Besorgniserregende Entgrenzung zwischen behördlich kontrollierter und freier Wissenschaft

Der Wolf hat Kreide gefressen und fährt U-Boot: Verfassungsschutz verpflichtet externe Wissenschaftler

von Alexander Wallasch (Kommentare: 12)

Der Verfassungsschutz weist explizit darauf hin, dass die Abteilung ZAF bei der Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb des Verfassungsschutzes Hinweise auf den Hintergrund „Verfassungsschutz“ geben muss.© Quelle: Pixabay / succo

Der neu erschienene Verfassungsschutzbericht bietet kaum neue Erkenntnisse. Aber eine interessante Randnotiz: Das BfV scheint seinen Aktionsradius gerade auszuweiten. Will der Geheimdienst innerhalb der Gesellschaft zum omnipräsenten Partner der Guten werden?


Die Ausweitung der staatlichen Kampfzone nimmt Fahrt auf. Auf Seite 18 ihres neuesten Verfassungsschutzberichtes geben Ministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang den Hinweis, dass ein „Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF)“ innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) „die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft stärkt und so die Analysekompetenz des Verfassungsschutzes“ erhöht.

Aber was genau ist das ZAF? Laut Selbstauskunft der Haldenwang-Behörde handelt es sich um „eine im Aufbau befindliche Forschungsstelle am Bundesamt für Verfassungsschutz“. Dieser „Aufbau“ allerdings dauert schon seit 2021 an. Es muss sich demnach um ein besonders hohes Bauwerk handeln.

Ist das eine Zäsur? Möglicherweise mit Blick auf diese merkwürdige Pseudo-Offenlegung des Tätigkeitsfeldes des ZAF. Hier lässt sich durchaus sagen, der moderne deutsche Verfassungsschutz öffnet sich weiteren Institutionen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), inklusive einer honorierten Zuarbeit:

„Das ZAF arbeitet interdisziplinär und beschäftigt sich mit allen phänomenologischen Themenbereichen des Verfassungsschutzes. Wesentliche Zielstellung des ZAF ist es, die Analysekompetenzen des Verfassungsschutzes zu stärken. Thematische Bedarfe sollen zu diesem Zweck erhoben, selbst bearbeitet oder als Forschungsvorhaben vergeben werden. Dazu steht das ZAF im ständigen Austausch mit  einer Vielzahl wissenschaftlicher Akteure, wie Universitäten und anderen (außeruniversitären) Forschungseinrichtungen.“

Der Verfassungsschutz weist explizit darauf hin, dass die Abteilung ZAF bei der Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb des Verfassungsschutzes Hinweise auf den Hintergrund „Verfassungsschutz“ geben muss:

„Sofern Forschungskooperationspartner/-innen auf der für sie maßgeblichen Rechtsgrundlage personenbezogene Daten erheben, sind die Proband/-innen auf die Beteiligung des Verfassungsschutzes an dem Projekt sowie darauf hinzuweisen …“

Die Ausweitung der Kampfzone des BfV ist bereits in die Praxis umgesetzt worden: Die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München) arbeitet auf diesem Wege bereits mit dem Verfassungsschutz zusammen. Ein 77-seitiges Ergebnis wurde im November 2022 vorgestellt.

Inwieweit der Verfassungsschutz hier weitere Erkenntnisse ableitet, wurde nicht publiziert, aber solche weiterführenden Analysen sind naturgemäß Teil der Idee des ZAF. In München gab es keine nennenswerten Proteste gegen diese Zusammenarbeit, der Campus blieb ruhig. Aber was konkret hat die Uni München nun Ende 2022 für den Verfassungsschutz herausgefunden?

Eine Überschrift auf Seite 28 lautet: „Die Rolle und Verortung der COVID-19-Maßnahmenprotest- Bewegung Querdenken“. Da hat dann München im Auftrag des BfV-Ablegers ZAF unter anderem herausgefunden, dass die Querdenken-Bewegung hauptsächlich Telegram benutzt. Und Telegram sei halt dieses Nazi-Portal:

„Telegram ist nicht nur der Hauptkanal für diese Protestgruppen. Telegram hat sich innerhalb der letzten Jahre (…) zu einer der, wenn nicht sogar der wichtigsten Kommunikationsplattform der (deutsch- sprachigen) Rechtsaußen-Szene entwickelt.“

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Die Uni München schlussfolgerte brav für den Verfassungsschutz:

„Protestgruppen gegen die COVID-19-Maßnahmen und Rechtsaußen-Akteure koexistieren nicht nur auf dieser Plattform.“

Die Uni hat für das BfV zudem so etwas wie eine Messlatte für „populistischen Kommunikationsstil“ entwickelt. Überschriften tragen da Titel wie jenen hier: „Temporale Entwicklung der Narrative in der Querdenken-Kommunikation.“

Das BfV erklärt zur Zusammenarbeit:

„Im Rahmen des Projektes liefern die Forschenden der LMU München basierend auf einer systematischen Literaturanalyse erste Ansätze zur Entwicklung einer theoretischen Konzeptualisierung und empirischen Operationalisierung von strategischen Mainstreaming.“

Ein Fazit der Auswertung durch das BfV lautet dann:

„Das maßnahmenbezogene Protestgeschehen rund um die Covid-19-Pandemie hat deutlich gemacht, welche Rolle soziale Medien innerhalb der Kommunikationsstrategien extremistischer Akteure spielen und welche Bedeutung die Rezeption dort verbreiteter Narrative in individuellen Radikalisierungsprozessen haben kann.“

Oder übersetzt: Die bösen Querdenker und ihre Fans haben über Telegram kommuniziert und beim Mitlesen stellte die observierende Uni für den BfV fest, dass die Querdenker richtig sauer geworden sind mit zunehmender Dauer der Einschränkung der Grundrechte.

Jetzt liegt es in der Natur der Sache, dass so ein Geheimdienst seine Arbeit nicht umfänglich offenlegt. Von daher kann nur der Verfassungsschutz selbst sagen, mit was für Aufgaben das ZAF sonst noch beauftragt wurde und andere beauftragt.

Veröffentlicht wurde unter anderem der Hinweis auf eine Veranstaltung des „Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF)“ vom 5. bis 6. September 2023. Thema soll hier sein: „Meinungsbildung 2.0 – Strategien im Ringen um Deutungshoheit im digitalen Zeitalter.“

Der Verfassungsschutz bedankt sich im Vorfeld:

„Wir möchten uns bei allen Wissenschaftler-/innen sowie Vertreter/-innen aus Politik und Praxis ganz herzlich für die zahlreichen Einreichungen für einen Beitragsvorschlag bedanken.“

Dazu wird ein Dokument angeboten, in dem dargelegt wird, was sich der Verfassungsschutz wünscht, zu welchen Themen auf der Konferenz referiert werden soll.

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Zurück zum Verfassungsschutzbericht. Dort heißt es weiter:

„In diesem Rahmen wurde im Jahr 2022 unter anderem ein Forschungsprojekt zum Thema Onlineradikalisierung an die Ludwig- Maximilians-Universität München vergeben und abgeschlossen.“

Augenmerk hier auf „unter anderem“. Es sind demnach weitere Aufträge an zivile Einrichtungen erteilt worden. Und damit ist nicht der Brötchenlieferant für die Kantine gemeint.

Wohlgemerkt, hier geht es nicht um eine dem Auftrag der Behörde entsprechende Zusammenarbeit etwa mit anderen deutschen Sicherheitsbehörden. Das ist erwartbar und zur Verhinderung von staatsgefährdendem Extremismus wohl wünschenswert und erfolgversprechend.

Aber diese Form der Auftragsvergabe ist im höchsten Maße zweifelhaft. Man stelle sich nur einmal folgende Begegnung vor: Anstatt sie dauerhaft unter Beobachtung zu stellen, vergibt der Verfassungsschutz über seine ZAF-Abteilung einen Auftrag an die Amadeu Antonio Stiftung, die wiederum von einer langjährigen IM der Stasi gegründet und betrieben wurde. Mehr Kontaminierung ist kaum möglich, der Fuchs wurde in den Hühnerstall eingeladen. Nur wer ist hier Huhn, wer Fuchs?

Zum „Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF)“ gibt es (noch) keinen Wikipedia-Eintrag.

Zuletzt hatte sich im Herbst 2021 ein privates Institut mit dem ZAF befasst, Hunderte von Wissenschaftlern haben Einspruch erhoben gegen die Installation des ZAF im Verfassungsschutz. Im Artikel auf der Webseite wird auch auf eine Kleine Anfrage der Linken verwiesen, die man hier nachlesen kann.

Ein kleiner Medienspiegel wird ebenfalls mitgeliefert, die "taz" beispielsweise zitierte damals den empörten Sozialpsychologen Oliver Decker von der Universität Leipzig, der zum ZAF erklärte:

„Der Verfassungsschutz wagt sich immer weiter in Bereiche vor, für die er bisher aus guten Gründen nicht zuständig ist. Und dazu gehört sicherlich die Erforschung von Einstellungen.“

Offensichtlich suche der Geheimdienst Expertise, da er bei seinen Analysen überfordert sei, so Decker zur "taz". Eine Vermischung mit der Wissenschaft sei aber „hoch problematisch“, da zu den Erkenntnissen des Geheimdienstes keinerlei Transparenz herrsche.

„Hier braucht es vielmehr eine klare Abgrenzung: Der Verfassungsschutz sollte sich auf die Terrorabwehr beschränken, um den Rest kümmern sich Wissenschaft und Zivilgesellschaft.“

Hier ist interessant, dass Decker ansonsten seit Jahren explizit regierungskonform vorgeht und zu einem der hemmungslosesten Konformen der Republik gehört, der abliefert, was verlangt wird, und das am liebsten in Kooperation mit den üblichen Verdächtigen unter den geldgebenden linken und linksradikalen Stiftungen wie die Rosa-Luxemburg- und Heinrich-Böll-Stiftung.

Aber noch mal zurück zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken. Zwar gibt man bereitwillig Auskunft über das Budget der ZAF, das bei etwa einer halben Million Euro läge. Aber dann heißt es weiter zur Frage der Linken nach den finanziellen Mitteln:

„Die erbetene Auskunft enthält Informationen, die im Zusammenhang mit der Arbeitsweise und Methodik des BfV und insbesondere dessen Aufklärungsaktivitäten und Analysemethoden stehen. (…) Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Aufgabengegenstandes des ZAF kann jedoch eine Beantwortung als Verschlusssache  ,VS – Nur für den Dienstgebrauch' erfolgen.“

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