Michele Prester will keine Berliner Verhältnisse auf seiner Insel

Im Exklusiv-Interview: Ein Bewohner von Lampedusa berichtet von der Invasion der 101 Boote

von Gregor Leip (Kommentare: 2)

„Die Touristen kommen zu über 90 Prozent aus Italien. Und die haben ,ihr Berlin' schon zu Hause.“© Quelle: Michele Prester

Lampedusa ist bereits seit Jahren wichtiges Nadelöhr für Migranten auf dem Weg nach Deutschland. Anfang der Woche landeten über einhundert Boote gleichzeitig im Hafen von Lampedusa. Was denken die Bewohner dieser eigentlich zauberhaften Insel?

Auf die Frage, wie lange seine Familie schon auf Lampedusa lebt, antwortet Michele Prester: „Schon immer.“ Er selbst bietet auf der italienischen Insel nahe der tunesischen Küste seit einigen Jahren Bootsfahrten für Touristen an.

Sein Schwiegervater war Bürgermeister und hat auf Lampedusa 2002 das erste „menschliche“ Flüchtlingslager bauen lassen, wie er uns am Sonntagnachmittag im Vorgespräch zum Interview erzählt. Die italienische Ministerpräsidentin Meloni war vor wenigen Stunden mit der Präsidentin der Europäischen Kommission von der Leyen vor Ort. Jetzt sind sie wieder abgeflogen.

Die Bewohner der Insel waren früher Fischer, heute leben Sie überwiegend vom Tourismus. Migranten, die mit Booten kommen, ist man hier schon gewohnt, aber was hier seit Dienstag passiert, überwältigte die paar tausend Einwohner von Lampedusa. Michele Prester ist einer von Ihnen. Und er ist bereit, alexander-wallasch.de exklusiv davon zu erzählen.

Sie sind Italiener, leben auf Lampedusa und sprechen perfekt deutsch ...

Ich bin in Deutschland groß geworden. Meine Eltern sind nach Deutschland ausgewandert, als ich neun Jahre alt war.

Wann war das?

1996.

Ihre Eltern haben in Deutschland gearbeitet?

Genau. Ich bin in Deutschland zur Schule gegangen, habe anschließend eine Ausbildung gemacht und bis vor sechs Jahren auch in Deutschland gearbeitet.

Und ihre Familie kommt ursprünglich aus Lampedusa?

Ja, wir sind hier schon seit Generationen ansässig.

Sie betreiben ein Unternehmen auf Lampedusa?

Ja, ich biete seit fünf Jahren Bootsfahrten für Touristen an.

Was können Sie über Lampedusa erzählen, viele Medienberichte vermitteln den Eindruck, die Insel sei nur eine große Migrantenherberge im Mittelmeer ...

Das sage ich immer wieder meinen deutschen Freunden: Das Image von Lampedusa ist im Ausland leider sehr, sehr beschädigt worden durch die Jahre. Man denkt, es wäre ein offenes Flüchtlingslager. Was es aber nicht ist bis auf heute. Lampedusa ist eine 23 Quadratkilometer große Insel. Erst seit Ende der 1980er Jahre, als der libysche Machthaber Gaddafi versucht hat, Raketen auf uns zu schießen, wurde Lampedusa auch in den Nachrichten bekannt. Da hat es erst angefangen mit echtem Tourismus. Die Bewohner der Insel arbeiteten damals mehrheitlich als Fischer. Mittlerweile sind siebzig Prozent der Ressourcen in der Tourismus Branche tätig.

Aus Berichten der Vorjahre war noch eine klare Trennung zwischen Migration und Tourismus erkennbar. Beides war getrennt voneinander, die Unterbringungen für die Migranten abgeschirmt. Aber jetzt scheint sich die Situation zugespitzt zu haben ...

Genau so ist das. Die ersten Einwanderungen kamen 1992, also vor jetzt mehr als 30 Jahren. Am Anfang hat keiner davon gesprochen. Mittlerweile, seit mehr als zehn Jahren, gibt es ein Flüchtlingslager, wo die Migranten aufgenommen und bisher in der Regel innerhalb von 24 Stunden aufs Festland gebracht wurden.

Das Flüchtlingslager ist ausgelegt für etwa 450 Personen. Meistens sind dort aber 1.000 bis 1.500 Leute, die werden aber jeden Tag immer wieder weggebracht. Seit einer Woche, seit genau Dienstag, ist es passiert, dass an einem Tag zum ersten Mal mehr als 100 Boote, Kleinboote mit Migranten gekommen sind. Insgesamt waren es dann knapp 8.000 Migranten, die wir aufnehmen mussten auf einer Insel, die gar nicht die Infrastrukturen hat, so viele Migranten aufzunehmen. Deswegen war die Insel auf den Fernsehaufnahmen einfach voll mit diesen Migranten.

Normalerweise bekommen die Touristen kaum etwas davon mit. Die Touristen kommen zu über 90 Prozent aus Italien. Und die haben „ihr Berlin“ schon zu Hause, ob das in Mailand, Verona oder einer anderen Großstadt ist. Dort haben sie mehr die Probleme mit den Migranten. Dort sehen wir, was passiert auf den Straßen und auf den Plätzen. Und weil die Integration nicht stattfindet, werden viele Migranten zu Kleinkriminellen und zur rechten Hand von der organisierten Kriminalität.

Aber hier auf Lampedusa war das nie ein Problem. Die Verwaltung hat ihre Arbeit gemacht, von den Migranten hat man nicht viel gesehen. Wie schon gesagt: Die wurden immer wieder direkt auf dem Meer abgeholt, ins Flüchtlingslager und dann aufs Festland gebracht. Jetzt haben wir einen Ausnahmezustand, weil auf einmal 8.000 Leute gekommen sind. Deswegen sind wir hier jetzt in dieser Notsituation.

Haben denn die Bewohner mittlerweile Angst? Wie ist die Stimmung? Es war zu lesen, es gibt keine Lebensmittel mehr, wenig zu trinken ...

Nein, das stimmt nicht. Die Bewohner hatten am Anfang sogar eine große Bereitschaft, den Migranten zu helfen, sie mit Essen und Trinken zu versorgen und das noch zusätzlich zum Roten Kreuz, das hier alles sehr, sehr gut macht. Trotzdem waren die Migranten auf den Straßen. Und die Restaurants und Privatleute haben dazu beigetragen, die Leute zu verpflegen und so weiter. Angst haben wir, weil das ein Problem ist, das sehr schnell noch viel größer werden kann. Und weil wir wissen, dass wir so viele Leute nicht aufnehmen können, und deswegen war einfach diese Angst da, dass es noch schlimmer werden kann und dass wir nicht vorbereitet sind, so viele Migranten aufzunehmen. Die größte Angst ist, dass sie jetzt ein noch größeres Flüchtlingslager bauen wollen. Das will hier keiner.

Jetzt wollen die Migranten gar nicht auf Lampedusa bleiben. Die meisten wollen sowieso nach Deutschland, war zu hören ...

Die meisten wollen nach Europa.

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Ministerpräsidentin Meloni und auch Minister Salvini haben jetzt Deutschland die Schuld für diese Migrationswelle gegeben. Was halten sie von dem Vorwurf?

Frau Meloni hatte vorgestern Frau von der Leyen eingeladen, und sie waren heute hier auf Lampedusa. Die haben eine Pressekonferenz gehalten. Aber welcher Vorwurf wurde gemacht?

Meloni und Salvini meinten, Deutschland sei schuld, dass jetzt so viele kommen, weil Deutschland jeden aufnimmt ...

Das kann ich nur bestätigen. Ich habe auch diese Meinung, dass die Merkel-Regierung daran schuld ist. Das ist ja normal, wenn die Migranten wissen, dass sie in Deutschland, ohne zu arbeiten, Geld verdienen. Dass sie dann alle nach Deutschland wollen, ist doch normal.

Was ist Ihre Erfahrung als Unternehmer für Bootsfahrten, was können Sie uns denn sagen über diese Überfahrten? Warum können die überhaupt anlanden, und warum werden die nicht zurückgeschickt? Geht das nicht?

Das geht offenbar nicht, sonst hätten wir das so gemacht. Wir sind halt nicht wie Malta oder wie Griechenland.

Was ist mit Malta?

Malta nimmt keine Migranten auf.

Und warum kann Lampedusa das nicht?

Weil Lampedusa nichts zu sagen hat, das macht Italien.

Das heißt, Sie würden als Bewohner von Lampedusa sagen, es wäre durchaus möglich, diese Anlandungen zu verhindern?

Das Problem ist, die Lösung muss am Abfahrtsort gefunden werden und nicht, wenn die Boote schon voll mit Leuten sind. Man kann das Problem nicht auf dem Meer entschärfen, sondern man muss Probleme dort lösen, vor Ort. Was die Bewohner von Lampedusa verlangen, ist, dass die einfach wie damals mit „Sophia Mare Nostrum“ mit zwei Schiffen außerhalb der Küste patrouillieren und die Migranten direkt auf diesen Schiffen aufnehmen und dort besser verpflegen als hier, um sie anschließend gleich wieder zurück bzw. aufs Festland zu bringen.

Ministerpräsidentin Meloni war ja in Tunesien für Verhandlungen. Viele Europäer dachten, dass jetzt alles geregelt ist mit Geld. Denn es geht ja darum, dass die Boote in Tunesien gar nicht erst losfahren ...

Heute sagte Frau von der Leyen, dass sie gerade dabei sind, das Ganze zu klären. Ob sie es jetzt schon geklärt hat oder nicht – wahrscheinlich nicht, denn es geht ja noch so weiter aktuell.

Haben Sie noch Hoffnung für ihr Tourismus-Geschäft? Haben Sie Sorge, dass es Probleme gibt, oder glauben Sie, dass es sich in der nächsten Zeit regeln wird?

Wie gesagt, die waren heute da, die haben gesprochen. Jetzt müssen wir schauen, was geredet und beschlossen worden ist und was auch praktisch umgesetzt werden kann. Da kann uns nur die Zeit Antwort geben. Frau von der Leyen hat hier eine Inselrunde gemacht. Die waren am Hotspot, die waren am Hafen, wo die ganzen Migranten kommen, dann haben sie eine Pressekonferenz am Flughafen gehalten, und jetzt sind sie wieder zurückgeflogen, weil sie nach New York fliegen musste.

Haben Sie denn selbst täglich erlebt, dass da die Boote reinkommen? Wie gehen Sie damit um?

Wie sollen wir damit umgehen? Die Leute kommen mittlerweile selbstständig rein, weil die ganze Küstenwache und die ganze Polizei nicht mehr hinterherkommt auf dem Wasser. Die fahren dann einfach selber in den Hafen.

Was würden Sie sich von der EU wünschen und von Deutschland?

Einfach Hilfe.

In welcher Form?

Das müssen die wissen, das kann ich nicht sagen.

Hilfe, das zu beenden, oder Hilfe, die Leute unterzubringen oder beides?

Was wir wollen, ist, dass die Insel befreit wird und dass wir einfach im Tourismus weiterarbeiten können. Wir wollen hier nicht immer wieder im Mittelpunkt stehen. Und wir wollen einfach nicht, dass wir in Zukunft nur ein offenes Flüchtlingslager sind.

Lampedusa ist eine Bilderbuch-Insel, wundervolle Häuser. Das ist ein Ort, der sich zu besuchen lohnt ...

Lampedusa ist eine wunderschöne Insel. Wir haben ein Meer hier, um das wir überall beneidet werden. Unsere Strände können mit den Seychellen, mit Polynesien und den Malediven konkurrieren. Wir haben hier einen Strand, der ist mehr als einmal zum schönsten Strand der Welt gewählt worden. Es ist eine Urlaubsinsel, wie man sie sich nur wünschen kann, und wir wollen, dass das auch weiterhin so bleibt.

Würden Sie jetzt Buchungen empfehlen?

Sagen wir mal so: Es kann noch ein paar Tage so sein, dass man vielleicht nicht den sonst üblichen hohen Service bieten kann. Aber sonst kann man hier Urlaub machen. Und wir hoffen, dass die Regierung und die EU diese Probleme schnell löst und wir Lampedusa auch wieder im Ausland wie gewohnt bewerben können. Und nicht nur im Juni und Juli. Hier ist es auch im Frühling oder im Herbst wunderschön. Und man kann hier von März bis November baden.

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