Von Gregor Leip
Sprechen wir über die Notwendigkeit eines ganz neuen Ansatzes im Gaza-Krieg: Die Gräben, die sich 2025 zwischen denen, die Israels Recht auf Selbstverteidigung betonen, und denen, die die humanitäre Krise in Gaza anprangern, vertiefen, erinnern an frühere Konfliktlinien wie den Irakkrieg und bringen nichts: Sie polarisieren einfach nur, ohne Lösungen zu schaffen.
Es braucht einen ganz neuen Ansatz, der über die flächendeckende Zerstörung schwer zu identifizierender Hamas-Strukturen hinausgeht und Alternativen sucht, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen – mit dem Primärziel, Israels Sicherheit und Frieden zu gewährleisten.
Demonstranten in Tel Aviv und in vielen Städten der EU und weltweit fordern ein Ende des Krieges, den sie als unverhältnismäßig oder sogar genozidal bezeichnen. Linke Aktivisten von „Standing Together“ etwa ziehen mit Bildern getöteter Kinder durch Israel, während Amnesty International von „Genozid“ spricht bzw. dieses Narrativ verbreitet. In Gaza selbst kam es zu seltenen Protesten verzweifelter Palästinensern gegen Hungersnot und die Hamas, die Hilfsgüter plündern soll, was die Krise verschärft. Waren diese Proteste schon von Israels Diensten orchestriert? Solche Behauptungen jedenfalls machen die Akteure zu Zielen der Vergeltung und solche Demonstrationen deutlich gefährlicher.
Manch einer scheint es heute vergessen zu haben: Der Krieg im Gaza begann mit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023, der über 1.200 israelische Zivilisten tötete – bei Massakern an einem Musikfestival und in Kibbuzim – und über 250 Geiseln nahm.
Bis August 2025 starben über zehntausende Menschen in Gaza infolge der israelischen Angriffe und der Gegenwehr der Hamas, die teils in unmittelbarer Nähe zu Zivilisten standfand, viele davon Kinder.
Die Kernfrage bleibt hier und wird immer dringlicher: Wie kann die Hamas – eine terroristische Organisation – neutralisiert werden, ohne den Krieg weiter eskalieren zu lassen? Die immer aggressiver werdende Debatte setzt sich mit Plänen zu Waffenruhen auseinander oder formuliert eine harsche Kritik an Israel. Konkrete Pläne zur Entmachtung der Hamas werden allerdings kaum diskutiert. Warum nicht?
Tatsächlich werden Ansätze wie die gezielte Eliminierung von Terroristen, die Förderung interner Opposition, Cyberangriffe und diplomatische Isolation seit Jahrzehnten von Israel als Waffe gegen die Hamas eingesetzt. Dabei erzielen die Israelis durchaus taktische Erfolge, kassieren aber regelmäßig strategische Misserfolge: Die Hamas bleibt resilient, passt sich an und gewinnt immer neue Rekruten.
Wo bleibt die Entwicklung schlagkräftiger Szenarien, die die Hamas schnell und mit weniger zivilen Opfern entmachten könnte?
Die Hamas kontrolliert Gaza seit 2007, mit einem Netzwerk aus Tunneln, zivilen Einrichtungen plus Unterstützung durch den Iran. Die Taktik, Zivilisten als Schilde zu nutzen, erschwert militärische Operationen. Aber auch diese Schutzschilde werden von Israelkritikern weltweit bereits als unwahr oder teilweise unwahr bezeichnet.
Fakt bleibt, dass die Kämpfe bzw. die Gegenwehr der Hamas-Terroristen vielfach in unmittelbarem Kontext zu anwesenden Zivilisten stattfinden. Wer zum Hamas-Personal „Terroristen“ sagt und nicht „Kämpfer“, der gilt manchen als pro-israelisch und wird entsprechend markiert. Andersherum funktioniert das natürlich ebenso gut.
Wann beginnen die Militärexperten – aber auch die Friedensexperten! – endlich damit, Alternativen zu den massiven Bombardements zu entwickeln, solche nämlich, die auf Präzision, Diplomatie und Technologie setzen?
Die folgenden vier Szenarien, die die Hamas binnen Monaten entmachten sollen, sind rein hypothetischer Natur. Fraglos haben alle Vorschläge Schwächen und wirken da noch einmal hilfloser, wo sie auf eine internationale Zusammenarbeit gegen die Hamas setzen.
Israel könnte Eliteeinheiten einsetzen, um Führungsfiguren der Hamas zu eliminieren, wie es bereits früher gelang. Seit Jahrzehnten führten solche Operationen zu taktischen Erfolgen, doch neue Führer stiegen auf, und die Hamas radikalisierte sich immer weiter.
Eine Koalition aus USA, EU und arabischen Staaten (z. B. Ägypten, Jordanien) könnte die Verantwortung für präzise Drohnenangriffe oder Kommandoaktionen teilen, ergänzt durch Cyberangriffe zur Kommunikationsstörung. So eine übergreifende Allianz wäre sonst kaum zu erreichen. Wenn es aber um die Reduzierung von Zivilopfern geht, mag die Bereitschaft größer sein.
Die Ideallinie hier wäre eine schnelle Demoralisierung der Hamas binnen Wochen. Gleichzeitig kann so die Zahl der Zivilopfer pro Operation deutlich reduziert werden. Allerdings könnte hier der unvermeidbare Märtyrer-Effekt die Hamas stärken. Zudem droht ohne Unterstützung moderater Kräfte ein Machtvakuum.
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Israel könnte mit Hilfe arabischer Staaten und der UN die Sanktionen gegen Hamas-Unterstützer wie den Iran verschärfen und Hilfslieferungen direkt an Zivilisten leiten, unter einer neutralen – möglicherweise arabischen – Aufsicht. Gleichzeitig könnten Propaganda und Unterstützung für Fatah oder Clans interne Aufstände fördern, wie zaghafte Gaza-Demonstrationen gegen Hamas zeigen.
Seit 2007 scheiterte dies an der hohen Popularität der Hamas in Gaza und an internen Spaltungen. Ein Ultimatum – Kapitulation und Geiselfreilassung gegen Amnestie – mit breiter arabischer Beteiligung (z. B. Saudi-Arabien) könnte die Hamas spalten. Aber eine Amnestie wirkte wie Hohn für die Terroropfer der Hamas und ihre Angehörigen.
Israel könnte Cyberangriffe auf Hamas-Infrastruktur (Tunnel, Raketensteuerung) intensivieren, ergänzt durch Desinformationskampagnen, die Hamas als Plünderer darstellen. Seit Jahren schon führten solche Angriffe zu Störungen, doch Hamas konterte und erholte sich schnell. Anschließend könnte Gaza in vier internationale Zonen aufgeteilt werden, überwacht von UN-Truppen oder einer arabisch-israelischen Koalition, mit „Ent-Hamasifizierung“ durch Bildung und Wahlen. Das Risiko einer langfristigen Besatzung allerdings könnte die Hamas stärken.
Eine Konferenz mit Saudi-Arabien, UAE und EU könnte eine gemäßigte palästinensische Administration einsetzen, die Hamas entwaffnet, mit Israel-Rückzug gegen Sicherheitsgarantien. Seit 2007 scheiterte diplomatische Isolation an Unterstützung durch Iran und Qatar. Aber wie soll die Hamas-Kapitulation erreicht und eine globale Einigkeit erzielt werden?
Jedes dieser Szenarien setzt auf internationale Kooperation und die Erkenntnis, dass Hamas sich die Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben hat und jetzt selbst vor der Vernichtung steht. Und warum sollte Israel so kurz vor dem Ende noch abdrehen?
Alle Vorschläge haben Schwächen, die ihre Wirksamkeit einschränken. Der Israel-Hamas-Konflikt wurde von israelischer Seite schon mit den alliierten Bombardements im Zweiten Weltkrieg legitimiert, etwa dem Feuersturm auf Dresden 1945 mit seinen obszön hohen Opferzahlen. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten die Alliierten Städte wie Berlin oder Hamburg, um die Infrastruktur des Hitler-Regimes zu treffen. Die Opferzahlen erreichten bald eine Million Zivilisten, die genauen Zahlen bleiben aber umstritten.
Zielen die Israelis wie die Alliierten ebenfalls auf Demoralisierung oder geht es ihnen um die Zerstörung von Kommandozentren, mit hohen Kollateralschäden? Alternativen könnten Gaza vor einem „Dresden-Moment“ bewahren. Die geschilderten Szenarien mögen Wege zu geringeren Opfern aufzeigen, erfordern aber eine weitreichende globale Kooperation und sind stark abhängig von Partnern, Hamas-Anpassungsfähigkeit und Instabilitätsrisiken.
Der israelischen Führung erscheint die brutale Methode – intensive Bombardements und Bodenoperationen – alternativlos, um Israels Sicherheit zu gewährleisten. Und die Hamas lehnt Kompromisse und Alternativen wie Diplomatie weiter ab. Israelische Präzisionsangriffe scheiterten regelmäßig. Es mag sogar sein, dass die hohen Opferzahlen unter den Zivilisten die Hamas stärken. Jedem muss bewusst sein, wie unbefriedigend diese Überlegungen auf jene wirken, die eine schnelle Lösung für Israels Sicherheit suchen und ein Überleben für die Bewohner in Gaza.
Ein weiterer Aspekt ist die fortschreitende Drohnentechnik. Sie verschärft die Dringlichkeit für Israel: Aus iranischer Produktion hat die Hamas potenziell Zugang zu Drohnen für präzise Angriffe und Schwarmangriffe oder KI-gestützte Aktionen – auch das erhöht die Bedrohung für Israel eklatant. Während das iranische Atombombenprogramm im Fokus steht, werden Drohnen – kostengünstig und schnell einsetzbar – oft unterschätzt, was schnelles Handeln notwendig macht.
Langfristig braucht es eine hybride Strategie – militärischer Druck mit Diplomatie –, um nachhaltigen Frieden für Israel zu sichern, ohne Gaza in ein blutiges Schlachtfeld zu verwandeln und massenhaft Kinder zu den Terroristen von morgen zu machen.
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Kommentar von Schwar Zi
Ist es nicht bezeichnend, wie sich die Nachbarländer Ägypten, Jordanien und auch die Saudis von den Palästinensern abschirmen? Und wenn wir uns schon etwas fragen, dann vielleicht ob der Weg der UN und des UNRWA wirklich der richtige Weg war. Was hat denn die UNRWA erreicht? Zumindest wissen wir was nicht erreicht wurde, eine Entradikalisierung der Bevölkerung im Gaza Streifen. Denn das ein Miteinander der Religionen möglich ist, beweisen die über 2 Mio. Christen, Drusen und Muslime die in Israel leben.
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Kommentar von Carl Peter
Vor fünfzig Jahren kannte ich persönlich wahrscheinlich sehr viele Juden, von den ich garnicht wusste, dass sie welche waren - ich lief ja auch nicht als Christ herum, und wir waren jung und wollten die Welt selbst entdecken und gestalten und nicht den Puff und den Muff der Väter und der Mütter übernehmen.
Und wir waren froh, dass die in Deutschland nicht ermordeten Juden fernab ein Israel bekamen - nicht ganz freiwillig, für mich war es ein bisschen wie ein Indianerreservat, über diese quasi historisch verzerrte Analogie sollte man ruhig einmal länger nachdenken und dabei nicht voreilig zu kurz urteilen.
Dass sich im Judenvernichtungsdeutschland wieder Juden einfanden, war für mich ein Rätsel, aber ich fühlte mich geistig frei und abenteuerlustig und jeder Mensch sollte in dieser und meiner Welt leben, wo er wollte, und das tun, was er wollte - alles erschien mir möglich, außer neue Menschenverachtung und Menschenvernichtung.
Im kriegsbedingt geteilten Deutschland wandelte man sich inzwischen in beiden Teilen von rechts nach links, was nicht unbedingt ideologisch aufzufassen war, da nur semantisch Begriffe vertauscht wurden - das haben wohl die meisten bis heute nicht bemerkt.
Im fernab gelegenen jüdischen Notstandslager blieb es nicht lange ruhig, und dessen amerikanisch/brittische Unterstützung kam auch hierzulande nicht gut rüber, die Amis, die Westdeutschland hochgepampert hatten, galten als globale Kriegstreiber und waren auch im eigenen Land jugendkulturell out.
Israel war aber nicht totzukriegen, da entstand gewissermassen das erste Dubai, und das um es herumsprudelnde Öl machte die Amerikaner ganz wild darauf - was lag für sie näher, als da immer mehr Zwietracht zu säen und dabei abzusahnen.
Wenn man Menschen ihren Besitz "wegkauft", kann man sie danach billig "dazukaufen" - und sie werden dadurch nicht besitzlos glücklich, sondern werden heimatlose Sklavenarbeiter, kriegstüchtige Söldner und nicht selten taumeln sie völlig orientierungslos in der Welt herum.
Das Prinzip von Menschenverschiebungen beruht ja nicht unbedingt auf Freiwilligkeit, und ich sehe da auch keine neuen Ansätze, als um seine eigene Heimat zu kämpfen, aber dabei nicht die Heimat anderer zu okkupieren.
Und vorallem sehe ich nicht, dass das tatsächlich passieren könnte.
Israel ist nicht nur das Kind vom Holocaust, sondern auch ein Versuch vom Ende jahrhundertelanger Judenverfolgungen - beides ruft Entsetzen hervor.