Es war eine angenehm unaufgeregte Veranstaltung

Sahra Wagenknecht in Braunschweig: Breite Zustimmung für eine Verhandlungslösung

von Ulf Küch (Kommentare: 28)

„Auch, wenn ich nicht alle ihre politischen Aussagen teile, kann ich ihr doch zuhören.“© Quelle: Ulf Küch

Sahra Wagenknecht war gestern in Braunschweig und sprach mit Oberst a.D. Wolfgang Richter in der Magni-Kirche unter dem Motto „Ukraine: Verhandlungen jetzt! – Mögliche Wege aus der Eskalationsspirale“. Alexander Wallasch befragte mich zu meinen Eindrücken.

Sie waren gestern bei einer Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht (Die Linke), um was ging es?

Um den Ukrainekrieg. Frau Wagenknecht war aber nicht alleine in der Braunschweiger Magni-Kirche. Die Veranstaltung gestern Abend um 19 Uhr war als Disput angelegt. Oberst a. D. Wolfgang Richter war ebenfalls eingeladen. Er ist Experte für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.

Wer hat das veranstaltet?

Ich meine, das waren die „Ärzte gegen den Atomkrieg“ und der örtliche Pfarrer sowie ein „Friedensbündnis Braunschweig“ und das „Friedenszentrum Braunschweig". Der Pfarrer der Magni-Kirche hat das Vorwort gesprochen, was inhaltlich sehr gut war, sehr wohltuend, weil er sehr ruhig argumentiert hat und sagte, wir müssten uns jetzt alle Seiten mal anhören. Nach bald anderthalb Jahren Krieg müsse endlich mal etwas passieren, das könne ja so nicht weitergehen.

Es war eine unaufgeregte Veranstaltung. Und es waren sehr, sehr viele Menschen gekommen. Die Kirche war rappelvoll, vielleicht fünfhundert, wenn nicht sogar mehr Gäste. Und ja, es hat auch zwei Krakeeler vor der Tür gegeben, die ihre üblichen Slogans gerufen haben wie „Keine Verhandlung“, „Sprecht nicht mit der Wagenknecht“ usw. Ich persönlich halte davon nichts, ich höre mir alle Seiten an und bilde mir hinterher meine Meinung.

Die Veranstalter kommen aus dem linken Spektrum. Das linke Spektrum gibt sich vielfach regierungsnah bis hin zur Antifa. Das heißt, hier haben wir ja potenziell Veranstalter und Demonstranten auf derselben Seite. Da wird es langsam schwierig, die kontroversen Positionen herauszukitzeln …

Ja, die versteht man dann auch nicht mehr. Und ich denke, der Pastor hat das sehr gut gesagt. Es geht hier gar nicht mehr so sehr um eine politische Haltung, sondern um eine humanistische Haltung und um die Frage, wie kann man das Töten in der Ukraine, in diesem Krieg, der von Russland zweifelfrei angezettelt worden ist, jetzt endlich beenden? Denn es wird so kein Ende geben.

Eine evangelische Kirche?

Das ist die Magni-Kirche, eine sehr alte wunderschöne evangelische Kirche.

Der Kirchentag der EKD hat für sich entschieden, dass Waffenlieferungen gut sind. Haben wir es hier mit einem abtrünnigen Pastor zu tun?

Wenn man will, kann man das so sehen. Ich würde eher sagen, es ist ein vernünftiger Pastor. Das, was die EKD da gerade rausbläst, ist nach meinem Dafürhalten das Unchristlichste, was man machen kann. Das hatten wir schon x-mal in der Geschichte. Auch die katholischen Päpste haben die Kanonen Mussolinis gesegnet, damit diese die bösen Feinde totschießen. Oder Kaiser Wilhelm, der gesagt hat: Gott ist mit Euch im Kampf. Nein, es ist kein Gott dabei, wenn die armen jungen Männer in den Schützengräben elendig verrecken oder die Zivilbevölkerung drangsaliert und getötet wird, da ist der liebe Gott nicht dabei.

Jetzt war Sahra Wagenknecht da und weitere Diskutanten …

Genau, Sahra Wagenknecht, Oberst a.D. Richter, ein ehemaliger leitender Militärberater der deutschen OSZE-Vertretung in Wien, also ein Hochkaräter und auch jetzt keiner, der unbedingt auf der linken Spur fährt. Richter sagte auch mal: „Der Herr Bundeskanzler macht dies, der Herr Bundeskanzler macht das.“ Er war demnach schon von der anderen Seite.

Aber das ist ja schon die nächste Irritation. Wenn Sie von linker Spur sprechen, bin ich zunächst mal bei der Bundesregierung …

Ja, dass ist sowieso das Dilemma, in dem wir uns mittlerweile in diesem Land bewegen, was ist links, was ist rechts? Das ist alles verschwommen. Ich habe schon mal Schwierigkeiten zu sagen, ist das jetzt eine linke Position oder eher eine rechte Position? Ich denke mittlerweile, es muss für die Menschen sein. Und dann ist doch eigentlich vollkommen egal, ob das links oder rechts ist.

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Welchen Eindruck machte Sahra Wagenknecht?

Sie ist in ihrer Erscheinung alles andere als eine Linke, keine klassische Politikerin. Sie ist eine sehr angenehme Frau. Vom Auftreten her ist sie sehr sicher und hochintelligent. Auch, wenn ich nicht alle ihre politischen Aussagen teile, kann ich ihr doch zuhören. Und was sie sagt, hat meistens Hand und Fuß.

Was hat Frau Wagenknecht gesagt, mal zusammengefasst?

Zusammengefasst gesagt hat sie, dass es jetzt ohne Verhandlungen so nicht mehr weitergehen kann. Das ist genau die Kritik, die viele Menschen auch in der Kirche formulierten. Man sieht überhaupt keine Ambition der Bundesregierung oder des Westens, sich auf eine Verhandlungslösung einzulassen. Das sei das Problem, hat auch Sahra Wagenknecht gesagt.

Und sie hat weiter gemeint, dass die Ukraine diesen Krieg so nicht gewinnen wird, weil sie ihn nicht gewinnen kann. Frau Wagenknecht hat aber anerkannt, dass die Russen völkerrechtswidrig dieses Land angegriffen haben. Aber sie sagt auch, man muss es im Kontext zur Vorgeschichte sehen, was indirekt der Oberst auch eingeräumt hat.

Der hat die militärische Situation dargestellt und wie verfahren dieser Krieg mittlerweile sei. Und er ließ durchblicken, dass eine militärische Lösung, so wie sie jetzt gedacht wird, vom Westen so überhaupt nicht möglich ist.

Andere Militärs haben sich aber deutlich geirrt. Insofern nämlich, dass die russischen Truppen eben nicht durchmarschiert sind innerhalb weniger Wochen bis Kiew …

Ja, das hat Oberst Richter am Anfang auch gesagt. Er hat die militärischen Aktionen der Russen dargelegt und hat gesagt, das sei der erste Irrtum gewesen, dass man meinte, dass die Russen durchmarschieren.

Allerdings hat er auch gesagt, und das war mit vorher auch nicht so klar, dass die Russen zunächst nur mit einer Berufsarmee einmarschiert sind. Das sei der Irrtum auf Seiten der Russen gewesen, das habe nicht funktioniert, das habe nicht ausgereicht. Die Ukraine habe sich gewehrt, womit die Russen wohl nicht gerechnet hätten. Der zweite Irrtum sei gewesen, dass man überhaupt gedacht habe, dass man das konventionell militärisch gewinnen könne.

Deswegen so Richter, haben die Russen sich auch zunächst zurückgezogen. Ob es sich um eine Ablenkung gehandelt hat, das war eben nicht ganz klar. Und weil es damals bei der Einnahme der Krim keinen Widerstand gab, haben die Russen wohl fälschlicherweise darauf geschlossen, dass es auch dieses Mal keinen gibt. Richter sprach von einer klaren militärischen Fehleinschätzung,

Gab es anschließend Zuschauerfragen?

Ja, Zuschauer haben beispielsweise auch nach der Sprengung der Gaspipeline gefragt. Und da hatte Frau Wagenknecht eine klare Aussage: Sie glaubt nach wie vor dem US-Journalisten Seymour Hersh, dass die Amerikaner dahinterstecken. Auch übrigens, wenn die Presse jetzt sagt, dass es die Ukraine gewesen sei.

Die Russen selbst werden es nicht gewesen sein, warum auch sollen sie es machen? Wagenknecht und Richter waren sich auch vollkommen einig, dass es eine große Fehleinschätzung des Westens war, Russland wirtschaftlich niederzwingen zu wollen.

Die Russen, so Richter, seien sehr wohl in der Lage, ihre eigenen Militärproduktion hochzufahren, und zwar so hochzufahren, dass sie nicht gestört wird. Und dann kamen natürlich von den Zuschauern auch Fragen dahingehend, ob wir jetzt teures Gas bezahlen müssen. Da sagte Frau Wagenknecht unter anderem in etwa: Na klar, das wird jetzt über Indien und sonst wen verkauft, und wir kaufen es zu überteuerten Preisen gezielt wieder ein.

Waren Sie darüber überrascht, dass es gar keine Störung gab während des Vortrags? Bei solchen polarisierenden Veranstaltungen hat man sich ja schon bald daran gewöhnt …

Das hat mich wirklich positiv überrascht. Der zuständige Pfarrer hatte vorher schon darum gebeten, keine Transparente aufzurollen, daran wurde sich gehalten, es gab kein Theater und kein Geschrei.

Aber liegt das nicht auch daran, dass hier diejenigen, die sonst das Theater machen, auf einmal die Veranstalter waren?

Vielleicht lag es auch daran, dass diese ganz jungen Menschen gar nicht da gewesen sind. Das hat mich auch überrascht. Es waren Menschen so im Alter von 50 aufwärts.

Und wie erklären Sie sich das?

Offenbar sind nur noch die Älteren in der Lage, sich politisch mit dieser ganzen Situation mal wirklich auseinanderzusetzen und zu merken, welche großen Gefahren darin liegen. Viele jüngere Menschen, die interessiert das überhaupt nicht, die machen sich gar keine Gedanken darüber. Die gucken, wo es günstig was abzugreifen ist. Oder es gibt halt diejenigen, die jetzt vollkommen verblendet sind, diese Klimakleber, die sich auf die Straße patschen. Der Rest ist relativ unpolitisch.

Die da gestern Abend anwesend waren, die haben aufmerksam zugehört, das waren keine Linken, und das waren keine Rechten. Das waren ganz normale Bürger aus Braunschweig. Da waren keine Schreihälse dabei. Und die haben eigentlich alle im Fokus gehabt: Dieser Krieg muss jetzt beendet werden, es geht so nicht weiter. Und die ganz Alten haben gesagt, wir haben das hier noch erlebt, was hier passiert ist mit dem Krieg, das wollen wir hier nicht. Und der Oberst hat auch gesagt, eine Eskalation können wir uns überhaupt nicht leisten. In Deutschland wäre der Mittelpunkt der militärischen Auseinandersetzung.

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