Es ist der Morgen, an dem die Zeitungen über den Ramadan-Zwang an einer Berliner Schule in Neukölln berichten. Am U-Bahn Ausgang in Richtung Reichstag wirbt das Parlament um Arbeitskräfte: Unter den sechs Menschen, die verschiedene Arbeitsbereiche (Polizei, Sicherheit, Verwaltung etc.) abbilden, auch eine Frau mit Kopftuch. Die Rolltreppe trägt mich aus dem Untergrund hervor, rechterhand ragt das Reichstagsgebäude auf, es sind 7 Grad, gleich findet hinter diesen Mauern die erste Lesung über 900 Milliarden neue Schulden statt.
Etwa 60 Menschen haben sich zwischen dem Ostportal und dem Gedenkort Weiße Kreuze am Spreearm versammelt. Fahnen wehen, weiße Friedenstauben auf blauem Grund. Eine Verdi-Flagge, eine Regenbogen-Flagge, eine BSW-Flagge mit Friedenstaube.
Menschen 55 plus halten Banner: „Keine Grundgesetzänderung, Hochrüstung und Kriegstüchtigkeit! Reden statt Rüsten“, „Hände weg vom Grundgesetz“, Ein älterer Herr: „1914,2025 - Keine Kriegskredite!“ Eine Frau um die Vierzig mit langen roten Haaren trägt ein Engelskostüm, zu ihren Füßen ein roter Schirm: „Stop War“.
Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen. „Auf die Straße gegen Aufrüstung und Krieg!“, lautete der Aufruf des Bündnis Sarah Wagenknecht - „Meinen Sohn (25) kriegt ihr nicht.“ Bei vielen der Demoteilnehmer mögen selbst Söhne das wehrfähige Alter bald überschritten haben. „Meinen Enkel kriegt ihr nicht“ wäre die trefflichere Formulierung. Senioren für den Frieden, könnte die Demo auch heißen.
Warum? - Warum sind es so wenige? Denn der Vorgang hinter den Mauern ist in vielerlei Hinsicht einzigartig: Ein bereits abgewählter und aufgelöster Bundestag kommt in letzter Sekunde für eine Verfassungsänderung zusammen und beschließt eine Verschuldung von knapp einer Billion Euro. Eine nie dagewesene Zahl. Davon sollen 400 Milliarden allein (!) für Aufrüstung verwendet werden. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt 2024 betrug knapp 480 Milliarden.
Ihre Unterstützung zählt
Auf einem anderen Banner reiten Friedrich Merz und Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf eine Rakete in Richtung der Basiliuskathedrale in Moskau (das ist die mit den bunten Kuppeln).
Eine Seniorin liest Prosa des Deutschen Schriftstellers und Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch:
Willst du einen Krieg verhindern, musst du viele Worte machen. Lärmen schreien, singen, lachen, streiten, rufen, reden. Wenn’s nur einer ist, o töricht. Alle müssen schrei’n, miteinander sprechen. Auf der ganzen Welt.
Was uns jetzt am Leben hält: Alle müssen’s sein. Wenn die hohen Herren schweigen, uns nur noch den Rücken zeigen, und mit Staube und Asche spielen, müssen wir usn selbst zu Friedenswaffen machen, und in allen Menschensachen miteinander reden, denken, fühlen. Kopf an Kopf, und Haut an Haut.
Keine Kälte kann uns trennen.
Bis wir stark und deshalb heiter, ernst und ruhig sagen können: Der Krieg ist tot. Der Mensch lebt weiter.
Die Menschen klatschen, eine Trillerpfeife ist zu hören. Die Oma beugt sich zum Verstärker und fummelt eine Weile herum, ehe rhythmische E-Gitarren-Akkorde erklingen. Der Rock klingt gut, aber ich kann ein Fremdschamgefühl nicht abstreifen und eine Enttäuschung über ein träge gewordenes Volk: Die, die hier demonstrieren, werden gar nicht so viel von den Schulden zurückzahlen müssen. Die Biologie ist da unerbittlich. Unerbittlich wird auch das Erwachen der Jugend einmal sein.
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Kommentare
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Kommentar von Micha
Der Autor gehört wohl eher zu denjenigen, die von unseren Steuern leben.
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Und so lange die Leute, die noch 50 Jahre lang die neuen Schulden werden bezahlen müssen, nicht demonstrieren, kann ich auch zu Hause bleiben. Statistisch gesehen habe ich noch 15 Jahre.
Und in D gibt es sehr viele Leute, die haben gerade mal genug Geld, um jeden Monat über die Runden zu kommen. Denen ist das auch egal, weil noch mehr kann der Staat denen nicht nehmen, ohne ihnen Bürgergeld zahlen zu müssen. Dann kann es ihnen nämlich komplett hinten vorbei gehen.
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Kommentar von Eugen Karl
Keine Kriegskredite! Aber auch keine anderen Kredite, sondern Rückzahlung der schon laufenden Kredite: Entschuldung Deutschlands, Verschlankung des Staats und Rückgabe der staatlichen Gewalt an den Souverän, runter mit den Steuern. Es reicht. Mehr Milei wagen, sofort.
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Kommentar von Farg Alucard
"Warum? - Warum sind es so wenige?"
Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass die wenigsten freie Künstler oder Portraitmaler in abstrakfigürlichem Konstruktivismus sind. Das ist übrigens nicht böse oder vorwurfsvoll gemeint, sondern einfach eine Feststellung. Der einfache Arbeiter muss zusehen, dass er über die Runden kommt. Wer kann bzw will sich schon intensiver mit diesen ganzen Verwerfungen auseinandersetzen, wenn es neben der Arbeit noch gilt, die Alltagsprobleme zu bewältigen. Die Herrschenden und ihre Helfershelfer wissen schon ganz genau, wie die Bevölkerung zu lenken ist. Das ist aber schon lange keine neue Erkenntnis...
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Kommentar von Tim Spieker
These 1:
Uns geht es (zu oder noch) gut! Und solange noch was im Kühlschrank ist und der Fernseher läuft ist alles halbwegs ertragbar.
These 2:
Wir liegen falsch mit unserer Meinung. Vielleicht ist der von Union und SPD vorgeschlagene Weg ja richtig?
These 3:
Die noch Lebenden der alten Friedensbewegung sind einfach out. Ich meine, ich würde mich doch als erstes fragen, warum da nur alte Knöppe demonstrieren und keine Jugend weit und breit ist?
These 4:
Eine Vielzahl an Medien erschafft eine Kakophonie aus Meinungen, Fake-News und Informationen, dass jedem der Kopf schwirren muss und ein klarer Gedanke kaum zu fassen ist.
These 5:
Die Steuerung der Gesellschaft durch Nudging, Propaganda und Einflussagenten ist schon so umfassend, dass jedweder Widerstand in einer frühen Phase gebrochen werden kann (Bsp. Ballweg, Füllmich u.a.).
These 6:
Die Gesellschaft ist schon so sehr gespalten und zerfasert, dass einfach keine ausreichende Menge mehr mit einem halbwegs einheitlichen Weltbild vorhanden ist, aus der sich Demonstranten für eine Sache rekrutieren ließen.
Jetzt erwarte ich von jedem ein Tortendiagramm und bin gespannt auf die Größe der Kuchenstücke jeder einzelnen These...
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Kommentar von Eff. Pe.
gegen deren Willen Deutschland retten zu können,
sollte das heißen.
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Kommentar von Eff. Pe.
Die tun wenigstens was!
Ich habe die BRD-Egoisten sowas von satt, von dem ganzen anderen Gesindel ganz zu schweigen.
Aber ich will noch sehen, wie die alle mit ihrem Verhalten die Wand fahren.
Im Grunde geht es auch nicht mehr darum, irgendwelchen freidrehenden Egoisten oder Bekloppten noch zu helfen.
Oder zu glauben, gegen deren Deutschland retten zu können.
Es geht nur noch darum, wer auf der guten Seite steht und wer auf der Gier-Seite.
Und das muß jeder sehen können und jeder muß wissen, wer wo steht und wo gestanden hat.
Dieser Faschismus der Egoisten ist das letzte Aufbäumen der alten üblen Kräfte.
Das wird noch richtig aufkochen und brodeln, bevor das Thema ein für allemal durch ist, egal in welchem Bereich, Klima, Krieg, Corona, Soros-Weltordnung.
Es geht nur so, daß diese Leute den Zusammenbruch ihrer Lügen konkret miterleben und auch die Konsequenzen.
Um die wenigen Prozent echten und anständigen Deutschen in diesem ganzen Mischmasch mache ich mir gar nicht soviele Sorgen. Die stabilen und anständigen Naturen machen immer ihren Weg.
Die deutsche DNA wird nicht untergehen. Aber Gesindel wird immer Gesindel bleiben und sich am Ende selbst zerfleischen. Wir sind jetzt auf dem Weg einer Katharsis, die aus Größenwahn kommt, mal wieder.
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Kommentar von max
Deutschland will Krieg
Krieg kommt nach Deutschland