Braunschweiger Polizeichef a.D. spricht Klartext zum Krieg in der Ukraine

Ulf Küch warnt vor apokalyptischem Ausgang neuer deutscher Kriegsfantasien

von Ulf Küch (Kommentare: 2)

„Und heute sind schon wieder Menschen dabei, für kriegerische Handlungen zu werben, sich in begeisterten Kriegsphantasien zu ergehen und Tote beim maßgeblichen Feind zu beklatschen oder frenetisch zu bejohlen ...“© Quelle: Pexels / Алесь Усцінаў, Ulf Küch, Bildmontage: Alexander Wallasch

Der Braunschweiger Ex-Polizeichef und Bestsellerautor Ulf Küch nimmt kein Blatt vor den Mund. Er geht dahin, wo es weh tut. Klartext auf gut Norddeutsch gibt es bei ihm auch, wenn es um Krieg, Elend und die tägliche Lagebesprechung in den sozialen Medien geht. Küch ist in dieser Zeit vielen seiner Freunde ein fester Anker geworden.

Er startet mit einem Zitat von Voltaire:

Wer mit offenen Augen durchs Leben gegangen ist, hat erkannt, dass das Wissen von einem Gott, seiner Gegenwart und seiner Gerechtigkeit nicht den geringsten Einfluss hat auf Kriege und Verträge, Ziele des Ehrgeizes, des Eigennutzes und der Begierden, die immer obsiegen...

Dann schreibt Ulf Küch über diese verfluchten Kriege im Osten, über Blut, Tod und Tränen und über über Millionen von Opfern unter der Zivilbevölkerung:

„Ja, zugegeben, ich bin mehr als irritiert. Schlage ich die Zeitung auf oder lese und höre die Meinungen vieler Menschen in diesem Land zum Krieg in der Ukraine, wird mir angst und bange.

Allein schon deswegen, weil aus unserer Familie in beiden Weltkriegen Dutzende von jungen Männern sinnlos für Volk und Vaterland auf den Schlachtfeldern starben und viele Familienmitglieder in den Bombennächten des 2. Weltkrieges zu Tode oder zu Schaden kamen.

Von den vier Brüdern meines Vaters fiel einer, die anderen drei kamen als Schwerversehrte aus dem Krieg zurück, niemand erlebte das 70. Lebensjahr. Mein Vater war vier Jahre in Gefangenschaft. Er schaffte es infolge der im Lager unbehandelten Krankheiten und erlittenen Kampfverletzungen noch nicht einmal die siebzig Jahre alt zu erreichen.

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Und heute sind schon wieder Menschen dabei, für kriegerische Handlungen zu werben, sich in begeisterten Kriegsphantasien zu ergehen und Tote beim maßgeblichen Feind zu beklatschen oder frenetisch zu bejohlen?

Die derzeitige Argumentation unserer Außenpolitik wird meines Erachtens garniert von Stammtischpolitikern und Maulhelden, die nichts von der jetzt wirklich wichtigen und notwendigen Friedens-Politik verstehen und sich statt kluger Interessenüberlegungen nur noch von Emotionen, Prestigedenken, augenscheinlichen Tagträumen und Zukunftsphantasien leiten lassen.

Wenn die im Hintergrund des Ukrainekonflikts schon lange wirkende USA gegen eine Atommacht wie Russland intervenieren möchte und uns Europäern dabei den „Vortritt“ lässt, dann ist der derzeitige amerikanische Präsident, der diese Entscheidung trifft, verrückt, weil wir nicht 1914 oder 1939 haben, sondern 2022.

Ohne Frage wirkt die Situation in der Ukraine für unsere "Friedensnachkriegsgeneration" (trotz Jugoslawienkrieg) unwirklich, unmenschlich und damit den Erfahrungen der Europäer aus den vergangen 220 Jahren und zwei Weltkriegen abträglich.

Ja, Russland hat hier einen Rubikon überschritten, für den es in Haftung zu nehmen sein wird, welcher aber leider auch eine Geschichte hat, an welcher die NATO nicht ganz unschuldig zu sein scheint und wo es Parallelen zur Vergangenheit gibt, die derzeit entweder bestritten oder kleingeredet werden.

Aber, Russland „auf den Pelz“ zu rücken, ist schon Napoleon nicht gut bekommen.

Zur Erinnerung: Der Franzose hatte bis zu 1810 quasi halb Europa besetzt. Seine Truppen lagerten an den Grenzen zu Russland. General Caulaincourt versuchte Napoleon damals davon zu überzeugen, dass es strategisch und politisch klug sei, zu den Grenzen nach Russland genügend freien Raum zu halten, um das Zarenreich nicht zu provozieren. Und er ergänzte gegenüber dem Kaiser der Franzosen, dass ihm der Zar erklärt habe, dass die französische Haltung bei ihm den Eindruck gemacht habe, dass Frankreich Russland drohen wolle, indem es so nah an der russischen Grenze seine Armeen stehen hat. Überliefert ist, dass Napoleon das Gespräch abbrach und mit seiner Grande Armee in Russland einmarschierte.

Der Verlauf dieses Abenteuers ist bekannt, weniger bekannt ist jedoch die Warnung von Zar Alexander vor dem Einmarsch der Franzosen:

„Der Kaiser der Franzosen ist ein militärisches Genie. Wir Russen haben einen Riesenraum, wir haben ein Klima und wir haben unsere Armeen – das sind drei Trümpfe, mit denen wir dienen können. Der Kaiser von Frankreich hat immer schnelle Erfolge errungen, denn seine Soldaten sind tapfer und gut geführt. Aber weite Entfernungen, lange Entbehrungen und harte Winter werden sie entmutigen. (…) Napoleon soll wissen. Ich werde nicht als erster das Schwert ziehen, aber ich stecke es als letzter in die Scheide.“

Carl Lindberg, Wien, – Napoleon – Der Feldherr zwischen Sieg und Niederlage

Dass der vollkommen verrückte Hitler es dennoch noch einmal versucht hat, ist ebenfalls bekannt. Allein auf russischer Seite fielen zehn Millionen Soldaten, das Land wurde von uns Deutschen komplett verwüstet, knapp vierzehn Millionen Zivilisten getötet und fast alle russischen Juden umgebracht. Insgesamt vernichtete das Nazireich sechs Millionen jüdische Menschen und weitere Menschen, in den von Deutschland besetzen Gebieten.

Allein diese „Bilanz“ sollte uns bezüglich kriegerischer Gedanken in Demut verharren lassen! Und nun sind wir wieder dabei, uns in ein geopolitisches Abenteuer mit einem absehbar apokalyptischen Ausgang zu bewegen.

Ich frage mich heute wieder, warum wir jahrzehntelang zusehen konnten, wie um uns herum von den Amerikanern, den Chinesen, den Briten, den Franzosen und auch den Russen je nach Gusto kriegerische Handlungen in Drittländern vorgenommen werden, ohne dass hier eine Rechtfertigung oder gar ein UN-Beschluss dafür vorlag.

Auch Guantanamo ist nicht ein Karussell in Disneyland!

Die drei großen Mächte im Sicherheitsrat der UNO haben jahrzehntelang Beschlüsse, die zu ihrem Nachteil waren, abgelehnt. Den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erkennen alle drei nicht an. Also wo ist hier Moral, wo die Gerechtigkeit? Wo ist hier die Einhaltung der angeblich so hoch gehaltenen Menschenrechte?

Dass gerade wir Deutschen uns jetzt vor den Karren spannen lassen, indem wir die Dimension der Auseinandersetzung in der Ukraine nicht erkennen oder erkennen wollen, macht mich sprachlos. Dabei sind halsstarrige Behauptungen und Eigensinn in der Diskussion für mich nur gewöhnliche Zeichen von Dummheit und Unwissenheit.

Es muss hier eine Verhandlungslösung mit langem Atem geführt werden. Eine kriegerische Auseinandersetzung - zumal wie von Hasardeuren geplant, dann auch noch mit deutscher Waffentechnik und monetärer Unterstützung - wird Europa schlussendlich verwüsten.

Insofern hatte Bismarck leider Recht. „Ohne Russland wird und kann es in Europa keinen Frieden geben“.

Wer also hierzulande meint, Russland mit Waffengewalt besiegen zu können, denkt töricht. Zwingen wir sie anders, aber lassen wir die Waffen im Depot.“

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