Mit den so frischen Erinnerungen an das von Deutschen zugefügte unermessliche Leid, befeuert noch von den Bildern der von den Russen befreiten KZ’s, kam die Rache über all jene Deutschen, die es noch nicht in den Westen des Reiches geschafft hatten.
Auch die Atombomben über Japan waren noch nicht gefallen, dieses mit Hitlerdeutschland verbündete Japan war also noch nicht bezwungen, als hunderttausende Deutsche auf der Flucht und in Folge der Vertreibungen ermordet wurden, verhungerten oder sonst wie elendig zu Grunde gingen und einfach am Straßenrand verscharrt wurden.
Als „Befreiung“ konnten diese Tage, Wochen und Monate des Horrors also ganz sicher nicht verstanden werden. Meine Großmutter saß mit meiner Mutter und ihren beiden Geschwistern in einer Lager-Unterbringung, rechts und links lagen auf Stroh ganze Familien, die die Schikanen der Tschechen, die die Prügel, die Vergewaltigungen durch nachts einfallende russische Soldaten, die die Scheinerschießungen nicht mehr hinnehmen wollten oder konnten und sich das Leben genommen hatten, als irgendwer das ersehnte Gift organisiert hatte.
Meine Großmutter trug dieses Gift ebenfalls bei sich, aber die strikte Weigerung meiner damals neun Jahre alten Mutter sorgte dafür, dass unsere Familie damit nicht für immer ausgelöscht wurde. Nein, diesen 8. Mai 1945 als Befreiung zu begreifen, war für diese Deutschen ein langer schwieriger Lernprozess. Zudem endete für über eine Million deutsche Soldaten die Kriegsgefangenschaft in einem anonymen Grab in russischer Erde oder wo immer sie hinverschleppt wurden, um sich in KZ-ähnlichen Verhältnissen zu Tode zu schuften oder einfach zu verhungern, zu erfrieren oder an tödlichen Mangelerkrankungen einzugehen.
Für die wenigen den Holocaust überlebenden europäischen Juden und für alle weiteren Überlebenden waren nun allerdings eine ganze Reihe von Tagen der Jahre 1944 und 1945 ihre Befreiung:
Am 23. Juli 1944 befreiten sowjetische Truppen das Konzentrationslager Majdanek und am 27. Januar 1945 Auschwitz. US Truppen befreiten am 11. April Buchenwald und Mittelbau-Dora ebenso wie Flossenbürg und am 29. April Dachau. Britische Truppen erreichten am 15. April Bergen-Belsen und eine Woche später wurde Sachsenhausen von sowjetischen und polnischen und Ravensbrück von sowjetischen Verbänden befreit.
Für meine Familie waren das keine Daten und keine Orte. Sie maßen ihre Zeit anders. Sie fühlten sich befreiter, umso näher sie dieser Stadt im Westen kamen, wo noch Verwandte wohnten und die weit genug entfernt war von der alten Heimat, von den Russen und Tschechen. Der 8. Mai war ihnen kein besonderer Tag. Eher noch der Tag ihrer Ankunft in diesem Dorf nahe Braunschweig, nahe einer Stadt, die wie viele andere Städte in diesem Deutschland fast vollständig zerstört war.
Meiner Mutter erzählte einmal, dass sie selbst den 8. Mai als Tag der Befreiung erst begreifen konnte, als sie als junge Frau von Anne Frank hörte und das Tagebuch dieses Mädchens las, das kurz vor der Ankunft der Engländer in Bergen-Belsen in diesem Lager des Todes ermordet wurde bzw. an Mangel und Krankheit elendig zugrunde ging.
Eine der letzten Personen, die Anne Frank Anfang 1945 noch lebend sahen und darüber berichten konnten, beschrieb sie so: „Sie war da schon ein Skelett. Sie war in eine Decke eingehüllt. Sie konnte ihre eigenen Sachen nicht mehr anziehen, denn die waren voller Läuse.“ Anne Frank soll zuletzt auch Typhus gehabt haben, berichteten Überlebende.
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Den 8. Mai als Tag der Befreiung zu verstehen, fällt vielen Deutschen heute weniger schwer. 1985 sprach Bundespräsident Richard von Weizäcker vor dem deutschen Bundestag Worte, die er verstanden haben wollte als eine Brücke auch für Deutsche, den 8. Mai als Tag ihrer Befreiung anzunehmen, als er sagte:
„Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.“
Weizäcker wollte den 8. Mai für die Deutschen als „Tag der Erinnerung“ verstanden wissen: „Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.“
Nun ist Erinnerung und Gedenken ein Unterschied. Meine Familie kann sich an die Schrecken des Krieges erinnern, weil sie nur knapp mit dem Leben davongekommen ist. Den sechs Millionen ermordeten Juden müssen sie hingegen gedenken, denn es gibt keine Erinnerung an Konzentrationslager mit Gaskammern, weil sie in keinen waren.
Oder doch, es gab diese eine Szene auf einem Bahnhof, an die sich meine damals neun Jahre alte Mutter erinnert, als sie meine Großmutter fragte, was das denn für Menschen seien dort in den Waggons, und dass sie, ohne eine Antwort zu bekommen, rasch weitergezogen wurde; weg vom Todeszug der anderen. Weg von den vom NS-Regime kollektiv zum Tode Verurteilten.
Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung, auch wenn es damals nicht viele so empfanden. Für nicht wenige Deutsche war es erst noch Schwerstarbeit, das persönliche Schicksal beiseite zu stellen, um nur so die Schicksale von Millionen zu begreifen. Von denen, die überlebt haben, und den Millionen, die industriell ermordet wurden. Wie Anne Frank, die auch nur ein Mädchen war wie meine Mutter damals, die vor wenigen Wochen 89 Jahre alt wurde, der viele gesunde Enkel und fünf Urenkel zu ihrem Geburtstag gratulierten und ihr noch viele weitere Jahre in Gesundheit wünschten.
Mutter hatte in ein Restaurant eingeladen. Ihre beiden noch älteren Geschwister waren mit ihren Familien dabei. Die Sonne schien, als wenn überhaupt nie etwas gewesen wäre – 80 Jahre nachdem sich das kleine schlesische Mädchen standhaft geweigert hatte, dass Gift zu nehmen, dass die Mutter in ihrer unendlichen Verzweiflung als letztes Mittel sah, der tschechischen Rache zu entgehen.
Dieser Überlebenswillen einer Neunjährigen hatte nun Folgen bis hin zu fünf Urenkeln, die heute ihre Uroma anschauen, ihre Falten bewundern und von all dem so rein gar nichts wissen können.
(Teile dieser Erinnerung stammen auch aus einer früheren Veröffentlichung.)
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Kommentar von .TS.
Es zeigt den Grad der erfolgreichen Gehirnwäsche wenn eine Besatzung die so schlimm ist daß Selbstmord als einziger Ausweg erscheint (was zuvor nicht der Fall war!) als "Befreiung" bezeichnet wird.
Für Millionen war es der Anfang der rigorosen Vertreibung durch die ethnische Säuberung der Sudetenlande oder der Beginn der Gefangenschaft in den Lagern wie den Rheinwiesenlagern die zu den menschenverachtendsten der Geschichte zählen und in denen die "Befreier" mitunter aus niedrigen Beweggründen die Insassen ermordeten sofern sie nicht durch die unwürdigen Zustände dahingeschieden sind.
Auch der große Rest der Bevölkerung war nicht frei, denn das Besatzerregime bestimmte und kontrollierte mit eiserner Hand alles und jeden, nur wer die Medien kontrollierte und Verwaltung wie Wirtschaft diktierte war nun ein anderer.
Der heutige Tag ist kein Tag zum Feiern, es ist ein Tag der Schande. Es sollte ein Gedenktag sein, zum Gedenken daran daß Gewalt stets Gegengewalt provoziert, und Unrecht als Antwort nur anderes Unrecht erntet.
Es sollte übrigens zu denken geben daß es das DDR-Regime anno 1950 war welche zum ersten Mal den Befrieungsmythos proklamierte - im Westen bald übernommen von der SPD, die Union welche ihn anfangs noch kritisierte folgte einige Jahrzehnte später ebenso: https://www.info-direkt.eu/geschichte/der-umgang-mit-dem-8-mai-1945-im-wandel-der-zeit
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Kommentar von David Mattas
Auch meine Familie verlor dank der Nationalsozialisten ihre Heimat in Schlesien , verlor all ihr Hab und Gut . Meine Groß und Urgroßväter waren keine Soldaten , sie waren Bergeleute , sie hatten keine Menschenleben auf dem Gewissen und sie zahlten trotzdem den Preis für diesen wahnsinnigen Krieg...Sie lebten zu Kriegsende aus Angst vor den Polen und anrückenden Russen ein halbes Jahr in Erdhöhlen versteckt und schafften es gen Westen zu fliehen , beschossen und dann doch von einer US Patroullie in ein Lager verfrachtet und später in diverse Dörfer zugewiesen...Bis sie irgendwann in einer fremden Umgebung sesshaft wurden und dort von ihren " Volksgenossen" schamlos ausgebeutet wurden als billige Arbeitskräfte...
Und es trotzdem schafften , sich durch harte und konsistente Arbeit einen bescheidenen Wohlstand zu erschaffen und uns eine gute Schulausbildung und ein Studium zu ermöglichen....Wir haben dabei nie einen Cent von diesem neuen Staat erhalten und wollten es auch nicht , denn er war uns schon immer suspekt , dieser monströse Krake , der Menschen verschlingt...
Und 80 bis 90 Jahre später schicken sich die Urenkel vieler Täter wieder an , das Land aufs neue ins Chaos zu stürzen , greifen uns immer unverschämter in dei Taschen , entwerten unser Hab und Gut , verteuern unser Leben , diffamieren und beschimpfen uns als Nazis , wenn wir Kritik am Staat üben , zersetzen das Land mit illegalen Kriminellen ,die die Strassen immer unsicherer machen ? Fabulieren von Zwangsimpfungen ?
Suhlen sich in ihrem Russenhass ? Verschulden all die kommenden Generationen..
Nie wieder ist jetzt !! Wie wahr.....Wenn wir diese irregeleiteten Wiedergänger nicht stoppen , wird es keine Zukunft mehr geben , für die " schon länger hier lebenden...."...
Dann gibt es nur noch die Hure Babylon und ihre verlorenen Kinder....
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Kommentar von Carl Peter
Ein permanenter Ausnahmezustand, urteilt der Historiker Forian Huber in seinem Buch: „Kind, versprich mir, dass du dich erschießt. Der Untergang der kleinen Leute 1945“
„Meine Frage war: Wie hat das auf die Leute gewirkt bzw. wie hat das sich angefühlt, in diesem ‚Dritten Reich‘ zu leben, diese zwölf Jahre mitzumachen? Und was war eigentlich am Schluss, 1945, in den Köpfen der Menschen los? Was war da noch übrig von diesem permanenten Auf und Ab, von den extremen Gefühlen, denen man ausgesetzt war in diesem ‚Dritten Reich‘.“
„Und als dann tatsächlich die Rote Armee einrückt und nicht weiterkann und dann anfängt, Häuser anzuzünden, zu marodieren und auch zu vergewaltigen – da gibt es dann in dieser Stadt (Demmin) kein Halten mehr. Und dann zieht sich das über drei, vier Tage hinweg, dass da Flüchtlinge, Einwohner in Scharen in die Flüsse springen, sich zusammenbinden, sich ertränken, sich aufhängen. Es ist auch ein Sog, der auch viele Menschen mitreißt, die garantiert niemals an Selbstmord gedacht haben.“
„Also beispielsweise Neustrelitz – da muss man mindestens von 300 Selbstmördern ausgehen. Neubrandenburg – auch hunderte. Friedland, ein ganz kleiner Ort, bisschen südlich von Demmin – fast 500, Teterow auch über 100, Malchin. Also, wo Sie hinschauen, passiert das in Vorpommern, dass sich die Leute in Scharen umbringen, nahezu am gleichen Tag oder in den gleichen Tagen und immer nach dem gleichen Muster. Es ist also wirklich eine richtiggehende Epidemie, wie das einer genannt hat, und das war sicher in sämtlichen östlichen Landesteilen des ‚Dritten Reiches‘ verbreitet.“
„Die Furcht vor der Roten Armee war so tief in den Köpfen verankert, dass ihr Näherrücken bei vielen tödliche Panikreflexe auslöste. Als die hinter der kämpfenden Front nachrückenden Sowjettruppen in die Städte, Dörfer und Häuser des Ostens einfielen, wurde aus Gerüchten und Propagandafiktionen millionenfach entsetzliche Wirklichkeit.“
Mein späterer Vater kam für 6 Jahre in ein Lager nach Sibirien und meine Mutter floh mit meinem älteren Bruder und ihrer Mutter nach Niedersachsen - umgebracht haben sie sich nicht, aber ihre entsetzliche Fluchtgeschichte bleibt mir unvergessen.
Ewige Verdammnis über alle, die nach Krieg schreien, im Glauben darin eine (Er)Lösung zu finden.
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Kommentar von winfried Claus
Eine Niederlage ist eine Niederlage, daraus wird auvch keine Befreiung! Millionen tote Deutsche, Vertriebene und ein zerstörtes Land. Laut damaligen Kriegsrecht durfte niemand ein Land so verwüsten! Die BBC brachte nichts über einen jüdischen Massenmord und alle einigten sich mal wieder auf die Alleinschuld. Der Morgentau Plan sollte Deutschland noch völlig erledigen, dieser musste auf die heutige Zeit verschoben werden. Die tiefe Ursache erkennen auch heute nur wenige Menschen, es ist ein Zyklus. Nennen wir den Namen Silvio Gesell und eine Marktwirtschaft ohne Parasit im Gehirn: http://freigeldpraktiker.de/weltenaufgang/blog/article/nur-zwei-buecher