Von Gregor Leip
Bei allem, was im Folgenden zu lesen ist, darf nicht vergessen werden, dass es sich hier ausschließlich um die Frage dreht, was es genau mit den Atomprogrammen hin zur aktuellen Eskalation auf sich hat. Die systematischen schweren und schwersten Menschenrechtsverletzungen des Regimes müssen hier immer mitgedacht werden.
Und ganz sicher gibt es zu verschiedenen Fakten, die hier gleich zu lesen sein werden, unterschiedliche Lesarten. Wer mit einer Zusammenfassung nicht einverstanden ist, wird ausdrücklich aufgefordert, seine Sicht der Dinge in die Kommentare zu schreiben. Es wird aber darum gebeten, von Beschimpfungen und abwegigen Mutmaßungen abzusehen. Jeder Kommentar kann diesen Text bereichern.
Im Jahr 2025 sorgt Irans Urananreicherung auf 60 Prozent für weltweite Besorgnis. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) liefert die zentralen Beweise für Irans Anreicherung. Laut einem Bericht vom 31. Mai 2025 verfügte Iran am 17. Mai 2025 über 408,6 Kilogramm Uran, das auf 60 Prozent angereichert war – ein Anstieg um 133,8 Kilogramm seit Februar 2025.
Die Anreicherung fand in den Anlagen Fordow und Natanz statt, wie durch IAEA-Inspektionen bestätigt. Der Bericht hebt hervor, dass Iran der einzige Staat ohne Atomwaffen ist, der auf diesem Niveau anreichert, was Bedenken auslöste hinsichtlich der Produktion von Massenverniochtungswaffen.
Zwischen Februar und Mai 2025 produzierte Iran in der Fordow Fuel Enrichment Plant (FFEP) 166,6 Kilogramm und in der Pilot Fuel Enrichment Plant (PFEP) in Natanz 19,2 Kilogramm 60-prozentig angereichertes Uran. Diese Zahlen sind durch regelmäßige Überprüfungen gesichert. Ein Bericht vom Dezember 2024 zeigt zudem, dass die Produktionsrate in Fordow auf über 34 Kilogramm pro Monat stieg.
Aber was bedeuten 60 Prozent? Ist es von da aus ein „Katzensprung“ zur Atombombe? Experten des unabhängigen Institute for Science and International Security (ISIS) – schätzen, dass Iran seinen Bestand an 60-prozentigem Uran in wenigen Wochen auf waffenfähiges Material (90 Prozent oder mehr) weiter anreichern könnte.
Eine Analyse vom 9. Juni 2025 zeigt, dass Iran genug Material für etwa neun Nuklearwaffen produzieren könnte, wobei die erste Menge waffenfähigen Urans in zwei bis drei Tagen hergestellt werden könnte. Dies unterstreicht die technische Nähe zu einer potenziellen Bombe. Allerdings bleibt umstritten, ob Iran die politische Absicht hat, diesen Schritt zu gehen, da das Land beteuert, sein Programm sei friedlich.
Wichtig zu wissen auch in Bezug auf die folgenden Informationen: Es gibt keinen wirklichen Grund, in der friedlichen Nutzung auf 60 Prozent anzureichern.
Bereits Anfang 2023 erklärte die iranische Führung laut einem Bericht der "The Times of Israel", Uran auf 60 Prozent anzureichern, was die IAEA akzeptierte, aber unter der Bedingung, dass Iran nicht auf 90 Prozent geht, da dies waffenfähiges Material wäre. Ein Bericht der Times of Israel beschreibt, wie IAEA-Direktor Rafael Grossi nach Teheran reiste, um mit Präsident Ebrahim Raisi zu sprechen, nachdem Spuren von Uran mit 83,7 Prozent in Fordow gefunden wurden.
Iran bestritt, absichtlich höher angereichert zu haben, doch die Funde deuteten auf mögliche Verstöße hin. Dieser Vorfall war ein frühes Zeichen für Irans fortschreitendes Nuklearprogramm. Bis 2025 hat Iran seinen Bestand an 60-prozentigem Uran auf 408,6 Kilogramm erhöht, was die Besorgnis verstärkt, dass es schnell waffenfähiges Material produzieren könnte. Die Zerstörung der Natanz-Anlage im Juni 2025 durch mutmaßlich israelische Angriffe könnte die Aktivitäten vorübergehend bremsen, sorgten aber für große Bedenken bei den Fachleuten, die ausdrücklich davor warnen, solche Anlagen anzugreifen.
Unter dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) von 2015 war Iran verpflichtet, seine Urananreicherung auf maximal 3,67 Prozent zu beschränken und den Bestand auf 300 Kilogramm zu reduzieren. Eine Anreicherung auf 60 Prozent war nicht erlaubt und begann erst nach dem US-Rückzug aus dem JCPOA im Jahr 2018, was als Verstoß gegen das Abkommen gilt. Iran rechtfertigte dies mit dem Ausbleiben wirtschaftlicher Vorteile durch die Sanktionen.
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Der Iran hatte sich demnach bereiterklärt, es bei maximal 3,67 Prozent zu belassen, dann stiegen die USA unter Trump aus dem Vertrag aus und die Sanktionen begannen wieder. Der Iran sah keinen „Deal“ mehr und fühlte sich nicht mehr an den Vertrag gebunden.
Neben Iran gibt es wenige Staaten ohne Atomwaffen, die Uran über fünf Prozent anreichern. Argentinien hat die Fähigkeit, in seiner Pilcaniyeu-Anlage bis zu 20 Prozent anzureichern, obwohl das Programm derzeit nicht aktiv ist. Die Niederlande und Deutschland, beide Teil des URENCO-Konsortiums, planen, High-Assay Low-Enriched Uranium (HALEU, 5-20 Prozent) zu produzieren, um fortschrittliche Reaktoren zu versorgen. Diese Aktivitäten sind für zivile Zwecke gedacht und stehen unter strenger internationaler Kontrolle.
Die USA zogen sich am 8. Mai 2018 unter Präsident Donald Trump aus dem JCPOA zurück, weil er das Abkommen als zu lasch ansah. Er kritisierte, dass es Irans ballistisches Raketenprogramm und seine Unterstützung terroristischer Gruppen nicht einschränkte. Nach dem Rückzug führten die USA Sanktionen gegen Iran wieder ein, was die iranische Wirtschaft schwer traf.
Iran reagierte, indem es sich schrittweise vom JCPOA löste. Am 8. Mai 2019, ein Jahr nach dem US-Rückzug, kündigte Iran an, Teile des Abkommens zu suspendieren, da die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile ausblieben. Im Juli 2019 begann Iran, die Anreicherungsgrenze von 3,67 Prozent zu überschreiten, und 2021 kündigte es an, auf 60 Prozent zu gehen, unter anderem als Reaktion auf Sabotage in Natanz. Diese Eskalation wurde auch als Druckmittel eingesetzt, um Sanktionserleichterungen zu erzwingen.
Trump ist insofern verantwortlich, als sein Rückzug aus dem JCPOA die direkte Ursache für Irans Eskalation war. Der Ausstieg entfernte die wirtschaftlichen Anreize, die Iran dazu gebracht hatten, sich an das Abkommen zu halten.
Aber Trump allein die Schuld zu geben, ist einseitig und falsch: Kritiker des JCPOA argumentieren, dass das Abkommen langfristig nicht nachhaltig war, während Unterstützer meinen, es hätte funktioniert, wenn die USA dringeblieben wären. Aber am Wichtigsten: Irans Entscheidung, auf 60 Prozent anzureichern, war jedoch eine eigene Wahl, auch wenn sie durch den US-Rückzug provoziert wurde.
Es gibt theoretisch friedliche Gründe, Uran auf 60 Prozent anzureichern, aber sie sind in Irans Fall umstritten. Hochangereichertes Uran (bis zu 20 Prozent oder in seltenen Fällen höher) wird für Forschungreaktoren, medizinische Isotopenproduktion oder spezielle Reaktortypen wie solche in U-Booten verwendet.
Iran hat argumentiert, dass seine Anreicherung auf 60 Prozent für zivile Zwecke gedacht sei, etwa für den Teheran-Forschungsreaktor, der medizinische Isotope produziert. Allerdings benötigen solche Reaktoren in der Regel maximal 20 Prozent, und die Menge von 408,6 Kilogramm, die Iran angehäuft hat, übersteigt den Bedarf für zivile Anwendungen bei Weitem, wie Experten betonen.
Zudem hat Iran keine glaubwürdigen zivilen Projekte vorgelegt, die eine Anreicherung auf 60 Prozent rechtfertigen würden, was Zweifel an den friedlichen Absichten schürt. Die IAEA hat festgestellt, dass Irans Aktivitäten nicht mit seinen Verpflichtungen übereinstimmen, was die Vermutung verstärkt, dass die Anreicherung eher politischen oder sogar militärischen Zwecken dient.
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Kommentar von Ulrich Viebahn
Wieder ein toller Artikel, nüchtern und mit vielen weiterführenden links. Ich wünsche mir viele Ergänzende Kommentare.
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Kommentar von .TS.
Wenn die Behauptung daß das spaltbare Material für medizinische und Forschungszwecke gedacht sei stimmt sollte es doch kein Problem sein die zugehörigen zivilen Anlagen offen vorzuzeigen.
Es sieht nach nuklearem Wettrüsten zur gegenseitigen Abschreckung wie im kalten Krieg aus, jedoch mit wesentlich schillenderen Partnern und weitaus weniger diplomatischem Gegengewicht.
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Kommentar von Holger Nickel
Sehr gut erklärt, was ich sonst als Laie in der Form kaum so beschrieben bekomme.
Das ist widerrum der militärisch/zivile (?) Vorgang. Der überwiegende Teil der Iraner
möchte das Mullahregime unbedingt loswerden. Auch mit den Kollateralschäden inbegriffen.
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Kommentar von Max Muster
Abgesehen von der teils rauhen Sprache des Journalisten könnte man auch mal den von Medhurst vorgetragenen Zeitablauf in die Betrachtung mit einbeziehen. Die vorgetragene Zeitleiste lässt sich ja vermutlich für einen Journalisten Nachprüfen und auf Korrektheit überprüfen.
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British journalist Richard Medhurst is the only independent journalist to cover the Iran nuclear deal on the ground in Vienna and IAEA/UN. This is the full story about Iran's nuclear program and who sabotaged diplomacy.
https://www.youtube.com/watch?v=c 57_Ujrl0Jk
https://inv.nadeko.net/watch?v=5d O4LWQVmeE (Ohne Youtube Anmeldung & Werbung)
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Kommentar von Paul Mehringer
Mich würde mal interessieren: Ist die Neutralität und Überparteilichkeit der IAEA sichergestellt?
Warum befasst sich die UN (gibt's die noch?) bzw. deren Sicherheitsrat nicht mit dem Thema? Liegt das letzte Wort bei Don Trump, der entscheidet, wen er wann umlegen lässt und wer die "Drecksarbeit" zu machen hat?