Darf man Demonstranten filmen?

Gaza-Camp vor dem Reichstag – „Finger weg, sonst knallt’s!“

von Julian Adrat

Die herbeieilende Polizei weiß es auch nicht genau.© Quelle: Julian Adrat

„Einsatzkräfte bedrängt, angegriffen und bespuckt, Ausschreitungen bei propalästinensischem Protestcamp in Berlin – mehrere Menschen verletzt“: Die Meldung ist vier Tage alt, als ich mein Fahrrad abstelle und mich im Nieselregen von hinten dem Camp nähere.

Etwa vierzig Zelte, gegenüber der Wiese der Reichstag, das Kanzleramt linker Hand, Deutschlandflaggen und die Kuppel des Fernsehturms. Ich filme mit dem Handy. Ein Mann nahöstlichen Aussehens, etwa Mitte vierzig, verkriecht sich zurück in sein Quechua-Zelt. Ein jüngerer Mann mit Kapuze und rotem Palästinenserschal tritt rauchend auf mich zu. „Was geht“, frage ich ihn.

Er heißt Adam, kommt aus England und fragt mich auf Englisch, warum ich filme und warum ich hier sei? Neugier, antwortete ich ihm. Er bittet mich, das Camp zu verlassen. Es sei öffentlicher Boden, antworte ich. Das stimmt, aber sie würden mich bitten, ihre Privatsphäre zu achten.

Was er hier mache, frage ich. Er sei Teil des Protests. Gegen was sie protestieren, frage ich, und er bittet mich, ihm zum Infostand zu folgen. Drei Mannschaftswagen der Polizei stehen am Rande des Camps, wenn er Probleme habe, dass ich mich auf öffentlichem Grund bewege, solle er sich an sie wenden, ich würde erst ein wenig umherlaufen und „a nice Video“ machen.

Ich gehe weiter und mich begleiten ein weiterer Mann in gelber Jacke und einer in schwarzer Jacke. Eine junge Frau in roter Jacke, mit roten Handschuhen und Palästinenserschal eilt auf mich zu, mit einem langen „Heeeey“, greift nach meinem Handy und fragt mich, ob ich Journalist sei. Vielleicht, sage ich. Fassen Sie mein Handy nicht an!

Auch sie weise ich auf die Polizei hin. Es sei verdammt schwierig, Menschen nicht ins Gesicht zu filmen, wenn sie vor die Linse springen, sage ich, es sei öffentlicher Raum, ein öffentlicher Protest, warum solle ich als Bürger nicht filmen dürfen? Sie bleibt hinter mir, mit dem steten Versuch, ihre Handschuhe entweder vor mein Handy oder vor ihr Gesicht zu halten. Ich bin ein immer größerer Fan des Weitwinkelobjektivs des iPhones.

Eigentlich rieselt es nicht einmal mehr, aber ein anderer junger Mann folgt der jungen Frau und hält konstant einen Schirm über sie. Auf einer langen weißen Decke sind alle möglichen Drogerieartikel aufgebahrt: Binden, Toilettenpapier von Hakle, Tampons, Sonnenmilch, auch Nudelsorten, ein Spielzeugbagger, Krücken. Die „Ausstellung“ dürfe ich filmen, aber nicht die Leute. Ich könne nichts dafür, wenn sie in mein Handy reinlaufe, antworte ich, ich könne ja nicht zaubern.

Finger weg, sonst knallt's!, sage ich. Sie ist nun wütend, das sei eine Drohung gewesen, sie verweise mich des Platzes. Das Polizeiauto ist keine zwanzig Meter entfernt, auf das ich sie erneut verweise, aber sie folgt mir. Gegenüber der Ansammlung auf dem weißen Banner ein Blütenmeer, auf dem Namensbänder liegen. „Muhammad Jamal Ali Abu Hilal, 12“, „Mustafa Sami Youssef S…“, die meisten Namen sind so lang, dass sie nicht ganz zu sehen sind, die meisten sind jung.
 

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Ich laufe jetzt die Vorderseite des Camps ab. Große Banner: „Stoppt die Waffenlieferungen“, „Völkermord. Deutschland ist wieder dabei“. Mich begleitet die Dame in Rot. Ich könne überhaupt nicht verstehen, warum sie nicht wolle, dass ich filme, sie hätten sich solche Mühe gegeben, so viel Liebe zum Detail. Ich bitte sie nochmal, sich an die Polizei zu wenden. Im Rasen liegt auf einer Palästinenserflagge eine im Palästinenserschal eingewickelte Babypuppe.

Adam ist wieder da und bittet mich, zu gehen. Der junge Mann in der schwarzen Jacke fragt mich, ob ich ein Nazi sei. Nazi? Was ist ein Nazi?, frage ich. Der Mann in der gelben Jacke stellt sich vor ihn und hält ihn zurück. Did you just call me a Nazi?, frage ich.
Die „Ausstellung“ habe ich jetzt hinter mir und ich laufe zu einer Gruppe Polizisten, die sich im Gespräch mit der Dame in Rot befinden. Es stimme tatsächlich, erklärt mit die Polizistin, als Hausherr dürfe mich die Demoleiterin des Platzes verweisen, es sei denn, ich bin Journalist.

Eigentlich, so muss ich denken, ein Wissen, das in einem Rechtsstaat zur Schulbildung gehören sollte. Die Demo ginge schon seit mehreren Tagen, erklärt mir ein anderer Polizist, und sie werde auch noch einige Tage andauern. Abends fänden hier Redebeiträge statt.

Was Google konkretisiert, als ich zu Hause bin: Die Demo war ursprünglich bis zum 15. April angemeldet, wurde aber bis zum 22. April verlängert. Dass eine Demo verlängert wird, aus der Gewalt gegen Polizisten hervorging, erschließt sich mir nicht. Fakt ist: Die kamerascheuen Israelhasser haben mächtige Verbündete in Berlin.

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