Give Peace no Chance

Rollatoren vor dem Reichstag: 60 einsame Demonstranten gegen den Rest der Welt

von Julian Adrat (Kommentare: 7)

„Auf die Straße gegen Aufrüstung und Krieg!“© Quelle: Foto privat

Im Inneren des Reichstags wird noch mit einem alten Parlament über das Schicksal Deutschlands verhandelt. Ein gigantischer Ausverkauf an die Ukraine, der mit den neugewählten Machtverhältnissen schwieriger wird. Und vor der Tür ein paar dutzend überalterte Demonstranten. Das Land ist verloren.

Es ist der Morgen, an dem die Zeitungen über den Ramadan-Zwang an einer Berliner Schule in Neukölln berichten. Am U-Bahn Ausgang in Richtung Reichstag wirbt das Parlament um Arbeitskräfte: Unter den sechs Menschen, die verschiedene Arbeitsbereiche (Polizei, Sicherheit, Verwaltung etc.) abbilden, auch eine Frau mit Kopftuch. Die Rolltreppe trägt mich aus dem Untergrund hervor, rechterhand ragt das Reichstagsgebäude auf, es sind 7 Grad, gleich findet hinter diesen Mauern die erste Lesung über 900 Milliarden neue Schulden statt.

Etwa 60 Menschen haben sich zwischen dem Ostportal und dem Gedenkort Weiße Kreuze am Spreearm versammelt. Fahnen wehen, weiße Friedenstauben auf blauem Grund. Eine Verdi-Flagge, eine Regenbogen-Flagge, eine BSW-Flagge mit Friedenstaube.

Menschen 55 plus halten Banner: „Keine Grundgesetzänderung, Hochrüstung und  Kriegstüchtigkeit! Reden statt Rüsten“, „Hände weg vom Grundgesetz“, Ein älterer Herr: „1914,2025 - Keine Kriegskredite!“ Eine Frau um die Vierzig mit langen roten Haaren trägt ein Engelskostüm, zu ihren Füßen ein roter Schirm: „Stop War“.

Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen. „Auf die Straße gegen Aufrüstung und Krieg!“, lautete der Aufruf des Bündnis Sarah Wagenknecht - „Meinen Sohn (25) kriegt ihr nicht.“ Bei vielen der Demoteilnehmer mögen selbst Söhne das wehrfähige Alter bald überschritten haben. „Meinen Enkel kriegt ihr nicht“ wäre die trefflichere Formulierung. Senioren für den Frieden, könnte die Demo auch heißen.

Warum? - Warum sind es so wenige? Denn der Vorgang hinter den Mauern ist in vielerlei Hinsicht einzigartig: Ein bereits abgewählter und aufgelöster Bundestag kommt in letzter Sekunde für eine Verfassungsänderung zusammen und beschließt eine Verschuldung von knapp einer Billion Euro. Eine nie dagewesene Zahl. Davon sollen 400 Milliarden allein (!) für Aufrüstung verwendet werden. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt 2024 betrug knapp 480 Milliarden.

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Auf einem anderen Banner reiten Friedrich Merz und Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf eine Rakete in Richtung der Basiliuskathedrale in Moskau (das ist die mit den bunten Kuppeln).

Eine Seniorin liest Prosa des Deutschen Schriftstellers und Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch:

Willst du einen Krieg verhindern, musst du viele Worte machen. Lärmen schreien, singen, lachen, streiten, rufen, reden. Wenn’s nur einer ist, o töricht. Alle müssen schrei’n, miteinander sprechen. Auf der ganzen Welt.

Was uns jetzt am Leben hält: Alle müssen’s sein. Wenn die hohen Herren schweigen, uns nur noch den Rücken zeigen, und mit Staube und Asche spielen, müssen wir usn selbst zu Friedenswaffen machen, und in allen Menschensachen miteinander reden, denken, fühlen. Kopf an Kopf, und Haut an Haut.

Keine Kälte kann uns trennen.

Bis wir stark und deshalb heiter, ernst und ruhig sagen können: Der Krieg ist tot. Der Mensch lebt weiter.

Die Menschen klatschen, eine Trillerpfeife ist zu hören. Die Oma beugt sich zum Verstärker und fummelt eine Weile herum, ehe rhythmische E-Gitarren-Akkorde erklingen. Der Rock klingt gut, aber ich kann ein Fremdschamgefühl nicht abstreifen und eine Enttäuschung über ein träge gewordenes Volk: Die, die hier demonstrieren, werden gar nicht so viel von den Schulden zurückzahlen müssen. Die Biologie ist da unerbittlich. Unerbittlich wird auch das Erwachen der Jugend einmal sein.

(Quelle:Julian Adrat privat)
(Quelle:Julian Adrat privat)

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