Ein Friedenspreis für die NATO? Natürlich kann man alles diskutieren, auch darüber, ob die NATO ein Friedensbündnis ist. Aber auf die Idee muss man erst einmal kommen. Eingefallen ist das der Jury des Internationalen Preises des Westfälischen Friedens.
Der renommierte Preis wird seit 1998 verliehen, Preisträger waren neben anderen Václav Havel, Helmut Kohl und Margot Friedländer. Jetzt soll ihn die NATO bekommen, die North Atlantic Treaty Organization, der Nordatlantikpakt, ein Militärbündnis ursprünglich gegen die Warschauer-Pakt-Staaten, welches im Kern seinen Mitgliedstaaten gegenseitige militärische Unterstützung im Bündnisfall garantiert. Stellvertretend für die Organisation wird ihr Generalsekretär Mark Rutte ausgezeichnet.
Aber was für ein Preis ist das? Schon dem Namen nach will er an ein historisches europäisches Ereignis anknüpfen, den Westfälischen Frieden. Der Friede beendete 1648 den Dreißigjährigen Krieg, der Europa verwüstete. Vorausgegangen war ein fünf Jahre währender Friedenskongress aller Kriegsparteien. Es war der erste internationale Kongress, auf dem nahezu alle großen europäischen Mächte vertreten waren.
Aber wer kommt nun ausgerechnet dazu, der NATO einen Friedenspreis zu verleihen, noch dazu in einer Zeit, wo auf europäischem Boden seit bald vier Jahren ein vernichtender Krieg in der Ostukraine nicht beendet werden kann, dessen Entstehungsgeschichte von nicht wenigen Historikern auch mit der NATO-Osterweiterung zusammengebracht wird?
Die Jury-Mitglieder, die das entschieden haben, sind Steinmeier, Merz, Wüst, Graf Lambsdorff, Juncker, Gabriel, Özdemir und weitere. Die Politiker müssen nicht einzeln vorgestellt werden. Hervorzuheben sind im Kontext Friedenspreis aber sicherlich Gabriel und Merz. Ersterer ist im Aufsichtsrat des Waffenproduzenten Rheinmetall. Einer der größten Aktionäre bei Rheinmetall ist BlackRock als ehemaliger Arbeitgeber des Bundeskanzlers.
Auf Veranlassung von Friedrich Merz wurden in demokratiebeschädigender Weise nach der letzten Bundestagswahl, aus der er als Kanzler hervorging und noch mit der Zusammensetzung des alten Parlaments eine Billion Euro Schulden aufgenommen, unter anderem um die Ukraine weiter massiv aufzurüsten, die Bundeswehr massiv aufzurüsten und Deutschland schicksalhaft mit der Ukraine zu verbinden.
In der Entscheidung dieser Jury heißt es unter anderem:
„Mit der Auszeichnung des NATO-Bündnisses würdigen wir eine Institution, die in einer Zeit globaler Unsicherheit Verlässlichkeit schafft, Partnerschaft fördert und Frieden durch Stabilität ermöglicht. Der Westfälische Frieden steht für Ordnung durch Verständigung und Einbindung. Genau das leistet die NATO im 21. Jahrhundert. Unter der Führung von Mark Rutte zeigt sie, dass militärische Stärke und Friedenssicherung kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig bedingen.“
Die NATO stehe, so heißt es weiter, seit mehr als sieben Jahrzehnten als Bündnis „für eine regelbasierte Sicherheitsarchitektur, die Konflikte eindämmt, Eskalation vorbeugt und Zusammenarbeit stärkt.“
Ist das so? Die NATO ist jedenfalls eine militärische Allianz, die 1949 gegründet wurde, um kollektive Verteidigung gegen Bedrohungen zu gewährleisten – ursprünglich primär gegen die Sowjetunion. Kritiker argumentieren jedoch nicht erst seit gestern, dass sie in bestimmten Kontexten den Frieden untergräbt, anstatt ihn zu fördern.
Eine der wenigen Politiker in Deutschland, die sich der Kriegstreiberei entgegenstellen, ist Sevim Dağdelen vom BSW, die diese zynische Preisverleihung als eine der ersten und sofort kritisierte:
„Die NATO bekommt den Westfälischen Friedenspreis. Als Nächstes wohl die Rüstungsindustrie den Nachhaltigkeitspreis.“
Nein, die NATO ist nicht Gandhi, Mandela oder Martin Luther King. Die NATO hat nach 1990 exzessiv eine Osterweiterung betrieben und sich damit klar gegenüber Russland aufgestellt, während Präsident Jelzins Wiederwahl Mitte der 1990er mit Milliardenkrediten des IWF gesichert wurde.
Die NATO hat seit 1999 mehrere osteuropäische Länder aufgenommen (z. B. Polen, Baltikum, Tschechien), was Russland und hier insbesondere Putin als Verletzung informeller Zusagen aus den 1990er Jahren betrachtet (z. B. Gespräche zwischen Gorbatschow und westlichen Politikern).
Russische Quellen (z. B. Kreml-Statements) und Kritiker wie John Mearsheimer (US-Politikwissenschaftler) argumentieren, die Expansion habe Russland in die Defensive gedrängt und den Konflikt in der Ukraine provoziert. Zuletzt wurden auch Finnland und Schweden in die NATO aufgenommen, um sich vor einer mutmaßlichen russischen Aggression zu schützen. Wenn allerdings diese Aggression auch mit der Expansion der NATO in Verbindung steht, birgt das Potenzial für eine Eskalationsspirale. Wie friedenssichernd sind denn NATO-Manöver nahe der russischen Grenze?
Der Friedenspreis wird von Gabriel, Merz und Co. an eine NATO verliehen, die sich immer wieder mit diversen „Out-of-Area“-Einsätzen weit über die kollektive Verteidigung hinaus kriegerisch engagiert hat. Hier oft auch ohne UN-Mandat und mit fragwürdiger Rechtfertigung.
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Hier nur drei Beispiele:
Kosovo-Krieg (1999): Am 24. März 1999 begann die NATO mit der Luftkampagne „Operation Allied Force“ – der erste Kampfeinsatz des Bündnisses ohne UN-Mandat. Die Bombardements dauerten 78 Tage bis zum 10. Juni 1999 und zielten auf jugoslawische (serbische) Militär- und Infrastrukturziele ab, um Milošević zum Rückzug zu zwingen.
Die Operation sollte ethnische Säuberungen stoppen und eine Verhandlungsbasis schaffen. Aber hatte man im Vorfeld der 38.000 Einsätze mit Flugzeugen und Schiffen aus 19 NATO-Mitgliedstaaten alle Optionen für Verhandlungen ausgeschöpft? Das ist ein zentraler Kritikpunkt an der Entscheidung zum Eingreifen der NATO.
Afghanistan (2001–2021): Nach dem Einsturz der Türme in New York wurde zum ersten und bisher einzigen Mal in der Geschichte der NATO Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ausgerufen. Die Besonderheit: Der Bündnisfall wurde gegen Terroristen und nicht gegen einen Staat ausgerufen. Dennoch begann ein 20-jähriger Krieg gegen die religiösen Herrscher in Afghanistan, der mit einer vollständigen Destabilisierung der Region und einer Rückkehr der Talibanführung endete.
Libyen (2011): Nach französischen, amerikanischen und englischen Angriffen aus der Luft bzw. mittels Tomahawk-Raketen von Schiffen und U-Booten aus, übernahm die NATO das Kommando unter „Operation Unified Protector“. Was erreichten solche NATO-gesteuerten Einsätze? Sie schufen sogenannte „failed states“, förderten Terrorismus (z. B. IS-Aufstieg nach Libyen) anstatt ihm wirksam etwas entgegenzusetzen und sie beschädigen zudem das Vertrauen in internationale Institutionen.
Die NATO ist wichtigstes Akquise-Instrument der Waffenindustrie. Die NATO-Verpflichtungen werden neuerdings auch zum Motor für „Make America great again“. So haben europäische NATO-Staaten seit 2022 ihre Verteidigungsausgaben massiv erhöht und einen Großteil davon in US-Waffen investiert.
Experten sagen, das liege an der Dominanz US-amerikanischer Systeme (z. B. F-35-Kampfjets, Patriot-Raketen, HIMARS, Abrams-Panzer), die oft als Standard in der NATO gelten. Viele NATO-Länder kaufen US-Waffen explizit für die Ukraine. Die USA sind der Nutznießer. Die NATO-Aufrüstung (parallel zum Ukraine-Krieg) hat die US-Industrie zu einem der größten Profiteure gemacht. Und der Boom wird voraussichtlich noch einige Jahre anhalten. Eine aufrechterhaltene Drohkulisse mit Russland ist hier das erste Geschäftsmodell.
Waren Treffen wie das zwischen Trump und Putin in Alaska so von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Die globalen Militärausgaben erreichten 2024 einen Rekordwert von rund 2,7 Billionen US-Dollar, was einem Anstieg von etwa 9,4 Prozent im Vergleich zu 2023 entspricht – der steilste Jahresanstieg seit dem Ende des Kalten Kriegs. Dies wird durch mehrere unabhängige Quellen bestätigt, darunter der Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) und die UN.
Befürworter sehen die NATO als Stabilisator: Sie habe Europa seit 1945 friedlich gehalten, abschreckend gegen Aggression gewirkt und Demokratien gestärkt. Das stärkste Argument: Kein NATO-Mitglied wurde seit Gründung angegriffen. Demgegenüber hat die NATO diverse Staaten angegriffen und destabilisiert, ohne selbst existenziell bedroht gewesen zu sein.
Die NATO ist schädlich für den Frieden, wo sie Expansion, Interventionen und Militarisierung priorisiert, was Eskalationen und Instabilität erzeugt – substantiiert durch Kriege in Kosovo, Afghanistan und Libyen sowie die Ukraine-Krise. Sie ist nützlich in der reinen Verteidigung, aber ihre offensive Auslegung hat globale Kosten.
Wenn also Lobbyisten wie Merz und Gabriel der NATO ausgerechnet in der jetzigen Situation und mit Blick auf die Ukraine einen Friedenspreis verleihen, dann ist das als ultimative Provokation gegenüber Russland und seinen Verbündeten bzw. als reiner Akt der Selbstversicherung gedacht.
Ausnahmsweise – aber nur mit viel gutem Willen – könnte man diesen feindseligen Akt auch als Wunschdenken verstehen, gewissermaßen als Auftrag verstehen. Wahrscheinlich ist das indes nicht.
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Kommentar von Joseph Conrad
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel zum real existierenden Orwellianismus!
In diesem Sinne möchte ich Ihnen - anlässlich des kürzlich in München stattgefundenen "One Young World (OYW) Summit 2025" - als würdiges und wichtiges Recherchethema die in ihrem Ausmaß kaum bekannte, gleichnamige (N)GO OYW ans Herz legen.
Diese wirbt u.a. so: "Fully Funded : Apply for the One Young World Academy: NATO and the Future of Global Security and Peace program" ...
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Kommentar von Peter Zinga
Ich stimme allem zu, nur:
„der Nordatlantikpakt, ein Militärbündnis ursprünglich gegen die Warschauer-Pakt-Staaten“
Die NATO (Nordatlantikpakt-Organisation) wurde am 4. April 1949 in Washington gegründet, um ihren Mitgliedstaaten eine kollektive Verteidigung zu gewährleisten. Der Warschauer Pakt (offiziell Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand) entstand als Reaktion auf die NATO am 14. Mai 1955 in Warschau als Militärbündnis des Ostblocks.
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Kommentar von Rolf-Dieter Knoop
Meiner Einschätzung nach bleibt das Motiv für die Preisvergabe unklar. Putin damit provozieren zu wollen, erscheint fast lächerlich.
Man fragt sich ja überhaupt, warum ein Bundeskanzler (noch?) in solch einer Jury sitzt. Merz hat zwar keine formale Funktion in der Nato. Aber, wenn man es so sehen will, ist er durch sein Drängen auf eine höhere finanzielle Beteilung Deutschlands am Nato-Budget doch eine treibende Kraft in Sachen Kriegstüchtigkeit. Er hat sich den Preis damit also auch selbst verliehen. Was soll das für eine Außenwirkung haben?
Die Preisvergabe wird in der Öffentlichkeit sicher kaum wahrgenommen. Solch eine Aktion ist meiner Einschätzung nach nicht sonderlich geeignet, um das „Volk“ weiterhin zur Kriegstüchtigkeit zu animieren, weil die Aktion wohl Morgen schon wieder vergessen ist.
Gleichzeitig muss der Preis nicht zwingend in jedem Jahr vergeben werden. Man hätte die Aktion also auch ausfallen lassen können. Ein Hinweis darauf, dass wohl doch ein drängendes Motiv dahintersteckt – es bleibt verwirrend und hinterlässt keinen seriösen Eindruck.
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Kommentar von Palmström
Aber doch schön, wie die roten und schwarzen Genossen sich einig sind. Fehlt doch nur noch der grüne Kriegsgenosse aus Bayern. Der Vereinsvorsitzende ist ja Direktor von der Waschmaschinen-Fabrik die sich in die Ostgebiete verschiebt. Vielleicht werden dann dort auch noch Granat-Schleudern hergestellt, wenn es nicht zu einer weiteren Chipkrise kommt.
Was wird mit dem Preisgeld? Kauft der Rutte dann Gutscheine bei diversen Herstellern von Gehilfen und Prothesen, und übergibt diese an ukrainische Krankenhäuser?
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Kommentar von Heinz Schattanek
Wohnt Rutte noch bei Mutti?
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Kommentar von Torsten Kandziora
Die Umkehrung der Werte. Krieg ist Frieden. Hass ist Liebe. 2 + 2 = 5. Willkommen in der Demokratie.