Eine Erzählung vom zerstörerischen Hass der Boomer auf das Eigene

Die Generation Siegmund und der Holocaust

von Alexander Wallasch (Kommentare: 13)

Auschwitz und Landtag Sachsen-Anhalt© Quelle: Pixabay/ peter89ba Youtube AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt, Montage: Wallasch

Wer dem Hass der Boomer auf das Eigene etwas entgegensetzen will, der darf nicht den Fehler machen, alles umkehren zu wollen, was diese Nachkriegsgeneration erst in ihren Hass auf das Eigene getrieben hat. Denn indem man das Furchtbarste, was Menschen jemals Menschen angetan haben, ohne Wenn und Aber als deutsches Verbrechen anerkennt, kann ein Deutschland der Deutschen weiterbestehen.

Zunächst einmal ist es eine Hürde, eine Äußerung in einem Podcast zu kommentieren, die nicht Wort für Wort niedergeschrieben ist. Gerade rollt eine Empörungswelle über die AfD und hier speziell über den zurzeit wohl erfolgreichsten Politiker der Partei, Ulrich Siegmund, AfD-Chef von Sachsen-Anhalt.

Der hatte zuletzt in Umfragen die 40-Prozent-Marke angekratzt. Und jetzt steht Siegmund im Mittelpunkt einer Empörung um eine angebliche Verharmlosung des Holocaust. Ein Straftatbestand übrigens (§ 130 Abs. 3 StGB).

Ulrich Siegmund hatte in besagtem Podcast eine mutmaßlich politisch motivierte Frage von Politico aus dem regierungsnahen Axel-Springer-Konzern beantwortet. Der Interviewer wollte wissen, ob der Holocaust für Siegmund das schlimmste Menschheitsverbrechen sei. Da müssen eigentlich jedem AfD-ler sofort die Alarmsirenen losgehen, schlicht deshalb, weil die AfD von den etablierten Parteien seit über einem Jahrzehnt als „Nazis“ gekeult wird – die Etablierten sehen das bei einer rechten Alternative als das erfolgreichste Mittel der Diffamierung an.

Beispielhaft steht dafür eine Maischberger-Sendung von Januar 2016, als Ralf Stegner, Jakob Augstein und Moderatorin Maischberger wie entfesselte Furien über die damalige AfD-Chefin Frauke Petry herfielen.

Neun Jahre später soll also Ulrich Siegmund getriggert werden. Natürlich kennt Siegmund die richtigen Antworten und auch jene Antworten, die diesen Angriff sofort abwehren. Aber der Sachsen-Anhaltiner hatte keine Lust mehr dazu, lässt sich triggern und gibt halbgare und halbwahre, angreifbare Antworten:

„Das maße ich mir nicht an zu bewerten, weil ich die gesamte Menschheit nicht aufarbeiten kann und aus allen Verbrechen dieser Menschheit natürlich lernen muss. (…) Ich finde es maßlos übertrieben und völlig fernab jeglicher Realität, wie man das auslegt. Und für mich gilt es, eine Perspektive, nach vorne zu blicken und nicht zurück. Und natürlich muss man immer aus Geschichte lernen, aber nicht nur aus einzelnen Aspekten der Geschichte, sondern aus der gesamten Geschichte. (…) Der erste Schritt, wo ich aus der Geschichte lerne, ist ja, dass ich keine Sprachpolizei möchte. Wenn ich sage, das darfst du sagen, das darfst du nicht sagen, weil das vor 80 Jahren mal so und so war, dann beginne ich, eine Sprachpolizei einzurichten.“

Das muss man zweimal lesen und sich die Frage stellen, ob Ulrich Siegmund diese Sätze auch freigegeben hätte, wenn sie ihm in schriftlicher Form noch einmal vorgelegt worden wären. Die AfD-Führung distanzierte sich schnell von den Aussagen Siegmunds.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, hat Siegmunds Äußerungen als „völlige Schamlosigkeit“ verurteilt. Gleichzeitig wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Zentralrat in den vergangenen Jahren beim Thema importierter Antisemitismus (etwa bei antiisraelischen Demonstrationen seit Ende 2023) noch lauter und noch konsequenter aufgetreten wäre. Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht beim Zentralrat, sondern in einer verbreiteten Deutung der Nachkriegszeit: Dass aus der deutschen Schuld die Lehre gezogen wurde, jede Form positiver nationaler Identität sei von vornherein gefährlich und müsse deshalb unterdrückt oder aufgelöst werden. Genau diese Übertragung historischer Verantwortung auf völlig Unschuldige erzeugt bei der jungen Generation verständlichen Widerstand.

Und hier kann man junge Deutschen verstehen, welche dieses Erbe ablehnen. Die dritte Nachkriegsgeneration möchte sich nicht immer wieder in Geiselhaft nehmen lassen für etwas, was deutsche Naziverbrecher vor 80 Jahren geplant und durchgeführt haben. Wer den heute 30-Jährigen Deutschen eine besondere Verantwortung für den Holocaust überantworten will, der muss das genau begründen können.

Und er gerät dabei zwangsläufig in einen Strudel – jetzt aufpassen! –, diesen jungen Deutschen automatisch dem Verdacht auszusetzen, genetisch als Deutsche mit parallel verlaufenden Familiengeschichten die Fähigkeit zur Organisation eines solchen singulären Menschheitsverbrechens auf besondere Weise zu besitzen. Das allerdings wäre purer Rassismus. Eine lupenreine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Was die sogenannte Boomer-Generation dabei vergisst: Die Generation Siegmund dieser Republik ist von Boomern erzogen worden, die wiederum von Lehrern erzogen wurden, deren Lehre aus dem Holocaust im Wesentlichen darin bestand, das Eigene abgrundtief hassen gelernt zu haben.

Der spätere Faschist und Antisemit Horst Mahler wurde in seiner linksextremistischen Phase einmal gefragt, warum er die RAF gegründet und Terrorist geworden sei. Seine Antwort damals noch: Wegen Auschwitz. Und auch ein Joschka Fischer, der es als Grüner zum Außenminister brachte, begründete die erste Beteiligung der Bundeswehr an einem Krieg in Europa (Jugoslawien) mit Auschwitz.

Die Generation Siegmund hat in die Muttermilch hineingepresst bekommen, dass Deutschland und die Deutschen eine Art Kainsmal in sich tragen, einen Gendefekt, über den man nicht spricht, der sie immer wieder potenziell zu Massenmördern macht.

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Hat diese Generation nicht das Recht, sich dagegen aufzulehnen? Aber wie macht man das historisch korrekt? Es kommt hier noch etwas Gravierendes hinzu: Die Generation Siegmund hat spätestens seit 2015 eine von Boomern (ich will nicht auf dem Begriff herumreiten, aber mir fiel kein besserer ein) bestimmte Politik erlebt, die ihren gelernten Hass auf das Eigene auf eine Weise in einem Hochamt überführt haben, das auf ein Ende der souveränen Selbstbestimmung eines ganzen Volkes abzielte – eines Volkes, das sich bis dahin über die Staatsbürgerschaft hinaus wie selbstverständlich auch als Volk mit parallel verlaufenden Familiengeschichten verstanden hatte. Die Politik von Merkel und der ihr nachfolgenden Ampel muss der Generation Siegmund vor allem eines deutlich gemacht haben:

Viele Boomer haben aus dem Holocaust die Lehre gezogen, dass deutsche Identität an sich gefährlich sei und am besten ganz aufgelöst werden sollte.

Die Generation Siegmund ist die erste Nachkriegsgeneration, die diese Selbstgeißelung mit erstaunlicher Vehemenz abwehrt. Und sie opponiert dagegen, weil der Kampf der Boomer gegen das Eigene so überaus erfolgreich verlief.

Zur großen Überraschung der Katrin Göring-Eckardts, der Hohepriesterinnen des Hasses auf das Eigene, steht hier eine Generation Deutscher für das Eigene ein – vielleicht zum letzten Mal. Entsprechend laut das Geschrei, entsprechend mies die Tricks, wie politisch erfolgreiche Protagonisten wie Ulrich Siegmund, der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, hier von den regierungsnahen Medien nach altbekannten Mustern belästigt und getriggert wurde.

Den Äußerungen von Ulrich Siegmund muss natürlich klar widersprochen werden, wie es die AfD-Führung auch getan hat: Der Holocaust als industrielle Vernichtung der Juden ist in der Menschheitsgeschichte einzigartig. Und das unsagbare Grauen wiegt noch schwerer, weil es mitten in Europa von einer Kulturnation begangen wurde, die zwar von der Hitler-Diktatur beherrscht wurde, ihr aber überwiegend willig folgte. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden – man muss es so sagen – wurde von den Deutschen im Dritten Reich als Kollateralschaden hingenommen. Jeder konnte davon wissen, aber man war zuerst mit dem persönlichen Aufstieg und Wohlstandszuwachs beschäftigt und später mit der verzweifelten Abwehr eines verlorenen Krieges und der Bombenangriffe.

Es waren damals zweifellos sehr viele Deutsche mitverantwortlich für diesen – jetzt bitte genau hinhören, Herr Siegmund – beispiellosen Zivilisationsbruch, der schnurstracks in die industrielle Vernichtung der Juden führte. Und daraus erwächst heute explizit ein zwangsläufiger Auftrag für jene Politiker, die Deutschland weiter als Nation der Deutschen und auch als traditionelle Heimstatt von Deutschen verstehen wollen, die ähnliche Familiengeschichten haben, deren Vorfahren diesen Holocaust eben nicht verhindert haben.

Und die nicht aufbegehrten, als ihre Nachbarn mit Sternen markiert, ihre Synagogen in Flammen aufgingen, sie aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, totgeschlagen, misshandelt und beraubt und dann abtransportiert und im Osten Europas millionenfach industriell vernichtet wurden.

Oder knapper: Wer dem Hass der Boomer auf das Eigene begegnen will, der darf nicht den Fehler machen, alles umkehren zu wollen, was diese Nachkriegsgeneration in ihren Hass auf das Eigene getrieben hat.

Denn erst, indem man das Furchtbarste, was Menschen jemals Menschen angetan haben, ohne Wenn und Aber als deutsches Verbrechen anerkennt, kann ein Deutschland der Deutschen weiterbestehen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Und Ulrich Siegmund soll nicht vergessen, dass es nach wie vor Überlebende dieses Menschheitsverbrechens gibt – da sind 80 Jahre dann keine so lange Zeit. Und diesen Menschen gegenüber ist jedes Wort des Bedauerns keins, das verschenkt wäre, denn der Schmerz kann niemals verlöschen.

Hier ist es schon aus Respekt geboten, seine Worte sorgsam zu wählen, keinen Unsinn zu erzählen, auch wenn man sich selbst so weit entfernt von den grausamen Ereignissen wähnt. Und das kann dann auch der entscheidende Unterschied sein zwischen der radikalen Selbstauflösungsrhetorik weiter Teile der Boomer-Generation und dem finalen Versuch einer Generation Deutscher, sich als Deutsche in Deutschland definieren zu wollen.

Und als Nachschlag: Die Linke relativiert den Holocaust, indem sie – wie die Nazis – ihre politischen Gegner mundtot macht oder gleich totschlägt. Hier wäre ein "Nie wieder!" angebracht.

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