„Es geht nicht um die Ukraine, sondern um amerikanische Interessen in Bezug auf Russland“

Sekt und Granaten: Deutsche Politikerdarsteller versuchen "Anschein von Politik" zu wahren

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Dr. Hans-Georg Maaßen startet in die Woche mit Faeser & Heils Proseccogate in Kiew. Und wir sprechen über einen Krieg, der nicht enden will, über Kapitalismus, Imperialismus und über Marktwirtschaft.

Alexander Wallasch: Einige Bundesminister machen reihum Schlagzeilen, das Versagen scheint Methode zu haben. Aber ebenso schnell sind diese Meldungen auch vergessen, so wie jene von Nancy Faeser und Hubertus Heil Ende Juli in Kiew …

Hans-Georg Maaßen: Die Bundesminister Faeser und Heil waren nach dem Besuch der zerstörten Stadt Irpin sichtlich gut gelaunt und vergnügt, als sie scherzend mit einem Glas Sekt oder Champagner in der Hand in Kiew fotografiert wurden. Zuvor ließen sie sich mit Schutzwesten in Kriegssruinen fotografieren. Ich habe den Eindruck, dass es ihnen und ihren Beratern nicht darum ging, Anteilnahme zu zeigen, sondern gute Bilder für die heimische Medienlandschaft zu erhalten.

Alexander Wallasch: Spielen die Medien bereitwillig mit?

Hans-Georg Maaßen: Politiker agieren so, weil sie wissen, wie Medien reagieren. Es ist ein Spiel mit einfachen Spielregeln. Medien mögen Emotionen, einfache Sachverhalte und Bilder, und sie sind regelmäßig auch zufrieden, wenn Politik durch den Anschein von Politik ersetzt wird, solange es interessante Berichte gibt.

Das wissen Politiker genau, und sie richten ihr Handeln danach aus. Es ist medial erfolgreicher, mit Gummistiefeln und entschlossenem Blick durch die Ruinen einer Hochwasserkatastrophe zu waten, mit Opfern zu sprechen und den Anschein von Emotionen und Anteilnahme zu zeigen, als ein paar Stunden hart am Schreibtisch zu arbeiten. Das wusste Armin Laschet, als er letztes Jahr ins Hochwassergebiet an der Ahr fuhr, und das dürfte auch der Grund für die Reise von Faeser und Heil in die Ukraine gewesen sein.

Allerdings messen die Medien, die das Spiel normalerweise gerne mitspielen, mitunter mit zweierlei Maß: Ein unpassendes Lachen des Kanzlerkandidaten Laschet beim Ahrhochwasser, mit dem sich seine Anteilnahme als das entlarvte, was sie war, nämlich als eine Inszenierung für die Medien, führte dazu, dass ihm das während des Wahlkampfs gnadenlos entgegengehalten wurde und man damit die Frage verknüpfte, ob er charakterlich geeignet sei, Bundeskanzler zu werden. Dagegen nahmen die meisten Medien den fröhlichen Sektempfang der beiden Kriegsreisenden Minister Faeser und Heil gleichgültig zur Kenntnis. Mit Ausnahme allerdings von Julian Reichelt und einigen wenigen anderen.

Laschet wurde von Medien kritisiert, obwohl er eigentlich das machte, was heutzutage alle Politiker machen. Mir liegt es fern, ihn in Schutz zu nehmen, aber es war damals ziemlich offensichtlich, dass die Skandalisierung auch dazu diente, von Olaf Scholz‘ Vergangenheit abzulenken. So hätte man durchaus die Rolle von Scholz beim Bankrott von Wirecard, beim Sicherheitsdesaster während des Hamburger G20-Gipfels und beim Cum-Ex-Skandal hinterfragen müssen. Laschets Lachen im Ahrtal diente den Massenmedien dazu, ihn zu diskreditieren. Das war bezogen auf den Umgang mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz absolut einseitig. Und das muss man den Massenmedien in Deutschland vorwerfen: Sie sahen den Splitter im Auge des CDU-Kandidaten, weigerten sich aber, den Balken im Auge des SPD-Kandidaten zu sehen.

Alexander Wallasch: Was haben Faeser und Heil überhaupt in der Ukraine gewollt?

Hans-Georg Maaßen: Im aktuellen Fall aus Irpin und Kiew wurde es ganz offensichtlich, dass diese beiden SPD-Bundesminister nur aus medial-touristischen Gründen hingereist sind, um den Anschein von Anteilnahme zu erwecken. Aber immer mehr Bürger wollen nicht mehr belogen werden, sie wollen keine Politiker, die sich für gute Medienberichte inszenieren, und sie wollen keine Medien, die das mitspielen und nur dann Spielverderber sind, wenn es ihnen passt, um auf einen Wahlausgang Einfluss zu nehmen.

Im Moment haben die Medien Saure-Gurken-Zeit. Es wird kaum Substanzielles berichtet. Das Parlament tagt nicht. Die Bundesregierung ist im Urlaub. Das ist die Zeit der Sommerloch-Geschichten, in der sich wenig bekannte Politiker für ein paar Tage ins politische Rampenlicht schieben oder sich mit verrückten Forderungen Gehör verschaffen können, wie vor Jahren einmal ein CSU-Hinterbänkler mit der Forderung, dass Mallorca ein deutsches Bundesland werden sollte. Diese Sommerzeit wollen ambitionierte Politiker nutzen, sich ins Gespräch zu bringen. Und wenn man nicht den Ankauf von Mallorca durch die Bundesregierung fordert, dann liegt in Zeiten wie diesen nichts näher, als in die Ukraine zu reisen und sich in zerstörten Städten und mit Kriegsopfern und den bei uns beliebten Kriegsgrößen Selenskyj und Klitschko fotografieren zu lassen. Friedrich Merz hatte damit erfolgreich Medienarbeit gemacht. Das ist Kriegstourismus, um durch den Anschein von Interesse und Anteilnahme gute Berichterstattung und schöne Bilder zu erzielen.

Alexander Wallasch: Der Krieg hat sich etabliert, die Monate ziehen ins Land, Menschen sterben weiter. Was ist ihre Einschätzung?

Hans-Georg Maaßen: Es fällt schwer, die aktuelle Lage in der Ukraine zu analysieren, da die Berichterstattung über das Kriegsgeschehen sehr unzuverlässig ist. Auffallend ist allerdings, dass Putin beziehungsweise die russische Militärführung in den ersten vier Wochen die Kriegstaktik komplett änderte.

Der ursprüngliche Versuch des russischen Militärs, durch den Einsatz von Fallschirmjägern in Kiew die ukrainische Hauptstadt handstreichartig einzunehmen und dadurch die politisch-militärische Führung der Ukraine zu enthaupten, war gescheitert. Jetzt soll der Donbass im Osten der Ukraine schrittweise eingenommen werden. Mein Eindruck ist:

Die Russen lassen sich sehr viel Zeit. Dabei gehen sie – ich sage es in Anführungszeichen – "relativ zurückhaltend" vor, wenn ich das zum Beispiel mit rücksichtslosen Flächenbombardements in anderen Kriegen vergleiche. Daraus schließe ich, dass der Krieg in erster Linie gegen das ukrainische Militär und nicht gegen die Zivilbevölkerung geführt wird, was auch der russischen Staatspropaganda entspricht, dass es sich in diesem Teil der Ukraine um eine befreundete Bevölkerung handelt, die befreit werden soll. Das russische Militär geht schrittweise vor: Jeden Tag ein paar Kilometer weiter, vielleicht zwei Schritte vor, einen zurück, drei Schritte weiter, einen zurück, so jedenfalls nehme ich das wahr.

Alexander Wallasch: Aber die Medien vermelden immer wieder neue Mobilisierungen oder sogar Geheimwaffen der Ukraine …

Hans-Georg Maaßen: Die ukrainischen Soldaten sind tapfer und leisten starken Widerstand. Aber ich habe Zweifel, dass sie dauerhaft diesem militärischen Druck der Russen standhalten können. Man darf nicht vergessen, dass auf russischer Seite jetzt in hohem Umfang die Milizen der von Russland anerkannten Republiken Luhansk und Donezk und die Söldner der Wagner-Truppe kämpfen. Aus meiner Sicht könnte die russische Seite noch wesentlich mehr Ressourcen an die Front bringen, um den Krieg weiter zu befeuern.

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Alexander Wallasch: Auf Amerikas Straßen bleibt es ruhig, keine nennenswerte Friedensbewegung in Sicht, die sich laut gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht …

Hans-Georg Maaßen: Das trifft wohl zu, aber man muss die Unterschiede sehen zwischen dem Ukrainekrieg und anderen Kriegen, die Hunderttausende oder Millionen Amerikaner auf die Straßen gebracht hatten, wie beispielsweise der Vietnamkrieg. In der Ukraine sind die USA formal nicht Kriegspartei und das Leben von amerikanischen Soldaten ist anders als im Vietnamkrieg nicht bedroht. Derzeit werden Kriegsmaterial, Geld und Informationen der Ukraine zur Verfügung gestellt. Allerdings spüren inzwischen viele Amerikaner die negativen Auswirkungen der Sanktionen und vor allem die höheren Treibstoffpreise.

Aber es ist nicht so, dass junge Männer eingezogen werden. Das macht den großen Unterschied aus, jedenfalls in der Wahrnehmung der Bevölkerung.

Hinzu kommt, dass Politik und Medienpropaganda der Bevölkerung den Ukrainekrieg nach wie vor mit Erfolg als Kampf des Guten gegen das Böse verkaufen. Aus dieser Perspektive sind das Selenskyj-Regime und die Ukraine die Guten, Putin und Russland dagegen die Bösen. In der aktuellen Berichterstattung findet man kaum kritische Informationen über Selenskyj und seine Leute. Diese Perspektive hat sich in den USA noch nicht gedreht.

Beim Vietnamkrieg gelang es den Linken, über die liberalen und linken Medien die Perspektive auf den Krieg zu verschieben: Das Regime in Südvietnam wurde als korrupt und Ho Chi Minh als großer Freiheitskämpfer dargestellt. Dass er ein überzeugter Kommunist war, trat in den Hintergrund, die damaligen linken Narrative “Freiheit vom Kolonialismus”, “Freiheit von den Weißen” und amerikanische Kriegsgreuel wurden dominant. Einen vergleichbaren Perspektivwechsel gibt es mit Blick auf den Ukrainekrieg in den USA aktuell nicht.

Alexander Wallasch: Aber die USA sind ja zweifellos in der Ukraine involviert …

Hans-Georg Maaßen: In der italienischen Zeitschrift für Außenpolitik „Limes“ las ich jüngst den Ausdruck der “russisch-amerikanische” Krieg. Eine sehr offensive Bezeichnung dessen, was wir in der Ukraine erleben. Das traut sich derzeit kaum jemand bei uns, es so zu nennen. Allenfalls liest man von einem Stellvertreterkrieg, wobei das natürlich nicht ganz richtig ist, denn jedenfalls die Russen sind unmittelbar involviert und nutzen keine Stellvertreter. Die Amerikaner dagegen nutzen und benutzen die Ukrainer für ihre außenpolitischen Zwecke und begründen es mit dem Narrativ, hier ginge es um Freiheit und Menschenrechte. Aber das ist die bekannte Kriegspropaganda, die wir so oft schon hörten, doch in Wirklichkeit geht es um etwas anderes.

Alexander Wallasch: Das wäre?

Hans-Georg Maaßen: Präsident Joe Biden hatte in einer Art dementer Offenheit im März in Warschau gesagt, dass es um den Sturz von Putin und um einen Regimewechsel in Russland geht. Das lag daran, dass Biden einmal nicht vom Blatt oder Teleprompter ablas, sondern freimütig ohne Sprechzettel aussprach, was das amerikanische Kriegsziel ist. Seine Mitarbeiter sahen sich gezwungen, ihn nachher zu korrigieren. Und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bestätigte seinen Präsidenten einen Monat später indirekt, indem er sagte, dass das amerikanische Kriegsziel darin bestünde, Russland zu schwächen.

Es geht also nicht um die Ukraine, um Freiheit und Menschenrechte, sondern um die amerikanischen Interessen in Bezug auf Russland. Und dazu zählt neben der Zurückdrängung des russischen Einflusses in der Weltpolitik auch die Einflussnahme auf die russische Innen- und Wirtschaftspolitik und natürlich geht es um die Bodenschätze Russlands. Ich halte es für sehr plausibel, dass amerikanische Eliten an die gute alte Zeit unter Boris Jelzin zurückdenken, wo die USA gute Zugänge zur Ausbeutung der russischen Bodenschätze hatten, und dass manche daran gerne anknüpfen möchten. Es geht also um Macht und Einfluss. Aber man wäre als Politiker ein Narr, wenn man solche Motive offenlegt.

Alexander Wallasch: Würden Sie da den linken Kampfbegriff wählen, dass es sich hier um klassischen amerikanischen Imperialismus handelt? Oder würden Sie es anders ausdrücken?

Hans-Georg Maaßen: Den Ausdruck Imperialismus würde ich in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Es geht um amerikanische Interessen, die mit manchmal robusten Mitteln durchgesetzt werden. Ich erinnere mich an die vielen Gespräche mit der amerikanischen Administration, in denen ich fast bei jedem Gespräch den Ausdruck „National Interest“ hörte. Das dürfte sich nicht geändert haben. Und wenn Trump „America first“ sagte ...

Alexander Wallasch: Ich wollte gerade fragen …

Hans-Georg Maaßen: … dann hat er das gesagt, was sehr viele Amerikaner denken, und nicht nur Republikaner, sondern auch viele Demokraten. Das ist eine sehr verbreitete Mentalität der Amerikaner. An allererster Stelle steht: „National Interest“ oder „America first“.

Alexander Wallasch: Aber ein amerikanischer Kulturimperialismus lässt sich doch nicht bestreiten, dem unterliegen auch die Ukrainer. Da die Sehnsucht des ukrainischen Volkes nach diesem amerikanischen Way of Life, trotzdem der sich auch schon ein bisschen abgerieben hat …

Hans-Georg Maaßen: Ich scheue mich, den Begriff Imperialismus in diesem Zusammenhang zu verwenden. Imperial waren die Römer, die fast ganz Europa erobert hatten. Imperial waren die Briten mit ihrem Kolonialreich. Imperial waren die USA, als sie Mexiko zerlegten und nach Hawaii und Puerto Rico griffen. Das ist imperial. Es geht hier nicht um die Eroberung und Unterwerfung fremder Länder, sondern es geht um die Einflussnahme und die Durchsetzung der nationalen amerikanischen Interessen.

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Alexander Wallasch: Ist das nicht ganz bedauerlich, dass die Amerikaner in die Ukraine wieder so nach Bodenschätzen schauen mit diesem America-First-Selbstverständnis? Ist ein Kulturimperialismus – ich benutze den Begriff nocheinmal – ist das nicht grundsätzlich erst mal etwas Positives, die sauberere Art, irgendwie auszudehnen, als dass man das immer wieder militärisch untermauern muss mit Militärberatern, mit CIA, mit Geheimniskrämerei …

Hans-Georg Maaßen: Ich finde das schon fast naiv, so zu denken. Denn diese offensive amerikanische Kulturpolitik ist ein Instrument unter vielen, um nationale amerikanische Interessen durchzusetzen. Die USA sind kein Volk von Altruisten, das anderen Staaten Wohltaten schenken will, sondern es geht um handfeste nationale Interessen. Und zur Durchsetzung ihrer Interessen benutzen sie verschiedene Methoden, vom robusten Einsatz des Militärs, über die Arbeit der Geheimdienste, die Wirtschaftspolitik, die Finanzpolitik bis hin zur Kulturpolitik. Damit möchte man auf andere Staaten politisch Einfluss nehmen. Mit den Narrativen des inzwischen etwas angestaubten „American Way of Life“ und anderen soll diese kulturelle Einflussnahme für die Menschen attraktiv und damit möglich gemacht werden.

Alexander Wallasch: Okay, aber wenn es nun mal faktisch attraktiv ist …

Hans-Georg Maaßen: Bildlich gesprochen: Man wird keinen Wein verkaufen, wenn er der Kundschaft nicht schmeckt. Das heißt, die Amerikaner haben natürlich ein Interesse, dass ihre Kulturpolitik als Mittel ihrer Interessenpolitik wirkt. Wenn sie nicht wirken würde, bräuchten sie sie nicht.

Alexander Wallasch: Aber wenn die Ukrainer selbst keinen Wein haben, dann ist der amerikanische im Angebot.

Hans-Georg Maaßen: Ja, natürlich. Nochmals: Kulturpolitik ist in erster Linie ein Instrument der Einflussnahme auf andere Gesellschaften und andere Staaten. Und diese Kulturpolitik ist attraktiv, weil man damit regelmäßig das Narrativ von Freiheit, Weltoffenheit und weniger Restriktionen durch den eigenen Kulturkreis verbindet. Durch diese Kulturpolitik werden die regional verankerten Kultursysteme aufgebrochen. Das verlockende Angebot lautet: Wir bieten euch eine freiere Gesellschaft. Das wirkt natürlich attraktiv.

Das, was ich sage, mag vielleicht nach Antiamerikanismus klingen, ist es aber nicht. Ich bin immer wieder gerne in den USA, und es ist wichtig, dass wir die USA als Partner und Verbündeten haben. Aber wir müssen realistisch und nicht blauäugig gegenüber den USA sein. Und vor allem müssen wir in der Lage sein, unsere eigenen Interessen zu definieren und auch gegenüber den USA zu verteidigen. Die USA werden uns diese Aufgabe nicht abnehmen, sondern uns politisch nur ernst nehmen, wenn wir das tun.

Alexander Wallasch: Coca Cola, McDonald's, Facebook und Hollywood – rein kapitalistisch betrachtet sind das weltweit operierende Unternehmen und nicht automatisch die Fünfte Kolonne der Regierung. Volkswagen macht das ja nicht anders mit der Produktion von Fahrzeugen …

Hans-Georg Maaßen: Da vermischen Sie zwei Begriffe. Kapitalismus und Marktwirtschaft. In einer Marktwirtschaft möchte der Unternehmer Geld verdienen, er möchte vielleicht auch reich werden, ja, vielleicht möchte er sogar so reich werden, dass er mehrere Anwesen in den schönsten Gegenden der Welt besitzt und mit dem Privatflugzeug dorthin hinfliegen kann.

Kapitalismus ist, wenn aus diesem Reichtum politische Macht wird. Hier geht es nicht mehr nur darum, einfach nur reich zu sein. Es geht darum, Reichtum in politische Macht umzuwandeln. In einer demokratischen Marktwirtschaft leistet sich die Demokratie einige Reiche, im Kapitalismus leisten sich einige Reiche die Demokratie. Die deutschen Unternehmen sind Teil einer demokratischen Marktwirtschaft.

Alexander Wallasch: Ich meine mich zu erinnern, dass vor Jahren in Paris beschlossen wurde, dass französische Radiosender nur einen bestimmten Anteil französischer Musik spielen dürfen. Und in Griechenland habe ich es als junger Mann noch erlebt, dass in Diskotheken einmal stündlich die amerikanische Musik ausgestellt und griechische Musik gespielt wurde. Das haben die jungen Leute erstaunlich dankbar angenommen und nicht nur zum Gaudi der Touristen ihre griechischen Tänze dazu aufgeführt. Sind oder waren das so zaghafte Gegenmaßnahmen gewesen, gegen das, was Sie nicht Kulturimperialismus nennen wollen?

Hans-Georg Maaßen: Ja, das sind Maßnahmen, die in Teilen scheiterten, weil sie untauglich sind. Durch Gesetze erreicht man nicht die Emotionen der Menschen. Die amerikanische Musik ist für viele Menschen attraktiv, weil damit ein bestimmtes Bild, ein Lebensstil verknüpft wird, den die Adressaten der Musik als positiv empfinden und nachahmen möchten. Es ist nicht leicht, sich dagegen als einheimische Kultur zu verteidigen, wenn man nicht in der Lage ist, seinen eigenen Bürgern eine eigene positive Vision eines eigenen Lebensstils anzubieten.

Alexander Wallasch: Mich erinnert das an das missionarische System des Christentums. Die haben es doch eigentlich auch nicht anders gemacht. Die Coca Cola der Missionare war die Absolution. Die Christen haben es aber noch geschickter gemacht. Sie haben die Gewohnheiten des Volks, das sie missioniert haben, mit eingewoben …

Hans-Georg Maaßen: Sicherlich lässt sich nicht alles vergleichen, dennoch dürften die Missionare nicht nur deswegen missioniert haben, weil sie sich so große Sorgen um das Seelenheil der nichtchristlichen Bevölkerung machten und sie vor dem Fegefeuer der Hölle schützen wollten. Es ging natürlich auch damals nicht nur um das Seelenheil, sondern um Macht. Wenn man Menschen für die eigene Ideologie oder Religion gewinnt, beherrscht man sie. Insoweit bestehen durchaus Ähnlichkeiten zwischen damals und heute.

Alexander Wallasch: Danke für das Gespräch!

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