Im Interview: Die fachliche Einordnung

Prof. Schwab über Hochstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“

von Martin Schwab (Kommentare: 7)

Was macht der Verfassungsschutz? Auf der Suche nach Antworten© Quelle: Pixabay/TheDigitalArtist, Prof. Schwab, Montage: Wallasch

Prof. Martin Schwab ist Jura-Professor. Mit ihm besprechen wir alles rund um die Hochstufung der AfD. Für den Juristen wirft diese Einstufung als „gesichert“ rechtsextrem Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Kennen Sie persönlich Rechtsextreme? Was ist „rechtsextrem“?

Das ist schwer zu sagen, weil man auch auf offiziellen Quellen keine brauchbare Definition bekommt. Ich lese mal vor, was die Bundeszentrale für politische Bildung zu diesem Thema schreibt: Ich zitiere im Wortlaut:

„Rechtsextremer Terror, gewaltbereite Gruppen im Internet und auf der Straße, mordende Einzeltäter: In Deutschland haben sich Strukturen entwickelt, die Menschenleben bedrohen und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen. Aber nicht nur im Untergrund oder am Rand der Gesellschaft gab und gibt es rechtsextreme Einstellungen wie Rassismus, Antisemitismus oder den Glauben an einen starken Führer – und Radikalisierungsbiografien, die in Gewalt münden.“

Das ist keine Definition. Man kann allenfalls versuchen, daraus einzelne potentielle Definitionselemente herauszudestillieren – dergestalt nämlich, dass Rassismus, Antisemitismus oder die Orientierung an autoritären politischen Führern Wesensmerkmale von Rechtsextremismus seien. Aber als Definition ist dieser Text nicht brauchbar.

Der Verfassungsschutz hat auch eine Definition. Zunächst stellt man dort zwar fest, es gebe „kein einheitliches Phänomen“, aber dann heißt es im Nachsatz: Was jeden Rechtsextremen eint, sei die Ablehnung des Gleichheitsprinzips der Menschen.

Was ich im Zusammenhang mit Rechtsextremismus immer wieder höre, ist, dass Rechtsextreme die Überlegenheit des Volkes, dem sie angehören, gegenüber anderen Völkern reklamieren. Wenn man jetzt sagt, die Ablehnung der Gleichheit aller Menschen präge den Rechtsextremismus, dann würde das ja bedeuten, dass Rechtsextreme die Menschen in solche erster und zweiter Klasse einteilen. Das kann durchaus ein Wesensmerkmal von Rechtsextremismus sein. Aber auch das müsste dann in dieser Präzision in einer Arbeitsdefinition seitens des Verfassungsschutzes auftauchen.

Wir sind damit schon mitten im Problem. Wir haben offenbar für Rechtsextremismus keine subsumtionsfähige Arbeitsdefinition. Wenn jetzt der Verfassungsschutz hergeht und mit diesem Repertoire eine Partei als rechtsextrem einstuft, dann subsumiert er unter einen Begriff, den er vorher nicht sauber definiert hat. Das ist genau das, was ein Jurist nicht machen darf. Und ich erinnere daran: Die Einstufung einer Partei als „rechtsextrem“ ist eine normgeleitete Verwaltungsentscheidung. Folglich brauche ich einen subsumtionsfähigen Begriff, bevor ich eine Partei dann darunter zu fassen versuche.

Sie fragen, ob der Rechtsextremist das eigene Volk erhöht. Da kann man Ihnen bereits kritisch entgegenhalten, dass es so etwas wie ein eigenes Volk gar nicht mehr gibt. Und was es nicht gibt, kann ich auch nicht erhöhen. Und wenn Sie es dennoch mitdenken, machen Sie sich verdächtig.

Ein Rechtsextremer wird, um seine Ideologie zu rechtfertigen, ein Volk definieren, das er für überlegen hält. Ob diese Definition dann von den staatlichen Institutionen geteilt wird, ist eine andere Frage. Aber irgendwo muss dieser angebliche oder tatsächliche Überlegenheitsdünkel von Rechtsextremen ja herkommen. Und der kommt natürlich aus einer Eigendefinition, nicht aus der Anerkennung von fremden Definitionen.

Die Journalistin Anabel Schunke schrieb neulich, jeder Muslim, der ihr begegnet sei, denke völkischer und ethnischer als jeder Deutsche. Haben denn die Schrecken des Nationalsozialismus die Idee eines „deutschen Volkes“ als erstrebenswerte oder nur erwähnenswerte Einheit für alle Zeiten beerdigt? Stichwort rassistische Vernichtungspolitik?

Das Nazi-Unrecht hat bei den allermeisten Menschen die Sensibilität dafür gestärkt, dass es eine Überlegenheit qua ethnischer Zuschreibung qua Volkszugehörigkeit auf dieser Welt nicht geben darf. Dass also jede Form von Herrenmenschen-Mentalität, egal in welche Richtung, uns am Ende des Tages ins Unheil führt.

Diese ganze Rassenideologie der Nazis ist ja nicht aus dem Nichts aus dem Boden gewachsen, sondern diese Herrenmenschen-Mentalität hat man noch aus der Kolonialzeit fortgeschrieben. Überlegenheitsdünkel ist immer potentieller Nährboden für menschenverachtendes Gedankengut, und ich glaube schon, dass die meisten Menschen dafür ein Problembewusstsein haben.

Die allermeisten haben nach meinem Eindruck begriffen, dass wir Menschen uns auf Dauer auf Augenhöhe begegnen müssen, wenn wir auf dieser Welt Frieden haben wollen. Es wird allerdings immer ein paar Verstrahlte geben, zu denen diese Einsicht nicht durchdringen wird.

Ob damit die Idee eines „deutschen Volkes“ als erstrebenswerte Einheit für alle Zeiten beerdigt ist, ist damit freilich noch nicht ausgemacht. Immerhin geht nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatgewalt vom „Volk“ aus, und zur Bundestagswahl ist nach § 12 Abs. 1 Bundeswahlgesetz berechtigt, wer Deutscher im Sinne des Art. 116 GG ist.

Es ist also schon aus Rechtsgründen unverzichtbar, dass es ein „deutsches Volk“ gibt, weil die Zugehörigkeit zu diesem Volk die Zugehörigkeit zum demokratischen Souverän markiert. Es ist jetzt aber wieder Definitionssache, wie sich dieses „deutsche Volk“ zusammensetzt. Hier darf ich natürlich nicht irgendwelche ethnischen Merkmale in den Vordergrund rücken, sondern das „deutsche Volk“ setzt sich aus allen Menschen zusammen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (die weiteren Fälle des Art. 116 GG lasse ich der Einfachheit halber hier weg), egal ob sie selbst oder ihre Vorfahren eine Zuwanderungsgeschichte haben oder nicht.

Ich kenne Migranten, die gerade deshalb AfD wählen, weil sie selbst sich richtig nach der Decke strecken mussten, um deutsche Staatsangehörige zu werden, und mit großem Missfallen beobachten, wie die Hürden für die Einbürgerung immer weiter herabgesenkt wurden und werden. Offenbar ist die Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ etwas Erstrebenswertes. Sonst gäbe es ja keine Einbürgerungsanträge.

Wir haben ein Völkerrecht. Es gibt den Schutz der Yanomami-Indianer usw. Die Menschheitsgeschichte kennt demnach Momente, wo man der Meinung war, dass man bestimmte ethnische Bereiche auch schützen muss in irgendeiner Form.

Bei der indigenen Bevölkerung war dieser Schutzgedanke geboren aus vorher begangenem schlimmstem Unrecht, das man dieser Bevölkerung angetan hatte. Das hat aber nichts mit Über- und Unterlegenheit zu tun, sondern man hat gesehen, dass man im Umgang mit indigenen Stämmen viel zu weit gegangen ist. Man hat erkannt, dass diese Menschen, die nichts dafür können, dass sie damals ausgeraubt, ermordet und ausgeplündert wurden, ein Recht auf einen Schutzraum haben, in dem sie in Ruhe gelassen werden. Jene, die Mord und Plünderung überlebt haben, sollen ein friedliches Leben haben dürfen. Das hat nichts mit Über- und Unterlegenheit von irgendwelchen ethnischen Volksgruppen zu tun.

Zur Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz: Leute wie Monitor-Chef Georg Restle erklären jetzt in etwa, die Zeit sei endlich vorbei, wo man beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen erklären müsse, warum man die AfD ausschließe. Jetzt hätte man endlich einen Grund dafür und müsste sich nicht immer rechtfertigen.

Das ist eine außerordentlich billige Herangehensweise, weil sich damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk, für den Herr Restle ja recht prominent steht, selbst von der Notwendigkeit dispensiert, sich mit den Inhalten der AfD zu beschäftigen. Das machen die öffentlich-rechtlichen Sender ja schon die ganze Zeit nicht. Stattdessen kam immer die stereotyp vorgetragene Formel: Guck mal, pfui Teufel, die sind alle Nazis.

Mit der nunmehrigen Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz haben die Akteure des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für diese verkürzte Sichtweise eine scheinbare Rechtfertigung. Aber Journalismus würde doch eigentlich bedeuten, dass man die Entscheidung des Verfassungsschutzes hinterfragt, indem man sich die Mühe macht, das Parteiprogramm der AfD näher anzuschauen. Indem man sich ferner die Mühe macht, die öffentlichen Äußerungen von AfD-Politikern genauer zu betrachten: Wie interpretieren sie also ihr eigenes Programm, wenn es um die Frage geht, wie sie ihre programmatischen Aussagen auf konkrete politische Handlungen herunterbrechen wollen? Eine genaue Betrachtung in diesem Sinne macht Arbeit. Und auf diese Arbeit scheinen die Herrschaften im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Lust zu haben. Das ist das Gegenteil von Journalismus.

Die Aufgabe von Journalisten würde jetzt darin bestehen, die Herausgabe des Verfassungsschutz-Gutachtens über die Einstufung der AfD notfalls mit gerichtlicher Hilfe zu erzwingen, das Gutachten anschließend zu analysieren und die Frage zu stellen, ob man der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz vertrauen kann. Journalismus, der diesen Namen verdient, nimmt nicht einfach alles hin, was ins eigene Weltbild passt, sondern geht den Fakten auf den Grund. Das scheint Herr Restle vergessen zu haben. Wenn er es denn jemals gelernt hat.

Es geht ja um die Unterstellung, die AfD sei in Gesamtheit rechtsextrem. Aber debattiert wird längst über ein Parteiverbotsverfahren. Das ist eine interessante Hinleitung, denn damit ist das Rechtsextreme quasi schon eingetütet, gesetzt und abgehakt.

Natürlich ist diese Einstufung als rechtsextrem wiederum eine Verwaltungsentscheidung, die der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Und mir ist bekannt, dass der Verfassungsschutz seitens der Kanzlei Höcker aus Köln bereits abgemahnt wurde, diese Einstufung und vor allen Dingen entsprechende Veröffentlichungen zu unterlassen.

Mir liegt hierzu ein 48-seitiges Abmahnschreiben des mandatsführenden Anwalts vor. Die AfD fängt also bereits an, sich zu wehren. Dem Verfassungsschutz war eine Frist gesetzt worden bis zum 5. Mai um 8:00 Uhr, um bestimmte Maßnahmen, insbesondere die Unterlassung entsprechender öffentlicher Äußerungen, ins Werk zu setzen, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, die natürlich unweigerlich folgen wird, wenn der Verfassungsschutz sich stur stellt.

Bevor man ein Verbotsverfahren auf diese Einschätzung stützt, müsste, wenn es mit rechtsstaatlichen Dingen zugeht, diese Verwaltungsentscheidung erst einmal durch die Instanzen vor Gericht überprüft werden. Das sind dann mindestens das Verwaltungsgericht Köln und das Oberverwaltungsgericht in Münster. Oder das Bundesverfassungsgericht tritt im Rahmen des Verbotsverfahrens sofort selbst intensiv in diese Prüfung ein. Allein die Tatsache, dass der Verfassungsschutz die AfD für gesichert rechtsextrem hält, besagt jedenfalls für ein Verbotsverfahren noch gar nichts.

Angesichts dieser Brisanz kann ich mir auch nicht vorstellen, dass hier nicht die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen wird. Zwar hatte das OVG Münster die Revision tatsächlich nicht zugelassen, als es die Einstufung der AfD als rechtsextremen Verdachtsfall bestätigte. Schon diese Nichtzulassung ist in meinen Augen rechtsfehlerhaft.

Mindestens aber wirft die noch viel weitergehende Einstufung als „gesichert“ rechtsextrem Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, zum Beispiel die Frage,

• ob die Bundesregierung überhaupt befugt ist, die Nachrichtendienste auf politische Parteien anzusetzen – immerhin geht es um eine politische Kraft, die mit dem Mittel von Parlamentswahlen die Ablösung der Regierung anstrebt, und die Möglichkeit einer solchen Ablösung gehört zu den Wesenselementen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung;

• wie der Begriff „rechtsextrem“ zu deuten ist und welche verfassungsschutzrechtliche Relevanz diesem Begriff zukommt, insbesondere ob und ab wann Rechtsextremismus als Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG anzusehen ist. Denn erst wenn diese Deutungshöhe erreicht ist, dürfen die Verfassungsschutzbehörden überhaupt tätig werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es gelingen kann, eine Definition von Rechtsextremismus zu finden, die diese Deutungshöhe erreicht, aber eben diese Definition muss dann eben auch geleistet werden, und wie wir bereits gesehen haben, hat der Verfassungsschutz eine solche Definition bislang nicht vorgelegt;

• ob vor der Einstufung einer Partei als gesichert rechtextrem die V-Leute des Verfassungsschutzes abgeschaltet werden müssen, wie dies ja bei einem Verbotsverfahren der Fall wäre. In meinen Augen ist bereits diese Frage zu bejahen. Denn die staatliche Exekutive verhält sich widersprüchlich, wenn sie selbst die rechtsextremen Äußerungen verantwortet, die sie dann einer missliebigen Partei zuschreibt, um deren politisches Wirken durch hoheitliche Eingriffe von beträchtlicher Tiefe massiv zu schwächen.

Das mag man alles gewiss auch anders sehen, aber gerade deswegen bedarf es für solche Fragen einer höchstrichterlichen Klärung. Jedenfalls aber kann man sagen: Wenn die Revision zugelassen wird, haben wir eine dritte Instanz beim Bundesverwaltungsgericht. Und wenn die Revision nicht zugelassen wird, haben wir immerhin die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht. Bis sämtliche Instanzen abgeschlossen sind, kann es also Jahre dauern.

Wenn man mit einem Verbotsverfahren nicht so lange warten möchte, kann man natürlich überlegen, ob man dasselbe Erkenntnismaterial, aus dem man die Einstufung als rechtsextrem herleitet, auch für einen Antrag auf ein Parteiverbot heranzieht.

Spätestens dann müssten die Vorwürfe und ihre tatsächlichen Grundlagen aber öffentlich gemacht werden. Ich finde es in rechtsstaatlicher Hinsicht völlig inakzeptabel, dass das Gutachten des Verfassungsschutzes zur Einstufung der AfD als gesichert rechtextrem immer noch unter Verschluss gehalten wird. Und noch weniger akzeptabel ist es, dass es dann aber an ausgewählte regierungstreue Medien durchgestochen wird.

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Die AfD hatte ja bereits gegen den Beobachtungsfall geklagt. Diese Klagen sind allesamt noch nicht abgeschlossen. Das ist alles noch in der Schwebe. Und in dieses Schweben hinein kommt die Verschärfung, die Eskalation. Wie ist das juristisch zu bewerten?

Auch hier hätte ich mir gewünscht, dass man erst mal das Thema Verdachtsfall rechtskräftig klärt, bevor man dann in die weitere Eskalationsstufe geht. Der Verdacht ist das notwendige Durchgangsstadium zum Beweis. Konsequent ist „verdächtig rechtsextrem“ notwendiges Durchgangsstadium zu „gesichert rechtextrem“. Wenn es schon keinen Verdacht gibt, gibt es auch nichts zu beweisen.

Vom Juristischen her ist es aber sauber?

Im Ergebnis ja, trotz der soeben beschriebenen Bedenken. Jetzt muss ich der werten Leserschaft einige Erläuterungen zu den juristischen Formalien zumuten:

Wenn ich einen Rechtssatz des Inhalts postulieren wollte, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Partei erst dann als gesichert rechtsextrem einstufen darf, wenn vorher die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall rechtskräftig gerichtlich bestätigt wurde, müsste ich die folgenden Prämissen belegen:

1. Die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall sei ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz). Verwaltungsakt ist eine behördliche Maßnahme, durch die ein Sachverhalt mit Außenwirkung geregelt ist.

2. Die verwaltungsgerichtliche Klage gegen diesen Verwaltungsakt, also diese Einstufung, habe nach § 80 Abs. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Aus der Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall dürften also keine Konsequenzen gezogen werden, bis der Verdachtsfall rechtskräftig richterlich bestätigt sei.

3. Daher dürfe insbesondere eine Partei, solange der Verdachtsfall in der Schwebe sei, nicht als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Denn ein Verdacht könne sich nicht erhärten, solange er sich noch selbst in der Schwebe befinde.

Schon die erste Prämisse lässt sich jedoch nicht belegen. Das OVG Münster hat, als es sich mit der Klage der AfD gegen deren Einstufung als rechtextremen Verdachtsfall zu befassen hatte, ausgesprochen, dass die Einstufung selbst nur eine behördeninterne Maßnahme sei und überhaupt nur deshalb gerichtlich angreifbar sei, weil mit ihr das außenwirksame Handeln, nämlich die Beobachtung der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln, untrennbar verbunden sei (Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22). Jene Beobachtung regelt dann aber nichts, sondern stellt rein tatsächliches Verwaltungshandeln dar.

Die AfD kann also das Bundesamt für Verfassungsschutz mit dem Ziel verklagen, die Beobachtungsmaßnahmen zu unterlassen. Sie kann zur Begründung vortragen, die ihr zugeschriebenen Äußerungen stammten gar nicht von ihr (sondern z.B. von V-Leuten des Verfassungsschutzes, sehe oben) oder jene Äußerungen stammten zwar von ihr, seien aber nicht als rechtextrem zu bewerten. Sie wird aber nicht mit der Behauptung gehört, der Verfassungsschutz möge gefälligst mit der Einstufung als gesichert rechtsextrem zuwarten, solange der Verdachtsfall noch nicht durch rechtskräftiges gerichtliches Urteil bestätigt sei.

Wenn ich jetzt in die Medien schaue oder auch in die sozialen Netzwerke, wird bereits – auch von prominenter Stelle – zu Großdemonstrationen für ein AfD-Verbot aufgerufen. Das erinnert mich an diese wenig spontan wirkenden Demonstrationsaufforderungen nach diesem Fake-Geheimtreffen von Correctiv in Potsdam. Da läuft etwas planmäßig. Wie ist Ihr Eindruck dazu?

Mein Eindruck ist: Frau Faeser war nur noch wenige Tage Bundesministerin. Jetzt kurz vor Ende ihrer Amtszeit fällte sie eine so weitreichende Entscheidung. Und dann geht es natürlich gleich wieder los: Wir müssen jetzt angeblich unbedingt wieder auf die Straße gehen „gegen Rechts“.
Das alles riecht nach politischem Ränkespiel. Dieses kann man nun wiederum unterschiedlich deuten:

• Erste Möglichkeit: Es gibt Absprachen zwischen Union und SPD, dass Frau Faeser, die ja jetzt in der neuen Regierung keine Rolle mehr spielt, noch schnell die Drecksarbeit erledigt, damit Herr Merz mit seinem Kabinett diese unbequeme Entscheidung nicht mehr treffen muss und sich seine Hände in – wie Sie es mal in einem Ihrer Beiträge so schön genannt haben – Unschuld desinfizieren kann.

• Zweite Möglichkeit: Die SPD weiß, dass der Koalitionsvertrag auf wackeligen Füßen steht und dass die Union, wenn die Roulette-Koalition scheitert (so nenne ich die Koalition, die jetzt kommt: Schwarze und rote Zahlen, grünes Spielfeld, an der Spitze steht eine Null, und die Bank gewinnt immer), zusammen mit der AfD eine parlamentarische Mehrheit hätte. Damit in der Union nur ja niemand auf die Idee kommt, die vielbeschworene Brandmauer zur AfD einzureißen, heftet man der AfD noch schnell das Rechtsextremismus-Etikett an.

• Dritte Möglichkeit: Die SPD will die Union in eine Art Moralgefängniseinsperren. Das würde wie folgt funktionieren: Ein AfD-Verbot würde dazu führen, dass alle AfD-Abgeordneten sofort ihr Mandat verlören. Folglich gäbe es im Bundestag sofort eine rot-rot-grüne Mehrheit. Die Union hat jetzt die Wahl zwischen Pest und Cholera: Stimmt sie für ein AfD-Verbot, ist sie die längste Zeit Regierungspartei gewesen. Friedrich Merz geht dann als Fünf-Minuten-Terrine-Kanzler in die Geschichtsbücher ein. Stimmt die Union aber gegen ein AfD-Verbot, setzt sie sich dem Vorwurf aus, eine gesichert rechtsextreme Partei zu decken. Der Weg ist dann frei für das Framing, dass die Union die Wahl habezwischen Macht und Moral und dass sie, solange sie sich gegen ein AfD-Verbot sperre, die Moral hinter ihr Machtstreben stelle. Wenn nur genügend Journalisten dieses Framing aufgreifen, gerät die Union gehörig unter Druck.

Wer das alles für böse Verschwörungstheorien hält, möge bitte erläutern, welches Vertrauen wir in einen Verfassungsschutzbericht haben sollen, der der Öffentlichkeit vorenthalten und dessen sehr weitreichendes Ergebnis der Öffentlichkeit von einer Ministerin präsentiert wird, die im Zeitpunkt der Veröffentlichung nur noch wenige Tage im Amt ist. Der Nährboden von sogenannten Verschwörungstheorien ist immer das Misstrauen der Menschen in das Handeln jener Akteure, gegen die sich solche „Theorien“ richten.

Wer den Menschen selbst so offensichtlich das Gefühl vermittelt, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann, braucht sich über das Misstrauen und über daraus abgeleitete Hypothesen, von welchen Intentionen das Misstrauen erweckende Verhalten wirklich getragen sein könnte, nicht zu wundern. Wenn jetzt zeitgleich zu irgendwelchen Demonstrationen aufgerufen wird, dann hat das natürlich etwas Orchestriertes. Es entsteht immer der Eindruck der Orchestrierung, wenn die Regierung oder regierungsnahe NGOs zu Demonstrationen aufrufen.

Normalerweise ist das Demonstrationsgrundrecht ein solches, das ich ausübe, weil ich den Machthabern meine Meinung sagen will. Aber hier geht es ja umgekehrt darum, dass das Volk von der Regierung auf die Straße geschickt wird, um gegen die Opposition zu demonstrieren. Da muss geradezu der Eindruck der Planmäßigkeit entstehen.

Dieses Durchstechen bei den Medien, das ist ja nicht der erste Fall. Was passiert? Dann gibt es ein paar Anzeigen, unter anderem von Anwalt Markus Haintz, der das immer sehr gewissenhaft macht. Und dann gibt es eine interne Untersuchung in der Behörde, und das war’s. Nichts passiert.

Ich erinnere jetzt mal an das Prinz-Reuß-Strafverfahren in Frankfurt. Am 5. Dezember 2023 strahlte die ARD im Anschluss an ein DFB-Pokalspiel eine „Dokumentation“ aus über ein sogenanntes „Schattenreich der Reichsbürger“. Das war nichts anderes als das Drehbuch zur Anklageschrift. Und am 8. Dezember 2023 wurde eben diese Anklageschrift vorgelegt.

Ziemlich am Anfang der „Dokumentation“ gaben die Autoren preis, dass die Leitungen von Bundesjustizministerium, Verfassungsschutz, Bundeskriminalamtund Generalbundesanwaltschaft sich natürlich mit Blick auf die laufenden Ermittlungen weigern, irgendwelche Auskünfte zu geben. Gleich im Anschluss daran heißt es aber (wörtlich!): „Dennoch gelingt es uns, Kontakte in Ermittlerkreise aufzunehmen. Wir können interne Akten einsehen, sprechen mit Zeugen. Daraus machen wir uns ein eigenes Bild.“

Dieser Film ist also zustande gekommen durch Indiskretionen innerhalb der Behörde. Das ist übrigens eine Tendenz, die sich während des Verfahrens nahtlos fortsetzt: Journalisten, vor allem solche aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erhalten Einblick in die Ermittlungsakten. Das ist alles schlicht rechtswidrig, aber das scheint niemanden zu interessieren außer die Angeklagten und ihre Verteidiger.

Was die Journalisten sehen dürfen, sind im Zweifel selektiv herausgepickte Einzelergebnisse, die scheinbar die Angeklagten belasten, von denen man aber noch nicht einmal weiß, ob sie aus ihrem Kontext gerissen wurden und in ihrem wirklichen Kontext etwas ganz anderes besagen.
Die Journalisten sekundieren dann in ihrer „Berichterstattung“ schön brav, wie gefährlich diese Reuß-Gruppe angeblich gewesen sei. Das ist ein orchestriertes Kartell aus Politik, Behörden und Medien. Und genau so scheint es hier beim AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes auch wieder gelaufen zu sein.

Danke für das Gespräch!

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