Die Bomben des Henry Kissinger

Unterwegs in Kambodscha – Zwischen Tretminen und Tempeln

von Gaia Louise Vonhof (Kommentare: 2)

Hat Kissinger in Kambodscha das Feld für die Roten Khmer bereitet?© Quelle: Foto privat

50 Jahre nach dem Bombardement durch die USA und dem Horror der Khmer Rouge sind die Auswirkungen im einstigen Vorzeigeland Südostasiens immer noch zu spüren. Viele der tausend Jahre alten Khmer-Tempel sind nicht begehbar.

Koh Ker, die alte Königstadt, noch vor den bekannten Ruinen vor Angkor mit der spektakulären Stufenpyramide mitten im Dschungel von Kambodscha: In der alten Hauptstadt der Khmer-Reiches kann längst nicht jeder Weg begangen und nicht jeder der dreißig freigelegten alten Tempel besichtigt werden, weil nach fast fünfzig Jahren immer noch nicht alle Tretminen der Roten Khmer und US-Blindgänger der durch Henry Kissinger veranlassten Bombardierungen entschärft sind. Kissingers Bombenteppich hat bis heute Spuren in dem südostasiatischen Land hinterlassen. Der 100-Jährige verstarb vor wenigen Tagen ausgerechnet am „Bon Om Touk“, dem großen kambodschanischen Wasserfest.

Auch in Siem Reap wird gefeiert. Die Kleinstadt liegt nahe Angkor Wat, der spektakulären, größten Tempelanlage der Welt mitten im Dschungel. Das auch als „Bootsrennen-Fest“ bekannte Traditionsevent findet 2023 Ende November statt. Es fällt traditionell mit dem Vollmond zusammen und markiert das Ende der Monsunzeit. Die Feierlichkeiten werden von besagten Bootsrennen begleitet, die auf einem durch bunte Fahnen, leuchtende Laternen und Pontons abgeteilten Teil des Siem Reap River stattfinden. An der Uferpromenade ist alles dicht gefüllt mit traditionell gekleideten Kambodschanern, dazwischen nur ein paar Touristen, zwischen Bühnen und Ständen, an denen Kunsthandwerk und Exotisches vom Grill verkauft wird.

Bunte Glühbirnen beleuchten den nächtlichen Fluss und von einer Bühne schallt es über den Fluss bis weit in die breiten Alleen mit ihren Restaurants, oft im überraschend nobel anmutenden Kolonialambiente aus Zeiten des französischen Protektorats, und in die wuseligen Gassen mit ihren Märkten, Massage- und Friseursalons und Garküchen.

Viele sind aus den umliegenden, ländlichen Umgebungen zu ihrem wichtigsten Fest in die Stadt und zur Zeugnis-Stätte ihrer Jahrhunderte zurückliegenden Khmer-Hochkultur, dem riesigen Tempelruinen-Areal gekommen. Ankor Wat ist auch das Wahrzeichen Kambodschas. Hier sieht man an diesen Tagen bunte Paraden auf den planierten Straßen zwischen den Tempelruinen entlangziehen und nur wenige „Langgnasen“ zwischen den Kambodschanern. Der letzte Abend des dreitägigen „Bon Om Touk“ wird von den Kambodschanern mit einem üppigen Feuerwerk über der Stadt gefeiert, die Brücken über dem Fluss sind mit Lichterketten geschmückt.

Kaum jemandem der Feiernden wird hier bekannt sein, dass zu ihrem wichtigsten Fest derjenige verstarb, der einen großen Einfluss auf ihre Geschichte und das Schicksal des südostasiatischen Landes hatte. Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister und jahrelang enger Berater US-amerikanischer Präsidenten ist hundertjährig ruhig in seinem Haus in Conneticut nördlich von New York gestorben.

Kissingers Einfluss auf die amerikanische Politik reichte weit über die Zeit hinaus, in der er acht Jahre lang die Regierungen Nixon und Ford als nationaler Sicherheitsberater und Außenminister leitete: Die durch Kissinger am 1969 veranlassten Bombenangriffe auf Kambodscha haben nach Schätzungen Hunderttausende von Kambodschanern getötet. Kritiker lasten Kissinger an, dass er damit Kambodscha destabilisiert und den Weg für die Verwüstung des Landes durch die Roten Khmer geebnet hat.

Nach wie vor wird überall in den ländlichen Gegenden auf Schildern vom Minen-Räumkommando CMAC vor Streubomben und Blindgängern gewarnt. Wer nicht lebensmüde ist, sollte nicht von vorgezeichneten Wegen abweichen. So auch in der vergessenen alten Khmer-Hauptstadt Koh Ker, zwei Autostunden entfernt im Norden des Landes mitten im Dschungel gelegen und weitestgehend unberührt von Touristenströmen, auf Foto-Tour durch Ruinen.

Heute haben wir Koh Ker, die im Dschungel versunkene Hauptstadt des Khmer-Reiches, fast für uns. Zumindest ihre Ruinen.

Der Weg dorthin führt durch sattgrüne, hügelige Landschaften über glatte Straßen. Zuerst geht es in Richtung von dem von Chinesen finanzierten, gerade vor zwei Monaten in Betrieb genommenen Internationalen Flughafen von Siem Reap, gesäumt von „chinesisch auf Linie getrimmten Beleuchtungskörpern“ auf jeder Seite der grau-geraden Betonschneise, dann weiter auf einer Art Piste zwischen den Reisfeldern durch die grünen, sanften Landschaften mit Stelzenhäusern, Ochsenkarren und üppigen Mango- oder Tamarindenbäumen. Die Früchte dieser Bäume hinterlassen in den typisch kambodschanischen Currys diesen natürlich süßlichen Geschmacksakzent.

Koh Ker wurde in den Jahren 921 bis 944 vom Khmer-König Jayavarman IV zu prunkvoller Größe ausgebaut. In dieser kurzen Zeit errichtete man viele Tempel und Statuen, die alle dem Hindugott Shiva geweiht sind. Die Bauten von Koh Ker unterscheiden sich mit ihren schlanken Türmen deutlich von denen in Angkor – so entstand in der kurzen Bauzeit ein eigener architektonischer Stil.

Ihrer berühmten Schwester Angkor nacheifernd, ist Koh Ker im Jahr 2023 UNESCO-Weltkulturerbe geworden. Auf einem Areal von 80 Quadratkilometern verstreut finden sich 180 alte Tempel, von denen bislang viel weniger als ein Viertel freigelegt sind. Seine Bedeutung verlor Koh Ker, als Angkor im Jahr 944 zur neuen Khmer-Metropole wurde. Die Stadt, die nur zwanzig Jahre die Hauptstadt des Khmer-Reiches war, geriet in Vergessenheit und wurde alsbald vom Dschungel verschlungen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten französische Forscher den versunkenen Ort für die westliche Welt wieder.

Um die Geheimnisse von Koh Ker zu ergründen, muss man die ausgetretenen Pfade verlassen, „off the beaten tracks“ gehen. Oder doch besser nicht, denn da sind ja die Schilder des Minenräum-Kommandos, die fünfzig Jahre nach den Bombardierungen durch die Amerikaner und nach den Roten Khmer vor explosiven Hinterlassenschaften warnen.

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Auch der Tempel Prasat Prahm, einer von den bislang freigelegten dreißig Tempeln auf diesem Areal war deshalb bis vor ein paar Jahren nicht begehbar. Pram bedeutet in der Khmer-Sprache „fünf“, und in der Tat finden sich in dem Areal die Ruinen von fünf Türmen, umgeben von antiken Trümmerstücken und zerbrochenen Türstürzen, die durch die Roten Khmer zerstört oder von denen viele Einzelteile von Kunsträubern außer Landes geschafft wurden.

Die tausendjährigen Ruinen sind teilweise durchdrungen und gleichsam umwachsen von den fahlweißen, oft mehr als armdicken Wurzeln der Würgefeigen. Heute sind wir ganz allein hier.

Mitten im Dschungel, ganz in der Nähe eines riesigen, künstlichen Wasserreservoirs steht eine siebenstufige, fast vierzig Meter hohe Pyramide. Mit ihren sieben Stufen oder Etagen sieht sie eher eher wie eine Maya-Pyramide aus, aber es handelt sich um einen Hindu-Tempel, der Shiva gewidmet ist.

Im Hinduismus gibt es sieben Dimensionen oder entsprechend sieben Stufen über dem Boden. Demnach gibt es allerdings auch sieben Ebenen in die andere Richtung, die müssten also unter dem Boden sein. Jede davon wird als Loka bezeichnet. Jede Etage dieser Pyramide steht für eine Loka bzw. für eine Ebene der Existenz.

Da die Osttreppe als steiler Weg zur Pyramidenspitze zerstört ist, wurde 2015 mittels Holzanbau die Möglichkeit geschaffen, bis hoch auf die Pyramide zu klettern. Dabei kommt man den großen Steinquadern sehr nahe und kann sehen, dass sie, ebenso wie die Pyramiden beispielsweise in Mexiko oder auch die von Giseh in Ägypten, mit sorgsam verzahnten Steinen so passgenau gebaut ist, dass kein Blatt Papier passt zwischen die riesigen Quader.

Die Luft ist warm und feucht. Wir befinden uns mitten im Dschungel, irgendwo schreien Affen, der Urwald ist eher licht als dicht und in der Höhe der Pyramide weht ein laues Lüftchen.

Nicht wirklich aufgearbeitet scheint die Geschichte der Terrorherrschaft der Roten Khmer und die Rolle der USA. Hun Sen, der autokratische Führer Kambodschas, der 38 Jahre lang regierte, bevor er im August 2023 das Amt des Premierministers an seinen Sohn weitergab, hat die Bombardierung seines Geburtsortes durch die USA als Grund für seinen Beitritt zu den Roten Khmer genannt.

Viele andere haben sich wohl seinerzeit aus ähnlichen Gründen angeschlossen, schreibt Sophal Ohr, außerordentlicher Professor an der Thunderbird School of Global Management an der Arizona State University, der als Kind mit seiner Mutter und den Geschwistern vor den Roten Khmer aus Kambodscha fliehen konnte. In seinem Artikel in theconservation.com unter der Headline „Henry Kissingers Bombenangriff tötete wahrscheinlich Hunderttausende von Kambodschanern - und ebnete den Weg für die Verwüstung durch die Roten Khmer“ beschreibt er den zerstörerischen Einfluss des umstrittenen Geopolitikers Kissinger auf seine Heimat:

„ ‚Operation Menu‘ war der Codename für eine geheime US-Luftangriffskampagne während des Vietnamkriegs mit dem Ziel der Zerstörung von nordvietnamesischen Versorgungslinien, die den Vietcong und nordvietnamesischen Truppen in Südvietnam unterstützten.“

Durch die Operation „Menu“ wurde Kambodscha in den anschließenden Krieg zwischen dem neuen unabhängigen kommunistischen Nordvietnam und dem von den USA unterstützten Südvietnam hineingezogen. Eine Viertelmillion Luftangriffe mit einer ungeheuren Bombenlast von 2,7 Millionen Tonnenzerstörten das Land und töteten die Menschen. So wurde gleichsam auch das Vertrauen in die Regierung zerstört und der Nährboden für die Roten Khmer bereitet.

Die Zeit, nachdem Kambodscha 1953 die Unabhängigkeit von seinen französischen Kolonialherren erlangt hatte, wurde als goldenes Zeitalter für Kambodscha angesehen. Sogar Lee Kuan Yew, der Gründer des heutigen Singapur, besuchte Kambodscha, um, so sagt man, sich vor Ort über den Aufbau einer Nation zu informieren und zu lernen.

Kissinger hat das südostasiatische Land rund um die Uhr „verfühstückt“. Die geheime Teppichbombenkampagne - mit Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Snack, Nachtisch und Abendbrot als Symbole für verschiedene Ziele und Missionen in Kambodscha - wurde bei einem Treffen im Oval Office am 17. März 1969 bestätigt. Kissinger war ein Womanizer, ließ sich sehr gerne mit dem vorwiegend weiblichen "Who is Who" von und in Hollywood sehen. Zsa Zsa Gabor erinnerte sich in ihren Memoiren daran, dass sie bei einem Staatsdinner von Nixon, zu dem sie eingeladen war, mit Kissinger, zu der Zeit dessen nationalen Sicherheitsberater, verkuppelt wurde. Nachdem Kissinger sie zum Dinner in Beverly Hills eingeladen hatte und die beiden zu ihrer Wohnung zurückkehren wollten, klingelte der Präsident Kissinger dessen Pieper an, der daraufhin sofort gehen musste.

Später lud die Filmdiva Gabor Kissinger zu einem Theaterstück ein, in dem sie auftrat, aber er sagte ihr ab, mit der Begründung: "Ich kann nicht geflogen kommen, weil wir morgen in Kambodscha einmarschieren." Die heimliche Bombardierung des Landes, die im Mai 1969 begann, forderte Berichten zufolge mindestens 50.000 Tote. Das Ganze wurde als Geheimoperation durchgeführt, die US-Regierung versuchte, ihre Beteiligung zu vertuschen – wohlwissend, dass für diese von Experten als völkerrechtswidrig eingeschätzte Bombardierung kaum Befürworter in der Bevölkerung zu finden waren.

Noch etwas ist interessant: Als die derzeitige US-Regierung ihre Absicht ankündigte, 2023 Streubomben an die Ukraine zu liefern, wies der kambodschanische Premierminister auf die anhaltenden Schäden hin, die diese Waffen verursachen. Geliefert wurden sie dennoch.

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