Der Häuptling der Apachen goes woke: „Rassistisch und höchst problematisch“

Ich bin traurig: Ravensburger schickt den Winnetou meiner Kindheit in die ewigen Jagdgründe

von Gaia Louise Vonhof (Kommentare: 2)

Ravensburger hat demonstriert, wie es ist, das Gegenteil der Protagonisten zu verkörpern, von denen die Winnetou-Bücher handelten, die er gerade gecancelt hat: Aufrecht und von wahren Werten getragen.© Quelle: YouTube/ Martin Böttcher

Cancel Culture bei den Helden meiner Jugend: Der Ravensburger Verlag hat Winnetou-Kinderbücher aus dem Sortiment genommen, in vorbeugendem Gehorsam, um nicht als „kulturell aneignend“ zu gelten. Eine woke Posse.

Meine erste Liebe war Winnetou, nein Old Shatterhand, nein alle beide. Oder deren Pferde Iltschi und Hatatitla, deren Namen ich so oft wiederholt habe beim Indianer-Spielen mit meinen Geschwistern, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe.

Da war ich ungefähr sechs und das war noch die Zeit, als ich zum Fasching als Chinese verkleidet ging, kostümiert im kimonoartigen Satin-Schlafanzug, mit einer dicken Schicht gelber Plakatfarbe im Gesicht und auf dem Kopf ein gebastelter flacher Kegelhut mit zwei angeklebten Zöpfen aus schwarzer Watte.

Mein Bruder durfte als Indianer gehen und bekam den Rest der schwarzen Watte für einen Zopf, neben dem seine blonden Haare hervorstanden, und die braune Plakatfarbe fürs Gesicht. Wir hatten die besten Kostüme von allen. Nur einer war noch erfolgreicher, der kam mit schwarzem Ruß im Gesicht und mit einem Knochen in den Haaren als Kannibale verkleidet.

Wenn wir heute so beim Fasching aufkreuzen würden, hätten wir nicht die besten Faschingskostüme, sondern die taktloseste kulturelle Aneignung von allen oder so ähnlich. Oder wir wären Rassisten. Wahrscheinlich würde man mit so einem Kostüm nicht einmal mehr bis zur Kindergartentür kommen, hindurch schon gar nicht.

Diese politische Korrektheit ist ein Minenfeld, und durch die neuen Medien kann es schon mal zu unkontrollierten Kettenreaktionen kommen, auf Neudeutsch nennt man das dann Shitstorm. Die neuesten Tretminen heißen hier kulturelle Aneignung.

Wer jetzt nicht weiß, was das eigentlich ist: Willkommen im Klub und hier die kurze Einführung am Beispiel der Helden meiner Jugend, dem edlen Indianerhäuptling Winnetou und Old Shatterhand, seinem ehrenhaften Freund auf Lebenszeit. Deren Nachfolgern geht es jetzt an den Kragen.

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Am 11. August 2022 hatte der von der bayrischen Filmförderung mit fast einer Million geförderte Film „Der junge Häuptling Winnetou“ Premiere, einher damit gingen Mechandising-Produkte sowie Bücher und Puzzle vom Kinderbuchverlag Ravensburger.

Der erntete genau dafür auf Instagram einen Shitstorm, Neudeutsch für überaus empörte, zumeist anonyme Kommentare im Internet, dass die zwei Bücher „höchst problematisch und rassistisch“ seien, koloniale Vorurteile schüren würden und es sich hierbei um kulturelle Aneignung handeln würde.

Der Verlag gab klein bei, wegen der „vielen negativen Rückmeldungen“ und nahm die Bücher vorsorglich aus dem Sortiment, entschuldigte sich obendrauf ungefragt und überschwänglich beim anonym pöbelnden Wokisten-Mob:

"Wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen. Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich."

Ob der Verlag nun eine „rückgratlose Truppe" oder wahlweise ein "verblendeter Haufen“ sei, wie auch in den Netz-Kommentaren zu lesen ist, sei jetzt mal dahingestellt.

Jedenfalls hat Ravensburger hier demonstriert, wie es ist, das Gegenteil der Protagonisten zu verkörpern, von denen die Winnetou-Bücher handelten, die er gerade gecancelt hat: Aufrecht und von wahren Werten getragen. Denn bei den Helden meiner Kindheit ging es nicht um politische Korrektheit, sondern darum, dass das Gute und Edle am Ende über das Böse siegt, getragen durch Werte wie Freundschaft, Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und Einstehen für sich und den anderen gleichermaßen. Dieser Verlag hier kann offenbar nicht einmal für sich selbst und sein Produkt einstehen.

Als ich meiner Freundin, mittlerweile Mitte 60, am Telefon über diesen Selbst-Akt der Cancel Culture wegen kultureller Aneignung erzählte, wusste sie nichts damit anzufangen.

Auch nicht mit meiner Erklärung, dass damit gemeint sei, dass Menschen sich einer anderen Kultur bedienen, die nicht ihre eigene ist, zum Beispiel durch Musik oder Bekleidung. Vor allem, wenn eine gesellschaftliche Mehrheit sich einzelne Elemente der Kultur einer Minderheit herausgreift, aus dem Zusammenhang reißt und sie kommerzialisiert.

Mein Veranschaulichungs-Beispiel von dem weißen Rasta-Sänger, der genau wegen dieser „kulturellen Vereinnahmung“ sein Konzert in der Zürcher Kneipe „Gleis“ abbrechen musste, weil Gäste sich angesichts seiner blonden Rastazöpfe nicht wohlfühlten, wollte sie mir erst nicht glauben und hat es dann nach Zusendung des Artikels dazu immer noch nicht verstanden.

Ihre berechtigte Frage war, ob wir jetzt auch keine Jeans mehr tragen dürften, weil sie als Arbeitskleidung Symbol der Goldgräber Mitte des 19. Jahrhunderts in Kalifornien waren, ob das dann nicht auch Aneignung fremden Kulturguts sei?

Oder ihre täglichen Yoga-Übungen? Oder ist das Thaifood, das ich gerne für sie koche, jetzt schon shitstormtauglich? Meine Freundin steht mitten im Leben, ist Künstlerin und erfolgreiche Unternehmerin, dabei belesen und gebildet. Vielleicht hat sie es deshalb nicht verstanden. Wie ich eigentlich auch nicht wirklich, um ehrlich zu sein.

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Wir führten dieses Telefonat, während ich gerade in Kroatien zu Besuch bei Freunden bin, die nahe dieser weißen dalmatinischen Felsenlandschaften wohnen, wo zwischen 1962 und 1968 die Winnetou-Filme gedreht wurden.

Schnappschuss aus dem Auto: Drehort der Winnetou-Trilogie I Fotos privat

Die Straßen schlängeln sich hier mäandernd durch die Berge, da will man vorwärts kommen, statt Fotostopp ist nur ein Schnappschuss aus dem fahrenden Auto drin. Meine Freundin Sanja erzählt mir, dass die Kroaten beim Anschauen der Winnetou-Filme besonders stolz auf die dalmatinischen Pinien waren. Die sind nämlich charakteristisch für die Region und in Amerika nicht zu finden.

Im Hintergrund der Filme hört man durchgehend das typische Zirpen der heimischen Zikaden. Ein Geräusch, das bis heute wie ein surrender Geräuschteppich durch das sommerliche Kroatien trägt.

Bedeutet das jetzt im neu-woken Wertekontext, dass sich Horst Wendlandt, der Produzent der Winnetou-Trilogie, seinerzeit mit diesen Heldenfilmen meiner Kindheit die kroatische Kultur angeeignet hat oder gar Romanautor Karl May, der nie in Amerika war und sich gerne in Phantasie-Kostümen seiner Romanfiguren fotografieren ließ, schon viel früher die der indianischen oder indigenen Völker oder wie man das korrekter ausdrücken soll?

Der Vater meiner Freundin Sanja hier war der Inspektor Columbo von Dalmatien, Mordkommission. Er wurde seinerzeit auch ans Set der Winnetou-Dreharbeiten gerufen, ein Stuntman war gestorben. Es stellte sich heraus, dass er bei einem Sprung vom Felsen das Pferd verfehlt hatte. Dieses hatte sich ungeplant vom Platz bewegt, der Fall war geklärt, das Pferd war quasi der Mörder.

Auf diese Geschichte und weitere mehr musste ich mit ihm mit einen Loza, eine Art kroatischen Grappa, anstoßen. Und das oft schon in der Früh. Aber ich habe es gern gemacht. Einfach, weil ich ihn mochte, den „Spiderman“, wie der sportliche Mann von seinen Kollegen genannt wurde, der mit 80 Jahren noch immer auf seine Olivenbäume kletterte, um sie abzuernten und dabei aus luftiger Höhe aufs türkise Adriatische Meer zu schauen.

Also gab es vorm Frühstück in Kroatien einen selbstgebrannten Loza mit dem Papa meiner Freundin Sanja. Weil ich die Kultur und Lebensart hier wertschätzte und die Gastfreundschaft, auch wenn ich zu Hause in Berlin selten mit einem Schnaps in den Tag starte, eigentlich nie.

Aber jetzt kommen mir Bedenken: Ist dieser solidarische Grappa am Morgen neuerdings eine Form der kulturellen Aneignung?

Mein größter Traum als kleines Mädchen: Von Winnetou und Old Shatterhand in Personalunion gerettet zu werden.

Mein größter Traum inzwischen: Egal, wer mich oder uns heute rettet oder daran Anteil hat, die weitere Spaltung der Gesellschaft und der Familien muss gestoppt werden. Die wahren Werte wie Zusammenhalt, Loyalität, Verbundenheit wirken über Kulturen hinweg. Wie klein und unbedeutend wirken demgegenüber diese ideologisierten Nebenschauplätze wie „kulturelle Aneignung“, noch dazu in einem Kinderbuch, das von universellen Werten wie Mut, Abenteuer und dem Beginn einer lebenslangen Freundschaft handelt. Das also Menschlichkeit und Edelmut über alle Grenzen hinweg in die Welt verschickt.

Oder wie es der kulturell angeeignete Winnetou zu seinem Freund sagt: „Mein Bruder!" Und Old Shatterhand antwortet ihm ebenso: „Mein Bruder!" Ist das Völkerverständigung oder gegenseitige kulturelle Aneignung? Denn, wie wir aus den Erzählungen Karl Mays wissen, waren die beiden gar keine Brüder, sie taten nur so.

Dank Karl May haben wir auch eine sehr frühe Beschreibung seines indianischen Protagonisten, datiert auf 1878, die sich deutlich unterscheidet von den filmischen Veredelungen der 1960er Jahre:

„Er schien im Anfange der fünfziger Jahre zu stehen; seine nicht zu hohe Gestalt war von ungewöhnlich kräftigem und gedrungenem Bau, und insbesondere zeigte die Brust eine Breite, die einen hoch aufgeschossenen und langhalsigen Yankee in die respectvollste Bewunderung zu setzen vermochte. Der Aufenthalt im civilisirten Osten hatte ihn genöthigt, eine dort weniger auffällige Kleidung anzulegen, aber das dichte, dunkle Haar hing ihm in langen, schlichten Strähnen bis weit über die Schultern herab, im Gürtel trug er ein Bowiemesser nebst Kugel- und Pulverbeutel, und aus dem Regentuche, welches er malerisch um die Achsel geschlungen hatte, sah der verrostete Lauf einer Büchse hervor, die vielleicht schon manchem »Westmanne« das letzte Valet gegeben hatte.“

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