Die kleinen Zeitenwenden

11-Jährige kommen in Windeln zur Schule

von Alexander Wallasch (Kommentare: 31)

„Die Eltern sind in der Pflicht, sicherzustellen, dass ihre Kinder im Schulalter keine Windeln mehr tragen. Wenn Elfjährige mit Windeln in die Schule kommen, ist das eine bedenkliche Entwicklung."© Quelle: Pixabay/OpenClipart-Vectors

Wenn Sie noch einen Beweis gesucht haben dafür, dass die Welt verrückt geworden ist, hier ist er. Und dieses Mal kommt der Trend aus der Schweiz und heißt „Windeln für Schulkinder“.

Was klingt wie ein übergriffiger Toilettenscherz auf Kosten von Kindern, ist aber traurige Realität. Dagmar Rösler, Präsidentin des Schweizer Lehrerverbandes, erklärte gegenüber der Sendung „20 Minuten“ unter anderem: „Lehrer sind nicht dafür da, die Windeln ihrer Schüler zu wechseln“.

Und weiter:

„Die Eltern sind in der Pflicht, sicherzustellen, dass ihre Kinder im Schulalter keine Windeln mehr tragen. Wenn Elfjährige mit Windeln in die Schule kommen, ist das eine bedenkliche Entwicklung. Lehrpersonen sind nicht dafür da, die Windeln ihrer Schülerinnen und Schüler zu wechseln. Das geht zu weit.“

Aber woran liegts? Die Pädagogen aus der Schweiz erklären, dass es wichtig sei, zu unterscheiden, „ob es eine entwicklungspsychologische Störung ist oder ob es die Betroffenen nie gelernt haben.“

Das bringt dann gleich Psychologen und Therapeuten auf den Plan, wie Felix Hof, der gegenüber der Schweizer Sendung „20 Minuten“ erklärt:

„Wenn es nicht an einer körperlichen Beeinträchtigung liegt, kann ein solches Verhalten auf Vernachlässigung oder eine extrem belastete Familiensituation hinweisen.“

Auch könnten eine „schwer gestörte Eltern-Kind-Beziehung, Traumatisierungen und schmerzlichste Verlustereignisse“ Ursachen sein.

Das mag niemand ernsthaft bezweifeln, aber es scheint mittlerweile kein Einzelfallphänomen mehr zu sein. Stichprobenartig eine Grundschulpädagogin in Deutschland befragt, erzählt die, dass es gerade neulich wieder vorgekommen sei, dass eine Siebenjährige sie darum bat, „mal abzuwischen“, weil sie das bei „Groß“ noch nicht könne.

Was sagen die großen Hilfeforen dazu? Hilferuf.de bietet beispielweise die Überschrift: „Sohn (11) noch nicht trocken“, da schreibt eine alleinerziehende Mutter einen langen Aufsatz darüber, dass ihr Elfjähriger „noch nicht richtig trocken“ sei. Ein Fake-Kommentar? Die Mutter war beim Arzt und man habe, wie sie schreibt, „ Psychotherapien, Akkupunktur, diverse Entspannungskurse, Toilettentrainings, alles mögliche und unmöglich hinter uns“. Und hier fragt man sich zum ersten Mal, ob Mama auch nässt oder ob es sich hier um so ein solidarisch mütterliches „uns“ handelt.

Natürlich tut es das und mutmaßlich mag es sich hier um eine überaus besorgte Mutter handeln, aber der Gedanke, dass es ein Problem mütterlicherseits sein könnte, ist kaum zu verdrängen.

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Man muss sich das vorstellen: Kinder, die mit elf Jahren in Windeln zur Schule gehen und schon zwei Jahre später beginnen, sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Da werden die Abstände kürzer, bis ein erstes näheres Kennenlernen zum Windel-Event wird.

Wer heute in die Drogerie geht, beispielsweise zu „Rossmann“, der findet dort wie selbstverständlich neben den Babywindeln auch solche für Schüler, die es dort früher so nicht zu finden gab. Da musste man schon ins Spezialgeschäft. Und auch hier fragt man sich, ob das ein Gewinn ist.

Bei „Gutefrage.de“ will die Mutter einer Tochter von der Community wissen:

„11-Jährige ist noch nicht ganz trocken, aber will im Winter mit auf Klassenfahrt. Macht es Sinn ihr da sicherheitshalber Pampers umzumachen oder schadet das eher?“

Antwort einer anderen Mutter:

„Mache ihr eine Windel um ist besser. Ich habe auf meiner ersten Klassenfahrt da war ich 8 auch noch Tag und Nacht Windeln getragen .Ihr solltet nur darauf achten das keiner die Windel bemerkt sonst könnte sie gemobbt werden.“

Das Problem ist demnach schon von Generation zu Generation ein vererbtes. Eine weitere Mutter erzählt, ihr Arzt hätte der achtjährigen Tochter eine „Klingelhose“ verschrieben. Aber nochmal zurück in die Schweiz. Dort erzählt eine Erziehungswissenschaftlerin gegenüber der „Sonntagzeitung“, dass die Zahl der Kinder mit Windeln in der Schule „extrem gestiegen“ sei. Und die Pädagogin gibt die Gründe dafür an:

„Manche Eltern lassen das schlittern, weil die Windel eine praktische Entlastung ist. Das gilt heute nicht mehr als problematisch.“

Hauptursache sei die Bequemlichkeit der Eltern, die mit ihren Kindern den eigenständigen Gang aufs Klo nicht ausreichend trainieren. Einzelne Schulen hätten schon Elternabende veranstaltet nur für die „Windel-Thematik“.

Auch der Einzelhandel hat reagiert. Und wer die entsprechenden Verkaufsanzeigen liest, welche Windeln für 8- bis 15-Jährige erklären, der darf sich dann schon einmal fragen, wo hier noch zwischen medizinisch hilfreichem Notfallprodukt und neuem gewinnversprechendem Komfort unterschieden wird:

„Geben Sie Ihrem Kind die Sicherheit, die es braucht. Durch die diskrete Unauffälligkeit dieser Windelpants verlieren auch Klassenfahrten oder Übernachtungen bei Freunden Ihren Schrecken.“

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft noch ein paar Probleme mehr hat, als jene, die uns die Regierung beschert. Aber man wird den Verdacht nicht los, dass das eine mit dem anderen irgendwie zusammenhängt.

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