„Neets“ nennt man jene 15- bis 24-Jährigen

Liebe ohne Leiden und ohne doppelten Bademantel

von Julian Adrat (Kommentare: 4)

Rund 630.000 Jugendliche oder junge Erwachsene arbeiten nicht.© Quelle: Pixabay / karossieren

Ich habe mir für diese Kolumne bewusst vorgenommen, auf die Moralkeule zu verzichten. Wer fürchtet sie schon? In unserem Parlament sitzt ein Mann auf einem Frauenlistenplatz.

Der sechzehnjährige Sohn einer alleinerziehenden Freundin ist zum Mann geworden. „Er hat den Akt vollzogen“, meine Freundin suchte nach Worten. Seine Freundin ist 15. Sie war keine Jungfrau, er ist nicht ihr erster Freund. Wie mag er sich fühlen, fragte ich mich.

Seine Mutter beschreibt ihn als auf Wolke 7 schwebend. Sie hat mir das Mädchen auf TikTok gezeigt, dort singt und tanzt sie zu Liedern, die ich nicht kenne. Wenn Frauen hautenge Leggings tragen, gibt es oft ironische Kommentare. Die lauten zum Beispiel so: „Habe noch nie so oft ein Video gestoppt“, „Beim dritten Mal schauen habe ich verstanden, um was es in dem Video geht“.

Solche Kommentare fand ich unter dem Video nicht, es waren aufmunternde Kommentare, Herzchen und Sternchen von Freundinnen, eine kleine Heile-Welt-Bubble aus dem beschaulichen Kreuzberg, so kam es mir vor.

Rund 630.000 Jugendliche oder junge Erwachsene arbeiten nicht und sind auch nicht in Schule, Ausbildung oder Studium aktiv. So lautete eine Meldung letztes Jahr. „Tatsächlich gibt es eine wachsende Gruppe von Jugendlichen, die mangels Orientierung in kompletter Inaktivität verharrt“, sagt es Christina Ramb, Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit (BA). „Neets“ nennt man jene 15- bis 24-Jährigen. Es ist die Abkürzung für „Not in Education, Employment or Training“.

Das kann ich von dem frisch gebackenen Teenie-Liebespaar nicht behaupten, beide sind gut in der Schule. Sie hat sogar einen 1.0-Schnitt, heißt es. Sie wolle Chirurgin werden, hat sie meiner Freundin erklärt.

Mit 18 wäre ich selbst fast als Neet durchgegangen, kurz nach dem Abitur, weder in Ausbildung noch Studium, aber ich hatte eine Freundin. Sie war ebenfalls 15, als ich sie kennenlernte, und noch Jungfrau. Eine Szene will mir nicht aus dem Kopf: Ich saß oberkörperfrei im Bett meiner Freundin, es war früher Nachmittag, ich wartete auf sie, trank dabei ein Weizenbier aus dem Glas, ich glaube, wir wollten einen Film schauen. Ihr Vater kam rein, auf der Suche nach seiner Tochter. Ich schämte mich ein wenig. Aber nicht sonderlich viel. Ich war Gast. Ich verstand mich besonders gut mit der Mutter meiner Freundin, ich mochte ihr Essen sehr. Es war Sommer und wir grillten oft. Sie wusch auch meine Wäsche.

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So ähnlich wird es Finn gehen. Finn ist nicht sein richtiger Name. Mit den Eltern des Mädchens scheint er sich sehr gut zu verstehen. Auch er bekommt seine Wäsche dort gewaschen, er ist tagelang nicht zu Hause, auch unter der Woche.

Ich habe mir für diese Kolumne bewusst vorgenommen, auf die Moralkeule zu verzichten. Wer fürchtet sie schon? In unserem Parlament sitzt ein Mann auf einem Frauenlistenplatz, die Eltern des Mädchens sind Vegetarier, vielleicht glauben sie an schwangere Männer. Da ist Essig mit Moral, selbst Sexualmoral verstände ein Marsmännchen wahrscheinlich besser als ein Grüner.

Fakt ist: Was in vielen deutschen Teenie-Zimmern des Nachts mit elterlichem Segen geschieht, wäre für eine anders geprägte Bevölkerungsgruppe der Grund für einen Ehrenmord. Ob Finns Freundin Brüder hat, weiß ich nicht. Die Brüder meiner Freundin spielten mit mir stundenlang Playstation, Herr der Ringe.

Ich habe gelesen, dass kein Parameter Ehe-Scheitern und Kinderlosigkeit sicherer voraussagt als die Anzahl von Geschlechtspartnern in jungen Jahren.

Wolke 7 ist übrigens ein ziemlich treffender Begriff. Freie Kost, freie Logis, kein Chef auf Arbeit, dem man zu gehorchen hat, und dazu das gewisse Extra. Ein geiles Leben. Wer wünschte sich das nicht? Wird es Finn je wieder erleben?

Von Heroin heißt es, es fühle sich an wie von Gott höchstpersönlich in den Arm genommen zu werden. Udo Jürgens wünscht seiner Ex „Liebe ohne Leiden“, mehr geht eigentlich nicht. Denn wer ein bisschen weise ist, weiß, dass alles im Leben etwas kostet. Für Liebe zahlt man mit Kindern, ein ziemlich hoher Preis, wenn man drüber nachdenkt. Finn wird diesen Preis kaum zahlen. Was er zahlen wird, weiß ich nicht.

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