Von Gregor Leip
Beim Hessischen Rundfunk (hr) wird unter dem Namen „HR Integrity Line“ ein internes Hinweisgebersystem eingeführt. Das Plakat, das am schwarzen Brett des Senders ausgehängt und Alexander-Wallasch.de zugespielt wurde, wirbt mit einem „zusätzlichen Kanal für die vertrauliche und – falls gewünscht – anonyme Abgabe von Hinweisen auf Verstöße gegen Gesetz und unsere internen Richtlinien“.
Es verspricht höchste Sicherheitsstandards: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, keine Speicherung von IP-Adressen, Löschung von Metadaten – angeblich alles, um die Identität des Meldenden zu schützen. Auf den ersten Blick soll das System „Fehlverhalten“ frühzeitig aufdecken und den Ruf des hr schützen. In Wahrheit schafft es jedoch ein Klima der Angst, in dem anonyme Denunziationen gegen Kolleginnen und Kollegen, die als „nicht linientreu“ empfunden werden, Tür und Tor geöffnet werden.
Da klingt der Begriff „Fehlverhalten“ beinahe verniedlichend nach Fräulein Rottenmeier aus „Heidi“. Aber hier werden im Extremfall gezielt Existenzen ganzer Familien vernichtet.
Zur Erinnerung: Der „Hessische Rundfunk“ ist kein Privatsender, sondern eine sogenannte „Anstalt des öffentlichen Rechts“, finanziert aus Zwangsbeiträgen aller deutschen Haushalte. Als Teil der ARD hat der „hr“ den gesetzlichen Auftrag, unabhängig, vielfältig und ausgewogen zu informieren und die freie Meinungsbildung zu fördern. Jeder weiß natürlich inzwischen, dass man sich nicht daran hält und Regierungsfernsehen macht, aber das Zwangsgebührenfernsehen behauptet tapfer das Gegenteil.
Aber deshalb nicht weniger verwerflich: In einer Institution, die von sich behauptet, der Pressefreiheit und Meinungsvielfalt verpflichtet zu sein, wird nun ein System installiert, das anonyme Meldungen nicht nur über gesetzliche Verstöße, sondern explizit auch über „interne Richtlinien“ erlaubt.
Was sind diese internen Richtlinien? Oft handelt es sich um vage formulierte Verhaltenscodizes zu „Diversität“, „Inklusion“, „respektvollem Umgang“ oder „politischer Neutralität“ – Begriffe, die in der Praxis hochgradig interpretationsfähig sind.
Eine abweichende Meinung in einer Redaktionssitzung, ein privater Kommentar in der Pause, eine als „nicht sensibel genug“ empfundene Formulierung – all das kann nun anonym als „Verstoß“ gemeldet werden. Der Melder bleibt geschützt, trägt keine Konsequenzen, selbst bei bewusster Falschmeldung. Der Beschuldigte hingegen steht plötzlich unter Verdacht: Interne Untersuchungen rollen an, oft geleitet von einer Abteilung, die längst nicht mehr nur für Personalfragen zuständig ist, sondern zunehmend als Ideologie-Wächter agiert.
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Ein solcher Verdacht kann Karrieren beschädigen, zu Ausgrenzung führen und ein Klima der Selbstzensur schaffen. Keine Frage: Das ist genau das Gegenteil einer offenen Debattenkultur, die ein öffentlich-rechtlicher Sender eigentlich verkörpern sollte. Der Konjunktiv steht hier wie ein gigantischer rosa Elefant im Raum!
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das solche Systeme seit 2023 vorschreibt, ist zwar zur Aufdeckung schwerer Missstände wie Korruption gedacht — und dafür ist der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk besonders anfällig! Beim Hessischen Rundfunk, wie in vielen öffentlichen Institutionen, wird dieses Denunziationssystem jetzt schlagkräftiges Werkzeug einer inneren Zersetzung.
Besagte Anonymität, die als Schutz für echte Whistleblower verkauft wird, entpuppt sich als Freibrief für Denunziation aus persönlicher Abneigung, Neid oder ideologischer Intoleranz. Falsche oder böswillige Meldungen sind in der Praxis kaum sanktionierbar, da der Anonyme nicht greifbar ist. Das Ungleichgewicht ist eklatant: Der Denunziant ist unantastbar, der Denunzierte wehrlos.
In einem Haus, das tagtäglich über Demokratie, Freiheit und Pluralismus berichtet, ist das besonders perfide. Der hr fordert von der Gesellschaft Offenheit und Toleranz – intern aber schafft er Strukturen, die Misstrauen säen und abweichende Stimmen einschüchtern. Statt echte Missstände durch transparente Prozesse zu bekämpfen, öffnet die „HR Integrity Line“ die Schleusen für Diffamierung und Gesinnungsschnüffelei.
Ein Trojanisches Pferd der EU-Bürokratie, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von innen aushöhlt und seine Glaubwürdigkeit untergräbt.
Darf man noch träumen dürfen? Wer wirklich Integrity will, der setzt auf offene Diskussion und mutige, namentliche Kritik – nicht auf anonyme Denunziation.
(Originalfoto aus dem Gebäude des Hessischen Rundfunks)
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