Staffelstab weitergegeben: Aus „Krieg um Öl“ wird „Krieg um Gas“

Eine gemeinsame Eskalation: Nord Stream 2 und der Krieg in der Ukraine

von Gregor Leip (Kommentare: 2)

Festzustellen ist, dass Europa auch weiterhin Gas aus Russland über Nordstream 1 bezieht. Worin also bitteschön besteht der Unterschied, Nordstream 2 ans Netz zu nehmen?© Quelle: Pixabay / Gerald, Victoria-Art I Bildmontage Alexander Wallasch

Viele haben das unter dem Druck der Ereignisse bereits vergessen: Ende Februar 2022, also noch vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf die Entscheidung der Anerkennung der Volksrepubliken Lubansk und Donezk  durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin Sanktionen gegen Russland verhängt.

Insbesondere entschied Kanzler Scholz, die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis zu legen.

Der rekonstruierte Ablauf verlief folgendermaßen: Zur Inbetriebnahme der fertiggestellten und im Prinzip auch betriebsbereiten Pipeline war von deutscher Seite aus eine Zertifizierung notwendig. Nach Angaben des russischen Gaskonzerns Gazprom war Nord Stream 2 im September 2021 auch startklar.

Um dann Gas zu liefern, fehlte nur noch besagte Freigabe der zuständigen deutschen Behörden. Dieser Vorgang wurde am 22. Februar gestoppt.

Erwähnenswert auch: Verzögerungen gab es schon vorher auch ohne die November-2021-Sanktionen: Die Bundesnetzagentur – die deutsche Regulierungsbehörde des Wettbewerbs der Netzwerke und Energieversorger – hatte das Verfahren zur Zertifizierung ausgesetzt, weil nach Prüfung der Unterlagen festgestellt worden war, dass eine Zertifizierung eines Betreibers der Leitung Nord Stream 2 nur dann in Betracht käme, wenn der Betreiber in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist.

Ende Januar 2022 – nach Gründung eines deutschen Tochterunternehmens – erfüllte Nord Stream 2, mit Sitz in der Schweiz, den durch deutsche Behörden vorgeschriebenen Weg hin zum Betrieb der Pipeline.
Eigentlich, so schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland am 26.01.2022, sollte schon seit rund zwei Jahren Erdgas durch diese Leitungen nach Deutschland fließen, doch insbesondere die Sanktionen und Sanktionsdrohungen aus den USA hatten das Projekt verzögert.

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Wie das RND berichtete, wäre Russland unabhängiger vom Nachbarland Ukraine, wenn es durch die Pipeline weiteres Gas unter Umgehung der Ukraine nach Europa liefern könnte.

Der Spiegel berichtete bereits am 21.10.2021: „Die Gaslieferung kann am nächsten Tag beginnen“. Weiter hieß es, dass der russische Präsident im Falle einer Gasknappheit und Gaskrise – mit entsprechenden Teuerungen in der europäischen Union – bereitstehe, die Lieferung von Erdgas nach Europa nach einer Zertifizierung von Nord Stream 2 durch Deutschland zu erhöhen.

In einer gemeinsamen Erklärung der Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft und Energie und für wirtschaftliche Entwicklung Peter Ramsauer (CSU) und Klaus Ernst (Linke) kritisierten beide unterdessen die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock für Äußerungen zur Erdgas-Pipeline.

Für deren „Unterstellung, Russland würde die Lieferung von Erdgas zur Erpressung von Europa missbrauchen und sei für die gestiegenen Energiepreise verantwortlich“ gebe es keinerlei Hinweise, schreiben beide in einer gemeinsamen Erklärung. Von einer „möglichen künftigen Außenministerin“ dürfe man erwarten, dass sie sich sachkundig mache.

Letzte Woche brachte nun Wladimir Putin Gaslieferungen über Nord Stream 2 zur Versorgung der europäischen Union ins Spiel. Sein Angebot in Richtung Brüssel lautete: „Wir haben noch eine fertige Trasse – das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen." Allerdings auch nur mit der Hälfte der möglichen 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, wie Putin mitteilte. Weil Bundeskanzler Scholz in einem Gespräch vor zwei Monaten das Thema Nord Stream 2 beiseitegeschoben habe, habe Russland die Hälfte der maximalen Menge zurückgezogen – unter anderem für den Inlandsverbrauch.

Zwischenbemerkung: Natürlich ist das eine groteske Situation: Da führen Sanktionen zu einer Knappheit in den die Sanktionen aussprechenden Staaten und gleichzeitig macht der Empfänger der Sanktionen gewissermaßen seinen Zuchtmeistern ein Angebot. Geht es verdrehter?

Ursula von der Leyen verlautbarte letzten Mittwoch in Brüssel: „Ich möchte hier ganz klar sein: Nord Stream 2 ist nicht einmal zertifiziert und überhaupt nicht einsatzbereit.“ Und auch Kanzler Olaf Scholz reagierte gleichermaßen auf das Angebot Putins, Gas über Nord Stream 2 liefern zu können.

Scholz betonte, dass man sich auf russische Zusagen nicht mehr verlassen könne: „Wir wissen, es wird nicht sicherer, als es jetzt ist." Deshalb beschaffe die Bundesregierung im Eiltempo LNG-Terminals für Flüssiggas-Importe und lasse Kohlekraftwerke wieder anfahren.

Der Gasnotstand im Land soll nun also gegen alle ökologischen und umweltrelevanten Prinzipien der regierenden Ampel-Koalition durch fossile Brennstoffe und Flüssiggasimporte (umweltschädlich gewonnenes US-amerikanisches Fracking-Gas, das mit immensem Energieaufwand über den Ozean geschippert werden muss) behoben werden und besonders auch über den Energiepreis zu Lasten der Bürger abgefangen werden.

Die vorgebrachten Argumente, warum man nicht auf das Angebot des russischen Präsidenten eingehe, beschränken sich auf die Aussage, dass Nord Stream 2 nicht zertifizert sei, ohne explizit darauf hinzuweisen, dass das allein eine deutsche Behördenangelegenheit ist und nicht von Russland abhängig.

Festzustellen ist, das Europa auch weiterhin Gas aus Russland über Nord Stream 1 bezieht. Worin also bitteschön besteht der Unterschied, Variante 2 an Netz zu nehmen?

Der Spiegel titelt heute: „Es muss jetzt etwas kosten“. Und weiter: Ratschläge würden nicht mehr ausreichen. Und die Gaspreise müssten endlich sichtbar steigen, damit Anreize zum Sparen bestehen.

Die Appelle der Regierung, den Gasverbrauch zu reduzieren, würden nicht greifen. Und um Deutschlands Gesellschaft und Wirtschaft vor dem Gasnotstand zu bewahren, brauche es eine klare Kommunikation, warum es gerade jetzt darauf ankomme, jede Kilowattstunde zu sparen.

Was der Spiegel formuliert, klingt wie erpresserische Volkserziehung. Noch dazu, wenn zwischen Kriegsgeschrei und Gasleitungspoker eine grüne Klimaambition mit auf den Panikzug aufgesprungen ist.

In diesem ganzen gefährlichen, wie streckenweise schwer naiven Kuddelmuddel bleibt die Frage, ob Gaslieferungen aus Russland bewusst verhindert werden sollen, um eine Umgestaltung der Versorgung zu Lasten der Bürger einzuleiten.

Will die Bundesregierung wirklich so weit gehen? Annalena Baerbocks Sorge vor „Volksaufständen“ legt diese Vermutung leider nah.

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