Juristisch fragwürdig, politisch riskant und diplomatisch dumm

Nürnberg 2.0 für Putin – Aber für Siegerjustiz braucht es Sieger

von RA Dirk Schmitz (Kommentare: 2)

Nürnberg 2.0?© Quelle: Pixabay/ krzzzz Wikipedia/ Bundesarchiv Bild 183-H27798 Montage: Wallasch

Die Forderung nach einem internationalen Straftribunal zur Verfolgung russischer Verantwortungsträger im Kontext des Ukraine-Kriegs hat zuletzt aus der deutschen irrlichternden Politik neue Nahrung erhalten.

Von RA Dirk Schmitz

Jüngst sprach sich der neue deutsche Außenminister für die Einsetzung eines solchen Tribunals aus.

Doch was auf den ersten Blick wie ein populistischer, aber möglicherweise moralisch legitimer Ruf nach Gerechtigkeit wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als juristisch fragwürdig, politisch riskant und diplomatisch dumm.

Vorbild Nürnberg?

Häufig wird in diesem Zusammenhang auf die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg verwiesen, um die Legitimität eines Tribunals zu untermauern. Doch dieser Vergleich hinkt erheblich. Die Nürnberger Prozesse wurden nach dem Zweiten Weltkrieg unter Beteiligung der vier Siegermächte ins Leben gerufen und basierten auf einer klaren Kapitulation Deutschlands sowie einer totalen Besatzungslage.

Der Zugang zu Beweismitteln, die Festnahme der Angeklagten und die faktische Kontrolle über das Territorium waren zentrale Voraussetzungen für die Durchführung. Keine dieser Bedingungen trifft auf das heutige Russland zu.

Die völkerrechtliche Dogmatik von Nürnberg

Juristisch ist „Nürnberg“ bis heute umstritten. Kritiker bemängelten damals wie heute die ex-post-facto-Justiz (Rückwirkung), den Siegerjustiz-Vorwurf und die politische Auswahl bzw. Nichtauswahl der Angeklagten.

Gleichwohl wurden in Nürnberg zentrale völkerrechtliche Begriffe wie Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit kodifiziert und durchgesetzt – sie prägten die moderne Völkerstrafrechtsdogmatik.

Die Nürnberger Grundsätze wirkten vor allem durch ihre umgesetzte Symbolik: Recht sollte auch gegen die höchsten Staatsführer durchsetzbar sein. Entscheidend war jedoch: Die Legitimität von Nürnberg speiste sich kaum aus der rechtlichen Konstruktion, sondern aus der faktischen Machtstellung der Alliierten einschließlich der Sowjetunion – eine Situation, die im Fall Russland eindeutig nicht gegeben ist. Ein Rückgriff auf „Nürnberg“ ohne dessen Voraussetzungen würde zu lächerlicher Rhetorik verkommen.

Paralleljustiz und Rechtsstaatsprinzipien

Zudem stellt sich die Frage, ob ein solches Tribunal mit dem bestehenden System internationaler Strafgerichtsbarkeit vereinbar ist. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag hat bereits einen – wenn auch praktisch wirkungslosen – Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen und damit seine Zuständigkeit reklamiert.

Die Existenz eines parallelen Sondertribunals könnte nicht nur als Misstrauensvotum gegen den IStGH verstanden werden, sondern auch die Gefahr einer Aushöhlung des Komplementaritätsprinzips nach Artikel 17 des Römischen Statuts mit sich bringen.
Ein neues Tribunal ohne Rückbindung an den UN-Sicherheitsrat wäre außerdem ein Bruch mit der bisherigen Praxis der internationalen Strafjustiz. Russland ist dort Vetomacht und würde jede Resolution blockieren. Ein Tribunal außerhalb dieses Rahmens würde ohne universelle Legitimation operieren und könnte so den Eindruck politisch motivierter Siegerjustiz erwecken.

Internationale Unterstützung Russlands gegen ein „Westentaschen-Westtribunal“

Nicht zu unterschätzen ist die internationale Gegenfront, die Russland mittlerweile erfolgreich gegen solche Vorhaben mobilisiert. Länder wie China, Iran, Venezuela oder Südafrika stehen – trotz teilweise unterschiedlicher Interessen – geschlossen gegen die Einrichtung eines explizit gegen Russland gerichteten Tribunals. Die USA werden sich nicht beteiligen. Selbst viele Staaten des Globalen Südens sehen darin einen Versuch der Kleineuropäer, internationales Recht selektiv zum Machterhalt zu instrumentalisieren. Die Formel lautet:

„Wenn die USA für den Irakkrieg nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, warum dann Russland für die Ukraine?“

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Diese Argumentation, so zynisch sie erscheinen mag, verfängt in Hauptstädten außerhalb Europas – auch deshalb, weil „der Westen“ es versäumt hat, eine wirklich universelle Rechtsordnung durchzusetzen. Russland profitiert nicht nur von der Vetoposition in den Vereinten Nationen, sondern zunehmend von einem geopolitischen Antagonismus gegenüber westlicher Normsetzung.

Symbolismus ohne Substanz

Ein solches Tribunal wäre zahnlos und würde einen eigenen Meinungswechsel behindern. Russland liefert keine Angeklagten aus, stellt keine Beweismittel bereit und erkennt keine Urteile an. Ein Tribunal in Abwesenheit mag hypothetisch völkerrechtlich möglich sein, steht aber im Spannungsverhältnis zu grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien wie dem Recht auf Verteidigung und einem fairen Verfahren.

So drängt sich der Verdacht auf, dass es sich weniger um einen ernst gemeinten Rechtsakt als vielmehr um eine politische Trotzreaktion einer machtlosen westlichen Moralelite handelt: ein symbolistisches Tribunal zur Selbstvergewisserung des „kleinen Westens“ – ohne die USA und deren engste Partner – jenseits praktischer Konsequenz, dafür mit hohem Eskalationspotenzial. Was ist, wenn Ungarn oder Italien Putin in einem Jahr empfangen?

Der Ruf nach Gerechtigkeit und Abschreckung

Natürlich gibt es auch nachvollziehbare Gründe für die Forderung: Der Überfall auf die Ukraine stellt einen offensichtlichen Bruch des Gewaltverbots der UN-Charta (Art. 2 Abs. 4) dar. Die „internationale Gemeinschaft“ darf nicht tatenlos zusehen, wenn ein solcher Angriff folgenlos bleibt. Aber sind ein paar wohlmeinende Westeuropäer wirklich die „internationale Gemeinschaft“?

Ein Tribunal könnte – moralisch gedacht – eine symbolische Anerkennung für die Opfer bedeuten und künftige Aggressoren abschrecken. Zudem könnte man hoffen, ein solches Tribunal im Rahmen der UN-Generalversammlung zu legitimieren, auch wenn dies ohne Sicherheitsratsmandat völkerrechtlich umstritten bliebe.

Politisch dürfte ein solcher Versuch jedoch ebenso scheitern wie einst der Irak-Krieg mit völkerrechtlicher Absegnung scheitern musste.

Realitätssinn statt Moralrhetorik

Die Forderung nach einem Russland-Tribunal mag daher moralisch nachvollziehbar sein, sie läuft aber rechtlich ins Leere und politisch gegen die Wand. Statt auf symbolische Schauprozesse zu setzen, sollte Deutschland seinen Einfluss dafür nutzen, bestehende Institutionen wie den IStGH zu stärken, auf diplomatische Lösungen hinzuwirken und langfristig eine internationale Rechtsordnung zu unterstützen, die universell, glaubwürdig und durchsetzbar ist.

Die Geschichte der Strafgerichte zeigt: Nur wo Macht und Recht zusammenkommen, entsteht wirkliches Völkerrecht. Ohne das eine bleibt das andere ein wohlmeinender, aber letztlich hilfloser Papiertiger.

 

Dirk Schmitz M.A., seit 1991 Rechtsanwalt, langjähriger ehrenamtlicher Richter, Kommunikationswissenschafter, engagierter Verteidiger. Schmitz sieht durch den Zeitgeist Meinungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit gerade in Masken- und Impfzeiten in Gefahr. Als “alter Liberaler” ohne FDP-Hintergrund steht Schmitz für Bürgerrechte und “die Freiheit des Andersdenkenden”.

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