in der Lage ist, wenn er dazu verdammt wurde. Und so manch anderer der großen russischen Dichter und Denker geistert schon seit Jahren auf dem Dachboden über meinem Schlafzimmer herum.

In stürmischen Herbstnächten kann ich Dostejwskis Dämonen über mir poltern hören oder meine bald, dass Rodion Raskolnikow mit einem Messer in der Hand um das Haus schleicht, wenn im Winter vor der Tür der Schnee knarscht.

Ich mag die alten Russen. In der neuen Zeit der Kälte, in der sich nicht nur das Alter auf schmerzhafte Weise in Mark und Seele eingebrannt hat, verstehen wir uns gut. In solch schwieriger Zeit kommt die eigene, verzweifelte Sicht auf eine gemeinsame Zukunft (Wer denkt noch an eine bessere?) der alten russischen Dichterseele wieder nah, kann ein schon vergilbtes Buch von Gogol, Gorki, Tolstoi oder Tschechow den Tag erklären.

Ich lese ja nicht nur alte Russen. Literarisch bin ich multikulturell, unvoreingenommen und offen. Hauptsache es ist ein gutes Buch. Egal ob ich das eines schwulen Franzosen in der Hand halte oder ein Buch einer japanischen Frauenrechtlerin, eines farbigen Amerikaners, eines norwegischen Nationalisten oder einer deutschen Hardcorelesbe lese.

Gefällt es mir, dann kommt es in meine kleine Privatbibliothek und in dieser bleibt es bis zum letzten Tag. Das Buch wird weder nach Hautfarbe, Geschlecht oder wie immer geartet im Regal einsortiert. Hier wird nichts mehr aussortiert, wer es bis hierhergeschafft hat, der bleibt.

Gestern, beim Aussortieren einer Bücherkiste für die große Papiertonne fiel beim Durchblättern eines bisher nicht gelesenen, alten irischen Gedichtbands von Yeats eine gepresste Rose, es war eine Sarah van Fleet, aus schon gelblich gewordenen Seiten heraus. Diese Rose hatte ihre rosa Färbung über die Jahre erhalten, doch roch sie inzwischen ein wenig muffig.

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Während ich Sarah mit zwei Fingern vom Boden aufhob und bewundernd betrachtete, machte ich mir Gedanken über die Person, die diese Rose den Gedichten eines William Butler Yeats anvertraute. Was mag sie wohl damals gedacht und gefühlt haben. Was waren ihre Beweggründe? War diese Rose ein hoffnungsvolles Geschenk oder womöglich eine schmerzvolle Erinnerung? War Liebe mit im Spiel? Angst in einem verlassenen Herzen oder seelische Verzweiflung der Grund dieser Rosenpressung gewesen?

Wäre die Rose nicht beim Blättern aus dem Buch zu Boden gefallen, hätte ich sie noch im Buch entdeckt, hätte mir das Gedicht auf den Seiten von William Butler, jenes zu welchem sie gelegt wurde etwas verraten können. So wird es ein altes Rätsel bleiben. Die große Amerikanerin Gertrude Stein würde jetzt vielleicht einwerfen: „Rose is a rose is a rose is a rose“.

Bücher können mitunter Leben retten. Im Ernst. Ein gutes Buch hat so manch einen von uns beizeiten den Strick erspart oder ein verletztes Herz zum weiter schlagen bewegt.

Bücher werden noch sein, wenn schon kein Datenträger mehr ausgelesen werden kann. Aus welchen Gründen auch immer dies passieren kann. Vielleicht wenn die Maschinen das Leben übernommen haben. Wenn der Strom nicht mehr fließt. Dieser so besondere Saft, den unsere Computer benötigen, um zu funktionieren. Strom. Strom ist, was sie brauchen, um uns zu unterhalten, zu unterrichten, unser jetziges, so arm gewordene Leben aufrecht zu erhalten.

Bücher werden auch ohne Strom überleben können. Hoffen wir, dass es dann Menschen gibt, die noch des Lesens mächtig sind. Die den Inhalt eines Buches nachvollziehen können, die verstehen, was darin geschrieben steht.

Historiker erzählen, dass das römische Reich im vierten bis fünften Jahrhundert unterging. Mit ihm ging nicht nur die dekadent gewordene Aristokratie zugrunde, sondern fast alles Wissen dieser Zeit.

Die neuen Herrscher in Rom legten einfach keinen Wert mehr auf Kultur und Wissen. Nur eine Generation nach dem Untergang des Imperiums waren die Menschen in ganz Europa nicht einmal mehr in der Lage, ihr Hausdach mit gebrannten Ziegeln zu decken. Selbst dieses Wissen war ihnen verloren gegangen. Wie schon tausend Jahre zuvor deckten sie nun wieder ihre Dächer mit Stroh oder Grassoden.

Es brauchte weitere tausend Jahre, bis die Menschen aus der Dunkelheit ihrer selbst erwählten Unwissenheit erwachten und vor ihre „Höhle“ in das Tageslicht traten, vielleicht weil sie den von ihren Höhlenfeuern geworfenen Schatten an den Wänden ihren Glauben nichts mehr zutrauten. Fast tausend Jahre hatten sie einzig geglaubt, was ihnen zu glauben gestattet war.

Wie immer es einmal war, könnte es wieder kommen. Wer würde das kategorisch in Abrede stellen wollen? Das Ende einer Hochkultur wurde in der Vergangenheit immer dann offensichtlich, wenn die Dekadenz die Macht erhielt und den Diskurs prägte.

Beispielhaft für Dekadenz möchte ich zwei Damen der heutigen Hochkultur nennen. Zu einem Frau Sarah-Lee Heinrich, die seit kurzen Bundessprecherin und Politikerin der grünen Jugend ist und Frau Jasmina Kuhnke, Autorin und Aktivistin. Beide haben sich bis in die jüngste Vergangenheit durch sehr fragwürdige wie kritische Äußerungen gegenüber Mitmenschen anderer Hautfarbe im Diskurs positioniert.

Frau Heinrich soll sich vor Jahren sogar Menschen anderer Religion gegenüber weit mehr als kritisch gegenüber geäußert haben. Nun, auch ich habe als sechzehnjähriger, wenn der Tag kurz und die Nächte lang wurden viel Schwachsinn erzählt und ja, auch manch Blödsinn verbockt.

Doch habe ich nicht gegen andersfarbige Mitmenschen gehetzt, andere Religionen beleidigt oder dem Land, in dem ich geboren wurde und seiner überwiegend weißen Bevölkerung möglichst viel Schlechtes gewünscht.

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Nun ja. Das hätte ich vielleicht machen sollen. Dann wäre ich heute ein gut bezahlter Politiker der GRÜNEN und würde dann genau von den Menschen finanziert, die ich im Grunde aufgrund ihrer Hautfarbe verabscheue. Entschuldigt bitte. Ich habe wieder nur Spaß gemacht.

Kommen wir zu Frau Kuhnke. Die woke Autorin hat ihren Auftritt auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse abgesagt, weil sie damit ihren Protest gegen einen rechten Verlag kundtun wolle und auch mit Angriffen rechtsextremer Personen gegenüber ihrer Person rechne. Was soll ich von derartigen Aussagen halten? Ist es inzwischen so, dass 2021 auf der Frankfurter Buchmesse rechtsradikale Elemente eingeladen werden und diese mit Baseballschlägern vom Sicherheitsschutz ungehindert auf Autorinnen losgehen können? Ich denke nicht.

Eher denke ich, dass Frau Kuhnke durch ihre Absage, bzw. die Beweggründe für diese, eine ihr nicht gebührende Aufmerksamkeit erhält, für die ihr Verlag ansonsten gigantische Summen an Werbekosten hätte ausgeben müssen. Ich sag mal so. Die Frau ist clever.

Frau Kuhnke hat die Zeichen dieser Zeit nicht nur erkannt, sondern vortrefflich zu verstehen genutzt. Oder sagt man für sch zu nutzen verstanden? Ganz gleich. Ich habe jedenfalls ein wenig im Netz geforscht, was Frau Kuhnke in der Vergangenheit über andersfarbige Mitmenschen so geschrieben hat und welche Meinung sie über Menschen wie mich hat.

Tja, wenn nur die Hälfte von ihr stammt, und selbst wenn die beleidigsten Posts von ihrer Seite Fakes der „rechten Seite" wären, fühlte ich mich noch ein wenig wegen meiner Hautfarbe von der Dame beleidigt. Aber nur ein ganz klein wenig. Denn ich ahne ja, wie es Frau Kuhnke meinen könnte, Zwinkersmiley.

Eigentlich wollte ich jetzt noch darüberschreiben, warum Frau Heinrich und Frau Kuhnke so ein schönes Beispiel für den bestimmenden Diskurs und den kulturellen Niedergang dieser Zeit sind, jedoch habe ich den beiden Damen schon zu viel Zeit geopfert und überhaupt:

... so ein blödes, mieses und weißes Unterdrückerarschloch wie ich, das sollte sich besser schon mal zum Sterben bereit machen und denen Platz machen, die dieses Land verdienen und seit Jahrhunderten von Rassisten, Faschisten und Machos unterdrückt wurden. Dieses Land gehört in die Hände der guten, diversen, bunten und woken Menschen. Menschen, die wissen, wie Politik gemacht wird (Frau Heinrich) und wie Literatur zu sein hat. (Frau Kuhnke).

Das letzte Wort kommt heute von William Butler Yeats, aus dessen Gedichtseiten gestern eine Rose entsprang.

„Jede Kultur wird durch die Suggestion eines unsichtbaren Hypnotiseurs zusammengehalten – durch künstlich erzeugte Illusion.“

Nachtrag: Ich hatte Freunde, Bekannte, Institutionen, Vereine oder Initiativen gefragt und kontaktiert, ob sie an meinen Büchern interessiert wären. Leider habe ich wenig bis keine Abnehmerzusagen erhalten. Ab und an kann ich Bücher verschenken oder in öffentlichen Bücherregalen zustellen, wenn in diesen noch ein wenig Platz ist. Oder wollt Ihr etwa noch ein paar alte Bücher von mir?

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