„Mir scheint, dass dem FPD-Chef das Rückgrat gebrochen worden ist“

Hans-Georg Maaßen: „Lindners FDP unterstützt die öko-sozialistischen Wunschvorstellungen der Grünen“

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 4)

Hans-Georg Maaßen erinnert sich an die Anfänge der Verwerfungen um Deutschland und geht dabei zurück bis zu Helmut Kohl. Die FDP hat sich für Maaßen dem woken grünen Öko-Sozialismus längst ergeben.© Quelle: privat

Die Projekte, die Frau Merkel vertrat, hatten für den ehemaligen Chef des Bundesverfassungsschutzes mit der CDU nichts zu tun: Die völlige Aufgabe der Kontrolle der illegalen Einwanderung nach Deutschland, die faktische Einschränkung der freien Meinungsäußerung – auch innerhalb der Partei – durch Cancel-Culture und Deplatforming, die Aushebelung der sozialen Marktwirtschaft unter dem Vorwand des Klimaschutzes und die unglaubliche Einschränkung von Grund- und Bürgerrechten durch Merkels Coronapolitik und vieles mehr.

Im Gespräch mit Dr. Hans-Georg Maaßen fragen wir aber zunächst nach dem amtierenden Bundesjustizminister:

Alexander Wallasch: Marco Buschmann (FDP) hat angekündigt, dass im Herbst die Maskenpflicht wieder kommen soll. Parallel darf Parteivize Wolfgang Kubicki noch ein bisschen gegen Gott und die Welt stänkern. Das führt dann nicht einmal mehr zu internen Diskussionen oder gar Streitigkeiten. Es läuft sich einfach aus wie ein warmer Käse. Was zu der Frage führt: Was ist eigentlich mit der FDP passiert?

Hans-Georg Maaßen: Ich kenne eine ganze Reihe von FDP-Wählern und FDP-Mitgliedern, die mir nahezu unisono sagen, sie hätten zwar die FDP gewählt und sie im Bundestagswahlkampf unterstützt, aber mittlerweile fühlen sie sich von der FDP verraten. Sie hatten im September nicht die FDP gewählt, um jetzt dieses 9-Euro-Ticket zu haben. Sie haben nicht die FDP gewählt wegen des Selbstbestimmungsgesetzes für Transsexuelle oder des Co-Mutterschaftsgesetzes für Lesben. Sie haben die FDP nicht für die vielen rot-grünen Projekte gewählt, für welche die Partei jetzt steht.

Ich glaube, es gibt eine sehr, sehr große Enttäuschung bei den Wählern. Und der Hintergrund mag sein, dass man die FDP vor Beginn der Koalitionsverhandlungen in Teilen über den Tisch gezogen hatte mit dem Sondierungsgespräch, wo das Ergebnis so aussah, dass die FDP ihre Punkte bekommen würde und die FDP danach nicht mehr die Koalitionsverhandlungen abbrechen konnte. In den Koalitionsverhandlungen sind die ganzen sozialistischen Übeltaten dann erst in den Vertrag hineingeschrieben worden.

Dazu muss man sehen, dass die FDP sich personell in den letzten Jahren stark verändert hat. Das ist nicht mehr die Partei eines Guido Westerwelles oder gar von einem Genscher oder Bangemann. Nein, sie ist mit dem linken Mainstream geschwommen und ist zu einer mehr und mehr grün-woken Partei geworden, die heute im Bundestag sitzt. Auch wenn das viele Mitglieder und erst recht die meisten Wähler bislang noch nicht verstanden haben.

Und ich kann mir auch vorstellen, dass Christian Lindner mittlerweile persönlich ziemlich frustriert ist über die Politik der Ampel-Regierung, dass es mich nicht wundern würde, wenn er eines Tages alles hinschmeißt, weil er sieht, dass er in der Regierung keine FDP-Politik machen kann.

Alexander Wallasch: Teilweise entstand allerdings der Eindruck, als ginge es Lindner nur um den Ministerposten. Vor der Bundestagswahl drohte eine rot-rot-grüne Koalition. Dann kam die Ampelkoalition. Da haben ja viele noch mal aufgeatmet und auf die FDP als ein Regulativ gehofft. Also zur Frage: Welchen Unterschied gibt es aktuell zwischen der Ampel und dem, was man von Rot-Rot-Rot-Grün zu fürchten hatte? Erkennen Sie einen?

Hans-Georg Maaßen: Ich glaube, dass viele FDP-Wähler und Mitglieder gerade dieses Gefühl haben, das sie beschrieben haben: Man hat FDP gewählt, in der Hoffnung gegenüber linken Parteien, aber auch gegenüber den Linken in der CDU und CSU, die FDP als Regulativ zu haben.

Die FDP hatte von sich selbst immer erklärt, sie sei die Partei der Marktwirtschaft, der Freiheit und der Bürgerrechte. Nun muss man zur Kenntnis nehmen, dass sie eine gegenteilige Politik macht: Sie unterstützt die öko-sozialistischen Wunschvorstellungen der Grünen, die sich für eine Klima-Planwirtschaft in Deutschland einsetzen. Hinzu kommen die zahlreichen linken Projekte, die deutsche Gesellschaft in eine Regenbogenrepublik umzuwandeln, bis hin zu den Ankündigungen, ab Herbst wieder die Grundrechte unter dem Vorwand der Coronabekämpfung einschränken zu wollen. Da sagt natürlich jeder, der noch seine Sinne beisammen hat: Diese FDP ist keine freie demokratische Partei mehr, sondern es ist eine Partei, die sich jetzt für weniger Freiheit, für Planwirtschaft und Sozialismus einsetzt.

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Alexander Wallasch: Aber es klingt doch ein bisschen wie die Spiegelung desselben Problems, welches die CDU-Wähler und CDU-Mitglieder einige Jahre zuvor erlebten. Das ist dann allerdings im Falle der FDP noch mal doppelt verwerflich, weil es ja schon einmal vorexerziert wurde in der CDU, was passieren kann, wenn alles nach und nach wegbricht Richtung Rot-Grün. Oder ist das einfach der neue Zeitgeist?

Hans-Georg Maaßen: Ja, in der Tat, bei der CDU war es vor Jahren deutlich geworden, dass sie unter Frau Merkel eine linke Partei wurde. Die Projekte, die Frau Merkel vertrat, hatten eigentlich mit der CDU nichts zu tun. Eine völlige Aufgabe der Kontrolle der illegalen Einwanderung nach Deutschland, die faktische Einschränkung der freien Meinungsäußerung – auch innerhalb der Partei – durch Cancel-Culture und Deplatforming, Aushebelung der sozialen Marktwirtschaft unter dem Vorwand des Klimaschutzes und die unglaubliche Einschränkung von Grund- und Bürgerrechten durch ihre Coronapolitik und vieles mehr.

Und jetzt merkt man das auch bei der FDP, weil sie nun auch regiert. Als sie in der Opposition war, war noch nicht so aufgefallen, dass sie auch schon zum damaligen Zeitpunkt schleichend einen Linkskurs vollzogen hatte.

Alexander Wallasch: Was dachten Sie persönlich 2017, als Lindner die Koalitionsverhandlungen hingeschmissen hat? Das war doch eigentlich ein Moment großer liberaler Selbstsicherheit. Ist das etwas, dass man positiv reflektieren kann heute? Oder Käse von gestern?

Hans-Georg Maaßen: Ich hatte ihm damals noch per SMS gratuliert, dass er die Koalitionsverhandlungen hat platzen lassen, weil ich es auch persönlich richtig finde, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren. Zum damaligen Zeitpunkt zeigte er damit politisches Rückgrat.

Heute scheint Christian Lindner ein solches Rückgrat zu fehlen, ansonsten würde er nicht die ganzen linken Projekte mitmachen. Es scheint, dass ihm das Rückgrat gebrochen worden ist. Und heute scheinen ihm und auch anderen FDP-Politikern, die mit ihm am Kabinettstisch sitzen, Ministerposten und Dienstwagen wichtiger als die Durchsetzung von richtigen politischen Zielen.

Alexander Wallasch: Sie haben ja deutsche Bundesminister aus nächster Nähe kennengelernt. Sind das alles schlimme Karrieristen? Oder wie sonst muss man sich erklären, dass einer wie Lindner so seine Werte über Bord werfen kann für einen Ministerposten?

Hans-Georg Maaßen: Ich glaube, viele dieser Politiker fühlen sich mit der Berufung zum Bundesminister am Ziel ihrer Träume. Und für sie ist es sehr wichtig, Bundesminister oder zumindest Parlamentarischer Staatssekretär zu sein. Als Bundesminister ist man wichtig, man wird von hunderten von Ministerialbeamten hofiert, kann im In- und Ausland mit den wichtigsten Persönlichkeiten zusammentreffen und in den besten Restaurants essen, kann teilweise mit einem eigenen Airbus der Bundesregierung fliegen, kann einen Apparat von Ministerialbeamten dirigieren, die einem den Wunsch von den Lippen ablesen.

Das wird dann für die Betreffenden zur neuen Normalität, die dann nach einiger Zeit glauben, dass sie persönlich wirklich so großartig sind, wie ihre Mitarbeiter ihnen sagen, dass sie das alles verdient haben. Und sie wollen das natürlich nicht mehr aufgeben.

Es wird für viele von ihnen ein unglaublicher Schock, wenn sie dann abgewählt werden und ein anderer, den sie vielleicht zuvor geringschätzten, diesen Ministerposten mit allen Privilegien übernimmt und sie selbst dann wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen.

Alexander Wallasch: Ihre Position als Chef des Bundesverfassungsschutzes war auch von den Privilegien her fast ministergleich. Haben Sie gerade auch ein stückweit aus eigener Erfahrung gesprochen? Das muss ja für Sie auch ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein.

Hans-Georg Maaßen: Na ja, bei mir war es schon so, dass ich zu dem damaligen Zeitpunkt eine lange Karriere hinter mir hatte. Ich kam also nicht aus dem Nichts, sondern hatte über zwanzig Jahre als Ministerialbeamter gearbeitet. Es war für mich nur ein weiterer Karriereschritt, als ich Präsident des Bundesverfassungsschutzes wurde. Ich hatte es aber als ein Privileg angesehen, diese lange Karriere mit der Berufung zum Verfassungsschutzpräsidenten krönen zu dürfen.

Welcher Karrierebeamte hat schon die Möglichkeit, Chef eines Nachrichtendienstes in einer Funktion vergleichbar mit der eines Drei-Sterne-Generals zu werden? Die Privilegien, die an dieser Funktion hingen, hatten mich nicht besonders interessiert, da ich durch meine lange Zeit als einfacher Beamter geerdet war und genau wusste, dass die Privilegien oder die Wertschätzung, die mir entgegengebracht wird, nicht an meiner Person hängen, sondern an der Funktion.

Nach meiner Berufung 2012 zum Verfassungsschutzchef hatte ich dem damaligen Innenminister Minister Hans-Peter Friedrich gesagt, dass ich nicht auf unabsehbare Zeit Verfassungsschutzchef sein möchte, sondern für längstens sieben Jahre. Ich hatte mir gesagt, man muss als leitender Beamter auch den Job wechseln und wieder einmal etwas anderes machen, und man darf sich auch nicht zu sehr an so einen Job gewöhnen. Das ist schlecht für einen selbst, denn man entwickelt sich nicht mehr weiter und fühlt sich schlimmstenfalls wie ein kleiner Sonnenkönig. Und es ist auch schlecht für den Apparat, wenn der Apparat von einem Sonnenkönig regiert wird, der die Bodenhaftung verliert.

Ich war immer dafür, dass leitende Beamte wechseln müssen. Und ich bin auch sehr dankbar, dass ich mit Mitte Fünfzig als Verfassungsschutzpräsident ausgeschieden bin, denn das ist ein Alter, in dem man noch etwas komplett anderes machen kann. Und ich bin damit eigentlich sehr zufrieden.

Alexander Wallasch: Von Joschka Fischer ist überliefert, als sie alle auf dem Podium standen zur Vereidigung als Minister, da soll er zu Otto Schily gesagt haben in etwa: "Kneif mich mal, ich glaube, ich träume." Also hier klingt das alles andere als geerdet. Das war für Fischer vollkommen unbegreiflich. In dem Moment jedenfalls.

Hans-Georg Maaßen: Sie müssen es aber auch so sehen: Wo kommt diese Sorte von Politikern denn auch her? Das sind Leute, die kommen aus der Partei, die haben gelernt, wie man innerhalb der Parteien durch Netzwerke, Seilschaften, Deals und Tricks in die allererste Reihe kommt. Sie wissen, wie man sich Journalisten gewogen hält und wie man Mehrheiten organisiert, um auf der Landesliste ganz oben zu sein. Das können sie. Diese Techniken der Parteipolitik beherrschen sie ausgesprochen gut. Aber im Zweifel haben sie keinen Beruf, mit dem man Geld verdienen kann und haben im Leben auch sonst noch nichts Wesentliches geleistet.

Und dann kommen sie zu dem Privileg, eine derart wichtige Funktion zu haben, und dürfen ein Heer von Mitarbeitern dirigieren, alle mit einer wesentlich besseren Ausbildung und jahrzehntelanger Erfahrung und Lebensleistung. Sie werden an die Spitze eines Apparates und eines Landes gestellt und dürfen über die Zukunft dieser Menschen entscheiden. Da können Sie sich natürlich vorstellen, dass jemand, der in die Funktion kommt sagt: "Kneif mich bitte, ich kann es gar nicht glauben."

Wenn man Ihnen sagen würde, Herr Wallasch, Sie werden aufgrund eines Koalitionsvertrages und wegen eines Parteibuches Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, da werden Sie vielleicht sagen: Klassische Musik habe ich immer schon gerne gemocht, und ich habe auch unter der Dusche gesungen. Und ich habe auch zu Hause mal vor dem Weihnachtsbaum dirigiert. Aber gut, wenn ich das machen soll, dann mache ich das. Ich fühle mich sehr gut.

Ich glaube, es besteht auch ein großer Unterschied zwischen den normalen und gewöhnlichen Menschen, zu denen ich mich auch zähle, und dieser Sorte Berufspolitiker. Wir wüssten, wenn wir etwas nicht können, oder wir hätten zumindest Selbstzweifel und würden uns sagen, dass es vermutlich jemanden gibt, der es besser kann. Und wir würden das Amt im Zweifel nicht annehmen. Und wenn wir es dennoch annehmen würden, wären wir doch so geerdet, dass wir wüssten, dass wir die Funktion nicht deshalb erhalten haben, weil wir als Dirigent so herausragend sind, sondern wegen der Partei oder einer Quotenregelung.

Aber bei diesen Berufspolitikern, die dann in diese Spitzenämter hochrutschen, ist es nicht selten so, dass sie tatsächlich von ihrer Brillianz und Genialität überzeugt sind. Und sie werden darin oftmals von kritiklosen Journalisten bestätigt, die allein das Heben des Dirigentenstabes als große Leistung herausstellen.

Und bei Joschka Fischer, den Sie erwähnten, und anderen Politikern mit ähnlicher politischer Herkunft kommt noch etwas anderes hinzu: Er hatte ursprünglich als gewaltbereiter linker Straßenkämpfer den Staat bekämpft und wurde dann einer der obersten Repräsentanten des Staates. Dies war nur möglich, weil er die Taktik änderte und den Weg durch die Institutionen wählte. Wie dies im Übrigen viele Linke machten.

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Alexander Wallasch: Trotz alledem. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Menschen nicht glücklich sind. Also wenn ich mir einen Lauterbach angucke, wenn ich mir einen Buschmann angucke, wenn ich mir den Lindner anschaue, das sind doch keine entspannten, relaxten Persönlichkeiten. Die stehen unter einem wahnsinnigen Druck. Es ist mir vollkommen schleierhaft, wie man so etwas eingehen kann und sagt ich mache es trotzdem.

Hans-Georg Maaßen: Ja, natürlich. Sie merken nach wenigen Tagen im Ministeramt, dass es ein Unterschied ist, Minister zu spielen oder Minister zu sein. Und Minister sein, ist etwas anderes als Interviews geben, in Parteisitzungen zu reden und an politischen Deals zu arbeiten.

Ein Ministerium zu führen, bedeutet auch harte Arbeit; Akten zu lesen, sie zu verstehen und zu memorieren, Rücksprachen mit Mitarbeitern zu führen, die einem in der Sache weit überlegen sind, komplizierte juristische und fachliche Fragen zu verstehen und sich eine eigene Meinung zu bilden, ohne sich von den Fachleuten manipulieren zu lassen. Als ich Präsident des Verfassungsschutzes war, hatte ich fast täglich ein Aktenvolumen von mehreren Pilotenkoffern zu bearbeiteten. Die Akten muss man wirklich durcharbeiten und das heißt, nicht einfach abzeichnen, sondern den Inhalt draufhaben.

Alexander Wallasch: Bitte noch mal kurz ein Sprung in den größeren Rahmen: Politik entlang irgendwelcher, spezifisch deutscher Interessen scheint der Vergangenheit anzugehören. Ich erinnere mich noch an Bundespräsident Roman Herzog. Der hat nämlich 2007 mal angemerkt, dass hierzulande über 80 Prozent der Gesetze durch die EU bestimmt würden. Gibt es da entlang überhaupt noch Vertreter deutscher Werte und Interessen? Gibt es überhaupt noch irgendwas, was man das Eigene nennen könnte? Oder ist das Europäische schon das deutsche Eigene? Ich bin da etwas ratlos.

Hans-Georg Maaßen: Ich habe den Eindruck, es gab und gibt viele Politiker, auch in der CDU, die die Vorstellung hatten, der Gipfel des neuen Deutschseins bestünde darin, dass Deutschland in der EU komplett aufgeht, sich auflöst und verschwindet.

Sie träumten von den Vereinigten Staaten von Europa. Das war ein Traum, der noch in Brüssel und Luxemburg, aber sonst fast nirgends in Europa geträumt wurde. Aber diese Politiker meinten es ernst und arbeiteten unermüdlich daran. Und das wurde leider auch von der CDU betrieben. Damit ist in großem Umfang an die EU nationale Souveränität unter Aufgabe der demokratischen Kontrolle abgegeben worden.

Die Abgabe nationaler Souveränität bedeutet aber auch die Abgabe von Volkssouveränität, und das ist das Grundprinzip unserer Demokratie: Das Volk soll über sein Schicksal selbst entscheiden und nicht ein fernes Gremium von Beamten, Experten oder Berufspolitikern. Dadurch, dass nationale Souveränität in großem Umfang an supranationale Einrichtungen wie die EU weggegeben worden ist, ist die Volkssouveränität in gleicher Weise eingeschränkt worden. Und die Institutionen in Brüssel agieren in weiten Teilen selbstherrlich und fern von jeder demokratischen Legitimation.

Alexander Wallasch: Das wurde der UN ja auch schon vorgeworfen. Das wäre ein ähnliches Konstrukt.

Hans-Georg Maaßen: Ja, bei den UN ist es noch gravierender, weil die UN noch weiter entfernt sind von einer Kontrolle durch das Volk. Die Abgabe nationaler Souveränität an die UN bedeutet die Abgabe demokratischer Kontrolle durch das Volk an ein intransparentes supranationales Gebilde.

Ich muss sagen, aus demokratischer Sicht ist der jetzige Zustand der fortlaufenden Kompetenzabgabe zum Beispiel an die WHO nicht mehr hinnehmbar, weil die Volkssouveränität ausgehöhlt wird. Es hat sich eine Situation entwickelt, in der das Volk bzw. die gewählte Volksvertretung über entscheidende Fragen nicht mehr entscheiden kann, sondern Entscheidungen, die von intransparenten Experten-, Politiker- oder Beamtengremien getroffen werden, zur Kenntnis nehmen muss.

In der EU werden die europäischen Institutionen von einem Europäischen Parlament kontrolliert, in dem die deutsche Stimme weniger wert ist als die maltesische Stimme oder die Luxemburger Stimme. Das Europäische Parlament kann man einen Rat nennen, aber es ist kein Parlament, es ist keine Volksvertretung, weil nicht der Grundsatz gilt „one man, one vote“.

Alexander Wallasch: Das finde ich spannend. Denn das ist ja der Eindruck, den man auch hatte bei Angela Merkel, als es um die Zuwanderung ging. Als sie innenpolitisch auf Widerstand stieß, hatte doch auch Frau Merkel auf EU-Recht verwiesen.

Und dann kamen ein, zwei Jahre später von der UN die Flucht- und Migrationspakte, die zunächst nicht verbindlich waren. Die dann aber wiederum von der EU nach und nach verbindlich teilweise übernommen wurden. Ich habe mal in einem Artikel recherchiert, wer bei der UN eigentlich diese Flucht- und Migrationspakte aufgeschrieben und ausgearbeitet hat. Ich meine, da hatten auch Deutsche wiederum die Finger im Spiel. Das heißt, wenn man es in Deutschland als Angela Merkel hier nicht durchsetzen kann, dann geht man in die nächst höhere Instanz? Den Eindruck hatte ich jedenfalls damals.

Hans-Georg Maaßen: Das ist doch eine bewährte Taktik. Ich habe das so auch schon in den 90er Jahren erlebt. Wenn man es auf nationaler Ebene nicht durchsetzen kann, dann verhandelt man das auf Referenten- und Referatsleiterebene in Brüssel. Dann wird es einfach in Brüssel beschlossen. Und dann wundert sich der Bundestag, dass er nichts mehr machen kann.

Alexander Wallasch: Die Idee eines vereinten Europas von Helmut Kohl. Ich überlege gerade, wo der Unterschied zu Frau Merkel ist. Ganz aus dem Bauch heraus würde ich sagen, das hatte bei Kohl fast was Spirituelles. Das hatte irgendwas, wo man im Kern innerlich gerade noch mitgehen konnte. Bei Angela Merkel hatte das so was unattraktiv und trocken Bürokratisches. Ist das vielleicht der Unterschied?

Hans-Georg Maaßen: Ich glaube, bei Helmut Kohl war es in Teilen auch ideologisch begründet, dass er Europapolitik nicht mehr nur als Ausdruck des nationalen Interesses betrieben hatte. Die EU hatte bei ihm einen Eigenwert gehabt. Und aus meiner Sicht kann man als Bundeskanzler so nicht vorgehen, denn der Bundeskanzler ist der oberste Interessenverwalter, der oberste Anwalt der Nation.

Und er darf nicht aus seiner politischen Ideologie heraus sagen: Wir machen jetzt Europa, so oder so. Das fand ich bei Kohl nicht richtig. Seine Zielsetzung war eine Erweiterung und eine Vertiefung der europäischen Integration. Das hielt ich in Teilen auch für falsch, weil er ideologisch und nicht auf der Grundlage des nationalen Interesses gehandelt hatte. Und er dachte nicht in großen Zeiträumen, sondern im zeitlichen Rahmen seiner beschränkten Lebenszeit. Er wollte, dass entscheidende europäische Projekte während seiner Zeit durchgesetzt werden: Osterweiterung, Wegfall der Grenzen, Einführung des Euro usw. Er hat infolgedessen vieles überstürzt und vieles war nicht bis zum Ende gedacht. Und jetzt sehen wir in Teilen schon die Bruchlinien, in Teilen sehen wir die Risse, und wir spüren, dass das europäische Haus wenige Jahre nach dem Bau bereits einsturzgefährdet ist.

Wir sehen einen Euro, der nicht mehr das hält, was Kohl und Waigel seinerzeit versprochen haben. Er sollte so stabil sein wie die DM. Es sollten keine europäischen Schulden gemacht werden. Wir sehen das totale Desaster in der Migrationspolitik. Wir sehen ein Auseinanderdriften der EU. Das ist aus meiner Sicht der Tatsache geschuldet, dass Kohl vieles überstürzte und die europäische Integration nicht pragmatisch, sondern ideologisch gesehen hatte.

Angela Merkel handelte zwar auch ideologisch, aber auf eine andere Art. Sie hat der europäischen Integration massiv geschadet, indem sie Europa permanent mit neuen Aufgaben und neuen Kompetenzen belastete, was es nicht konnte. Dadurch hatte sie entscheidende Fragen über die Zukunft Deutschlands dem nationalen Souverän entzogen. Und Merkel hat Europa auch ein Stück weit sozialistischer gemacht, als es vorher war. Der Brexit wäre ohne die Merkelsche Migrationspolitik so nicht denkbar gewesen.

Alexander Wallasch: Als Helmut Kohl die Wiedervereinigung verhandelt hat, war die Aufgabe der Deutschen Mark der Preis dafür? Wissen Sie vielleicht eine Antwort auf diese schon oft gestellte Frage?

Hans-Georg Maaßen: Nein, ich habe darauf keine Antwort. Es wäre sehr interessant, die entsprechenden Akten in den Archiven des Kanzleramtes und des Auswärtigen Amtes zu studieren, um das herauszufinden. Oder die entsprechenden Akten in Paris oder Rom.

Alexander Wallasch: Also die Frage wäre, ob die DM geopfert wurde ...

Hans-Georg Maaßen: Das sind Zusammenhänge, die sind naheliegend, die drängen sich auf. Ja, ich glaube, im Interesse der historischen Wahrheit wäre es einfach wichtig, wenn man das aufklären würde und nicht spekulieren müsste.

Alexander Wallasch: Vielen Dank für das Gespräch.

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