Die Kraft liegt in Dir

Eine kleine Ode an den Lebenskampf und die Freundschaft

von KIA (Kommentare: 1)

Kolumnistin KIA erzählt, wie es sein kann, wenn das Leben manchmal so schwer und unerträglich wird, dass Kraft und Wille versagen, und wie man sich dadurch verändern kann.© Quelle: Unsplash / MAX LIBERTINE

Immerzu will ich mich hinsetzen und schreiben, immerzu will ich zur Ruhe kommen und meine Gedanken ordnen, ich will da eine Routine einbringen, denke ich mir, einen Rhythmus, eine Beständigkeit. Ich will niederschreiben, was mir meine Gedanken Tag ein, Tag aus, Nacht ein, Nacht aus zuflüstern - mir anvertrauen.

Immerzu kommt mir aber das Leben dazwischen, immerzu werde ich herausgefordert, werde ich ungefragt an meine Grenzen gebracht. Obwohl ich doch zeitlebens geglaubt habe, grenzenlos zu sein. Ich habe tatsächlich früher oftmals behauptet, ich sei der glücklichste Mensch der Welt. Wie naiv, und wie unglaublich eingebildet von mir.

Lange, wirklich lange habe ich das geglaubt. Aber dieses Gefühl ist mir im letzten Jahr abhandengekommen, es war einfach nicht mehr da, und statt dessen habe ich zum ersten Mal in meinem Leben richtige Angst- und Panikzustände erlebt, mit allem Drum und Dran, Druck auf der Brust, Atemnot, Schlafmangel, keine Ahnung wie es weitergehen sollte. Mein Licht war weg, kein Stern mehr am Himmel, keine Lust mehr. Einfach keine Lust mehr.

Am 1. November, vor einem Jahr, habe ich es geschafft mich aus meiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, und habe mich in den Kampf - den Wiederaufbau meiner Selbst - begeben. Diesen Tag werde ich nun für immer zelebrieren.

Die Gewissheit, wenn ich jetzt zurückschaue, dass ich eigentlich sogar in den schwierigsten und aussichtslosesten Momenten genau wusste, welche Schritte ich machen, welchen Weg ich gehen musste, damit ich irgendwann wieder die Kontrolle über mein Leben zurückerobern würde, diese Gewissheit gibt mir heute alles.

Nun, ein Jahr später, füllt sich mein Sein allmählich wieder, und ich sage euch, das Wiederaufstehen birgt ungeheure Kraft in sich. Vor meinem inneren Auge halte ich ganz nach früherer Eigeneinschätzung, die gesamte Welt in meiner Hand. Ich bin mein eigener Herr, ich bin mein eigener Gott. In mir scheint die Sonne, in mir tobt das Meer.

Dass man weiß, dass man sich auf sich selbst verlassen kann, dass wir Willen haben, dass wir entscheiden können, lenken können – kämpfen können. Was eine unglaubliche Erfahrung. Aber klar, so ganz alleine habe ich das nicht geschafft. Freunde. Richtig gute Freunde. Wie unbeschreiblich fad und schal wäre das Leben ohne Freunde.

Nicht alle Freunde bleiben. Die meisten biegen im Laufe des Weges in andere Richtungen ab, verschwinden unmerklich, nur Erinnerungen bleiben, mal schönere, mal wenig Schönere. Andere Freunde - die Guten - die wird man glücklicherweise kaum mehr los, sie prägen sich in unserem Dasein ein, so tief, dass ein Leben ohne sie nicht mehr wirklich vorstellbar ist, und ja, das sind sie, unsere Säulen, unsere Ruhestätten, unsere Therapeuten, unsere treusten Begleiter.

Wie auch bei romantischen Beziehungen brauchen Freundschaften Zuwendung und Aufmerksamkeit. Freundschaften brauchen Erinnerungen und Liebe, sie brauchen Zeit und Vertrauen. Sie brauchen auch Offenheit, und Direktheit und Geduld. Manchmal nerven Freundschaften auch, manchmal ebben und fluten sie auch, und die Erkenntnis, dass das in Ordnung ist, ist genauso wichtig, wie die Erkenntnis, dass ein Leben ohne Freunde kaum lebenswert ist. Für mich jedenfalls.

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Als ich an meinem Tiefpunkt angelangt war, schien die Sonne. Strahlend blauer Himmel und warme Luft, es war Sommer und ich hatte ein verdächtig glückliches Kleid an. Ein weißes Kleid mit gelben Zitronen und grünen Blättern draufgedruckt, ein ehemals teures Cocktail-Kleid, was ich mir in New Orleans für 1 Dollar im Second-Hand-Laden gekauft hatte. Ich fuhr mit meinem kleinen, öltropfenden Gebrauchtwagen durch die mir so sehr vertraute Landschaft, die Landschaft, die mir eigentlich stets genügend Gründe gibt, für immer und uneingeschränkt glücklich zu sein. Doch das war ich in dem Moment nicht.

Mein einziger Gedanke galt den naheliegenden Klippen. Wie hoch sie wohl sind, wie es wohl wäre, wenn ich mich mit meinen Wagen einfach in den wilden Atlantik fallen lassen würde, ein kurzer Tieffall, und endlich Ruhe, oder vielleicht wäre doch eine sicherere Methode besser, schneller, schmerzfreier - und dann musste ich an meine Kinder denken. Die Tränen liefen mir im Sekundentakt die Wange runter und trockneten in der trägen Sommerhitze auch genauso schnell wieder, eine kaum merkliche Salzspur hinter sich herziehend. Was ist nur aus mir geworden, wo bin ich, wer bin ich überhaupt?

Tiefpunkte sind gut. Sie wecken und rütteln uns auf. Reiß Dich zusammen! Hör auf damit! Es reicht!

Es reicht.

Es ist schwer, mit Freunden über solche Momente und Gedanken zu reden. Auch mit den Guten, oder gerade mit ihnen. Zum einem will man sie nicht unnötig beunruhigen, nicht, dass übertriebene Sorge ausgelöst wird und sie sich dann noch schlechter fühlen als man sich selbst. (Wie würdest du reagieren, wenn dir dein bester Freund sagt, er hat keine Lust mehr zu leben?). Zum anderen will man es nicht zugeben, dass es wirklich gerade so aussichtslos aussieht. Man will nicht drüber reden, weil es dann noch realer wird, und man es nicht wieder zurücknehmen kann.

Ich bin der Meinung, man kann alles nur Erdenkliche sagen und vermitteln, es kommt aber immer darauf an, wie man es sagt. Das Was und das Wie sollte stets vorsichtig überdacht werden. Wörter. Sie sprechen alles so deutlich aus. Sie beunruhigen, sie verletzen, sie stärken. Ich denke viel und oft über die Macht der Sprache nach, nicht nur wegen meiner zwei Söhne, die Wörter nicht nur nicht sprechen, sondern auch nicht verstehen können, sondern auch weil Wörter, für mich persönlich, mein liebstes und allgegenwärtigstes Medium sind.

Ja, und heute ist es ein Jahr her, dass ich es geschafft habe, mich aufzurappeln, den Schlussstrich zu ziehen. Die Metamorphose ist noch nicht ganz vollendet, einige Ecken und Enden müssen noch geglättet und gehobelt werden. Doch erwarte ich jetzt auch nicht mehr, dass ich wieder zu dem glücklichsten Menschen der Welt werde. Ich will einfach wieder glücklich sein, das reicht. Genauso glücklich wie alle anderen auch. Vielleicht ist Metamorphose auch nicht das richtige Wort dafür, denn das Leben wiederholt sich, es ist eine unendliche Geschichte, in dem der Tod das einzig sichere ist.

Das Leben bringt oftmals unverhoffte und unerwartete Wendungen mit sich. Das Gefühl von Sicherheit ist ein Trugschluss, das wissen wir heute, mehr als je zuvor. Man weiß nie, was passieren kann, wir können nicht vorausschauen, wie hoch wir steigen oder tief wir fallen - wir können aber auf einer persönlichen Ebene selbst entscheiden, wie wir mit den Dingen, die uns widerfahren, umgehen - und darin liegt die Kraft.

Wir haben uns in diesem Fall entschieden, über das Thema Suizid zu berichten. Leider kann es passieren, dass depressiv veranlagte Menschen sich nach Berichten dieser Art in der Ansicht bestärkt sehen, dass das Leben wenig Sinn habe. Sollte es Ihnen so ergehen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge: www.telefonseelsorge.de. Hilfe finden Sie bei kostenlosen Hotlines wie 0800-1110111oder 0800 1110222. Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111.

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