Deutschland verpasst Gelegenheit, den übergriffigen Andrij Melnyk zur "Persona non grata" zu machen

Pöbelnder ukrainischer Botschafter von Selenskyj zurückgepfiffen

von Gaia Louise Vonhof (Kommentare: 2)

Unter anderem titulierte Andrij Melnyk den deutschen Bundeskanzler als „beleidigte Leberwurst“. Eine unerträgliche Übergriffigkeit gegen Kritiker der Kriegseskalation.© Quelle: Pixabay / Leonhardt_Niederwimmer, YouTube / ZDFheute I Bildmontage Alexander Wallasch

Schon seit über einer Woche gab es Gerüchte dazu, jetzt ist es offiziell. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland, Andrij Melnyk, entlassen und zurückbeordert – mutmaßlich ins Außenministerium nach Kiew.

Die Forderung, den Botschafter nach Hause zu schicken, wurde zuletzt auch auf deutscher Seite immer lauter. Zumindest bei jenen, die sich nicht vollkommen verfangen haben in einer blinden Gefolgschaft für die Selenskyj-Truppe, die Sache der Ukraine, gegen Putin und alles Russische.

Kein Geringerer als der ehemalige Welt-Herausgeber Thomas Schmid hatte sich in der Welt hinter der Bezahlschranke gegen Melnyk ausgesprochen und damit indirekt auch seinem Welt-Kollegen Henryk M. Broder widersprochen. Der kündigte deshalb aber nicht bei der Welt, sondern bei der viel kleineren Weltwoche seine Mitarbeit, weil ihm dort ähnlich widersprochen wurde. Broder hat also in großer schriller Geste auf den Nachtisch verzichtet, den Hauptgang aber nicht stehen lassen – nun denn.

Schmid schrieb über Melnyk:

„Mit Aussagen zum berüchtigten Nationalistenführer der 30er-Jahre, Stepan Bandera, hat der ukrainische Botschafter für Kritik gesorgt – selbst das Außenministerium in Kiew distanziert sich. Denn Bandera eignet sich nicht zum Nationalhelden. Hier hat Melnyk seinem Land einen schlechten Dienst erwiesen.“

Und wir wollen gleich an einen weiteren aufrechten Herrn bei der Welt erinnern, nämlich an Ulf Poschardt aus der Chefetage der Zeitung. Der nämlich sekundierte wiederum Broder und titelte folgende Schlagzeile über den Pöbel-Botschafter: „Andrij Melnyk spricht erfrischendes Klartext-Deutsch“. Inhaltlich geht es bei Poschardt – ebenfalls hinter der Bezahlschranke – so weiter:

„Die in ihrer Selbstzufriedenheit marinierten Deutschen hätten gerne auch Applaus von denjenigen, die sie im Stich lassen und/oder belehren. Sie hoffen auf Milde, wenn sie sich aus Feigheit in die Büsche schlagen – und sie reagieren empört, wenn einer bei dem deutschen Provinztheater nicht mitmacht.“

Besser hätten es Baerbock und Co kaum formulieren können. Poschardt macht es also nicht so wie Broder und sendet Baerbock eine Entschuldigung, dafür streichelt er den Ukraine-Baerbock-Fanclub mit einer Melnyk-Hymne – ein lupenreiner Fremdscham-Moment also auch hier, bedenkt man, dass Poschardt Baerbock vor der Bundestagswahl noch als Witzfigur hingestellt hatte.

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Aber zurück zu Andrij Melnyk. Der war seit 2015 als Botschafter in Berlin, eine für einen Diplomaten recht lange Zeit. Er hatte vor allem in den Monaten seit Start des Ukraine-Krieges von sich Reden gemacht. Nicht nur durch seine rabiaten Forderungen, was Deutschland der Ukraine an schweren Waffen zu liefern habe, auch ansonsten führte er verbal schwere Geschütze auf:

Kaum jemand in der deutschen Politik, der nicht von dem 46-Jährigen auf zumeist unflätige, in allen Fällen aber brüskierend undiplomatische Weise angegangen wurde.

Angefangen damit, den deutschen Bundeskanzler als „beleidigte Leberwurst“ zu titulieren, als ritte man vor die Metzgerei Schuster und warte gemeinsam auf die heiße Blutwurst. Eine unerträgliche Übergriffigkeit gegen Kritiker der Kriegseskalation.

Im gleichen Atemzug sprach Melnyk Scholz noch medienwirksam das Format als Politiker ab: „Eine beleidigte Leberwurst zu spielen, klingt nicht sehr staatsmännisch“, verlautbarte der ukrainische Botschafter gegenüber dpa.

Anlass dafür war, dass Scholz Anfang Mai eine Reise nach Kiew ablehnte, nachdem Walter Steinmeier zuvor ausgeladen wurde. Auch dazu äußerte sich Melnyk im eigentlich diplomatischen Sinne nicht sehr zielführend, aber dafür umso mehr Aufmerksamkeit generierend, im Tagesspiegel:

„Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht. Auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle."

Und: Steinmeier habe seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. „Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben." In diesem „Spinnennetz“-Zitat wirft Melnyk also Steinmeier eine viel zu deutliche Nähe zum Kriegsgegner Russland vor, die bis in die jetzige Regierung eingesickert sei.

Wer das schon grenzüberschreitend findet angesichts der üblichen diplomatischen Gepflogenheiten, der war bestimmt noch mehr verwundert, welcher Wortwahl sich Melnyk hinter ausgeschalteter Kamera bediente:

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So bezeichnete er nach einer Talkshow-Runde SPD-Außenpolitiker Michael Roth – offensichtlich sehr aufgebracht – mit "Arschloch", dokumentiert vom Spiegel und öffentlich gemacht in einem mehrseitigen Porträt des ukrainischen Botschafters.

Nicht ganz so knapp, aber mindestens genauso unmissverständlich erfolgte via Twitter die Aufforderung, „die Klappe zu halten“, an Linken-Politiker Fabio de Masi, der sich in die Debatte um den Einsatz des nationalistischen Asow-Regiments einmischte. Hier hatte er in dem Zuge schon der Zeit in einem Statement recht deftig Bescheid gegeben und russische Kriegspropaganda unterstellt

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All diese Fettnäpfchen, mit denen zugleich Bekanntheitsgrad und Streitbarkeit des ukrainischen Gesandten proportional wuchsen, bleiben zurück hinter seinem letzten großen Fettnapf. Hier ist er möglicherweise gleich bis zurück in sein Heimatland ausgerutscht.

Melnyk hatte den ukrainischen Nationalistenführer Bandera bzw. seine Sympathien für diesen verteidigt. Aufgrund seiner Kollaboration mit den deutschen Nationalsozialisten und der vielfachen Beteiligung seiner Truppen an der Ermordung von Juden, wird Bandera in Israel und Deutschland und in vielen anderen Ländern entsprechend selbstredend als Verbrecher betrachtet.

Aber kann man mit so einer grauenvollen Vita beides sein? Held und Verbrecher? Und wenn Melnyk ein Freund klarer Worte ist, dann hätte es ihm längst jemand sagen sollen: Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind nicht aufrechenbar. Schon gar nicht mit nationalem Pathos. Denn wer, wenn nicht wir Deutsche, wüssten, welche Verbrechen wiederum auf nationalem Pathos ihren Nährboden finden.

Besonders erschütternd hier: Journalistische Kollegen, die hier so eine Art Laissez-faire-Haltung meinen an den Tag legen zu können – immer dann, wenn es darum geht, sich mit faschistischen Auswüchsen auseinanderzusetzen. Fast erinnert das an Feministinnen, die sich zu Recht über männliche Übergriffe gegen Frauen erregen, aber bei zugewanderten Muslimen eine Beißhemmung bekommen, um bloß nicht ausländerfeindlich zu erscheinen.

Aber warum sollte man bei Andrij Melnyk eine Beißhemmung haben?

Im Rahmen eines einstündigen Interviews mit Blogger Tilo Jung hatte Melnyk sich geweigert, den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera als Faschisten zu benennen und auch dessen Beteiligung an Massakern an Polen und Juden in der Ukraine marginalisiert, wenn nicht sogar geleugnet. Er sagte hier unter anderem:„Es gibt keine Belege, dass Banderas Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben.“

Das schlug nicht nur hierzulande mediale Wellen, sondern auch international, und könnte das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Das ukrainische Außenministerium sah sich nachfolgend zu einer Distanzierung von den Äußerungen des Diplomaten genötigt.

Zu groß die Kritik aus Israel und Polen, auch aus Deutschland, wo er zuvor fleißig als Fundraiser für Waffen für die Ukraine unterwegs war und teilweise aggressiv geworben hatte.

Bisher wunderte doch nur noch, dass der ukrainische Präsident die flächendeckende Unterstützung der Ukraine in diesem Krieg durch Melnyks Äußerungen nicht längst gefährdet sah. Denn mit den teils unerträglichen Ausbrüchen des Botschafters könnte womöglich genau das Gegenteil bewirkt und den (von Melnyk so bezeichneten) „Putin-Verstehern“ in die Hände gespielt werden.

Laut Bild ist aus diplomatischen Kreisen auch zu hören, dass die Abberufung Melnyks dem üblichen Prozedere folge und es hier gar nicht um dessen Äußerungen geht. Zeitgleich zu Melnyk seien auch weitere Botschafter in die Ukraine zurückbeordert worden, aus Ungarn, Tschechien, Norwegen und Indien.

Über Melnyk wird sogar gesagt, dass er im Außenministerium der Ukraine als stellvertretender Außenminister gehandelt würde. Von dort aus kam allerdings die einzige ernstzunehmende Kritik an Andrij Melnyk.

Oder mit anderen Worten: Dieser Mann mag zwar in Kürze in Kiew tätig sein, aber damit ist keineswegs automatisch gesagt, dass Selenskyj ihm einen Maulkorb verpasst hätte. Denn jede Sanktion gegen Melnyk ist auch eine gegen den ukrainischen Präsidenten selbst, der nicht nur phasenweise immer wieder den Eindruck machte, dass zwischen ihn und seinen Botschafter kein Blatt passt.

Nachtrag:

Schon lange regte sich Kritik an Melnyk, so sprach Klaus von Dohnanyi, Ex-Bürgermeister von Hamburg und Bundesminister unter Willy Brandt, bezugnehmend auf Melnyks Äußerungen und Posts von „Schulmeistereien, Provokationen und Unverschämtheiten“ und stellte angesichts derer zur Debatte „Melnyk muss sich entschuldigen oder gehen“.

Jetzt, wo Melnyk zurück nach Kiew gegangen wurde, kommentierte der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron den Rückruf so:

„Die Entlassung von Melnyk ist richtig. Sie hätte allerdings schon viel früher erfolgen müssen. Er hatte sich in den vergangenen Wochen und Monaten gegenüber deutschen Regierungsvertretern immer wieder im Ton vergriffen. Die Forderungen der Ukraine gegenüber Deutschland nach einer Unterstützung im Krieg gegen Russland wurden von Melnyk in einer fordernden Art und Weise vorgetragen, die zwischen zwei befreundeten Staaten nicht angemessen ist. Dadurch hat Melnyk in Deutschland viel Porzellan zerschlagen und Sympathien für sein Land verspielt. Der ukrainische Präsident kommt mit der Entlassung Melnyks einem entsprechenden Antrag der AfD-Fraktion zuvor, in dem das Auswärtige Amt aufgefordert wird, ihn zur Persona non grata zu erklären. Ich hoffe, dass der Nachfolger Melnyks sich auf die Kunst der Diplomatie versteht und dazu beiträgt, das Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern wieder zu entspannen.“

Schon im Mai hatte Bystron offiziell beantragt, der Bundestag möge beschließen, Melnyk zur unerwünschten Person zu erklären. Der ukrainische Präsident hat jetzt die Gebete, nicht nur des AfDlers, erhört.

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