„Ich vertraue weder Herrn Scholz noch Herrn Habeck, Herrn Lindner und den anderen in der Bundesregierung“

„Merkel und der Spiegel haben keinerlei Scham, ihre politische Liebesbeziehung zu kaschieren“

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 3)

Dr. Hans-Georg Maaßen hält die „Delegitimierung des Staates“ als Beobachtungsauftrag für rechtswidrig und demokratiegefährdend. Außerdem schaut er in die Ukraine zu Karl Lauterbach und hat sich das große Merkelinterview in doppelter Geschwindigkeit angetan. Hier seine Notizen:

Der neue Verfassungsschutzbericht für 2021
Nach Erscheinen des neuen Verfassungsschutzberichtes wurde viel geschrieben über den neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates".

Dieser neue Phänomenbereich, der bereits seit April 2021 Gegenstand der Bearbeitung des Verfassungsschutzes ist, ist auf viel Kritik gestoßen. Der frühere Bild-Chefredakteur und Medienunternehmer Julian Reichelt twitterte in diesem Zusammenhang: „Ein Staat, der ein solches Monstrum schafft, hat Angst vor seinen Bürgern. Und vor einer Regierung, die so arbeitet, muss man als Bürger Angst haben.“

Ich hatte als Verfassungsschutzpräsident auch überlegt, mich von den Arbeitsbegriffen "Rechtsextremismus" und "Linksextremismus" zu lösen, denn diese Begriffe verengen die Perspektive auf andere Extremismen, die es durchaus gibt und die den Staat ebenfalls herausfordern und die nicht ohne weiteres unter die klassischen Formeln Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus zu fassen sind.

Das Bundesverfassungsschutzgesetz verwendet diese Begriffe auch nicht. Sie haben sich vielmehr mit der Zeit als Arbeitsbegriffe entwickelt. Das Verfassungsschutzgesetz verlangt vielmehr, dass die Behörde jeden Extremismus aufklärt, also nicht nur Rechts, Links oder Islamismus. Mir fallen da eine ganze Reihe von weiteren Formen von Extremismus ein, die derzeit unsere Gesellschaft herausfordern, wie beispielsweise den militanten Wokism, Klimaextremismus oder auch den Tierrechtsextremismus, und die nicht zwingend als klassischer Linksextremismus zu werten sind.

Der Verfassungsschutz darf nicht beobachten, was er will, sondern er ist an das Bundesverfassungsschutzgesetz gebunden, das in Paragraph 3 vorschreibt, dass neben Spionage und Sabotage „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane“ zum Ziel haben, vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Diese Formulierung ist wichtig, denn daran ist zu messen, ob der neue Phänomenbereich rechtmäßig oder rechtswidrig bzw. ob er seinerseits eine schwere Verletzung in bürgerliche Freiheiten und Grundrechte darstellt.

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Nun wird im Verfassungsschutzbericht auf Seite 112 erklärt, dass diese Voraussetzungen bereits dann erfüllt sind, wenn die Akteure „demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative verächtlich (machen), ihnen öffentlich die Legitimität (absprechen) und zum Ignorieren behördlicher oder gerichtlicher Anordnungen oder Entscheidungen (aufrufen)“.

Der Begriff Verächtlichmachung stammt aus den strafrechtlichen Ehrschutzbestimmungen. Geschützt wird in Paragraph 186 des Strafgesetzbuches die Ehre des Einzelnen vor übler Nachrede, wenn unwahre oder nicht beweisbare Tatsachen behauptet werden, die den Betreffenden verächtlich machen.

Verächtlichmachung wird vom Strafgesetz verstanden wie ein Herabwürdigen in der öffentlichen Meinung, also eine ungerechtfertigte Schmälerung des öffentlichen Ansehens. Einen besonderen strafrechtlichen Schutz vor Beleidigungen und Verächtlichmachung genießen der Bundespräsident, der Staat und seine Symbole und die Bundesregierung nur dann, wenn es von einer verfassungsfeindlichen Motivation getragen ist.

Diese Straftatbestände kommen allerdings selten zur Anwendung. Die Anwendungshürden sind relativ hoch, weil auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit eine starke Hürde ist. Und das aus gutem Grund: In der DDR gab es in Paragraph 220 des Strafgesetzbuches einen Ehrenschutz für Partei und staatliche Institutionen, wo das Verächtlichmachen von Regierung, Partei und gesellschaftlichen Institutionen mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden konnte. Das war die Regelung, mit der man jede Kritik im Keim ersticken konnte.

Das wollen wir nicht und das ist weder nach dem Grundgesetz noch nach der Menschenrechtskonvention erlaubt. Bürger haben aus dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes ein Recht, über die Bundesregierung und die regierenden Parteien zu schimpfen und ihre Unzufriedenheit zu äußern. Wer unzufrieden mit den regierenden Parteien ist und dies auch sagt, ist kein Verfassungsfeind. Ich kann nicht erkennen, dass dies eine Grundlage im Verfassungsschutzgesetz findet. Der Verfassungsschutz dient nicht dem Ehrenschutz der regierenden Parteien.

Dass Bürger staatlichen Einrichtungen und Entscheidungen die Legitimität absprechen, kommt in einer bürgerlichen Demokratie vor. Eigentlich ist es normal. Denken wir nur an die unglaublichen Vorfälle bei den Wahlen in Berlin im vergangenen September. Oder soll man darüber nicht mehr sprechen dürfen, weil man damit dem Berliner Abgeordnetenhaus die Legitimität abspricht?

Denken Sie auch daran, wie oft Bürger Gerichte anrufen, weil sie mit politischen Entscheidungen nicht zufrieden sind und sie für rechtswidrig halten. Viele Menschen haben juristisch gegen bestimmte Corona-Maßnahmen gekämpft und nicht wenige haben Recht bekommen. Andere sind auf die Straße gegangen und demonstrierten. Viele hatten – wie wir heute wissen – mit ihrer Kritik recht. Waren die Klagen der Bürger und das Äußern von Kritik an den staatlichen Corona-Maßnahmen ein Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung oder nicht vielmehr ein Ausüben von verfassungsrechtlich verbrieften Grund- und Bürgerrechten?

Weiter heißt es in dem Verfassungsschutzbericht, dass durch eine „Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen … das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden“ kann.

Ich erinnere mich noch gut an die „Birne“-Karikaturen des Spiegels über Helmut Kohl. Mehr an Verächtlichmachung gegenüber einem Bundeskanzler war damals nicht möglich. Er hatte es kanzlerhaft ertragen und das Relotius-Blatt ignoriert. Andere Politiker verdienen durch ihr Verhalten Spott, Hohn und Kritik oder fordern es heraus. Sollen nun Witze, Karikaturen, Kritik oder Demonstrationen die Funktionsfähigkeit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beeinträchtigen?

Ein anderer Punkt ist die Frage des Vertrauens in die Regierung und die Parteien. In einer bürgerlichen Demokratie haben die Wähler ein Recht darauf, kein Vertrauen in die Bundesregierung zu haben. Das sind nämlich die Leute, die die Regierungsparteien nicht gewählt haben, weil sie diesen Politikern nicht vertrauen.

Ich sage ganz offen: ich vertraue weder Herrn Scholz noch Herrn Habeck, Herrn Lindner und den anderen in der Bundesregierung. Ich habe sie nicht gewählt. Sind Wähler, die kein Vertrauen in die Regierung haben und andere von ihrer Position überzeugen wollen, Verfassungsfeinde? In einer bürgerlichen Demokratie gibt es – anders als in der sozialistischen Demokratie – keine allgemeine Pflicht, der Regierung zu vertrauen und sie zu wählen.

Um es zusammenfassend zu sagen: Für den unter der Überschrift „Delegitimierung des Staates“ geschaffenen Ehrenschutz-Auftrag des Verfassungsschutzes sehe ich im geltenden Recht keine Rechtsgrundlage. Ich halte ihn für rechtswidrig. Mehr noch: Er greift erheblich in das Grund- und Menschenrecht auf Meinungsfreiheit in einer Weise ein, die ich für demokratiegefährdend halte. Frau Innenministerin, heben Sie diesen Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes auf!

Karl Lauterbachs Ukraine-Trip

Karl Lauterbach reiste in die Ukraine. Ich bin der Auffassung, dass wir der Ukraine humanitär helfen sollten, soweit wir es können. Wenn das Gesundheitsministerium der Ukraine Mittel zur Verfügung stellen kann, ist das lobenswert. Aber muss dazu der Gesundheitsminister nach Kiew reisen? Nein, das muss er nicht.

Absprachen über die Lieferung von medizinischen Hilfsmitteln werden normalerweise auf Referenten- oder Referatsleiterebene getroffen. Dafür braucht man keinen Gesundheitsminister. Es ging hier offensichtlich eher darum, dass der Herr Lauterbach von der Medienöffentlichkeit wegen des Ukrainekriegs auch ein Stückchen abhaben wollte. Gut machen sich derzeit immer Fotos mit Staatspräsident Selenskyj. Sie zeigen, dass man auf der richtigen Seite steht.
Sicherlich fand der Personenschutz des Ministers es nicht besonders prickelnd, dass er in die Ukraine reiste. Aber nicht der Personenschutz entscheidet, sondern der Minister. Und er muss eine Abwägung treffen zwischen den guten Bildern und schönen Medienberichten einerseits und den Risiken und Kosten andererseits.

Die Nutzen-Risiken-Abwägung ist in einem solchen Fall für einen gestandenen Politiker klar. Vielleicht werden wir demnächst auch die Innenministerin zur feierlichen Übergabe ausrangierter THW-Lastwagen in Kiew sehen oder die Verteidigungsministerin, wenn denn die deutschen Waffen endlich dort ankommen sollten?

Großes Spiegel-Interview mit Angela Merkel

Ich habe mir das ganze Interview auf Youtube angesehen. Youtube hat den Vorteil, dass man Filme in doppelter Geschwindigkeit sehen kann. Also die anderthalb Stunden Merkel-Interview in nur 45 Minuten. Das geht gut, zumal bei dem Sprechtempo von Frau Merkel mit der doppelten Tongeschwindigkeit das Interview fast normal klingt.

Das Interview war ein Bekenntnis. Der Herr Osang, seine Spiegel-Leute und das Merkelbüro waren sich über dieses öffentliche Bekenntnis vielleicht nicht im Klaren, weil es für sie selbstverständlich ist. Es war das öffentliche Bekenntnis zu einem politischen Konkubinat zwischen Frau Merkel und maßgebenden deutschen Journalisten. Eine Beziehung, in der man sich mehr als nur mag.

Man hilft sich und ist sich gefällig, wo man kann. Nicht nur durch Wohlfühlfragen und ein Kuschelpublikum, sondern auch, wenn es um schwierige politische Themen geht. Oder um politische Gegner, denen man mal anständig auf den Zahn fühlen sollte. Früher hatte ich ab und an von Journalisten gehört: „Man muss der Kanzlerin doch helfen?“ „Wie bitte?“ – dachte ich, das war doch die Aufgabe der Bürokratie und nicht der Chefredakteure.

Auffallend war für mich das öffentliche Bekenntnis zu diesem politischen Konkubinat. Man bemühte sich noch nicht einmal, nach außen den Eindruck einer journalistischen Distanziertheit und eines neutralen Interviews zu erwecken. Keinerlei Scham oder Versuch, diese politische Liebesbeziehung zu kaschieren. Noch vor Jahren hätte man vermutlich gesagt: Die haben aber Chuzpe, auf öffentlicher Bühne ihre politische Zuneigung so zur Schau zu stellen. Heute ist es anders. Das ist die neue deutsche Mediennormalität, die viele Medienkonsumenten noch nicht begriffen haben. Der Anspruch, zu informieren und objektiv darüber zu berichten, was ist, und zugleich als „vierte Gewalt“ die Regierenden zu kontrollieren, ist aufgegeben worden.

Ich erinnere mich noch, als mir vor einigen Jahren der Chefredakteur einer großen deutschen Tageszeitung, der gerade aus einer Konferenz bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) kam, sagte: „Herr Maaßen, mit Ihrer Kritik an der Kanzlerin machen Sie keinen Stich. Sie müssen wissen, die Hälfte der Chefredakteure betet für Frau Merkel und die andere Hälfte betet sie an.“ Den Eindruck musste man bei dem Osangschen Gespräch mit Frau Merkel haben. Es war mehr als ein Bekenntnis. Es war ein Gottesdienst.

Deshalb waren die anderthalb Stunden Interview inhaltlich auch nicht neu. Die Spiegel-Liturgie und der Osangsche Weihrauch sind nicht neu. Keine einzige Frage, die Neues oder Spektakuläres hätte zu Tage fördern können. Ich bedauerte, dass Youtube es nicht ermöglicht, die Geschwindigkeit auf das dreifache Tempo einzustellen.

Wir kennen Frau Merkel, und ihre Erklärungsmuster sind uns allen bekannt. Niemals entschuldigen oder rechtfertigen. Sie hatte keine Fehler gemacht. Wie bei der Ukraine und bei der Energieabhängigkeit von Russland. Im Zweifel Probleme so framen, dass jedem klar wird, „man“ konnte es damals nicht wissen und alle anderen hätten in der Situation genauso gehandelt. Und vor allem erzählen, was sie alles gemacht hatte. So viel erzählen bis die Ohren glühen oder, wenn es ganz schwierig wird, bis der Letzte im Saal einschläft. Sie ist in der Hinsicht (aber nicht nur in dieser) eine Meisterin.

Diejenigen, die den Merkel-Gottesdienst nicht aus Andacht besuchten, sondern weil sie Auskünfte zu naheliegenden Fragen erwarteten, wurden natürlich enttäuscht. Zum Beispiel, warum hat sie während ihrer Regierungszeit Deutschland von der russischen Energiewirtschaft und von den chinesischen Märkten abhängig gemacht. Sie kämpfte wie ein chinesischer Tiger dafür, dass Huawei beim Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland zum Zuge kommt.

China ist eine kommunistische Diktatur, die politische Gegner wegsperrt oder foltert, Russland, das spätestens seit dem Ukrainekonflikt 2014 ein politischer Gegner ist. Gleichwohl behandelte Frau Merkel diese Staaten wie westliche Demokratien, und sie wusste, dass sie es nicht sind. Durch ihre Politik ist Deutschland so abhängig von russischen Energielieferungen und vom chinesischen Markt wie ein Drogenabhängiger vom Heroin. Einen kalten Entzug, wie dies die Bundesregierung mit Blick auf die russische Energieabhängigkeit plant, werden wir ökonomisch kaum überleben.

Dass unsere Unternehmer die Russland- und Chinapolitik weitgehend gut fanden, ist nachvollziehbar. Dass sie nur ihre Exporte und Profite im Blick haben, ist nachvollziehbar. Die Bundesregierung darf nicht nur die Interessen dieser Unternehmer vertreten, sondern muss auch wichtige übergeordnete Interessen des Allgemeinwohls wahrnehmen. Und dazu zählt, dass wir weder energiepolitisch noch wirtschaftlich noch politisch abhängig werden von unzuverlässigen Staaten. Dass sie dies bei all ihren politischen Entscheidungen nicht gesehen hatte, wird man ihr schwerlich abnehmen.

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