„Wir müssen mutiger werden und den Glauben aufgeben, dass andere für uns die Probleme lösen“

„Jeder, der den neuen Sozialismus demaskiert, wird als Nazi diffamiert“

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 5)

Mit Hans-Georg Maaßen sprechen wir heute über den Anschlag in der Ostsee, seine Hintergründe und über deutsche Identität. Was sie eigentlich ausmacht.

Alexander Wallasch: Russland hat jetzt wegen der offenbar sabotierten Pipelines den UN-Sicherheitsrat angerufen. Wie würden Sie das einordnen?

Hans-Georg Maaßen: Das ist verständlich, denn offensichtlich ging der Anschlag auf diese Pipelines von einem Staat aus, und Russland hatte mehrere Milliarden Euro in den Bau der Pipelines investiert, um damit Geld zu verdienen. Wir Deutschen müssen ein besonderes Interesse daran haben, dass die politische Täterschaft aufgeklärt wird, denn es war auch ein Anschlag auf unsere kritische Infrastruktur, die uns in Deutschland mit Erdgas versorgte. Und es war auch ein Anschlag auf die Umwelt, denn durch die Zerstörung der Pipelines wird das klimaschädliche Methangas freigesetzt. Aus meiner Sicht ist das alles Grund genug, dass sich der Weltsicherheitsrat mit diesem Thema beschäftigt.

Alexander-Wallasch: Putin spricht von einem „Akt des internationalen Terrorismus“, von einem beispiellosen Sabotageakt, da frage ich mich natürlich, warum er den Feind oder den Verdächtigen da nicht direkt benennt. Offensichtlich haben seine Dienste bisher noch keine Ergebnisse erzielt, wer es gewesen ist, ansonsten hätte Putin das wahrscheinlich auf den Tisch gelegt.

Hans-Georg Maaßen: Er wird sicherlich über umfassende Berichte seiner Geheimdienste verfügen, wie auch die Dienste anderer Länder ihre Regierungen umfassend über die Erkenntnislage berichtet haben. Aber man muss beim jetzigen offiziellen Stand der Erkenntnisse vorsichtig sein mit vorschnellen Urteilen. Es ist bei diesem Terroranschlag so wie bei jedem anderen Kriminalfall: Man muss sich die Frage stellen, wer kommt als Hauptverdächtiger in Betracht? Wer hat ein Motiv und welche Anhaltspunkte gibt es für eine Täterschaft? Vor allem muss man bereit sein, politisch vorurteilsfrei nach allen Seiten hin zu ermitteln. Denn es geht in diesem Fall um nicht weniger als um die Frage, wer ist dafür verantwortlich, dass deutsche kritische Infrastruktur zerstört wurde und wir möglicherweise einen Zusammenbruch unserer Energieversorgung vor uns haben. Schaut man sich aber die deutschen Medien an, muss man feststellen, dass sie offensichtlich überhaupt kein Interesse an Ermittlungen haben. Denn das Urteil steht bereits jetzt schon fest: Putin ist schuld. Über die Möglichkeit, dass der Anschlag von anderen Staaten in Auftrag gegeben worden ist, wird in den deutschen Medien nicht ernsthaft diskutiert. Man läuft in Deutschland schon Gefahr, als Verschwörungstheoretiker diffamiert zu werden, wenn man bereits die Tätertheorie der deutschen Medien in Frage stellt, dass der Anschlag von Russland verübt worden ist, und man stattdessen fordert, dass der Anschlag sorgfältig und unparteiisch untersucht wird und auch andere Tatverdächtige in Betracht gezogen werden sollten. Selbst in den USA wird ganz offen darüber diskutiert, ob der Anschlag von der Biden-Regierung zu verantworten ist. Das ist in Deutschland derzeit leider nicht möglich.

Alexander-Wallasch: Thorsten Heinrich – ein Militärhistoriker mit erfolgreichem YouTube-Kanal – hat spekuliert, dass nicht einmal ausgeschlossen werden könne, dass Deutschland da involviert ist, um beispielsweise Demonstrationen für die Öffnung der Pipeline zu verhindern und um die deutsche Haltung zum Ukrainekrieg zu zementieren. So nach dem Motto „mitgegangen, mitgefangen“. Was halten Sie von solchen Spekulationen?

Hans-Georg Maaßen: Ich bin Jurist und hatte viele Jahre Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt. Deshalb würde ich an den Fall wie ein Kriminalist herangehen und mich fragen, wer als Tatverdächtiger in Frage kommt. Und da muss man als Ermittler natürlich zur Kenntnis nehmen, dass Präsident Biden am 7. Februar in Anwesenheit von Bundeskanzler Scholz in einer Pressekonferenz sagte, dass die USA im Falle eines Einmarsches von Russland in die Ukraine verhindern werden, dass Nord Stream 2 ans Netz gehen wird. Das wurde zuvor auch von der stellvertretenden Außenministerin Victoria Nuland gesagt. Es ist auch eine Tatsache, dass die USA bereits seit Jahren versuchen zu verhindern, dass Nord Stream 2 ans Netz geht. Ebenfalls ist es eine Tatsache, dass ein amerikanischer Flottenverband sich zum Tatzeitpunkt in der Ostsee befand und eine weitere Tatsache ist auch, dass der frühere polnische Außenminister Sikorski, der über seine amerikanische Ehefrau Appelbaum enge Beziehungen in das Umfeld von Präsident Biden hat, zu dem Anschlag auf die Pipelines twitterte „Danke USA“. Diese Tatsachen kann man nicht wegdiskutieren und sie begründen natürlich einen Tatverdacht, dem man nachgehen muss. Natürlich kann es auch ganz anders gewesen sein, aber man muss versuchen, es aufzuklären.

Alexander Wallasch: Jetzt heißt es, Putin hätte genau diese Situation ausgenutzt. Jetzt wird das einmal gedreht. Was halten Sie von solchen Thesen?

Hans-Georg Maaßen: Ich spreche immer vom Verdacht oder Anfangsverdacht und nicht von einem Beweis, und ich sage nicht Russland oder die USA oder ein bestimmter anderer Staat waren für den Anschlag täterschaftlich verantwortlich. Ich erwarte lediglich Ermittlungen, und das heißt Aufklärung. Es ist auch denkbar, dass sich Präsident Biden bei seiner Äußerung am 7. Februar das Wort „nicht“ vergessen hatte und nicht zum Ausdruck bringen wollte, dass die USA Nord Stream 2 beenden wollen. Aber dafür gibt es derzeit keine Anhaltspunkte. Natürlich ist es möglich, dass der Anschlag von Russland durchgeführt wurde, aber was sind die Anhaltspunkte, die dafür sprechen? Haben andere Staaten nicht größere Interessen und bessere Tatgelegenheiten? Ich bin der Meinung, wir dürfen nicht vorschnell öffentlich urteilen, sondern es muss unvoreingenommen in alle Richtungen ermittelt werden.

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Alexander Wallasch: Kann es denn sein, dass dieses Ausermitteln da doch ein bisschen schlampig passiert? Wer ist da überhaupt zuständig? Ist das die internationale Staatengemeinschaft im Moment, wenn Russland sich an die UN wendet? Dürfen es die Russen machen? Wer darf da tauchen und nachschauen? Wer hat da überhaupt Zugang? Diese Fragen sind ja auch interessant, wer darf hier der Kommissar sein?

Hans-Georg Maaßen: Sicherlich können und müssen wir ermitteln und aufklären. Es handelt sich um einen staatlichen Angriff auf kritische Infrastruktur, die für Deutschland ganz wichtig ist und es handelt sich um ein Umweltverbrechen.

Alexander Wallasch: Es wurde oft kritisiert, dass Deutschland eine zu starke Abhängigkeit von Russland gehabt hätte. Ist das unter Kanzlerin Merkel nicht auch wesentlich deshalb entstanden, weil alle anderen Stromerzeugungsmöglichkeiten wie Kohle, Atomstrom und so weiter abgeschaltet wurden? Ich glaube mich zu erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass dreißig Prozent des Bedarfs durch russisches Gas gedeckt wurde. Das klingt doch eigentlich zunächst mal nach einem angemessenen Mix. Ich weiß gar nicht, woher diese Behauptung kommt, wir hätten uns so abhängig von Russland gemacht. Der normale Bürger denkt, 90 Prozent unserer Energie kommt aus Moskau. Aber das ist ja nicht so.

Hans-Georg Maaßen: Ich meine, 55 Prozent des Gases bis Anfang dieses Jahres kam aus Russland. Dabei geht es nicht nur um das Gas, das in der Industrie und bei Heizungen verwendet wird. Das russische Erdgas spielte nach dem Willen der deutschen Politik eine bedeutende Rolle in der Stromerzeugung, weil man sowohl den Atomausstieg als auch den Ausstieg aus der Kohlverstromung wollte. Die Politik von Bundeskanzlerin Merkel setzte bei der Stromerzeugung auf die so genannten erneuerbaren Energien und auf Gasturbinenkraftwerke. Damit sind wir vom russischen Gas bei der Stromerzeugung abhängig geworden.

Die heutige Politik, den Ausstieg aus fast allem zu proben, zunächst aus dem Atomstrom, dann aus dem Frackinggas, aus der Kohlverstromung und jetzt wegen des Ukrainekriegs auch noch aus dem russischen Gas ist tollkühn und hochriskant. Verantwortliche Politik im Bereich kritischer Infrastruktur muss zum Ziel haben, Risiken zu minimieren, damit kein Schaden eintritt, und nicht darauf zu setzen, dass wir mit etwas Glück schon durch den Winter kommen. Zumindest hätte man nach 2014 dafür Sorge tragen müssen, dass wir nicht von Russland energiepolitisch abhängig sind.

Alexander Wallasch: Aber liegt das nicht auch daran, dass es so nah ist, dass das eigentlich der einfachste Weg ist, es zu bekommen über eine Pipeline. Man kann ja von Algerien, von den USA oder von Saudi-Arabien keine Pipeline nach Deutschland legen. Russisches Gas per Pipeline wäre doch eigentlich genau das, was die Grünen immer wollten: Keine langen Wege.

Hans-Georg Maaßen: Ja, aber wir haben in Kenntnis der politischen Probleme mit Russland uns sowohl hinsichtlich Wärmeversorgung als auch hinsichtlich der Verstromung abhängig gemacht vom russischen Gas. Hätten wir bei der Stromerzeugung auf unsere heimische Braunkohle oder auf Kernkraft und nicht auf Gasturbinenkraftwerke mit Russengas gesetzt, dann wäre es weniger schlimm für uns. Denn dann würde das Gas nur für Heizung und Industrie nicht aber für die Stromerzeugung fehlen.

Alexander Wallasch: Nun ist das ja nicht zufällig so gekommen. Wir hatten ja in Japan den Tsunami. Daraufhin gab es diese Havarie der Atomkraftwerke am Ozean. Man fürchtete, dass das Land dort für ewig verseucht sein würde, analog zu Tschernobyl. Da ist ja die Reaktion von Frau Merkel nicht so ganz aus der Luft ...

Hans-Georg Maaßen: … da muss ich widersprechen. Es war aus meiner Sicht ein Vorwand, aber kein Grund, um den Atomausstieg in Deutschland zu forcieren. Ganz anders als in Japan gab es in Deutschland noch nie Tsunamis oder Erdbeben von relevanter Stärke. Japan betreibt trotz dieser Erfahrung auch heute noch weiter Atomkraftwerke und ist für die Stromerzeugung nicht auf das Russengas angewiesen. Deutschland als einziges Land der Welt hat die Reaktorkatastrophe auf Grund eines Erdbebens und eines Tsunamis in einem höchst erdbebengefährdeten Land zum Anlass genommen, um aus der Kernenergie auszusteigen. Kein anderes Land war so töricht. Für mich war es mit Blick auf die grüne Ideologie eine ideologische Entscheidung, mit Blick auf die nationalen deutschen Interessen eine hoch unvernünftige und mit Blick auf ein russisches Interesse an einer energiepolitischen Abhängigkeit Deutschlands eine kluge Entscheidung.

Alexander Wallasch: Die Gründe, aus der Atomenergie auszusteigen, sind ja nicht erst seit Frau Merkel in irgendeiner Form in der Diskussion. Es gibt ein Problem der Halbwertzeiten des Altmaterials, das gelagert werden muss. Wir hatten in Amerika schon Ende der 1970er Jahre schwere Probleme mit dem Atomkraftwerk in Harrisburg gehabt. Das sind ja alles Gründe, die man nicht von der Hand weisen kann.

Hans-Georg Maaßen: Ich war nie ein Anhänger der Kernenergie, da ich der Auffassung bin, dass das Konzept der Kernenergie bis zum Ende durchdacht werden muss und Risiken ausgeschlossen werden müssen. Aus meiner Sicht fehlte es in den 70er und 80er Jahren an einem Konzept für eine Endlagerung und Wiederaufarbeitung. Allerdings ist die Technik nicht mehr auf dem Stand der 80er Jahre, und dies gilt insbesondere für die Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstäbe. Deutschland hat sich aus meiner Sicht weitgehend von der internationalen Forschung im Bereich der Kernenergie verabschiedet, weil wir sie aus irrationalen ideologischen Gründen nicht wollen. Es scheint derzeit so, dass wir dies teuer bezahlen werden, weil wir keine preisgünstige Energiequelle mehr haben werden. Jedenfalls keine Energie, die so preisgünstig ist, dass unsere Wirtschaft international konkurrenzfähig bleiben wird und wir nicht in die Armut abgleiten.

Alexander Wallasch: Ich habe eine vielleicht naive Frage. Wir leben in einer globalisierten Welt. Warum reist die deutsche Industrie – in Teilen tut sie es ja schon – nicht zu den Energiequellen? Das wäre doch viel einfacher, wenn man sich dort ansiedelt, wo die Energie ist. Und wir machen hier den großen Bildungs- und Technologiepark.

Hans-Georg Maaßen: Das machen sie doch schon in weiten Teilen. Wo wird denn in Deutschland noch Aluminium oder Stahl hergestellt? Viele Industriezweige, die in großem Umfang Energie verbrauchen, haben Deutschland doch schon verlassen. Und weil Sie Technologieparks ansprechen: wo finden Sie denn in Deutschland die energieintensiven Server-Farmen? Jetzt droht die Gefahr, dass mittelständische Unternehmen, die auch auf preisgünstige Energie angewiesen sind und nicht ins Ausland abwandern können, einfach aufgeben werden.

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Alexander Wallasch: Jetzt mit Blick auf Russland: Was mich überrascht hat, ist, dass der russische Staatshaushalt zu 45 Prozent aus Einnahmen von Erdöl und Erdgas besteht. Da frage ich mich natürlich, warum hat Putin in den ganzen Jahren nicht auf irgendwelche alternativen Einnahmequellen gesetzt? Warum hat man da nicht eine Art Industrialisierung 2.0 versucht?

Hans-Georg Maaßen: Sicherlich kann man das der russischen Regierung vorhalten. Anders als die Chinesen haben die Russen es einfach verpasst, das Land wirtschaftlich umzugestalten, sodass es nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft in der postsowjetischen Zeit keinen industriellen Wiederaufstieg gab. Man setzte einseitig auf die Ausbeutung der heimischen Ressourcen. Auf der anderen Seite hatte Russland durch die deutsche russlandfreundliche Energiepolitik der Merkel-Regierungen die berechtigte Hoffnung, dass die Einkünfte aus dem Verkauf der Rohstoffe dauerhaft bleiben würden.

Alexander Wallasch: Nochmal zurück zum Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines: Warum schweigen die deutschen Politiker? Wo sind Scholz, Baerbock, wo Habeck? Haben Sie schon irgendwas gehört von der Bundesregierung zu Nord Stream 2, zu den Zerstörungen dort?

Hans-Georg Maaßen: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie alles unternimmt, um die Täterschaft aufzuklären, denn durch die Zerstörung der Pipelines haben wir auf unabsehbare Zeit nicht mehr die Möglichkeit über diese Verbindungen das dringend benötigte Gas zu beziehen. Wenn es im Winter in unseren Wohnungen kalt und dunkel werden sollte, könnten wir also nicht mehr durch die Öffnung der Nord-Stream-2-Pipeline für Abhilfe sorgen.

Alexander Wallasch: Ich habe gestern ein ganz interessantes Gespräch zwischen Helmut Markwort und Roland Tichy gesehen. Und da war ich erstaunt, denn Helmut Markwort, FDP-Abgeordneter im bayerischen Landtag und Focus-Gründer, ist optimistisch und glaubt daran, dass der deutsche Unternehmer die Krise bewältigen kann. Er hält große Stücke auf den Geist dieser Macher. Sind wir nicht auch angehalten, auch mal ein bisschen was Positives zum Schluss zu sagen?

Hans-Georg Maaßen: Ich bin dann optimistisch, wenn es Gründe für Optimismus gibt. Wir dürfen aber in der jetzigen Situation nicht verkennen, dass es ein Sterben von mittelständischen Unternehmen gibt: Bäckereien und Handwerksbetriebe, die für immer schließen, Unternehmer, die ins Ausland abwandern. Es ist ein weitgehend stilles Sterben der mittelständischen Unternehmen, da es keine Massenentlassungen gibt, für die sich die Gewerkschaften interessieren und keine Aufschreie in den Medien. Das hatte es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nicht gegeben, und hier ist aus meiner Sicht kein Optimismus angezeigt, weil dieses Sterben von Unternehmen in Anbetracht der Energiepreisexplosion und Inflation weitergehen wird.

Alexander Wallasch: In unseren bisherigen Gesprächen taucht oft der Begriff Ökosozialismus oder Sozialismus auf. Wir befinden uns derzeit in einer Phase der Transformation in einen neuen Sozialismus. Das habe ich alles verstanden. Meine Frage wäre aber: Müssen wir hier nicht doch einen neuen Begriff finden? Es werden ja nicht wirklich die alten sozialistische Helden wie Marx und Lenin wieder hoch gehängt. Dieser Sozialismus geht doch vielmehr gerade von NGOs und Medien aus. Ist es deshalb nicht eher so eine Art NGO-Medien-Diktatur? Wäre das ein Begriff?

Hans-Georg Maaßen: Dieser Sozialismus hat aus den taktischen Fehlern der Vergangenheit gelernt. Er tritt nicht auf und sagt „Ich bin der neue Sozialismus“. Ganz im Gegenteil. Er erklärt: Ich bin die freiheitliche Demokratie, die nur ein wenig anders ist als früher. Und jeder, der das demaskiert, wird als Nazi diffamiert. Es ist auch nicht der Sozialismus, der die DDR oder die Sowjetunion prägte, aber das, was die Gemeinsamkeit ausmacht, ist, dass eine kleine fanatische politische Clique, die auch die Medien beherrscht, die hoch ideologisiert völlig beseelt sind von der Richtigkeit ihres Handelns, und die anderen Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben. Genauso wie der klassische Sozialismus und der Nationalsozialismus wollen sie die gesamte bürgerliche Kultur – die Familie, das Sozialleben, die Nation, Sprache – zerstören, weil sie die konstruktivistische Hybris haben, dass allein sie wissen, wie auf den Trümmern der verachteten bürgerlichen Gesellschaft ein neuer Mensch und eine neue ökologische und CO2-neutrale Gesellschaft aufgebaut werden kann. Diese Leute nehmen für sich in Anspruch, dass sie anderen vorschreiben wollen, ob sie Auto fahren oder das Flugzeug benutzen dürfen. Umwelt und Klima sind die neuen Schlüsselworte dieses totalitären Sozialismus, weil man mit der sozialen oder der nationalen Frage heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken kann. Vor diesem Hintergrund halte ich den Begriff Sozialismus für die heutige Entwicklung für richtig, und es ist für die meisten Menschen immer noch ein Warnsignal.

Alexander Wallasch: Familien sitzen vor dem Fernseher in Decken gehüllt, die Heizung bleibt kalt, das Licht aus. Eigentlich können sich doch diejenigen, die diese Angst geschürt haben, auf die Schulter klopfen. Sie sind damit erfolgreich.

Hans-Georg Maaßen: Die sind ohne jeden Zweifel sehr erfolgreich, weil sie es professionell anstellen. Wir haben bei der Corona-Politik gesehen, wie leicht es der Politik und ihren Medien gelang, durch eine gut durchdachte Medienkampagne eine Angsthysterie auszulösen und Menschen durch Angst und Repression so zu konditionieren, dass sie ein uniformes regierungstreues Verhalten zeigen. Man könnte sagen, dass das ein Testlauf gewesen war, um Menschen auch in anderen Situationen zu konditionieren. Wir sehen es bei der Klimapropaganda, die darauf abzielt, Menschen zu einem Verhalten umzuerziehen, das nicht ihren Interessen entspricht, und wir sehen es auch bei der aktuellen deutschen Energiekrise, die alleine von unseren Politikern veranlasst ist.

Alexander Wallasch: Jetzt bekommen alle Bürger ihre monströs erhöhte Heizungs- und Stromabrechnung. Ich glaube, dass am Ende kein einziger Versorger den Leuten den Strom oder das Gas abschalten wird. Ich spekuliere, dass der Staat einspringen wird. Ich habe die Arbeitsagentur angefragt, wie sie denn mit den Leuten umgehen, die bei ihnen vorstellig werden, weil sie die Heizkosten nicht mehr bezahlen können. Und die haben gesagt: „Sollte auch diese Unterstützung nicht ausreichen, können die Jobcenter ein Darlehen bewilligen.“ Der Staat wird am Ende alles übernehmen und die Stromanbieter werden keinen einzigen Kunden abstellen. Wird es so kommen?

Hans-Georg Maaßen: Ja, möglich ist es, aber für mich ist das Spekulation, weil wir dafür keine Belege haben. Es kann natürlich auch dazu dienen, dass einfach ein Angstszenario geschaffen wird, um die Menschen zu einem bestimmten ideologischen Verhalten zu konditionieren und sie hoffen zu lassen, dass es dann letztendlich für sie doch nicht so schlimm kommen wird.

Alexander Wallasch: Wenn wir über den Begriff Identität sprechen, darf man da überhaupt noch den Begriff Identität benutzen und erwähnen oder sich dazu in irgendeiner Form äußern? Haben wir noch eine Identität, die sich überhaupt noch lohnt, in irgendeiner Form thematisiert zu werden?

Hans-Georg Maaßen: Die allermeisten Deutschen haben eine kulturelle Identität, die sie auch wertschätzen und mit der sie sich auch identifizieren. Die meisten Bürger sind anders als ein Teil des politisch-medialen Establishments der Überzeugung, dass es eine deutsche Kultur gibt und die sie auch leben wollen. Und sie denken auch anders als viele Volksvertreter, dass wir nämlich auf unsere deutsche Kultur stolz sein können, egal ob es nun historische Bauwerke sind, ob das nun Philosophie, Musik oder Erfindungen sind oder ob es unsere Sprache ist. Wir haben eine deutsche Kultur und darüber identifizieren sich die allermeisten Deutschen, auch wenn viele links-grüne Politiker das nicht wahrhaben wollen.

Alexander Wallasch: Ich habe da ein etwas andere Erfahrung. Ich glaube, dass die Menschen sich viel eher über eine Art zu leben identifizieren, die etwas mit dem banalen Gespräch über den Gartenzaun zu tun hat. Die kulturell-intellektuelle Ebene spielt da keine Rolle. Meine Definition von deutscher Kultur hat auch viel damit zu tun, wie man den Nachbarn grüßt, wenn man ihn auf der Straße trifft und so weiter.

Hans-Georg Maaßen: Das widerspricht nicht dem, was ich sagte. Natürlich gibt es neben der gesellschaftlichen Hochkultur auch die Volkskultur. Die Volkskultur fängt zum Beispiel damit an, dass es für jeden hier in unserem Kulturkreis normal ist, morgens aufzustehen, sich zu waschen, die Zähne zu putzen und dreimal am Tag eine Mahlzeit einzunehmen. Dazu kommt, dass man einer Arbeit nachgeht und dort pünktlich erscheint. Auch dass man bestimmte regionale oder lokale Traditionen pflegt, ob das nun das Schützenfest oder der Karneval ist. Das ist Teil der Volkskultur. Und damit identifiziert sich ein sehr großer Teil des Volkes. So etwas nennt man Identität.

Alexander Wallasch: Ich staune immer, was das für ein festes Band ist. Und das merkt man übrigens immer genau dann, wenn man auf Zuwanderung trifft und klar wird, wie schwierig das eigentlich auch für Zuwanderer ist, hier überhaupt reinzukommen.

Hans-Georg Maaßen: Man muss natürlich auch sehen, dass Deutschland über eine sehr große kulturelle Vielfalt verfügt. Wenn sie in Südthüringen sind, sind Kultur und Verhalten der Menschen schon anders als zum Beispiel an der Nordsee, am Rhein oder in Bayern. Sicherlich ist manches gleich und das verbindet uns auch. Aber es gibt auch in vielen, auch durch die jeweiligen Konfessionen und die lokalen Traditionen geprägten Bereichen deutliche kulturelle Unterschiede. Deshalb identifizieren sich viele Menschen noch stärker mit der Region als mit der ganzen Nation.

Alexander Wallasch: Kann man abschließend sagen, dass wir etwas zu verlieren, also auch etwas zu verteidigen haben?

Hans-Georg Maaßen: Sicherlich haben wir vieles zu verlieren, und immer mehr Menschen spüren es. Von Ausländern, die schon seit vielen Jahren in Deutschland leben und Deutschland lieben, höre ich immer wieder, dass sie einfach nicht verstehen können, warum wir nicht bereit sind, unsere Kultur zu verteidigen, und es hinnehmen, dass sie immer weiter erodiert. Es liegt an uns, das zu ändern. Vielleicht müssen wir ein Stück weit mutiger werden und den Glauben aufgeben, dass andere für uns die Probleme lösen.

Alexander Wallasch: Danke für das Gespräch.

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