Warum Kubitschek, Lucassen und Stein die größte antimilitaristische Chance der Nachkriegszeit verspielen

Die Rechte verrät den Frieden – sie stehen stramm und können nicht anders

von Alexander Wallasch (Kommentare: 9)

Dieter Stein, MdB Rüdiger Lucassen, Götz Kubitschek© Quelle: Antaios.de , jungefreiheit.de, https://www.bundestag.de, Screenshots, Montage: Wallasch

Sie waren einmal Soldaten. Sie sind immer noch Uniformverliebte. Und genau deshalb führen sie die deutsche Rechte gerade zurück ins 19. Jahrhundert, während links alte Wehrdienstverweigerer-Beratungsstellen reaktiviert werden. Eine bittere Geschichte der verpassten Gelegenheit. Und ein finaler Debattenanstoß.

Kennen Sie das, wenn man sich in einer Debatte seines Standpunktes ganz besonders sicher ist? Das ist ja nicht immer der Fall. Viel öfter geht man in Diskussionen und führt Gespräche, um einen Standpunkt zu entwickeln, zu verändern oder einen ganz neuen Standpunkt zu gewinnen.

Aber es gibt Momente, in denen man sich seines eigenen Standpunktes sehr früh auf besondere Weise sicher ist. Das geht mir und anderen im Moment so mit Blick auf die Debatte um die Einführung der Wehrpflicht, die eigentlich oder angeblich keine sein soll, aber über das Losverfahren dann am Ende doch zu Pflichteinziehungen führen wird.

Und die auch dazu führen wird, dass sich neue Beratungsstellen für Wehrdienstverweigerer etablieren werden. Aktuell sieht es so aus, als ob die konservativen oder rechten Kräfte diese Aufgabe ganz der Linkspartei überlassen, die diese Institution schon reaktiviert und neu einrichtet.

Grün-rot und die Kirchen sind mittlerweile zu Stellvertretern der Ukraine und einer Fortführung des Ukrainekrieges geworden, fallen hier also aus. Das heißt, die Rechte hätte hier als friedensbewegte Kraft alle Möglichkeiten gehabt, eine neue Wehrdienstverweigerung zu etablieren. Das will man nicht, das ist zu links, das ist vielleicht sogar zu unmännlich. Die Chance lässt man liegen. Aber Antimilitarismus ist nicht automatisch Pazifismus und Gandhi.

Aber wie attraktiv wäre denn ein rechter Antimilitarismus? Hier kommt dann reflexartig die Frage auf, ob ein Nationalstaat automatisch mit einer prallvollen Waffenkammer daherkommen muss. Offenbar hat sich über Jahrhunderte der Mythos verfestigt, dass Wehrhaftigkeit damit zu tun hat, wie viele Panzer man in seiner Garage stehen hat. Das erscheint schon deshalb antiquiert, weil Wehrhaftigkeit und Verteidigung in modernen Gesellschaften vor allem darin bestehen, dass man etwas schafft, was ein hohes Maß an Attraktivität hat, was ein Alleinstellungsmerkmal ist, was mit Kultur und Werten zu tun hat, was attraktiv genug nach außen ist, aber eben nicht selbstzerstörerisch nach innen.

Fundament und Waffen West-, Nord- und Mitteleuropas sind seine Wirtschaftskraft, die individuelle Freiheit und Demokratie. Die wirtschaftliche Stärke kann als wehrhafte Waffe eingesetzt werden. Und ein nach außen begehrenswertes freiheitliches Gesellschaftsmodell ist die sichere Burg, die man nicht mit militärischen Mitteln erobern kann. Man kann ihr allenfalls nacheifern.

Hier hatte US-Präsident Trump in den ersten Monaten seiner Amtszeit ein erstaunliches Talent entwickelt, niemanden ganz auszugrenzen und zumindest den Anschein zu erwecken, dass ein Deal immer die bessere Lösung gegenüber einer militärischen Auseinandersetzung ist. Aktuell scheint der Venezuela-Konflikt dem allerdings zu widersprechen, weil er mit lautem Säbelrasseln geführt wird. Hier muss man die Entwicklung abwarten.

In Deutschland hat sich an der rechten Flanke eine Phalanx gebildet, bestehend aus Leuten wie dem AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen, dem Verleger der Jungen Freiheit, Dieter Stein, und dem Antaios-Verlagschef Götz Kubitschek und seinem Thinktank der Neuen Rechten.

Hier blickt man auf eine erstaunliche Verteidigungslinie von Lucassen hinüber zu Götz Kubitschek. Der zu einer Art AfD-Kiesewetter mutierte Lucassen applaudiert Kubitschek via X, dass dieser in dem Kubitschek-Magazin „Sezession“ schreibt:

„Wer die Wehrpflicht einmal abgeschafft hat, bekommt Jahrgänge, die das Dienen, Gehorchen und Befehle nicht mehr erlernt haben. Auch den Dienst an der Waffe nicht und nichts über sich selbst in Lagen, in denen man nicht über sich selbst befinden kann.“

Das begeistert Lucassen zu verbalen Auswüchsen der besonderen Sorte:

„Welche Kraft die deutsche Sprache entfalten kann, wenn sie von Männern verwendet wird, die das Leben kennen.“

Das klingt so pathosbesoffen, dass es doch jedem gruseln muss, der sich intensiver mit den Verheerungen der Kriege auf europäischem Boden auseinandergesetzt hat.

Lucassen, Kubitschek und Stein – alle drei sind Gediente, sind Militärs, sind Uniformbegeisterte. Und alle drei sind so sehr in ihrer Biografie verfangen, dass eine kritische Rückschau auf das eigene Leben hier offenbar zu viel verlangt oder ihnen unmöglich ist.

Möglicherweise, weil damit automatisch Jahre der eigenen Vita gestrichen werden müssten, wenn man sich aus einem Lernprozess heraus gegen jedes Kriegsgeschrei- und Bundeswehr-Verherrlichung aussprechen müsste.

Wenn man sich gegen ein Menschenbild ausspräche, das Götz Kubitschek hier beschrieben hat und das auch deshalb erschütternd ist, weil es von einem Verleger kommt, der nun wirklich belesen genug ist, der um die Furchtbarkeiten des Ersten Weltkriegs und des Zweiten Weltkriegs wissen kann, der um die Grausamkeiten weiß, der um die Verkrüppelung des Selbstwertgefühls, die Verkrüppelung des Menschen an sich in diesem System weiß – all das ist ja schon erzählt.

Die Antikriegsliteratur ist ein eigenes Genre! Und vieles davon entstand nach dem europäischen Trauma des Ersten Weltkriegs. Da erstaunt es doppelt, dass ein so kluger Kopf wie Kubitschek nicht die Kraft besitzt, über seinen eigenen Schatten zu springen und Intellekt über soziale Prägung gewinnen zu lassen.

Der große Feuilletonist Matthias Matussek nannte die Psychologie dahinter in seinem Bestseller „Das katholische Abenteuer“ einen Kinderglauben:

„Dieser Kinderglaube hat ein Reservoir angelegt wie einen unterirdischen See. Der mochte im Laufe des Lebens teilweise verschüttet werden, doch er war stets da.“

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Aber Götz Kubitschek, Rüdiger Lucassen und Dieter Stein waren nicht als Kleinkinder beim Militär, sie waren es als erwachsene Männer. Und dem von Kubitschek wertgeschätzten Autor Erik Lehnert fällt auf „Sezession“ nicht viel mehr ein, als eine dünne Argumentationslinie wie diese hier:

„Nun ist man, vor allem im Osten der Bundesrepublik, auf einmal gegen eine Wehrpflicht, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Hier spielt der Argwohn eine Rolle, dass diese Wehrpflichtigen in einen falschen Krieg in der Ukraine geschickt werden könnten; ein Szenario, das nicht besonders nahe liegt, weil Wehrpflichtige bislang nur freiwillig an Auslandseinsätzen teilnehmen können. Mit anderen Worten: In Sachen Wehrpflicht wird die AfD von Leuten rechts überholt, für die noch vor kurzem alle Soldaten Mörder waren.“

Weil „Wehrpflichtige bislang nur freiwillig an Auslandseinsätzen teilnehmen können“? Darauf soll man sich nun verlassen? Alles nur Zufall? Da würde sogar das Verteidigungsministerium widersprechen. Denn selbstverständlich hat die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausschließlich mit dem Blick nach Moskau zu tun. Scholz und Merz haben das Schicksal Deutschlands – mutmaßlich sogar verfassungsfeindlich – an jenes der Ukraine gekettet.

„Krieg ist für den Mann, was Mutterschaft für die Frau ist“, soll Mussolini einmal gesagt haben. So lesen es dann auch die soldatischen Seelen von Stein, Lucassen und Kubitschek. Wer hat es gesagt: „Nichts ist erhabener als der Anblick eines jungen Volkes, das in den Krieg zieht“? Auf diesem Niveau befinden wir uns hier mit Blick auf unsere drei Protagonisten.

Allerdings: Die Schrecken des Krieges sind in die DNA der Deutschen eingebrannt worden. Und wir wissen es längst: Je älter der Krieg, desto jünger die Soldaten, wie es irgendwo in der beeindruckenden ZDF-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ hieß.

All das ist literarisch aufgearbeitet und es ist definitiv nicht nur von links aufbereitet worden. Es ist von Gottfried Benn hinüber bis Erich Maria Remarque beschrieben worden. Hier ist man in bester Gesellschaft, hier vergibt man sich nichts, wenn man eine grundsätzliche Kritik am Militarismus des alten Europas pflegt.

Hier vergibt man sich nichts, wenn man sich die Frage stellt, ob man in einem Moment, wo es um eine heraufbeschworene Kriegsgefahr für Europa geht, nicht im selben Maße, wie man immer noch mehr Waffen liefert, bereit ist, diplomatische Wege zu gehen, um diesen Krieg nach fast vier Jahren endlich zu beenden.

Wer sich aktuell die Reaktion der Europäer auf die amerikanischen Friedensbemühungen anschaut, völlig unabhängig davon, ob hier nun ein übergroßes Zugeständnis an Russland gemacht wird, der mag daran verzweifeln. Dieser Konflikt wird von europäischer Seite nicht mit allen Mitteln beendet. Die beherrschenden Interessen sind hier jene, die Russland in die Knie zwingen wollen, die eine Art bedingungslose Kapitulation Moskaus erwarten.
Mit jeder neuen Waffenlieferung entfernt sich Europa weiter von einem Einigungsprozess mit Russland, von einer diplomatischen Lösung, von einer Friedenslösung.

Es kann also gar keinen ungünstigeren, keinen falscheren Moment geben als den jetzigen, sich für eine Wehrpflicht auszusprechen. Denn diese Wehrpflicht zahlt automatisch ein in eine Option zur Fortführung dieses menschenvernichtenden Krieges.

Ich hätte es noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten, dass solche antiquierten soldatischen Mentalitäten wie jene von Kubitschek, Lucassen und Stein noch einmal so laut werden können. Die drei befinden sich damit in bester Gesellschaft mit Roderich Kiesewetter und Anton Hofreiter.

Kiesewetter ist ein kriegsgeiler Kommisskopf. Bei Hofreiter sind es ideologische und rechthaberische Beweggründe. Die persönlichen Beweggründe für Hofreiters Kriegsgeilheit möchte man gar nicht näher ergründen.

Ps.: Da passt es dann auch ganz gut, dass der Ukraine-Ordensträger und Ex-Journalist Ulf Poschardt vorgibt, sich mittlerweile für die neue Rechte aus Schnellroda zu begeistern. Da wächst offenbar was zusammen.

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