Kann weg: 400 Millionen Tonnen Plastikmüll jährlich – Wohin, woher, weshalb?

Genf und der Müllberg: UN-Verhandlungen gegen Plastikflut gestartet

von Gregor Leip (Kommentare: 7)

Aufgegessen, angeschwemmt© Quelle: Pixabay/Filmbetrachter

Ein 4000-Meter-Würfel aus Plastikmüll bedroht die Welt, während Aldi, Lidl und Co. ungebremst Verpackungen produzieren. In Genf kämpfen 184 Staaten um ein UN-Abkommen gegen die Plastikkrise, doch der deutsche „Grüne Punkt“ bleibt ein Beruhigungsmärchen. Und warum landet unser Müll trotzdem in Asiens Meeren?

Von Gregor Leip

400 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert die Menschheit jährlich. Wissenschaft.de hat versucht, zu berechnen, wie viele Liter Öl für die Plastikherstellung benötigt werden. Das Portal wollte wissen: Wie viel Erdöl steckt in einer Polyethylen-Einkaufstüte? Antwort:

Aus einem Kilo Erdöl gewinnt man ein knappes halbes Kilo Polyethylen, teilt das Umweltbundesamt mit. Da man für die Tütenherstellung noch Erdgas und Energie benötigt, kann man mit dem Verhältnis 2 zu 1 rechnen. Eine durchschnittliche Einkaufstüte wiegt etwa 20 Gramm. Für deren Produktion braucht man also 40 Gramm Erdöl. Da ein Liter Öl rund 800 Gramm wiegt, benötigt die Herstellung dieser Plastiktüte 50 Milliliter oder ein Zwanzigstel Liter Erdöl.“

Vereinfacht zusammengefasst: Für die genannten 400 Millionen Tonnen Plastikmüll braucht es hinsichtlich des Gewichts eine noch höhere Menge an Öl. Neun Milliarden Tonnen Plastikmüll hat die Menschheit bisher insgesamt produziert.

Weitere Vergleichsgröße: Der Ölverbrauch für Personenkraftwagen liegt etwa bei einem Viertel der Menge und für Plastik bei rund zehn Prozent.

Wenn wir den bis heute von der Menschheit produzierten Plastikmüll nehmen und zu einem Würfel aufschichten, hätte dieser Würfel eine Kantenlänge von über 4000 Metern, verdichtet eine Kantenlänge von über 2000 Metern. Unverdichtet kann die Plastikmüllmenge also mit dem Mount Everest konkurrieren (eher Kegelform). Jetzt verhandeln in Genf 184 Staaten darüber, wie diese gigantische Menge an Plastikmüll reduziert werden kann.

Zunächst ist die Menge von 400 Millionen Tonnen pro Jahr unfassbar hoch, zumal Plastik leicht ist und im Volumen noch unvorstellbarer erscheint (siehe die vorangehende Berechnung).

Unklar bleibt in der Medienberichterstattung zum Genfer Treffen, wie viel dieser 400 Millionen Tonnen jährlich im Kreislauf verbleiben und wie viele Millionen Tonnen beispielsweise verbrannt oder recycelt wiederverwendet werden. 22 Prozent der Plastikmüllmenge sollen zudem, so wird berichtet, illegal entsorgt werden.

Wie ist die Situation und Entwicklung in Deutschland? Discounter, allen voran die drei großen Ketten Aldi, Lidl und Netto, kommen ohne Plastikverpackungen längst nicht mehr aus.

Historisch betrachtet hat Aldi mit seinen Filialen mit dem Abverkauf seiner Warenpalette aus dem Karton begonnen. Der Verkauf von Frischwaren blieb zunächst dem Einzelhandel, dem Gemüsehändler, Schlachter, Fischverkäufer und Käseladen vorbehalten. Ohne die notwendige Verpackung und Verschweißung von Frischwaren in Plastikfolie waren Gemüse, Obst, Käseprodukte und Fleischwaren nur als haltbare Dauerwaren erhältlich – natürlich wurden auch hier Verpackungen benötigt.

Verpackungen unterliegen vielfach strengen nationalen und europäischen Auflagen. Immer mehr erweiterten die Discounter seit ihrer Gründung ihr Angebot bis hin zu riesigen offenen Kühltheken mit in Folie eingeschweißten Frischwaren.

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In Deutschland gibt es etwa 15.000 Discounter – jeweils mit meterlangen offenen Kühltheken. Wer kennt sie nicht, die wohlige Discounter-Gänsehaut, wenn man im Sommer durch den Laden geht – noch gesteigert, wenn man an den um 2–4 Grad heruntergekühlten offenen Kühltheken vorbeigeht? Hier wäre eine Energieverbrauchsberechnung pro Jahr mal interessant. Der Billigdiscounter ist ein wichtiges Volkssedativum – noch traut sich der grüne Staat nicht an diese Kühlungen in den Konsumtempeln.

Im Jahr 2020 feierte der „Grüne Punkt“ sein 30-jähriges Jubiläum. Wer jetzt vermutet, das ginge auf die Kappe der Grünen, sie hätten hier maßgeblich für die Einführung gesorgt, der irrt: Der 2024 verstorbene CDU-Bundesumweltminister Klaus Töpfer verlangte damals von Unternehmen, die Verpackungen nach Gebrauch zurückzunehmen und einer Verwertung zuzuführen.

Wozu führte das alles in den folgenden Jahrzehnten? Die Deutschen gehören weltweit zu den fleißigsten Mülltrennern.

Aber hinter dieser Sammel- und Trennwut verbirgt sich ein Wehmutstropfen: Die Verpackungsindustrie und vornehmlich die vom Verkauf der plastikverpackten Waren profitierenden Discounter erreichten einen anhaltenden, ungebremsten Verkauf ihrer Waren nach dem Motto: Die Umverpackungen werden doch anschließend vernünftig entsorgt, so die Beruhigung.

Werden die sorgsam getrennten Verpackungen wirklich durch Recycling dem Kreislauf wieder zugeführt und belasten somit die Umwelt nicht?
Das Sammeln, Granulieren und Wiederverwenden ist längst im Bewusstsein der Kunden etabliert. Minister Töpfer und die Unternehmen hatten ihr Ziel erreicht: Weiteres ungebremstes Verkaufen von plastikverpackten Waren.

In den letzten Jahren wird allerdings zunehmend klarer, dass die Trennung von Plastikmüll nicht zur erhofften umfassenden Kreislaufwirtschaft geführt hat. Die Kunden wurden getäuscht. Und sie ließen sich vielfach gern täuschen – eine sedierte Bequemlichkeit.

Politik und produzierende Unternehmen haben durch die Einführung des Grünen Punktes eben nicht nur für eine umweltgerechte Verwertung gesorgt, sondern einen riesigen Täuschungs- und Beruhigungsapparat aufgebaut, der dafür gesorgt hat, dass die Kunden weiterhin ungebremst Plastikverpackungen akzeptieren in der scheinbaren Gewissheit, dass sie einer umweltneutralen Kreislaufwirtschaft unterliegen.

Ein Teil des geflissentlich getrennten Plastikmülls wird – dem deutschen Kunden und Weltmeister im Mülltrennen weitestgehend unbekannt – einfach nach Asien verschifft, dort umweltschädlich verbrannt oder einfach irgendwo verklappt. 2023 seien rund 158.000 Tonnen Kunststoff-Abfälle aus der Bundesrepublik dorthin transportiert worden und damit circa 51.000 Tonnen mehr als ein Jahr zuvor, teilte etwa der Entsorgungsverband BDE mit.

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