Manifest der Freunde Russlands

Attentat auf die Zeitenwende: Friedensbewegte Alt-Genossen zünden Friedensbombe

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

Genossenschaftlicher Wind of Change© Quelle: SPD-Manifest, Screenshot

Ralf Stegner und seine Genossen hissen die weiße Fahne Richtung Moskau. Mit Friedenstaube im SPD-Logo drehen sie der NATO den Rücken. Verrat an der Ukraine oder kühner Befreiungsschlag?

Gab es während der Ampel-Regierung nennenswerte Kritik aus SPD-Kreisen an der Ukrainepolitik des Zeitenwende-Kanzlers Olaf Scholz? Die gab es tatsächlich, aber überwiegend anders ausgerichtet, als vielleicht gedacht: So hatte die SPD beispielsweise im April vergangenen Jahres einen eigenen Historikerstreit über den Umgang mit Russland und den Umfang der Ukraine-Unterstützung, der von SPD-nahen Historikern als zu gering erachtet wurde.

Und Anfang dieses Jahres stellten sich SPD-Politiker gegen ihren Kanzler, Scholz sei zu zögerlich bei zusätzlicher Militärhilfe für die Ukraine. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte sich in der Regierung seines Parteigenossen wiederholt für eine robustere Unterstützung der Ukraine eingesetzt.

Unter einem Kanzler Merz in einer schwarz-roten Koalition scheinen die Karten neu gemischt, prominente Sozialdemokraten haben offenbar ein sozialdemokratisches Friedens-Gen unter dem Pulverdampf entdeckt und ein Friedensmanifest veröffentlicht, das man als Wende von der Zeitenwende beschreiben könnte.

Prominent mit an der Spitze der Erstunterzeichner steht der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner. Unterzeichner sind Kollegen Stegners aus dem Bundestag und den Landtagen sowie ehemalige Bundesminister, Staatssekretäre, sozialdemokratische Parteichefs a.D., Würdenträger und der SPD zugeneigte Prominente und Wissenschaftler.

Stegner war zuletzt unangenehm aufgefallen, als er sich auf einer BSW-Friedensveranstaltung in Berlin mit Sahra Wagenknecht aufs Podium stellte, dort aber für die „Kriegspolitik“ der Ampel gnadenlos ausgepfiffen wurde.

Für das Manifest wurde das Logo der SPD um eine kleine Friedenstaube ergänzt, als wäre das jetzt die neue SPD.
Nach den einleitenden Sätzen geht’s im Manifest gleich zur Sache:

„In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.“

Das ist eine lupenreine Kritik an der Kriegspolitik von Kanzler Scholz bis Merz. Und die Kritik ist im Kern so fundamental, dass man hier von einer Neujustierung nicht mehr sprechen kann. Im Koalitionsvertrag heißt es demgegenüber:

„Die Ukraine werden wir umfassend unterstützen, sodass sie sich gegen den russischen Aggressor effektiv verteidigen und sich in Verhandlungen behaupten kann.“ Und in Richtung Russland: „Die größte und direkteste Bedrohung geht dabei von Russland aus.“

Die Koalition hatte zudem festgeschrieben, die „militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine“ gemeinsam mit Partnern „substanziell“ zu stärken und zuverlässig fortzusetzen.

Die friedensbewegten Anti-Merz-Sozialdemokraten graben sich in ihrem Manifest tief in die Geschichte des Ost-West-Konflikts ein, sie beschwören den Geist der Abrüstung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 als „ein Höhepunkt dieses Zusammendenkens von Verteidigungs- und Abrüstungspolitik“.

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Auch die berühmt-berüchtigte Vorgeschichte zum Ukrainekrieg bekommt ihren Raum: Die Unterzeichner um Ralf Stegner, Rolf Mützenich und Norbert Walter-Borjans sehen eine Zeitenwende nicht erst durch Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelöst, sondern erinnern auch an den Angriff der NATO auf Serbien 1999 und den Krieg im Irak mit einer „Koalition der Willigen“. Der eine oder andere wird sich noch an die gefälschten Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund erinnern.

Ist das eine Relativierung? Womöglich gar eine unzulässige? Explizit die Macher des Minsker Abkommens bekommen ihr Fett weg: Was Hollande, Merkel und Steinmeier da gemacht haben, sei in der späteren Umsetzung „völlig unzureichend“ gewesen, so das Manifest zur „Friedenssicherung“.

Auch mit Blick auf Russland fordern die Unterzeichner, keine „einseitigen Schuldzuweisungen“ vorzunehmen. Sowas muss man sich trauen, diese „Putinversteher“-Rhetorik ist aus prominenten SPD-Kreisen ziemlich neu. Hier meint man fast, den ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine herauszuhören. So, als hätte der das Manifest auf seinem Facebook-Kanal vorgeschrieben.

Die Unterzeichner fordern die Bundesregierung auf, zu einer neuen Friedenspolitik zurückzukehren: „Eine Rückkehr zu einer Politik der reinen Abschreckung ohne Rüstungskontrolle und der Hochrüstung würde Europa nicht sicherer machen.“

Das Manifest spricht sich zwar nicht konkret gegen eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine „Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas“ aus. Diese Verteidigungsfähigkeit müsse aber „in eine Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung eingebettet sein“, so die Unterzeichner.

Erstaunlich ist hier zudem das Selbstbewusstsein, was die europäische Verteidigungsfähigkeit angeht. Tatsächlich meint man, allein die europäischen Mitgliedsstaaten der NATO seien – selbst ohne die US-Streitkräfte – Russland konventionell militärisch deutlich überlegen:

„Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen NATO und Russland.“

Es müsse, so geht es weiter, der schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, „auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa.“
Im Kern steht die Forderung der „Herstellung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten unabhängig von den USA.“

Die Verteidigungsfähigkeit soll erkennbar defensiv sein, sichtbar in der Ausstattung der Streitkräfte.

Die Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts halten die Unterzeichner zudem für falsch. Das Geld solle stattdessen in die Armutsbekämpfung und den Klimaschutz investiert werden. Der wird eingangs des Manifests auch explizit als „menschengemacht“ bezeichnet, als wolle man hier von vornherein eine bestimmte rechte Klientel abschrecken, die zwar friedensbewegt ist, aber den Klimawandel als Naturereignis versteht.

Gefordert wird eine schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland. Spätestens an der Stelle kann man direkt die Sekunden zählen, bis sich Andrij Melnyk, der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, als Selenskyjs deutschsprachiger Verstärker schimpfend und fluchend zu Wort meldet. Oder hat er schon?

Das Manifest im Wortlaut hier downloaden

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