Samstagabend bei Rewe, 19:30 Uhr. Die Fleischtheke hat noch nicht eingepackt, aber es gibt leider keine Angebote, ich hatte auf die Rouladen Haltungsklasse 3 – Schlachtrind hat Außenluft genossen – gehofft, aber unter 21 Euro das Kilo geht heute nichts, meine Schmerzgrenze ist aber 15,99 Euro, also muss ich wohl oder übel zu den wandhohen Kühlschränken mit dem Eingeschweißten hinüber.
Das ist aber am Samstagabend nicht die schlechteste Idee, denn da war die Mitarbeiterin mit der Reduzierungshandmaschine schon rum – 30 Prozent sind 30 Prozent billiger. Nach dem Abschreiten der Kühlfront habe ich Minutensteaks im Tragekorb und die Pfeffermakrelen waren ebenfalls reduziert.
Aus der Gemüseecke kam noch ein Blumenkohl für 2,22 Euro dazu, weil der gegen den Daumen noch fest und knackig reagierte. Ich entdecke sogar noch einen Ingwershot mit rotem Aufkleber, den hätte ich aber auch ohne genommen – der soll vor dem Einsteigen ins Auto dran glauben.
Viele Kunden sind nicht im Laden, dafür wurde dann das Kassenpersonal reduziert, es ist ja Samstag, es staut sich also trotzdem, man kann hier kommen wann man will, es gibt keine Gewähr.
Kennen Sie das? Es gibt mehrere Selbstscannerkassen, aber alle Kunden nehmen die personalisierte Kasse und zahlen trotzdem mit Karte! Der Grund ist gerade offensichtlich: Da wartet ein junger Student einsam aber geduldig darauf, dass eine Mitarbeiterin kommt, wie es auf dem Bildschirm mit rotem Warnschild angekündigt wurde. Wird sie kommen? Wann? Nichts deutet gerade darauf hin.
Ich bin gleich dran. Nur noch eine Kundin vor mir. Mutter mit Kind. Achtet bei Rewe eher nicht auf die Angebote, wie ich den Waren auf dem Band entnehmen kann. Das Mädchen – vielleicht 10 oder elf Jahre alt – sieht dennoch nicht nach Reitstunden und Geigenunterricht aus. Eher wie eine schmale Version von Davina und Shavina den Töchtern von Robert und Carmen Geißen.
Ihre Mutter mag etwa 45 Jahre alt sein und macht gerade einen eher hilflosen Eindruck, vielleicht ist sie auch nur gestresst von der Tochter, die eine Nuance zu laut erzählt – und das durchgehend in Frageform. Aber ihre Fragen sind alles andere als besonders anspruchsvolle Denksportaufgaben.
Machen wir es kurz: Alle Waren sind über den Scanner marschiert, aber die Karte der Frau wird partout nicht angenommen. Es ist dieser Moment, den viele fürchten. Ich kenne sogar jemanden, der trägt für solche Momente extra einen Fünfziger mit sich herum, eingeklemmt zwischen Iphone und Schutzhülle.
Die Schlange wird länger, die Tochter ist endlich verstummt und wackelt nur noch nervös von einem aufs andere Bein. Ich höre die Mutter sprechen: „Wie machen wir das jetzt? Kann ich die Sachen kurz stehen lassen? Dann hole ich schnell Geld.“
Die Kassiererin hat für solche Situationen keine extra psychologische Ausbildung erfahren. Und sie ist zudem eine von jenen Mitarbeitern, die heute Dienst machen muss, während die Kollegen zu Hause schon die Dosen knacken oder auf dem Weg ist Kino sind. Sie also so mit nervigem Unterton:
„Stellen Sie es halt dorthin, wo ich es sehen kann. Aber wir schließen um 22 Uhr!“
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Wie gesagt: Es ist etwa 19:30 Uhr. Was für jeden verständlich mitschwingt ist der Satz: Erzähl mir was du willst, ich muss den Mist nachher noch einräumen, weil du eh nicht wiederkommst ...
Die Schlange wird länger. Ich bin immerhin auf Position 2 und beuge mich etwas vor, damit ich am kleinen Bildschirm über dem Kassenband sehen kann, um welche Summe es geht. 44 Euro und ein paar Zerquetschte. Noch ein kurzer Blick auf die Mutter mit Tochter, dann beuge ich mich spontan aber diskret vor, meine Karte schon vorgestreckt in der Hand und ich höre mich leise sagen:
„Kein Problem, geben Sie es mir draußen wieder oder halt per Paypal.“
Wumms, der Boden geht unter mir auf. In diesem Deutschland von 2025 muss das offenbar geklungen haben wie eine wirklich schlimme sexuelle Belästigung. Die Frau schaut mir direkt ins Gesicht und dann wirklich angewidert an mir herunter und sagt so laut, dass es die mittlerweile wirklich lange Schlange bis zum Ende hören kann:
„Äääääähhhh (so langgezogen und Ekel ausdrückend), ganz sicher nicht!“
Und dabei fasst sie auch noch ihre Tochter an der Hand, als fürchte sie, dass ich auch dieser sogleich ein unsittliches Angebot machen will!
Aber um Himmelswillen, welches unsittliche Angebot? Aus den Augenwinkeln sehe ich weitere Rewe-Kunden hinter mir in spannender Erwartung: Wow, hier passiert, was man am Samstagabend zu Hause erzählen kann.
Ich habe die Karte längst wieder zurückgezogen und ringe um Worte. Dann klingt es patzig und etwas schrill: „Ich wollte nur helfen.“ Die Tochter schaut mich mittlerweile an wie jemanden, vor dem sie ihre Mutter schon immer gewarnt hat und der nun endlich leibhaftig erschienen ist! Ich schaue die Mutter an und ringe mich endlich zu etwas durch:
„Meine Frau ist eine Eins. Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin bestens versorgt.“
Oh je, habe ich das wirklich gerade gesagt? Meine Frau sitzt derweil im Auto auf dem Parkplatz vorm Rewe und bekommt von alle dem Gottseidank nichts mit. Sie hatte Kopfschmerzen und es war auch nicht so viel Einkauf, dass wir es zu zweit erledigen müssen, meinte sie. Aber ich gehe schon gerne mit ihr gemeinsam einkaufen. Aber das ist dann schon wieder das nächste Thema.
Im Auto erzähle ich Frau noch ganz aufgewühlt von dem Vorfall. Ich schmücke es nicht besonders aus. Frau schaut nur gelangweilt vom Handy hoch und antwortet schmallippig: „Warum hast Du das überhaupt gemacht?“ Sie überlegt kurz und hängt noch was hintendran: „Das ist doch auch nicht normal. Du wolltest doch nur, dass die Leute denken, was Du für ein toller Hecht bist.“ Und schon blättert sie wieder irgendwas im WhatsApp.
Gegen solche Argumente bin ich dann auch einfach machtlos. Ich habe nur noch eine einzige Waffe im Köcher: Ich kann es aufschreiben und veröffentlichen und auf Euer Urteil warten. Was meint Ihr?
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Kommentar von winfried Claus
Wenn keine Karten mehr reagieren, keine Autos, keine Kühlschränke, keine Händis, keine Straßenlaternen, kein Wasser aus dem Hahn, kein Klo, ... was ist dann? EMP!
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Kommentar von Marc Beck
Bist‘n cooler Typ, der seinem Herzen folgt. Die Leute sind bei Grossmut und echter Freundlichkeit verunsichert. Gute Story, weiter so 😉
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Kommentar von Frank Zar
Wenn jemand den Status seiner Karte nicht kennt, dann braucht es wohl eher eine erzieherische Maßnahme, statt Hilfe. Wie hieß es einst: "Undank ist der Welt Lohn." Beste Grüße und bleiben Sie dennoch der, der Sie sind. Viele andere, sind an dem Punkt noch gar nicht angekommen. ;-)
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Kommentar von Stefan Schultz
"Keine gute Tat bleibt ungestraft"! Das Zitat von Oscar Wilde können Sie sich in Zukunft hinter die Ohren schreiben. Die Gesellschaft ist längst zerfallen. Jeder kämpft für sich und die engste Familie. Es ist kein Platz mehr für echte Gutmenschen, wie Sie es sind. Nehmen Sie es nicht persönlich! Gegen den Zeitgeist zu schwimmen war noch nie leicht.
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Kommentar von Christa Ludwig
Ich begrüße Ihre Offenheit und erst recht Ihr Hilfsangebot. Beim Einkauf erlebe ich dabei vorwiegend Freundlichkeit. Anders am Wahlstand, so denke ich, diese Mitmenschen sind mit sich selber unzufrieden, brauchen immer einen "Sündenbock", auf dem sie ihre Unfähigkeit mit allem angemessen umzugehen, abladen können.
Behalten Sie bitte Ihre freundliche Einstellung bei, Ihre liebe Frau sollte dafür dankbar sein.
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Kommentar von Ulric
Sie haben eigentlich alles richtig gemacht (eigentlich, weil einem nur hinterher die raffiniertesten Antworten einfallen) 10€ wäre für mich das Risikolimit gewesen. Bei bestimmten Zwangslagen auch 50€. Aber Gutmenschen sind oft so unsicher, daß sie Hilfsangebote mit einer Falle oder Gegenverpflichtung verbinden. Andererseits fallen dieselben auch auf Enkeltricks rein. Lassen Sie sich nicht verunsichern.
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Kommentar von Punti Zincati
Es bleibt inzwischen keine gute Tat mehr ungesühnt. Ich hab mich schon fürs Türaufhalten tadeln lassen. Die Minutensteaks haben hoffentlich trotzdem geschmeckt.
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Kommentar von Veritas Nocet
Das war in besonderer Weise übergriffig. Bis 5 € in bar reichen Sie, wenn es vor ihnen nicht reicht. Mehr nicht.
Gut gemeint aber aus Sicht der Frau unmöglich. Also nicht wieder machen.
Aber trösten Sie sich, solche Fettnäpchen lauern überall und ich bin auch schon in so manches eingetaucht. Abwischen und vergessen.
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Kommentar von Carl Peter
Die betreffende Dame hatte ein kleines Kind dabei - Sie hätten nur sagen müssen, ich leihe dem Vater 50 Euro und er möge sie an einem der nächsten Tage persönlich bei der Kassiererin hinterlegen, vorausgesetzt, Sie gehen da öfters einkaufen, sind nicht grade in "Südchina" im Kurzurlaub und können jederzeit nachfragen.
Was wäre denn passiert, wenn das Kind zuhause sagt, Papa, da hat ein fremder Mann der Mama Geld angeboten?
Noch haben die freiwildernden Russen Deutschland nicht wiederbesetzt, und die digitale ID ist auch noch nicht da.
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Kommentar von T S
Einerseits: Wer nicht mal € 50,- Reserve parat hat wenn er einkaufen oder aus geht ist selber schuld wenn die Technik (oder das Konto) nicht mitmacht.
Und das reibe ich den Betroffenen in solchen Fällen auch genüßlich unter, denn solche unbedarften Freiheitsvernichtungsmithelfer haben es nicht anders verdient.
Andererseits: Was mich aber mehr erschreckt als die Reaktion der verhinderten Käuferin die ihre eigene Unfähigkeit wohl nur durch Konteraggression zu kompensieren versucht (was solls - wer nicht will der hat schon) ist die gleichgültige "selber schuld"-Reaktion der Frau des Autors - denn in ähnlicher Form habe ich mir das selbst schon mehrfach anhören dürfen.
Mag sein daß unsere Gesellschaft moralisch weitgehend am Ende ist - aber wenn man das derart fatalistisch einfach hinnimmt wird das zur selbsterfüllenden Prophezeihung, und man selbst zum Teil des Problems das man willig gern selbst beklagt. Und wo will man dem selbst Einhalt gebieten wenn nicht im eigenen unmittelbaren Alltag?
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Kommentar von Joachim Winter
😂😂😂
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Kommentar von S Benayas
Kann es nicht ganz einfach so sein das die Frau Sie Herrn Wallasch erkannt hat und mit einem "rechten Schwurbler" nichts zu tun haben will?
Antwort von Alexander Wallasch
das wäre sehr zufällig, danke
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Kommentar von Palmström
So ganz am Ende des Monats ist es denkbar das auf dem Konto Ebbe ist. Möglich ist das die Frau zunächst irgendwohin muss um ein Schein zu holen. Die war möglicherweise überfordert mit der ganzen Abfolge.
Die Zeiten ändern sich im mehrfachen.
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Kommentar von Axel Berger
P.S: Ihre im ersten Schreck sehr ungeschickten Antworten hätten mir ganz genau so passieren können. Zugeben oder öffentlich erzählen würde ich das eher nicht. Respekt für Ihre Offenheit und Ehrlichkeit.
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Kommentar von Axel Berger
Ich mache so etwas oder etwas ähnliches nicht oft und bei einer Frau, wie Sie sie beschrieben haben, tendenziell eher nicht, aber dafür bis jetzt mit durchweg guten Erfahrungen. Wenn die Problemsituation offensichtlich ist, nehmen die meisten Menschen konstruktive Hilfe mit Dank an. Das sind die kleinen Lichtblicke in einer trüber werdenden Welt.
Anders herum erlebte ich leider mehrfach das Gegenteil und Menschen lehnten Hilfe ab, die für mich so selbstverständlich ist, daß ich umgekehrt keinen Moment nachdenke. Ein Beispiel war die Bitte um Starthilfe mit dem Kabel in der Hand, so daß es erkennbar sehr schnell gehen würde.
Auch die direkten Nachbarn hier im Haus unterscheiden sich deutlich, mit den meisten und damit der Nachbarschaft als ganze habe ich aber einen Glücksgriff getan.
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Kommentar von Karen-Steffi Wellinger
Ich bleibe nach der Geschichte fassungslos zurück. Immer wieder mal habe ich in solchen Situationen gern geholfen, wurde dabei aber nie derart angegangen. Das geschilderte Verhalten der Kundin zeigt mir nur, dass die Verrohung in dieser Gesellschaft voranschreitet. Traurig. Von der Verunsicherung, die das auslöst, ganz zu schweigen. Wir werden an einen Punkt kommen, wo niemand mehr dem anderen helfen möchte aus Angst vor Abweisung und Diskreditierung.
Antwort von Alexander Wallasch
Ihnen vielen Dank, ich stimme absolut zu!