Humane Papillomviren und Krebs

Auf dem Vormarsch: Die Tinder-Krankheit

von Alexander Wallasch (Kommentare: 6)

Das klingt alles dramatisch, aber dazu müsste man die Wahrscheinlichkeit benennen, überhaupt an dieser Rachenkrebsart zu erkranken.© Quelle: Pixabay / Woodsilver

Sex ist gesund. Sex macht krank. Und für Gebärmutterhals- und Rachenkrebs soll ein heimtückisches Virus verantwortlich sein. Oralverkehr an der Frau ist erneut in den Fokus medialer Berichterstattung geraten.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum erstellte online vor ein paar Wochen eine „Frage des Monats“, die so geht: „HPV: Kann ich mich beim Oralverkehr anstecken und Krebs bekommen?“

Es ist tatsächlich so, dass Menschen mitunter dazu neigen, über die Missionarsstellung hinauszugehen. Und um es vorwegzunehmen, das Forschungszentrum beantwortet die Frage grundsätzlich mit „Ja“ und schreibt dazu:

„Wichtig zu wissen: Das Risiko, sich mit HPV anzustecken, steigt mit der Anzahl der oralen Sexualpartner oder -partnerinnen.“

Weiter heißt es da, dass zum Ansteckungsrisiko durch Oralverkehr noch weitere Forschung notwendig sei.

Die Bildzeitung nahm die Geschichte auf und titelte: „Rachenkrebs: Oralsex ist gefährlicher als Rauchen“. Das Verlagshaus Springer war überhaupt elektrisiert, ein paar Tage zuvor hatte nämlich bereits die „Welt“ vorgelegt mit der Schlagzeile: „Oralverkehr ist ein ganz wesentlicher Faktor für Kehlkopfkrebs“.

Wer dieses Thema googelt, der bekommt parallel zum Welt-Artikel gleich an zweiter Stelle folgende Kopfzeile aus dem Hause „Amorelie“ serviert: „Liebeshoroskop Stier 2023: Der sorgsame Genießer“.

Aber auch diese Geschichte ist ein endloser Wiedergänger. Schon 2013 und 2021 – also in kürzer werdenden Abständen – ging diese Geschichte durch die Gazetten, offenbar eine sichere Bank für die Auflagen und bald jedes Blatt ist mit dabei.

Diverse Institute liefern dazu weltweit die passenden Studien, die immer wieder Anlass geben, neu zu berichten, ohne dass hier tatsächlich so viel Neues an Informationen hinzukommen würden. Springers „Bild“ beispielsweise beruft sich mit ihrer aktuellen Geschichte auf eine neue Studie aus Birmingham, wonach Menschen, die mit mehreren Partnern Sex hätten, eine neunmal so hohe Wahrscheinlichkeit haben, an dieser Krebsart zu erkranken.

Das klingt dramatisch, aber dazu müsste man die Wahrscheinlichkeit benennen, überhaupt an dieser Rachenkrebsart zu erkranken. Das Portal „Onmedia-Gesundheit“ weiß dazu:

„Rachenkrebs im Oropharynx tritt mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 2 Fällen pro 100.000 Einwohnern auf. Männer erkranken etwa 3- bis 4-mal so häufig wie Frauen. Die meisten Betroffenen sind 60 bis 70 Jahre alt.“

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Diese Fälle stehen aber nicht alle im Verdacht, mit Oralverkehr in Verbindung zu stehen. Weitere Faktoren wir Rauchen, Alkohol und bestimmte ungünstige Ernährungsgewohnheiten sollen ebenfalls eine Rolle spielen.

Wieder die „Bild“ schreibt dazu:

„Erstaunlich: Oralsex gilt sogar als häufigste Ursache für diesen Krebs – noch vor Rauchen, Alkoholkonsum oder ungesunder Ernährung! Beim Kehlkopfkrebs wird jedoch weiterhin das Rauchen als Hauptursache genannt.“

Fakt ist: Die Medien haben seit Jahren ein gesteigertes Interesse, zu diesem Thema zu berichten, Sex und Tod ist offenbar eine unschlagbare Kombination.

Die Corona-Jahre haben viele Menschen dafür sensibilisiert, auf die Pharmaindustrie zu schauen, wenn die Medien solche Themen durchs Dorf jagen. Und tatsächlich gibt es längst Impfungen gegen diese – in welchem Umfang auch immer – für diese Krebsarten mitverantwortlichen Humane Papillomviren (HPV).

Der Gebärmutterhalskrebs bei Frauen soll sogar fast ausschließlich durch diese Viren begünstigt werden. Auch ein Test zur Früherkennung wird von der Pharmaindustrie angeboten.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut gibt dazu eine Impfempfehlung ab für Mädchen und Jungen schon ab dem neunten Lebensjahr.

Vor der Aufnahme sexueller Aktivitäten werden zwei weitere Impfungen mit einem der beiden zur Verfügung stehenden Totimpfstoffe empfohlen. Eingeführt wurden diese Impfungen 2007, es soll laut STIKO „bis auf Einzelfälle keine anhaltenden (…) Nebenwirkungen“ geben.

Aber wie sieht es mit der Impfbereitschaft aus? Das Papier der STIKO hält weitere Informationen bereit. So soll die derzeitige Impfquote bei 44,6 Prozent liegen. Für die kommenden einhundert Jahre werden dann nach einer Modellrechnung 163.000 Erkrankungen weniger erwartet.

In dem Zusammenhang weist die STIKO darauf hin, dass es wichtig sei, diese Impfquote auch bei Jungen zu erreichen, so könne man laut Modellrechnung mehr als 76.000 weitere HPV-bedingte Krebserkrankungen vermeiden.

Hier sind auch Statistiker gefragt, die einmal darüber aufklären können, wie schlimm die Verbreitung dieser Krebsarten ohne diese Impfungen tatsächlich gewesen wäre. Denn es ist ja zunächst irritierend, dass zwar seit 2007 geimpft und eine vergleichsweise hohe Quote erreicht wird, aber gleichzeitig die Krebserkrankungen offenbar angestiegen sind.

Möglicherweise liegt es ja daran, dass diese Krebserkrankungen vorwiegend Menschen um das sechzigste Lebensjahr herum betreffen, deren sexuell aktivste Zeit schon drei oder vier Jahrzehnte zurückliegt, also außerhalb des Beginns der Impfungen und mit Beginn einer gesteigerten sexuellen Freizügigkeit in Europa.

Wenn ab 2007 geimpft wird, könnte man demnach erst in den nächsten beiden Jahrzehnten möglicherweise einen beginnenden Rückgang durch diese Impfungen auch statistisch bestätigen. Aber dazu müssen sich Fachleute äußern.

Nochmal zusammengefasst: Es geht es hier um mehr als nur eine Krebserkrankung, die durch die gleichen Viren ausgelöst werden soll.

Erneut ins Visier der Medien ist Rachenkrebs bei Männern geraten, der durch Oralverkehr an der Frau ausgelöst werden soll. Hier wäre noch interessant zu wissen, mit welcher Häufigkeit Männer mit wechselnden Partnerinnen diese Viren von Frau zu Frau weiterreichen können.

Die STIKO hatte ab 2018 empfohlen, auch Jungen zwischen 9 und 14 Jahren gegen HPV zu impfen. Seit 2007 empfiehlt die STIKO die HPV-Impfung von Mädchen.

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