Es besteht in Deutschland eine Sehnsucht nach einer neuen politischen Kraft

Wer das Glaubensbekenntnis des politischen Mainstreams in Frage stellt, ist der politische Feind

von Alexander Wallasch (Kommentare: 13)

Frau Wagenknecht hat sich durch ihre politischen Positionen oftmals außerhalb des Korridors gestellt. Deshalb wird der Umgang mit ihr von Seiten des Mainstreams seit einiger Zeit diffamierender und ausgrenzender.© Quelle: privat

Dr. Maaßen am Montag unter anderem über feministische Außenpolitik und ihre Vorfeldorganisationen, eine „Meldestelle Antifeminismus“, über Sahra Wagenknecht und über ein ARD-Magazin, das die Erstunterzeichner des Friedensmanifestes mit inquisitorischen Fragen drangsaliert.

Alexander Wallasch: Meinungsforscher von Kantar sehen bis zu zwanzig Prozent Potenzial für eine Wagenknecht-Partei. Damit würde sie auch der AfD viele Stimmen nehmen. Was passiert da, wenn eine linke ehemalige Kommunistin, die sich heute zur sozialen Marktwirtschaft und Ludwig Erhard bekennt, das politische Gravitationsfeld so durcheinanderbringt?

Hans-Georg Maaßen: Es besteht in Deutschland eine Sehnsucht nach einer neuen politischen Kraft. Sehr viele Menschen fühlen sich durch die Parteien unseres Parteiensystems nicht mehr repräsentiert. Schaut man auf die letzten Landtagswahlen zurück, sind 45 Prozent der Wähler in NRW und 37 Prozent in Berlin zuhause geblieben, weil sie keine Partei wählen wollten. Das Gefühl ist weitverbreitet, dass es doch egal sei, ob man die Partei SED/Die Linke, Grüne, SPD oder CDU wählt, man bekommt zum Schluss wieder eine Koalition, und es wird linke Politik gemacht. Und die AfD ist für die meisten auch keine Alternative, weil sie für radikal gehalten wird.

Den etablierten Parteien ist es egal, ob 80 Prozent, 50 Prozent oder nur 10 Prozent der Bürger zur Wahl gehen, solange das Wahlergebnis für sie stimmt und sie in der Regierung sind. Wenn eine neue politische Kraft mit einer überzeugenden Führungsperson die unzufriedenen Nichtwähler und die enttäuschten Protestwähler anspricht und mobilisiert, kann es zu einer deutlichen Veränderung der Mehrheitsverhältnisse führen. Ob dies Frau Wagenknecht erreichen kann, möchte ich nicht vorhersagen. Zweifel habe ich aber deshalb, da sie als Ikone der politischen Linken und als Mitglied der Kommunistischen Plattform im Bürgertum wenig Vertrauen genießt. Sie gilt als Kommunistin.

Alexander Wallasch: Friedrich Merz hatte am vergangenen Donnerstag im Bundestag scharf gegen Wagenknecht geschossen, weil diese in einer Talkshow davon gesprochen hatte, dass es im Ukrainekrieg Vergewaltigungen auf beiden Seiten gebe, der „Hart aber Fair“-Faktencheck stellte dagegen fest, dass das nicht stimmt, darauf berief sich wohl auch Merz. Später musste der Faktencheck kleinlaut revidieren, als Untersuchungen von 2022 die Aussagen Wagenknechts bestätigten. Aber die Diffamierung ist nun in der Welt. Entschuldigungen/Richtigstellungen von Merz oder Fakencheck: Fehlanzeige. Hat so etwas System?

Hans-Georg Maaßen: Ich habe den Eindruck, die etablierten Parteien und die Haltungsmedien unterscheiden zwischen politischen Kräften und politischen Persönlichkeiten, die sich innerhalb des Korridors der Meinungsfreiheit und des politischen Mainstreams bewegen, und solchen, die nicht dazu gehören.

Die erste Gruppe wird als politische Konkurrenz und damit als bloßer Gegner auf Augenhöhe angesehen, die andere Gruppe als die Feinde. Wenn man das Glaubensbekenntnis des politischen Mainstreams in Frage stellt, ob es nun die Energiepolitik, die Coronapolitik, die Migrationspolitik oder die Ukrainepolitik ist, um nur wenige Beispiele zu nennen, steht man außerhalb des Korridors der Meinungsfreiheit und ist der politische Feind. Für Feinde gelten andere Regeln als für die politischen Konkurrenten innerhalb des Korridors. Wer Feind ist, dem spricht man das Recht ab, auf Augenhöhe zu argumentieren und zu konkurrieren. Feinde sollen vernichtet werden und ihnen soll keine Chance geboten werden, politischen Einfluss zu gewinnen.

Wir sehen das schon seit längerer Zeit beim Umgang mit der AfD, und seit einiger Zeit auch beim Umgang mit der WerteUnion. Frau Wagenknecht hat sich durch ihre politischen Positionen oftmals außerhalb des Korridors gestellt. Deshalb wird der Umgang mit ihr von Seiten des Mainstreams seit einiger Zeit diffamierender und ausgrenzender. Das Verhalten von Herrn Merz wundert mich insoweit nicht. Wundern würde es mich, wenn er sich bei ihr entschuldigen würde.

Alexander Wallasch: Das ARD-Politmagazin „Fakt“ hat jetzt alle Erstunterzeichner des Friedensmanifests angeschrieben, sie sollen bitte beantworten: „Wer hat Sie in welcher Form angesprochen“ und weitere Fragen, die erklären sollen, wie es zur Entscheidung kam. Übernehmen die Öffentlich-Rechtlichen jetzt schon Geheimdienstaufgaben, um die Ergebnisse dann an den Pranger zu stellen?

Hans-Georg Maaßen: Das ist eine aufmerksame Beobachtung. In den letzten 20 Jahren haben Medien schleichend ihren Auftrag verändert. Das hängt damit zusammen, dass linke Haltungsjournalisten in der Zeit in den meisten Redaktionen dominant wurden. Es geht aus Sicht dieser politischen Aktivisten in den Redaktionen nicht um Informationsvermittlung und um die Kontrolle der Regierenden, sondern aus ihrer Sicht sind Medien Macht, und diese Macht wird nur im Dienste der „guten“ Sache eingesetzt.

Danach geht es um Agitation und Propaganda für die „gute“ linke Sache und um die Kontrolle der Kritiker des linken Mainstreams und des Meinungskorridors. Aufgrund der Pressefreiheit sind sie kaum angreifbar und nicht belangbar. Sie können investigativ tätig sein, wie es noch nicht einmal die Nachrichtendienste dürfen, sie können im Privatleben ihrer Opfer herumschnüffeln, sie öffentlich demütigen und an den Pranger stellen, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Existenz ihrer Opfer vernichten.

Dass die Fernsehsendung „Fakt“ die Erstunterzeichner des Friedensmanifests mit diesen inquisitorischen Fragen angeschrieben hat, empfinde ich als Skandal. Ich sehe nicht, dass Journalisten der Staatsmedien sich auf eine Rechtsgrundlage stützen könnten, private Vereine oder Bestrebungen ausfragen oder ausspionieren zu können, um aus den Antworten einen Skandal zu konstruieren. Aber dass dies von der Politik nicht als Skandal wahrgenommen wird, zeigt, wie das Verständnis für die Aufgabe der Staatsmedien schon deformiert ist.

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Alexander Wallasch: Der ukrainische Verteidigungsminister lehnt gegenüber der BILD-Zeitung Gespräche mit Putin ab. Seine Regierung will die Russen vertreiben – auch mit westlichen Kampfjets. Lediglich aus Brasilien vom Sozialisten da Silva wird Selinskyj noch auf Verhandlungen angesprochen.

Hans-Georg Maaßen: Entscheidend ist, ob die Biden-Regierung in Washington Verhandlungen will. Herr Selinskij hat keinen eigenen Entscheidungsspielraum. Solange die Biden-Regierung den Krieg gegen Russland fortsetzen will, wird die Selinskyj-Regierung dies umsetzen. Ich bin überzeugt, dass Washington noch nicht fertig ist mit dem Krieg, weil es immer noch auf einen Siegfrieden und auf eine Ersetzung der Putin-Administration durch eine den USA gegenüber offenere Regierung setzt. Ich glaube nicht, dass die Kriegsziele der USA realistisch sind, aber es wird – wie schon bei anderen amerikanischen Kriegen – vermutlich noch einige Zeit dauern, bis die US-Regierung soweit ist, das zu begreifen, und zu Verhandlungen bereit ist.

Alexander Wallasch: Die mit vielen Millionen Euro aus dem Topf „Demokratie leben!“ ausgestattete Amadeu Antonio Stiftung hat erneut einen Pranger installiert, dieses Mal geht es um ein Meldeportal „Meldestelle Antifeminismus“, hier kann aber auch jedwede Form von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, ein Kampfbegriff, neu definiert in der Kaderschmiede der Uni Bielefeld unter dem Sozialpsychologen Andreas Zick und seinem Institut für interdisziplinäre Gewaltforschung, gemeldet werden. Reiner Zufall, dass dieses Portal zeitlich zusammenkommt mit der „feministischen Außenpolitik“, vorgestellt von Annalena Baerbock?

Hans-Georg Maaßen: Wir sprachen vorhin über die gefährliche Entwicklung in den Staatsmedien durch Haltungsjournalisten, die die Medienmacht für ihren politischen Aktivismus instrumentalisieren und politische Feindbekämpfung im Sinne des politischen Mainstreams betreiben. Eine ähnliche Gefahr sehe ich in den sog. „NGOs“, die vom Staat unter dem Vorwand der „Demokratieförderung“ bezahlt und beauftragt werden und Aufgaben wahrnehmen, die der Staat unter keinen Umständen wahrnehmen darf.

Es sind oftmals keine „Non-Governmental Organizations“, sondern vom Staat oder durch quasistaatliche Töpfe gesponserte politische Vorfeldorganisationen der Linken, die mit staatlichem Geld etwas machen sollen, was die Regierung vielfach nicht tun darf.

Wo ist die Rechtsgrundlage dafür, dass Daten über Menschen erhoben und an eine Stelle gemeldet werden, wenn diese Menschen die feministische Ideologie ablehnen? Ich habe nach dem Grundgesetz ein Recht darauf, auch antifeministisch zu sein, wenn ich das will, und in einer freiheitlichen Demokratie darf der Staat nicht – unter keinen Umständen – Meinungen, politische oder religiöse Überzeugungen qualifizieren, ausgrenzen oder verfolgen.

Und wenn der Staat es nicht darf, darf er dieses Verbot auch nicht dadurch umgehen, dass er private Vereine dafür bezahlt, das zu tun, und dies auch noch als „Demokratieförderung“ verschleiert.

Zu dem letzten Punkt Ihrer Frage: Es findet derzeit eine aggressive Durchsetzung der feministischen Ideologie in Deutschland statt. Zum einen in der Politik und in den Ministerien, zum anderen durch die Bekämpfung von Gegnern oder Kritikern der feministischen Ideologie, wobei aus meiner Wahrnehmung die Amadeu Antonio Stiftung diese Rolle in Teilen übernimmt.

Alexander Wallasch: Ersetzt die „feministische Außenpolitik“ jetzt die deutsche Außenpolitik?

Hans-Georg Maaßen: Außenpolitik ist Interessenpolitik. Deutsche Außenpolitik meint, dass deutsche Interessen mit diplomatischen Mitteln artikuliert und zur Geltung gebracht werden. Ich hatte in meinen rund zwanzig Jahren im Bundesinnenministerium den Eindruck gewonnen, dass vielen Diplomaten nicht klar war, dass sie im Ausland, in Brüssel oder bei den Vereinten Nationen in der Funktion eines Anwalts deutsche Interessen vertreten sollten.

Wenn nicht die deutschen Diplomaten deutsche Interessen gegenüber dem Ausland vertreten, wer soll es denn sonst tun? Die Amerikaner oder die Russen? Wir konnten es uns in den letzten dreißig Jahren oftmals leisten, unsere Interessen auf europäischer oder auf internationaler Ebene nicht zur Geltung zu bringen, auch wenn unsere Gesprächspartner sich über uns wunderten oder sich über unsere Spendierhosen lustig machten. Aber wir konnten alle Rechnungen bezahlen, und solange man alle Rechnungen bezahlen kann, tut es nicht weh, wenn man das Geld nicht für die eigenen Interessen ausgibt.

Nun sieht es anders aus, weil Deutschland im internationalen Rahmen politisch und ökonomisch an Bedeutung verliert. Mit der verkündeten „feministischen Außenpolitik“ macht die Außenministerin klar, dass es nicht um die Vertretung deutscher Interessen im Ausland geht, sondern sie unterwirft die deutsche Außenpolitik der linken feministischen Ideologie.

Das bedeutet, bei Verhandlungen mit ausländischen Staaten und in internationalen Organisationen geht es um die Durchsetzung feministischer Positionen, und die Interessen des deutschen Volkes und der deutschen Steuerzahler fallen hinten herunter. Ich befürchte, dass diese Politik nicht nur dem deutschen Volk als Souverän großen Schaden zufügt, weil es in der Außenpolitik nicht um unsere Interessen mehr geht, sondern dass diese Politik zur Konfrontation mit anderen Staaten führt, die sich weigern, die feministische Ideologie zu übernehmen.

Alexander Wallasch: Wer definiert eigentlich die Aufgaben eines Außenministeriums? Neben solchen des Familien- und Entwicklungsministeriums scheinen hier ganz neue Aufgaben entstanden zu sein …

Hans-Georg Maaßen: Grundsätzlich werden die Aufgaben der Ministerien in einem Organisationserlass des Bundeskanzlers geregelt. Aber er kann den Ministerien auch nicht nach Belieben Aufgaben übertragen oder neue erfinden. Er kann in den Organisationserlass zum Beispiel nicht aufnehmen, dass das Wirtschaftsministerium ganz besonders die Interessen eines einzelnen Unternehmens berücksichtigen darf.

Das Bildungsministerium darf sich auch nicht für die Einrichtung von Instituten für Marxismus-Leninismus einsetzen. Und natürlich darf das Außenministerium nicht in den Dienst der katholischen Kirche gestellt werden, weil der Bundeskanzler oder Außenminister ein überzeugter Katholik ist. Was das Außenministerium unter Baerbock heute tut, geht aber in diese Richtung, indem die deutsche Außenpolitik für eine Ideologie instrumentalisiert wird.

Alexander Wallasch: Die Außenministerin will das Amt einer Botschafterin für feministische Außenpolitik neu schaffen. Was stellen sie sich darunter vor, was halten Sie davon?

Hans-Georg Maaßen: Das erinnert mich an eine Art Kommissar zur Überwachung der Durchsetzung der Ideologie. Nach der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes hat unsere Staatsverwaltung dagegen ideologiefrei zu sein.

Alexander Wallasch: Im Wesentlichen hat Frau Baerbock ihre Pläne in zehn Leitlinien vorgestellt. Neben einer Reihe von Sprachverwirrungen verdient Punkt zehn besondere Aufmerksamkeit, denn der macht den Eindruck, dass hier eine Vernetzung mit den Vorfeldorganisationen (NGOs) forciert werden soll: „Wir ermutigen Austausch und Vernetzung. Wir entwickeln die feministische Außenpolitik im Dialog mit Zivilgesellschaft, Bürger*innen und internationalen Partner*innen weiter.“ Wie ist das zu bewerten?

Hans-Georg Maaßen: Mit diesem Punkt der Leitlinien wird deutlich gemacht, dass die Außenpolitik sich in den Dienst der feministischen Vorfeldorganisationen stellt. Unter Zivilgesellschaft versteht die politische Linke nicht den Souverän, nämlich das deutsche Volk, auch nicht die Wahlbürger, sondern die Menschen, die sich in linken politischen Vorfeldorganisationen organisiert haben.

Alexander Wallasch: Vielen Dank für das Gespräch!

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