Was Cem Özdemir nicht sagt: Die Politik der Bundesregierung ist Stimmungsmacher für die AKP

Deutschtürken: Stimmen für Erdoğan sind auch Stimmen gegen die Ampel

von Alexander Wallasch (Kommentare: 24)

Die Deutschtürken wählten Erdoğan als starken und wertekonservativen Mann. Damit wollen sie der grün-woken Ampelpolitik in ihrer Wahlheimat instinktiv etwas entgegensetzen.© Quelle: Youtube / BILD Screenshot

Große Empörung und Enttäuschung beim grünen Bundesminister Cem Özdemir: Etwas mehr als 500.000 Deutschtürken haben Erdoğan 2023 erneut zum türkischen Präsidenten gewählt.

Von den 1.5 Millionen in Deutschland lebenden Türken bzw. Doppelstaatsbürgern gaben 67,4 Prozent ihre Stimmen Recep Tayyip Erdoğan. Der bekam in der Stichwahl mehr als 52 Prozent der Stimmen und wurde als Präsident der Türkei wiedergewählt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte Erdoğan diplomatisch artig mit folgenden Worten:

„Erlauben Sie mir, Ihnen auf diesem Wege zu Ihrer Wiederwahl zum Präsidenten der Republik Türkiye zu gratulieren. Angesichts der besonders engen menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen unseren Ländern kommt dem deutsch-türkischen Verhältnis ganz besondere Bedeutung zu. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam zu einer Festigung guter Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern beitragen könnten. Die Herausforderungen in der Welt, denen wir uns gegenüber sehen, machen dies umso wichtiger. Für die neue Amtsperiode wünsche ich Ihrem Land Frieden, Freiheit und Wohlstand und Ihnen bei Ihrer Amtsführung eine glückliche Hand.“

Bei Cem Özdemir klingt das via Twitter freilich vollkommen anders:

„Die #Türkei hat gewählt. Mich interessiert was in Deutschland los ist, wo die Anhänger von #Erdogan feiern, ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen. Das müssen viele Menschen in der Türkei durch Armut & Unfreiheit. Sie sind zurecht wütend. Darüber wird zu reden sein!“

Der alte und neue türkische Präsident bekam diese zwei Nachrichten aus Deutschland. Übereinandergelegt wird er dabei unweigerlich geschmunzelt haben, denn die Diskrepanz ist sinnbildlich für die Haltung der Türkeipolitik in Deutschland.

Aber zurück zu Cem Özedmir. Der twittert über die hupend feiernden Türken auf deutschen Straßen:

„Die #Autokorso sind keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie & Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr.“

Und weiter bei Özdemir auf Twitter:

„Um die vielen, vor allem jungen & gut ausgebildeten Menschen in der #Türkei die jede Hoffnung verlieren, tut es mir leid. Sind wir darauf vorbereitet, dass Ultranationalismus & Fundamentalismus nun noch stärker durch neue Imame aus Ankara hierzulande verbreitet werden?“

Zusammengefasst:

Der amtierende deutsche Landwirtschaftsminister, der 2017 gescheiterte Fast-Außenminister, der Sohn einer aus der Türkei eingewanderten Änderungsschneiderin, das Gründungsmitglied der linksradikalen „Amadeu Antonio Stiftung“ und des europäischen Think Tanks „Council on Foreign Relation“, das ehemalige Mitglied der „Atlantik Brücke“ und der Absolvent des „Young Leader-Programms“ des „Amercian Council on Germany“ ist verbittert über die Liebe von über 500.000 Türken in Deutschland zu ihrem Erdoğan.

Aber was bedeutet das in Zahlen? Zur Stichwahl waren rund 61 Millionen Menschen in der Türkei wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 85 Prozent. Gewählt haben demnach knapp 52 Millionen Türken in der Türkei. Etwas mehr als 27 Millionen gaben Erdoğan ihre Stimme.

Bei einem Wahlsieg von 52 Prozent für Erdogan sind das eine halbe Million Stimmen pro Prozentpunkt. Die Stimmen für Erdogan aus Deutschland haben bei so einem knappen Wahlsieg also durchaus Gewicht, noch mehr, wenn sie stattdessen dem Gegner zugefallen wären, dann zählten sie ihrem Gewicht nach quasi doppelt.

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Cem Özdemir schimpft hier nicht über nichts: Wären die Deutschtürken seiner ablehnenden Haltung gegenüber Erdoğan gefolgt, es hätte spannend werden können, sind sie aber nicht.

Warum nicht? Reicht die Erklärung aus, dass Türken sich in der Diaspora nicht anders verhalten als viele Communities in der Fremde, die mit einer besonderen Mischung aus Wehmut und Nationalstolz auf ihre alte Heimat schauen?

Die Erklärung dürfte Özdemir recht sein. Denn was 2023 viel näher an der Wahrheit sein könnte, gefällt dem Grünen mutmaßlich viel weniger: Diese Deutschtürken wählten Erdoğan als starken und wertekonservativen Mann auch darum, weil sie instinktiv der grün-woken Ampelpolitik in ihrer Wahlheimat Deutschland etwas entgegensetzen wollen.

Der Prozess dahin war ein langwieriger: So waren es zu einem viel höheren Anteil Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund, die mit großer Skepsis gegenüber dem Corona-Regime durch die letzten Jahre gekommen sind. Und es sind insbesondere die traditionell wertkonservativeren Muslime, denen der Zugang zu einer vom Geist des LGBTQ geprägten Gesellschaft oftmals sehr schwer fällt. Die „Welt“ schrieb bereits 2017:

„Der homosexuelle CDU-Politiker Jens Spahn glaubt, dass mit muslimischer Zuwanderung die Homophobie zunimmt. Dem Schwulenverband wirft er vor, das Thema herunterzuspielen. Er habe selbst negative Erfahrungen gemacht.“

Noch etwas spielt eine Rolle: Viele der hier schon über Generationen lebenden Deutschtürken sind stolz auf das Erreichte. Im persönlichen Gespräch hört man vielfach erstaunlich kritische Töne gegenüber den Protagonisten der Massenzuwanderung ab 2015.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte 2016: „Warum viele Migranten in Deutschland gegen Flüchtlinge sind“.

Da heißt es weiter:

„Man muss nicht lange suchen, um in sozialen Netzwerken Personen zu finden, deren augenscheinliche Sympathie für rechtspopulistische, fremdenfeindliche Positionen auf den ersten Blick ziemlich überrascht. Menschen mit türkisch klingenden Namen etwa, die in ihren Nutzerprofilen Izmir, Adana oder Istanbul als Heimatorte eingetragen haben und sich an Diskussionen über kriminelle Asylbewerber oder die Notwendigkeit geschlossener Grenzen beteiligen. Der junge Mann zum Beispiel, der auf seiner eigenen Seite Beiträge meist auf Türkisch verfasst und mit roter Halbmondflagge posiert und auf der Facebook-Seite der AfD schreibt, Flüchtlinge seien ,asoziale Schmarotzer, die sich mit Gewalt nehmen, was sie wollen'."

Bei den Türken und türkischstämmigen Deutschen kommt noch etwas hinzu: Sie haben vielfach Verwandtschaft in der Türkei, die ebenfalls davon berichtet, wie sich das Leben in der Türkei unter Millionen syrischen und afghanischen Flüchtlingen verändert habe. Die Willkommenskultur in der Türkei endete fast abrupt mit zum Teil progromartigen Ausschreitungen gegen syrische Geschäfte.

Noch ein kurzer Blick zur Bundestagswahl: Rund 1,2 Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen, sind in Deutschland wahlberechtigt. Gegenüber der Deutschen Welle sagte Umut Karakas von „Data4U“, einem Meinungsforschungsinstitut, das sich auf Einwanderergruppen spezialisiert hat, im Jahr 2017, wie diese Menschen wählen und warum:

„Wir wissen, dass die Türken, die in Deutschland leben, eigentlich eher konservativ veranlagt sind. So gesehen müssten sie eigentlich die CDU oder die CSU wählen, denn die sind ja konservativ. Aber da die Türken traditionell eher aus der Arbeiterklasse sind, sind sie politisch eher links orientiert. Sprich: Sie wählen die Sozialdemokraten oder die Grünen.“

Aber auch das ist nicht in Stein gemeißelt. Denn etwa 63 Prozent der in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Menschen sprachen laut einer Untersuchung von Data4U aus dem Oktober 2015 im Alltag überwiegend oder ausschließlich türkisch. „Viele Türken in Deutschland konsumieren zu 100 Prozent ihre eigenen, türkischen Medien. Was in den deutschen Medien berichtet und gezeigt wird, das kriegen sie weniger mit“, sagt wiederum Umut Karakas.

Diese Klientel ist demnach weniger anfällig für eine woke-grüne Propaganda der Ampelregierung, insbesondere über die öffentlich-rechtlichen Medien. Das Portal „IslamIQ“ erkannte bereits zur Bundestagswahl 2017:

„Die AfD zieht Protestwähler an. Auch viele Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sind vor dieser Bundestagswahl enttäuscht von den etablierten Parteien. Eine Partei, die gegen muslimische Zuwanderung ist, stellt für sie aber keine Alternative dar.“

Die Frankfurter Rundschau berichtete wieder im Zusammenhang mit der Wahl Erdoğans, dass die Zustimmungswerte in anderen europäischen Ländern ähnlich überproportional hoch waren. Die Zeitung vermutet hier einen besonderen Einfluss der Moscheeverbände. Das allerdings erklärt nicht, warum mutmaßlich auch säkulare Türkischstämmige überproportional Erdoğan wählen.

Eren Güvercin, der Vorsitzende des Landesverbands der Liberalen Vielfalt Berlin, sagte gegenüber der Zeitung:

„Wir müssen nüchtern festhalten, dass der völkische Nationalismus eines Erdogan, den er auch religiös legitimiert, in breiten Teilen der türkischen Wählerschaft in Deutschland Anklang findet.“

Zusammenfassend kann man sagen, dass die wahlberechtigten Deutschtürken grundsätzlich eher konservativ orientiert sind, gleichzeitig ist Ihnen durchaus bewusst, dass SPD und Grüne grundsätzlich den Migranten gegenüber zugewandter sind als AfD, Union und FDP.

Aber auch hier ist ein Wandel erkennbar, der sich Bahn gebrochen hat in einer tiefen Skepsis dem Corona-Regime gegenüber und in einer vielfach kritischen Haltung der Zuwanderungspolitik der offenen Grenzen gegenüber.

Noch eine Baustelle: Präsident Erdoğan hatte die Türkei sehr früh auf die Seite der Ukraine gestellt. So genießen die türkischen Bayraktar-Drohnen in der Ukraine Kultstatus und wurden zu Beginn des Krieges vielfach für ihr Vernichtungswerk gefeiert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ließ es sich nicht nehmen, den türkischen Produzenten der Drohne im Herbst 2022 einen ukrainischen Verdienstorden zu verleihen.

Erdoğan war es allerdings in der Folge gelungen, sich auch Putin gegenüber im Gespräch zu halten. Wieder die Frankfurter Rundschau formulierte Ende März 2023 die Schlagzeile „Erdogan meldet sich zurück – an der Seite von Wladimir Putin“. Hier bezieht sich die Zeitung auf eine neue Atomenergiepartnerschaft der beiden Staaten, Russland tritt hier als Lieferant von Atomkraftwerken in die Türkei in Erscheinung.

Und da schließt sich dann der Kreis, in welchem Deutschtürken von denselben von der Ampelpolitik künstlich erzeugten hohen Energiepreisen und Energieengpässen betroffen sind wie alle weiteren Haushalte in Deutschland.

Wenn Bundesminister Özdemir also seine Empörung über Erdogan wählende Deutschtürken zum Ausdruck bringt, dann ist er angehalten, sich bei der Analyse an seine eigene Nase zu fassen.

Die Politik der Ampel könnte ein Auslöser dafür sein, sich dem starken Mann zuzuwenden. Dem Nationalisten, dem Patrioten und Despoten. Hat sich innerhalb dieser Community der antidemokratische woke-grüne Totalitarismus der Ampelregierung bereits als Bumerang erwiesen?

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