„Wetten dass.. ?“ will nochmal so tun, als wäre alles wieder gut im vergehenden Deutschland

Thomas Gottschalk ist zurück – Auferstanden in Ruinen gewissermaßen

von Gaia Louise Vonhof (Kommentare: 5)

Ein potemkinsches Deutschland aus den 1990ern, sogar die Sendezeit wurde überzogen wie früher, aber vorher gab‘s noch eine Außenwette.© Quelle: Youtube / ZDF / Wetten dass.. ?, Bildmontage Alexander Wallasch

Vielleicht hat ja Gottschalk ein paar Stunden das Gefühl bekommen, er wäre wieder sehr jung. Sei es ihm gegönnt. Wir vor der Glotze haben jedenfalls das Gefühl bekommen, sehr, sehr alt zu sein.

Eigentlich wollte ich den Fernseher weggeben, zumindest aber nie wieder anmachen. Hatte ich auch nicht, seit nunmehr fast drei Jahren. Gestern Abend dann doch, wir kamen aus dem Restaurant, das Blut war aus dem Oberstübchen schon Richtung Magen zum Verdauen unterwegs.

Aber selbst im sedierten Zustand war dieses „Wetten dass.. ?“-Revival kaum zu ertragen, ohne Humor schon gar nicht. Man könnte jetzt mit einem Lachen hinweggehen darüber, dass sich beim ZDF in den letzten dreißig, vierzig Jahren nichts verändert zu haben scheint.

In der gleichen Kulisse die gleichen Protagonisten, Moderatoren, vergleichbare Wetten, die gleiche Auswahl nationaler Künstler, serviert wie früher mit mindestens einem internationalen Star, irgendwas mit Musical, ein Häppchen Welthit und dazu, wie Ananas aus der Dose unter dem Scheiblettenkäse am Toast Hawaii, die jungen, hübschen Newcomer-Blondinen zum Reinbeißen.

Damit ist aber nicht Michelle Hunziker gemeint, die noch am lebendigsten aussah mit ihren durchtrainierten 45 Jahren und dabei im knallpinken Ballkleid.

Die schweizerisch-italienische Blondine stand Thomas Gottschalk – er erschien im rotgeblümten Satin-Anzug – „strukturierend“ zur Seite. Betreutes Moderieren, denn Thomas „Tommy“ Gottschalk, inzwischen über 70, nuschelte seine Worte mindestens so schleppend, wie es seine Gags waren, und wusste offenbar mitunter nicht, wo die Kamera ist.

Wollen wir nicht in die anatomischen Details gehen, aber wenn zehn Millionen Menschen vor dem Fernseher ein Dé­jà-vu haben, dann ist das so ähnlich, wie den Ex nach Jahren wiedersehen und die Falten und Gebrechen zählen.

Aber was zeigte das ZDF hier? Dass sie unrettbar im Gestern steckengeblieben sind? Oder, dass wir uns nicht aufregen sollen in diesen Zeiten: Leute, setzt Euch vor den Fernseher, lasst Euch berieseln, alles ist, wie es immer war? Regt Euch nicht auf, geht bloß nicht auf die Straße, macht keinen heißen Herbst bei der Saukälte da draußen. Der Strom reicht doch noch für den Fernsehabend.

Ein potemkinsches Deutschland aus den 1990ern, sogar die Sendezeit wurde überzogen wie früher, aber vorher gab‘s noch eine Außenwette. Diesmal Handyfangen beim Achterbahnfahren, was dann leider fast nur zum Handywerfen wurde, denn nur bei einem von sechs Versuchen konnte tatsächlich ein Handy bei der Kurvenfahrt gefangen werden.

Und um die Illusion der kohl‘schen blühenden Landschaften komplett zu machen, fehlte auch nicht die obligatorische Baggerwette, dieses Mal allerdings durchgeführt von einer Frau in Highheels als Baggerführerin. Aus woker Sicht fast gut – wenn der Bagger noch elektrisch dahergekommen wäre.

Zum Schluß dann die beim Publikum beliebteste Wette: Ein Mann, der entweder mit Inselbegabung oder genialer Augen-Technik ausgestattet war und im Schnelldurchlauf unter Hunderten von Fingerabdrücken den einzigen ausgetauschten innerhalb von Sekunden identifizieren konnte.

Kommen wir zu den Gästen: Auf dem riesigen „Wetten, dass.. ?“-Sofa gab’s alte Bekannte oder die altbekannte Promi-Mischung: Unter anderem Veronica Ferres mit Tochter Lilly, zusammen auf Film-Promo-Tour mit Hollywood-Star John Malkovich.

Michael „Bully“ Herbig und Christoph Maria Herbst demonstrierten im roten Cancan-Kleidchen eindrucksvoll, dass solche Einlagen auch nach dreißig Jahren nicht geil sind, nur dass jetzt Mitleid dazugekommen ist, was es aber nur bedingt erträglicher macht: Komiker halt, so wie der Klempner unter der Spüle halt ein Klempner unter der Spüle bleibt, solange er nicht am Geschmack des Fusselsiebs den Namen der Nachbarin schmecken kann oder was auch immer er da unten treibt, während ein Kollege am hingestreckten Bauarbeiter-Dekolleté den anderen Kollegen erkennt.

Stargast Robbie Williams performte seinen Hit „Angel“, frisch gestählt und gestrafft, etwas ergraut, aber mit Rockstar-Appeal. Der britische Sänger tat zwischendurch verwundert, so wie immer schon alle internationalen Stars verwundert waren über diesen seltsam uncharmanten Blödsinn der Deutschen.

Dann folgte Herbert Grönemeyer. Der, nach seinem neuen Song „Deine Hand“ sichtbar außer Atem geraten, redete etwas von Gesellschaft verbinden oder so ähnlich und niemand erinnerte ihn daran, dass er in den letzten drei Jahren durch spalterisch-hetzerische Aussagen das Versagen eines Großteils seiner Branche mitrepräsentierte (alexander-wallasch.de berichtete).

Immerhin singt er in seinem neuen Song: „Ich schau nach links und fühl mich blind für Perspektiven, die uns weiterbringen …“ Aber wir wollen hier nicht politisch werden, denn das wollte das ZDF auch nicht. Und Thomas Gottschalk erst recht nicht, der wollte nur wieder so witzig sein wie früher, war er aber damals schon nicht, es fiel in der pompösen mit Millionen D-Mark zugespachtelten Kulisse nur nie auf. „Heute Morgen war der Scholz hier, heute Abend ich. Ihr Friedrichshafener wisst, wie man sich steigert.“ Was für ein dröger Einheizer, herrje, wo bleibt Harald Juhnke, der war doch immer für eine Zote gut, wenn die Stimmung hing.

Dann das traurig-trostlose Ende der Sendung, wo es im „Grand Finale“ noch nicht mal mehr einen Tusch oder andere Musikuntermalung gab. Und rückblickend war dann der Scholz-Satz von Thomas Gottschalk sowas wie der beste Gag des Abends. Wenn diese Show eine Steigerung sein soll zu dem, was Scholz so vorbringt, und wir müssen hier nicht nur den Show-Wert, sondern auch den Inhalt sehen, dann sagt das schon eine Menge aus. Nicht nur über Gottschalk und „Wetten, dass.. ?“, sondern auch über Scholz und den Stand der Gesellschaft.

Vielleicht hat ja Gottschalk ein paar Stunden das Gefühl bekommen, er wäre wieder sehr jung. Sei es ihm gegönnt. Wir vor der Glotze haben jedenfalls das Gefühl bekommen, sehr, sehr alt zu sein.

Irgendwie so alt wie das Paar damals aus der Kaffeewerbung, das auf seinem Segelboot entspannt sagt: „Alles soll so bleiben, wie es ist.“

Nein, soll es nicht. Und wird es auch nicht. Auch nicht für Gottschalk oder das ZDF.

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