Blut, Schweiß, Kotze und Tränen

Krieg ist das größte Arschloch

von Toddn Kandziora (Kommentare: 18)

Nichts und niemand bleibt verschont.© Quelle: DALL.E

Ich weiß, dass ich mich in Zeiten wie diesen mit meinen folgenden Zeilen hier und da unbeliebt mache. Doch das schert mich mit Blick auf tausend Tage Tod und Verderben an der ukrainischen Ostfront wenig. Im Glauben fest, bleibt meine Ansicht unerschüttert: Mehr Waffenlieferungen sind des Krieges Futter. Einzig Verhandlungen können ihn beenden.

Von Toddn Kandziora

Menschen, die weiterhin die Entsendung des deutsch-schwedischen Marschflugkörpers TAURUS an die Ukraine fordern, sind Kriegstreiber. Aus welchen Gründen sie dies auch verlangen. Sie machen sich schuldig. Machen den Weg frei zur möglichen Zerstörung Deutschlands. Vielleicht irre ich mich gewaltig. Aber das ist meine persönliche Meinung zu diesem blutigen Konflikt innerhalb Europas, der bis heute hunderttausende von Opfern gekostet hat.

Der Taurus-Marschflugkörper kann von ukrainischem Boden aus Moskau erreichen, ist in der Lage, gesicherte Ziele oder tief in der Erde liegende Bunkersysteme zu zerstören. Der Bundeswehr wäre es derzeit möglich, dreihundert dieser Marschflugkörper der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Sie selbst verfügt über ca. sechshundert Taurus. Die Hälfte soll jedoch nicht einsatzfähig sein.

Da die Ukraine militärisch wie technisch nicht in der Lage ist, diese Fernlenkwaffe zu bedienen, in ein Ziel zu lenken, ist offensichtlich, wer dann zuständig und also verantwortlich wäre. Im Moment, wenn eine Taurus russisches Gebiet trifft, befindet sich Deutschland mit allen zu erwartenden Konsequenzen aktiv im Krieg. Gegen das größte Land sowie die größte Atommacht auf Erden. Gegen Russland.

Seitdem ich die ersten Verkündungen grün-gelb-rot-schwarzer Politiker zur Unterstützung des Krieges hörte, frage ich mich, was in den Köpfen derer vorgeht, die sich für die Entsendung der Taurus an die Ostfront aussprechen. Was mag in deren Leben geschehen sein, dass diese Personen das eigene Leben wie das ihrer Kinder, Enkel, Familie, Freunde und das Leben ihrer Wähler so geringschätzen. Diese Kriegswilligen, die mit unserem Leben spielen, als hätten wir, wie in einem Videospiel, mehrere zur Verfügung. Sollte es danebengehen, einfach den Resetknopf gedrückt und Glück auf im nächsten Leben?

Hier passt die Redewendung, sie haben den Schuss nicht gehört. Schon gar nicht müssen sie den Einschuss fürchten. All die Schreibtischtäter und Kriegstreiber in Washington, London, Paris, Berlin, Brüssel oder Moskau. Meine Einschätzung ist: Sie haben keine reale Vorstellung von der Grausamkeit des Krieges. Dem „Vater aller Dinge“, wie es Heraklit formulierte. Sein Ausspruch zum Krieg in voller Länge:

„Der Krieg ist der Vater aller Dinge, aller Dinge König; die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“

Wovon er im 5. Jahrhundert vor Christus keine Ahnung haben konnte, war die absolute Zerstörungskraft heutiger Waffensysteme. Ich habe diese Ahnung. Daher würde ich seinen Ausspruch noch ergänzen: "Und als der letzte Tag des letzten Krieges auf Erden sich neigte, war alles Leben von ihr gewichen.“

So frage ich mich aufs Neue, was geht in ihren Köpfen vor? Derer, die dafür eintreten, dass immer mehr und noch zerstörerische Waffen in Kriegsgebiete geliefert werden. Derer, die für die Fortsetzung des Krieges rund um die Uhr im Fernsehen, Radio und den Medien agitatorisch wirken können, dürfen und sollen.

Außenministerin Annalena Baerbock wird nicht während eines blutigen Gefechtes an der wieder eröffneten Ostfront die herausquellenden Gedärme eines zum Frontdienst gezwungenen, ukrainischen oder russischen Bauernsohnes oder Arbeiters mit ihren Händen auffangen. Sie wird nicht gezwungen sein, diese in den aufgerissenen Bauch zurückzudrängen. Und sie wird auch nicht verzweifelt nach einem Sani schreien müssen. Für ein Land sterben zu müssen, ist nicht ihr Job. Das war immer schon der Job der einfachen Menschen.

Als kleiner Junge bin ich über Jahre immer wieder durch die Schreie meines Stiefvaters aus dem Schlaf gerissen worden. Als ich alt genug war, ansatzweise zu verstehen, erzählte er mir von seinen Erlebnissen in Frankreich, Italien und seiner Kriegsgefangenschaft in Afrika. Er wurde Ende 1944, gerade 17 Jahre alt, von der Schulbank an die Front geschickt. Das, was er erlebte, werde ich nicht wiedergeben.

So wenig wie ich auf Papier bringe, was mir von Familienangehörigen beider Elternteile berichtet wurde. Von denen, die Flucht und Vertreibung aus Schlesien und Ostpreußen überlebten. Besser, ich hätte so vieles niemals erfahren. Der Krieg in all seiner Erbärmlichkeit ist das größte Arschloch auf dieser Erde.

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Ich erinnere mich noch an die älteren Männer in unserem Dorf, im Nachbardorf und im Dorf dahinter. Männer ohne Arm oder ohne Bein, blind oder taub oder von schrecklichen Gesichtsverletzungen entstellt oder alles zusammen. Männer, die vom Krieg halb lebend ausgespuckt wurden. In den sechziger, siebziger Jahren waren sie noch allerorten anzutreffen. Manch einer von ihnen hat noch vom Krieg berichtet. Aber ich habe nie erlebt, wie in Filmen oft zu sehen war, dass ein ehemaliger Frontsoldat mit seinen Erlebnissen geprahlt hätte.

Mein Opa väterlicherseits hat, nachdem er aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt war, kaum mehr ein Wort geredet. Das war damals eben so. Man gewöhnte sich an das große Schweigen. An die stumm gewordenen, in Gefangenschaft gebrochenen Männer.

Mein Großvater mütterlicherseits fiel in Italien. Strafbataillon. Wenige Wochen zuvor hatte er als Bahnarbeiter russischen Kriegsgefangenen unerlaubt Wasser und rohe Kartoffeln in tagelang abgestellte und verschlossene Waggons durch die Gitterstäbe gereicht. Oma erzählte, er hätte die Schreie der an Hunger, Durst oder Krankheit sterbenden Russen in den Waggons nicht ertragen können. Ein Nachbar, ebenfalls Bahnarbeiter und Mitglied der Partei, hatte ihn denunziert. Dann ging alles ganz schnell, und nach wenigen Wochen war meine Großmutter ohne Mann, dafür mit drei Kindern und mit dem vierten schwanger.

Dies erfuhr ich als Teenager in den siebziger Jahren, als ich sie fragte, warum ich nicht mit den Kindern aus dem Haus weiter unten spielen dürfe. Nicht einmal mit ihnen reden sollte ich. Sie erzählte mir, dass der Mann, der meinen Großvater denunzierte, das Familienoberhaupt besagter Familie sei. Manche Dinge überdauern Kriege. Wie muss sich die Großmutter damals bei einer Begegnung mit diesem „Nachbarn“ gefühlt haben? Kriege gebären Arschlöcher. Werden von Arschlöchern gemacht. Und das größte Arschloch von allen ist der Krieg selbst.

Ich habe mir alles angehört. Ich könnte seitenlang weiter Geschichten über den letzten, großen Krieg auf deutschem Boden schreiben. Über diejenigen, die den Krieg überlebten, über jene, die in fremder Erde blieben und über Frauen und Kinder, die auf der Flucht Grauenvolles erlebten. Diese schrecklichen Dinge, die sich nicht in jedem genetischen Erfahrungsprogramm bis in die heutige Generation weitervererbt haben.

Möglicherweise haben die Eltern und Großeltern derjenigen, die sich für die Weiterführung des Krieges gegen Russland aussprechen, den letzten Krieg nicht so „hautnah“ erlebt wie die meinen. Vielleicht müssen diese Menschen ihre eigenen Erfahrungen mit dem Krieg machen. Das Unaussprechliche „nachholen“, damit der Krieg auch in ihnen nachwirkt. Damit sie ihn am eigenen Leib fühlen, schmecken und riechen. Blut, Kotze und Scheiße.

Ich brauche das nicht. Und ich will kein Arschloch sein. Und auch nicht zu einem gemacht werden.

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