Fürstin Doris von Sayn-Wittgenstein weiterhin AfD-Mitglied

Niederlage des AfD-Bundesvorstands durch das Kammergericht Berlin

von RA Dirk Schmitz (Kommentare: 3)

RA Dirk Schmitz: Den Fall hätte man leise und „mit Größe“ beerdigen können.© Quelle: X/ @v_Wittgenstein Screenshot

Der versuchte Parteiausschluss der ehemaligen Landessprecherin von Schleswig-Holstein ist krachend gescheitert – diesmal als persönliche Niederlage des AfD-Bundesvorstands.

Von RA Dirk Schmitz

Fürstin Doris von Sayn-Wittgenstein wurde einst Höcke-Nähe und Reichsbürgerkontakte vorgeworfen. Der Wikipedia-Eintrag als modernem „Trash-Lexikon“ ließ wundern, dass Doris S. überhaupt noch auf freiem Fuße weilt. Zwischenzeitlich hat sich aber ein Großteil der Publikationsinhalte als Kampagne – die Wannsee-Konferenz lässt grüßen – herausgestellt. Kontakte zur Unvereinbarkeitsliste der AfD wurden von Fürstin von Sayn-Wittgenstein unter Beweisantritt bestritten.

Letzte Sachbekundung hierzu ist das doch eher zeitgeistige Kammergericht (KG) Berlin. So stellte dessen 5. Senat im Beschluss 5 U 56/21 vom 13.2.2024 jetzt superaktuell und lapidar fest:

„Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin II vom 15. April 2021 - Az. 58 O 150/19 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO … zurückzuweisen."

Worum ging es?

Die Fürstin wendete sich gegen den vom AfD-Bundesschiedsgericht vom 27. August 2019 ausgesprochenen Parteiausschluss. Das Landgericht (LG) Berlin II hatte bereits mit dem am 15. April 2021 verkündeten Urteil festgestellt, dass die Klägerin weiterhin Mitglied der Partei ist. Aber der Bundesvorstand wollte das Rechtsmittel.

Der Anspruch der Fürstin auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt worden, weil sie sich zu bestimmten, erst im Rechtsmittelverfahren erhobenen Vorwürfen nicht habe äußern können, meinten LG und KG klar.

Die Berufung habe nach Überzeugung des KG-Senats keinerlei Aussicht auf Erfolg. Schon das LG habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin weiterhin AfD-Mitglied ist. Dabei seien schon die eingerichteten AfD-Schiedsgerichte im Hinblick auf die Bestellung der Schiedsrichter durch die Parteitage (vgl. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 der Schiedsgerichtsordnung) der AfD keine „echten“ Schiedsgerichte im Sinne von § 1066 ZPO.

Es gehe wegen schwerer Rechtsfehler des AfD-Gerichts nicht darum, ob die von dem Bundesschiedsgericht zugrundegelegten Tatsachen einen Parteiausschuss überhaupt rechtfertigen (§ 10 Abs. 4 PartG).

Solche Entscheidungen sind nur eingeschränkt durch staatliche Gerichte überprüfbar. Bei der Entscheidung ist allerdings das in der Schiedsgerichtsordnung geregelte Verfahren einzuhalten, woran es offensichtlich mangelte.

Parteienrechtler wissen:

Bei der Überprüfung von Entscheidungen der Parteischiedsgerichte durch staatliche Gerichte sind der Grundsatz der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG und die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte der von der Maßnahme betroffenen Parteimitglieder jeweils zur Geltung zu bringen.

Die vom Grundgesetz vorausgesetzte Staatsfreiheit der Parteien erfordere nicht nur die Gewährleistung ihrer Unabhängigkeit vom Staat, sondern auch, dass die Parteien sich ihren Charakter als frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen bewahren können.

Der Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes muss grundsätzlich „staatsfrei" bleiben. Die Parteienfreiheit umfasst die freie Wahl der Rechtsform, der inneren Organisation sowie der Zielsetzung einschließlich Name, Satzung und Programm, die Teilnahme an Wahlen sowie die Verfügung über Einnahmen und Vermögen.

In personeller Hinsicht verbürgt sie die freie Entscheidung über Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern bis hin zur Selbstauflösung der Partei und der Vereinigung mit anderen Parteien, ständige Rechtsprechung des BVerfG.

Hieraus ergibt sich, dass Entscheidungen der Schiedsgerichte vor den ordentlichen Gerichten nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliegen. Durch das LG und KG war nur zu prüfen, ob die durch ein Parteischiedsgericht verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Parteisatzung findet, das satzungs- gemäß vorgeschriebene Verfahren beachtet, sonst kein Gesetzes- oder Satzungsverstoß vorgekommen und die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist sowie ob die der Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen ordnungsgemäß festgestellt worden sind.

Diese Leine hat die AfD bereits gerissen.

Eine Vollohrfeige für den gesamten Bundesvorstand der AfD - nicht nur für das Bundesschiedsgericht – ist die Schlussfeststellung des Kammergerichts (KG):

Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 14 Abs. 4 PartG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 SchGO) in dem parteiinternen Rechtsmittelverfahren hat zur Folge, dass das Urteil des Bundesschiedsgerichts unwirksam ist und keine Grundlage für einen Parteiausschluss darstellt. Insoweit brauchte das KG gar nicht mehr über zahlreiche weitere Verfahrensverstöße und inhaltlich vorsätzliche Fehlfeststellungen der AfD-Richter entscheiden.

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Die Aussichtslosigkeit der Berufung des AfD-Bundesvorstandes und seiner Chefin sei offensichtlich, so das KG.

Nach der Gesetzesbegründung der ZPO ist eine Aussichtslosigkeit dann offensichtlich, so „die letzte Instanz“, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können. Die Rechtssache sei sogar so eindeutig, dass es keiner Entscheidung des KG im Urteilswege bedürfe. Es sei noch nicht einmal eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO geboten.

Allerdings scheint der AfD-Vorstand eine schlechte Verliererin zu sein. Den Fall hätte man leise und „mit Größe“ nach dem eindeutigen Urteil des LG Berlin II beerdigen können. Aber der Vorstand trickste, spielte auf Zeit und wollte die Wunschgegnerin möglichst lange vor der Tür lassen.

Denn nach hier vorliegenden Informationen ließ der Vorstand noch mitteilen:

„Sehr geehrte Fürstin von Sayn-Wittgenstein,

das Kammergericht hat lediglich angekündigt, die erstinstanzliche Entscheidung zu bestätigen. Aber noch ist das nicht passiert, das heißt: noch gilt der von unserem Bundesschiedsgericht verhängte Parteiausschluss. Wir bitten deshalb um Verständnis dafür, dass Sie an dem bevorstehenden Landesparteitag nicht teilnehmen können.

Diese vertraulichen Informationen stammen interessanterweise aus der Parteiorganisation, die mit dem selbstherrlichen Vorgehen des AfD-Vorstandes mehr und mehr Probleme hat. Lauterbach lässt grüßen?"

Da mag der Kommentator der AfD-Kaiserin Weidel nur wohlwollend raten:

Bitte vom Pferd absteigen, wenn es tot ist und besonders schnell absatteln, wenn es schon stinkt.

Wer als „Alternative für Deutschland“ dem etablierten Parteiensystem wegen dessen „Wokeness“ - durchaus zutreffend - einen immer engeren innerparteilichen Meinungskorridor vorwirft, ist gut beraten, selbst vorbildlich, mindestens korrekt, diese Maßstäbe anzuwenden und Schiedsgerichte sicherzustellen, welche rechtsstaatliche Mindeststandards einhalten.

Teile des AfD-Bundesvorstand sind dem Autor als Rechtsanwalt in der Vergangenheit durch zahlreiche Ausschlussverfahren im Sinne von „Säuberungen“ aufgefallen, bei denen es nicht um die Reinigung von „Rechtsextremisten“ gegangen ist, sondern schlicht um innerparteiliche Gegner, die sich u.a. der „Majestätsbeleidigung“ schuldig gemacht hatten.

In Zeiten eines von SPD und Grünen ins Spiel gebrachten AfD-Verbotes wäre es für den Bundesvorstand einer potentiell wichtigen Grundrechte-Partei „cool“ gewesen, in Vorbildfunktion die innerparteiliche Demokratie und unabhängige Parteigerichte zu stärken und die Reihen zu schließen.

Denn die nächste Zeit wird schwierig für die AfD zwischen Verfassungsschutz, WerteUnion und Wagenknecht-Partei.

Folgen Sie Autor RA Dirk Schmitz auf Twitter: @schmitzidirk

Dirk Schmitz M.A., seit 1991 Rechtsanwalt, langjähriger ehrenamtlicher Richter, Kommunikationswissenschafter, engagierter Verteidiger, derzeit im Kryptowährungsprozess “Onecoin” vor dem Landgericht Münster. Schmitz sieht durch den Zeitgeist Meinungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit gerade in Masken- und Impfzeiten in Gefahr. Als “alter Liberaler” ohne FDP-Hintergrund steht Schmitz für Bürgerrechte und “die Freiheit des Andersdenkenden”. Sein dem Philosophen Voltaire zugeschriebener Leitspruch lautet: „Obwohl ich völlig anderer Meinung bin als Sie, würde ich mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“

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