Der abschüssige Weg der Berufsgenossenschaften und Sozialgerichte

Wenn Kacken und Kaffee bei der Arbeit zum „Privatvergnügen“ werden

von RA Dirk Schmitz (Kommentare: 4)

Deutschland muss nachsitzen© Quelle: Pixabay/Alexa_Fotos

Wer meint, der Gang zum stillen Örtchen neben dem Büro sei „natürlicher“ Teil der Arbeit, irrt. Das Bundessozialgericht hält seit Jahrzehnten daran fest, dass der Toilettengang eine „eigenwirtschaftliche Verrichtung“ darstellt – mithin privat ist und nicht versichert.

Von RA Dirk Schmitz MA

Die gesetzliche Unfallversicherung – gerne als sozialstaatliche Errungenschaft gepriesen – entpuppt sich in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zunehmend als eine Ansammlung von Ausschlussklauseln, die jeder private Versicherer in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor das Landgericht bringen dürfte – um dort krachend zu scheitern.

Die §§ 307 ff. BGB lassen grüßen. Doch die Berufsgenossenschaften dürfen das. Schließlich geht es hier nicht um eine „Versicherung“ im zivilrechtlichen Sinn, sondern um einen pseudokollektiven Schutzschirm, der in der Praxis reihenweise nicht schützen soll. Teil eines parasitären Bürokratie-Monsters.

Beginnen wir mit dem Klassiker: der Gang zum stillen Örtchen neben dem Büro. Wer meint, dieser sei „natürlich“ Teil der Arbeit, irrt. Das BSG hält seit Jahrzehnten daran fest, dass der Toilettengang eine „eigenwirtschaftliche Verrichtung“ darstellt – mithin privat und nicht versichert (vgl. BSG, Urt. v. 2.4.2009 – B 2 U 23/08 R). Der Versicherungsschutz endet, so das LSG Baden-Württemberg, bereits an der Außentür der Toilettenanlage (Urt. v. 30.4.2020 – L 10 U 2537/18). Wer dann beim Hinsetzen, Aufstehen oder Händewaschen stürzt: Pech gehabt!

Hätte die Berufsgenossenschaft jemals selbst richtige Juristen beschäftigt, die mehr als den eigenen Kommentarband kennen, wäre aufgefallen, dass eine private Kranken- oder Unfallversicherung mit einem solchen Ausschluss sofort eine Abmahnung der Verbraucherzentralen kassieren würde.
Kaffeeholen: Genuss oder Arbeitspflicht?

Das jüngste Highlight aus Kassel: BSG, Urt. v. 24.9.2025 – B 2 U 11/23 R:

Eine Verwaltungsangestellte stürzte beim Gang zum Kaffeeautomaten, weil der Boden frisch gewischt war. Kaffeeholen, so das BSG, sei grundsätzlich nicht unfallversichert, weil Kaffee ein „Genussmittel“ sei – im Gegensatz zu Wasser oder dem Mittagessen. Kaffee trage nicht zur „stabilen Leistungsfähigkeit“ bei. Bei dem Satz will man jedem Richter am Bundessozialgericht gerne eine ganze Kaffeekanne am Nachmittag auf die Robe kippen.

Aber – und hier offenbart sich die kafkaeske Dogmatik – weil der Sturz im obigen Fall durch eine „besondere betriebliche Gefahr“ - nämlich den frisch gewischten Boden im Sozialraum - ausgelöst wurde, sei der Unfall „gerade noch“ versichert. Kurz gesagt: Nicht der Kaffee rettet den Schutz, sondern die Pfütze.
Das LSG Sachsen-Anhalt sah es ähnlich (Urt. v. 22.5.2025 – L 6 U 45/23): Ein Bauarbeiter verschluckte sich in einer betrieblich angeordneten Besprechung an seinem Kaffee und stürzte. Weil der Kaffee vom Arbeitgeber selbst gestellt wurde, sei der Unfall versichert. Hätte er die Tasse privat von zu Hause mitgebracht, wäre er an seinem „Privatkaffee“ erstickt.

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Privates Telefonat: Wer in der Arbeitszeit kurz mit dem Ehepartner telefoniert und auf dem Weg zum Handy stolpert, ist nicht geschützt.

Raucherpause: Wer E- oder „Echt“-Zigarette genießt, tut selbst den Weg in die Raucherecke auf eigenes Risiko.

Mittagspause: Das Essen selbst ist nicht versichert – nur der Weg zur Kantine (aber auch nur bis zur Tür). Sticht man sich in der Kantine mit der Gabel in die Hand: privat.

Toilettensturz im Krankenhaus: Selbst Patientinnen, die im Klinikbetrieb unfallversichert sein sollen, fliegen aus dem Schutz, sobald sie den Toilettenraum betreten (BSG, Beschl. v. 17.6.2025 – B 2 U 6/23 R). Nur wenn die fehlenden Haltegriffe eine betriebliche Gefahr darstellen, kann man den Schutz „retten“.

Die Berufsgenossenschaften und die Sozialgerichte haben ein Dogma geschaffen: Alles, was menschlich unvermeidlich ist – Essen, Trinken, Atmen, Verdauen – gilt als Privatvergnügen. Versicherungsrechtlich macht das System damit genau dort Halt, wo es am nötigsten wäre.

Eine private Pflichtversicherung würde mit solchen Ausschlüssen scheitern. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB verbietet AGB, die wesentliche Rechte und Pflichten so einschränken, dass der Vertragszweck gefährdet ist. Wenn die „Unfallversicherung“ genau jene Unfälle ausschließt, die typischerweise am Arbeitsplatz geschehen – Kaffeeholen, Toilettengang, Kantinenbesuch –, dann ist der Vertragszweck, nämlich Schutz am Arbeitsplatz, ad absurdum geführt.

Die Lösung liegt auf der Hand: Schafft die Berufsgenossenschaften in ihrer jetzigen Form ab und ersetzt sie durch eine private Pflichtversicherung mit klaren, transparenten Bedingungen. Kein Mensch versteht, warum der Weg zum Klo „privat“ sein soll, der Weg ins Büro aber „versichert“.

Kein Mensch versteht, warum der Sturz an der Kaffeemaschine versichert ist, weil der Boden nass war, nicht aber Ausschluss, weil die Koffeinzufuhr nicht zur Leistungsfähigkeit beiträgt.

Arbeitgeber sparen sich so schwachsinnige Berufsgenossenschaften und viel Geld. Die versicherten Arbeitnehmer und Dritte bekommen endlich einen Schutz, der diesen Namen verdient. Bis dahin gilt: Wer in Deutschland arbeitet, sollte lieber mit Thermoskanne, „Pissflasche“ unterm Tisch mit Katheder und Trockenfutter in der Schublade vorsorgen – alles andere ist „Privatvergnügen“.

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