Aus Angst vor Strafverfolgung wegen Abtreibung: Frauen löschen ihre Regel-Apps

Weg damit! Löschorgie von Menstruations-Apps in den USA

von Gaia Louise Vonhof

„My Body, my Choice“? Immer mehr Frauen in den USA haben Angst, dass Daten aus ihren Menstruations-Apps bald gegen sie verwendet werden. Zehntausende demonstrieren in US-Städten für die Beibehaltung des liberalen Abtreibungsrechts.© Quelle: Freepik.com / Drazen Zigic

Ein Leben ohne Smartphone ist für die meisten kaum noch vorstellbar. Und was wäre so ein Iphone ohne Apps, die den Alltag bequemer machen – digital betreutes Leben. Allein 2021 wurden weltweit rund 140 Milliarden Apps heruntergeladen – das ist immens angesichts einer Weltbevölkerung von knapp 8 Milliarden Menschen.  Tendenz weiter steigend.

Ob Messenger-Dienste wie Telegram oder WhatsApp, Gesundheits-Apps, die Schritte zählen, oder Gaming-Apps, mit denen man die Lebenszeit verdaddelt. Oft machen sich die Nutzer nicht wirklich Gedanken, wofür Ihre Daten benutzt werden oder in Zukunft missbraucht werden könnten. Auch wenn die Datensammlerei und -weitergabe vieler Apps bekannt und in den Medien ein präsentes Thema ist – meistens siegt die Bequemlichkeit über die Bedenken.

Ungeachtet eines möglichem Datenmissbrauchs werden Menstruations-Apps von Frauen weltweit gern genutzt, um Periodenzeitraum oder auch bei Kinderwunsch die fruchtbaren Tage zu bestimmen.

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Marktführer ist hier die britische App Flo, die von jeder zehnten Frau weltweit zwischen 15 und 49 Jahren genutzt wird, was beachtliche 200 Millionen Nutzerinnen ausmacht. Die es offenbar bislang nicht störte, dass Informationen über intimste Bereiche wie Hautbild, Sexleben oder Verhütung an Datenkraken wie Facebook teilweise weitergegeben werden.

Eigentlich möchte man meinen, das sind schon hinreichend Gründe für eine Deinstallation dieser App. Der Grund für das aktuelle „Massenlöschen“ von Menstruations-Apps in den USA ist die Angst vor Strafverfolgung. Denn einige konservative US-Bundesstaaten drohen ein Abtreibungsverbot einzuführen. Wenn dieses Vorhaben in Teilen der USA umgesetzt wird, ist es im Bereich des Möglichen, dass die App-Betreiber auch gesetzlich verpflichtet werden, die Daten herauszugeben.

Die Menstruations-Apps registrieren im Normalfall nicht nur Perioden-Zeitpunkt, auch das Ausbleiben der Tage wird erfasst. Diese Frauen befürchten nun, dass so auch Informationen über ungewollte Schwangerschaften, und wenn sie abtreiben wollen, missbraucht und gegen sie verwendet werden können. Nach dem Motto „Vorsorge ist besser als Nachsicht“ quittieren sie ihre Angst vor einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung nach einer Abtreibung mit einer Massenlöschung ihrer Menstruations-Apps samt dazugehörigen Daten.

Sie folgten damit auch Aufrufen von Frauenrechtsorganisationen und Aktivisten wie Elisabeth McLaughlin, die via Twitter zur Löschung aufrief. Ihr Tweet wurde von ihren Followern fast sechzigtausend Mal geteilt, und ihre Handlungsanweisung „…Daten löschen. Jetzt!“ offensichtlich befolgt. Unter Berufung auf einen Bericht in der New York Times schickte sie in Bezug auf die zu löschende App gleich noch mit: „Übrigens: Wenn Sie Flo benutzt haben, haben Zuckerberg und Co. Ihren Zyklus bereits erfasst.“

Zu dieser digitalen Protestaktion – oder sollte man sagen Selbstschutzaktion? –  kommt jetzt noch eine analoge hinzu: Zehntausende gingen in den USA am vergangenen Wochenende für ihr Recht auf Abtreibung auf die Straße, eine Ausweitung der Proteste auf Hundertausende wird erwartet.

Demonstrationen fanden nach Medienangaben in hunderten Städten der USA statt, auch in großen Metropolen wie New York, Los Angeles und in Washington. Hier führte die Demonstrationsstrecke direkt zum Supreme Court, denn gegen den Obersten Gerichtshof richten sich auch die Proteste.

Der Entwurf einer Urteilsbegründung des Obersten US-Gerichts gelangte durch einen Anfang Mai veröffentlichten Bericht von Politico an die Öffentlichkeit, der den Schluss nahelegt, dass das bislang liberale Recht auf Abtreibung bald Geschichte ist, da der Supreme Court plant, dieses zu kippen. Das würde nachfolgend dazu führen, dass zahlreiche konservative US-Staaten Schwangerschaftsabbrüche komplett verbieten könnten.

Ein landesweites, einheitliches Gesetz, welches Abtreibungen erlaubt oder verbietet, gibt es in den USA bislang nicht. Schwangerschaftsabbrüche sind aber bis zur Lebensfähigkeit des Fötus (24.Woche) erlaubt. Basis für dieses liberale Recht auf Abtreibung ist ein Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973.

Dass der Supreme Court nun das seit fast fünfzig Jahren geltende Abtreibungsrecht auf Bundesebene über den Haufen werfen könnte, bringt diese Proteste auf den Plan. Denn sollte es dann keine bundesweite gesetzliche Regelung geben, würde die Zuständigkeit bei den US-Bundesstaaten liegen. Damit sind in den konservativ regierten Staaten Tür und Tor geöffnet, Abtreibung gänzlich zu verbieten.

Das Thema Abtreibung spaltet die USA, nicht erst jetzt. Mit den sich aktuell auswachsenden Protestdemonstrationen der Befürworter nach dem Motto “My Body, my choice“ setzen diese ein Signal für ihre Selbstbestimmung, ein digitales Zeichen hingegen durch die Löschung der Menstruations-Apps, ganz im Sinne von “My data, my choice”.

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